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Meine Meinung zu den politischen Repressionen am Beispiel meiner Familie, anhand von Dokumenten ethnografischen Schulmuseums «Erinnerung»

Autor: Stanislaw Jewgenewitsch Agafonow -
Kommunale Bildungseinrichtung Jurewsker allgemeinbildende Oberschule, 9.Klasse.

Leitung:
Valentina Arionowna Belowa, Lehrerin der 1. Qualifikationskategorie Russisch und Literatur, Leiterin des Schulmuseums «Erinnerung», Kommunale Bildungseinrichtung Jurewsker allgemeinbildende Oberschule.

Schuljahr 2006 - 2007  

REZENSION

Zur Forschungsarbeit des Schülers der 9. Klasse – Stanislaw Jewgenewitsch Agafonow «Meine Meinung zu den politischen Repressionen».

Der Autor dieser Arbeit ist Enkel eines Sonderumsiedlers, der aus nationalen Beweggründen politischen Repressionen ausgesetzt war; daher versteht sich das Thema, das der Schüler gewählt hat, von selbst, es ist Stanislaw nah, war ihm jedoch in vielerlei Hinsicht früher nicht verständlich. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit studierte Stanislaw Urquellen mit dem Ziel, seine Kenntnisse zu dieser Thematik zu vertiefen. Er trug wertvolle Dokumente von Opfern der politischen Repressionen zusammen, und die vorliegende Arbeit enthüllte seine aktive Position im Leben und als Bürger.

Er zog objektive Schlussfolgerungen, aus denen seine respektvolle Haltung gegenüber der historischen Vergangenheit unserer Heimat und die Zufriedenheit über seine Ergebnisse hervorgehen: die Arbeit fand Anwendung im Projekt «Unsere Meinung zu den politischen Repressionen», das im Januar – Februar 2006 gestartet wurde.

Leiterin der Kommunalen Schul-Bildungseinrichtung und des Museums «Erinnerung» - V.A. Belowa.

1. Einleitung

Ich bin Enkel des Umsiedlers deutscher Nationalität Viktor Kasparowitsch Schadt, geboren 1932, der im August 1941 im Alter von 9 Jahren aus der Ortschaft Krasnij Jar, Krasnojarsker Bezirk, Region Krasnojarsk, abtransportiert wurde. In der Ortschaft, in der ich lebe, gibt es 248 solcher Familien; daher ist das Thema meiner Forschungsarbeit keineswegs zufällig und sehr aktuell: um die historische Vergangenheit unserer Heimat zu ehren, ist es erforderlich, sie zu studieren, den Gründen für das Geschehene nachzugehen, und ich und meine Familie sind ein Teil dieser Heimat. Ich erfuhr, dass in unserer Region die Such- und Forschungsaktion «Die Region Krasnojarsk in den Jahren der Repressionen» durchgeführt wurde, die dem Tag des Gedenkens an die Opfer der politischen Repressionen gewidmet ist, und ich begriff, dass es genau das ist, worüber ich mehr erfahren und meine Forschungsergebnisse mit anderen teilen möchte, denn dieses Thema betrifft nicht nur mich persönlich. Ich erfuhr, dass ein staatliches Programm unter dem Titel «Patriotische Erziehung der Bürger der Russischen Föderation in den Jahren 2006-2010» erarbeitet wurde, welches durch Anordnung der Regierung der Russischen Föderation vom 11. Juli 2005 bestätigt wurde.

Ich sehe das Problem darin, dass bei weitem noch nicht alles über das Schicksal der Menschen bekannt ist, die ins Mahlwerk der Repressionen gerieten, und leider kann man heute kaum noch Kenntnisse über alle gewinnen. Ich habe mir daher folgende Ziele gesetzt:

I. Mir die Fähigkeiten für eine Forschertätigkeit anzueignen.
Aufgabenstellungen:
- Anschaffung von Lexika;
- Auswahl von Literatur und Zeitungen;
- Erstellung eines Fragebogens für Gespräche mit Augenzeugen und Personen, die von den Repressionen betroffen waren.

II. Eine Arbeit zum Thema «Meine Meinung zu den politischen Repressionen».
Aufgabenstellungen:
- Bearbeitung und Analyse der Auswahl an Literatur-Material;
- Bearbeitung und Analyse des Fragebogens und der Erinnerungen der Augenzeugen und Personen, die von den Repressionen betroffen waren;
- Arbeit im Schulmuseum.

Anfangs wandte ich mich den Wörterbüchern zu, um zu festzustellen, ob ich die lexikalische Bedeutung des Wortes Repressionen richtig verstanden hätte. Im Bedeutungswörterbuch von S.I. Oschegow las ich: «...Repression ist eine Bestrafung, eine Strafmaßnahme, die von staatlichen Organen angewendet wird». Das Fremdwörterbuch deutet den Begriff folgendermaßen: «Repression – Unterdrückung, Strafmaßnahme, Bestrafung». Hier widersprechen sich beide Wörterbücher im Großen und Ganzen nicht, nur erklärt S.I. Oschegow zusätzlich noch, dass Bestrafung und Strafmaßnahme durch staatliche Organe erfolgen. Folglich müssen diejenigen, die den Repressionen ausgesetzt waren, vor dem Staat, in dem sie lebten, große Verbrechen begangen haben; vielleicht handelt es sich um Vaterlandsverräter, Verbrecher in Bezug auf ihre Landsleute...

Die Zeitung «Krasnojarsker Arbeiter», ¹ 121 (25310) vom 28.10. 2006 veröffentlichte eine Mitteilung darüber, dass bereits seit 15 Jahren das Gesetz über die Rehabilitierung der Opfer der politischen Repressionen in Kraft ist. Von dort bekam ich interessante Informationen. Es stellt sich heraus, dass in dieser Zeit beim Amt für Sonderfonds und die Rehabilitierung der Opfer der politischen Repressionen 174372 Anträge von Bürgern, Gesuche von Organisationen und Behörden zu Fragen der Rehabilitation und des sozial-rechtlichen Status von 556114 Personen überprüft wurden. Für 491004 Antragsteller wurden Rehabilitationsbescheinigungen ausgestellt, 17335 wurden abgelehnt. Hier gibt es ein Foto eines Denkmals in der Ortschaft Akscha, im Gebiet Tschita, mit der Aufschrift: «Passant, bleib stehen! Gedenke ihrer, der während der Repressionen in den 30er bis 50er Jahren des 20. Jahrhunderts Gequälten, Erniedrigten, Erschossenen». (Anhang 1). Diese auf dem Denkmal vermerkten Jahre sind sicher nicht nur für mich rätselhaft und in vielerlei Hinsicht unverständlich, vielmehr stellen sie nach Überzeugung der Autoren des Buches: «Schwarzbuch des Kommunismus» über 95 Millionen Opfer «die zahlreichen weißen Flecken der sowjetischen Geschichte dar, die sorgfältig vor jeglicher Offenlegung im Verborgenen gehalten wurden». Dieses Buch, das ich unserer Dorf-Bibliothek entnahm, erschien 2001, und ich meine, dass die Materialien über die Repressionen heute, fünf Jahre später, schon nicht mehr so sorgsam gehütet werden, denn sonst hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können, weil ich einfach keinerlei Informationen zu diesem Thema gefunden hätte. Da mich gerade die Frage im Hinblick auf die Deutschen interessierte, wandte ich mich auch den Geschichten und Zahlen aus dem Buch von Stéphane Courtois und seiner Autorengruppe «Schwarzbuch des Kommunismus» zu und erfuhr daraus, dass eben die Deutschen die erste ethnische Gruppe waren, die nach dem Beginn des Krieges zwischen 1941-1945 ausgesiedelt wurde. Aus diesem Buch erfuhr ich auf S. 215, Kapitel «Die Kehrseite des Sieges», dass gemäß Volkszählung des Jahres 1939 in der UdSSR 1 427 000 Deutsche lebten; es handelte sich um ... Nachfahren der Deutschen, die auch in Deutschland, in Hessen, geboren und von Katharina II aufgerufen worden waren, ihren ständigen Wohnsitz nach Russland zu verlegen, um die großen Weiten der südlichen Landesteile zu besiedeln. 1924 gründete die Regierung die autonome deutsche Republik an der Wolga. Die Wolgadeutschen zählten 370 000 Personen und machten ungefähr ein Viertel der deutschen Bevölkerung Russlands aus, die in den Bezirken Saratow, Stalingrad, Woronesch, Moskau, Leningrad und anderen Gebieten Russlands lebten. Am 28. August 1941 verabschiedete das Präsidium des Obersten Sowjets ein Gesetz, nach dem die gesamte deutsche Bevölkerung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen, der Bezirke Saratow und Stalingrad nach Kasachstan und Sibirien ausgesiedelt werden sollten. Diese Entscheidung wurde angeblich nur aus humanen Erwägungen gefällt.

Ich zitiere Fragmente aus der Anordnung des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 über die Massen-Deportation der Deutschen: «Nach glaubhaften, von den Militärbehörden erhaltenen Angaben, gibt es innerhalb der in den Wolgagebieten lebenden deutschen Bevölkerung tausende und abertausende Diversanten und Spione, die, auf ein entsprechendes Signal aus Deutschland hin, in den von Wolgadeutschen besiedelten Regionen Sprengstoffanschläge verüben sollen. Zur Vermeidung solcher unerwünschten Entscheidungen und zur Verhinderung großen Blutvergießens hält das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR es für unerlässlich, die gesamte deutsche Bevölkerung aus den Regionen an der Wolga in andere Gebiete umzusiedeln, mit der Maßgabe, dass den Umsiedlern dort Land zugeteilt und ihnen staatliche Hilfe beim Einrichten ihres neuen Lebensraumes gewährt wird».

Diese Aussiedlungsoperation wurde in aller Eile und wohlorganisiert durchgeführt. Vom 3. Bis 20. September 1941 wurden 446 480 Deutsche in 230 Zügen mit etwa je 50 Waggons und ungefähr 2000 Personen pro Zug abtransportiert. Jeder von ihnen musste selbst eine für mindestens einen Monat ausreichende Menge an Nahrungsmitteln von Zuhause mitnehmen.

Niemand weiß, wie viele Ausgesiedelte während des Transports ums Leben kamen. Es gibt offenbar kein derartiges allgemeines, öffentlich zugängliches Abschluss-Dokument. Dies erklärt sich mit der außergewöhnlichen Grausamkeit jener schrecklichen Kriegszeit. Die Handlungen des NKW waren geheim; daher erhielten die örtlichen Behörden die Vorab-Mitteilung über das Eintreffen von zehntausenden Verbannten erst im allerletzten Moment. Ohne den Hinweis auf «staatliche Hilfe beim Einrichten ihres neuen Lebensraumes», wurden die Menschen angesiedelt, wo es gerade ging – in Ställen, unter freiem Himmel- dabei stand der Winter bereits vor der Tür. Nach der Aussiedlung der Deutschen setzte die zweite Deportationswelle ein, die ab November 1943 bis zum Juni 1944 erfolgte. Nach Sibirien wurden Tschetschenen, Inguschen, Krim-Tataren und andere «zweifelhafte» Nationalitäten verschleppt: Kalmücken, Griechen, Bulgaren, Türken, Balkarier.

In dem Buch «Unsere raue Jugend – Besinnen auf das Erlebte», Stadt Kansk, Region Krasnojarsk, 1998, von A.G. Kim wird auch über diejenigen gesprochen, die keine Russen waren. Diese Menschen waren Ausländer. A.G. Kim, der Autor des Buches, ist – Koreaner. Aus diesem Buch habe ich erfahren, dass im Februar 1937 alle koreanischen Männer, unter anderem auch sein Vater, verhaftet wurden. Ihr Schicksal endete tragisch. Fast alle kamen in den Lagern des GULAG ums Leben. Und Arion Grigorjewitsch selbst geriet im November 1943 in die zweite Welle der Deportation. Er war damals achtzehn Jahre alt, als er aus der Ortschaft Aleksandrowka, Bogotolsker Bezirk, Region Krasnojarsk, in die Arbeitsarmee mobilisiert wurde. Er kam in die Siedlung Besymjanka in der Nähe von Kujbyschew (heute Samara). Hierher waren Jugendliche aus dem gesamten Land zusammengeholt worden: Koreaner, Chinesen, Bulgaren, Griechen, Türken. Hier hielt man sie zwei Monate lang. Anschließend verlud man sie auf Waggons: in der Mitte stand ein Kanonen-Ofen, zu beiden Seiten Pritschen, blanke Holzbretter. Der Autor erinnert sich, dass diese jungen Männer zwischen 17 und 20 Jahren nach dem Wunsch brannten, am Krieg teilzunehmen, ihren Beitrag zur Vernichtung der faschistischen Eindringlinge zu leisten, und dass der Sieg unserer sein würde, daran zweifelte keiner von ihnen auch nur eine einzige Minute. Doch der Zug drehte von Kirow gen Norden, weg von der Front. A.G. Kim schreibt: «Es gab Gedanken für eine Flucht, hinter dem Zug zurückzubleiben, sich der Marschkompanie anzuschließen, die Richtung Front fuhr. Aber das klingt nur in der Theorie einfach, aber wie sieht die Praxis aus? Und plötzlich beschuldigen sie einen der Desertion, und das bedeutet Kriegsgericht...». So geriet er also mit seinen Schicksalsgefährten zur Verwaltung «Uchta-IschmaLag» des NKWD der UdSSR, wo er unter Aufsicht bis zum Dezember 1945 arbeitete.

Bei uns im Schulmuseum gibt es ein Buch von W. Barkunow «Protokoll des Lebens», Kaluga, Verlagshaus «Eidos», 2004. Dieser Mann besuchte in den Kriegsjahren den Unterricht an unserer Schule. In seinem Buch schreib t W. Barkunow auf Seite 11 «... Kriegshandlungen gab es in Sibirien nicht. Aber zu Beginn des Krieges tauchten in unserem Ort Deutsche auf. Ich wusste das nicht und begriff nicht. Was waren das für Deutsche, woher kamen sie? Erst einige Jahre später erfuhr ich, dass es Deutsche waren, die man aus dem Wolgagebiet nach Sibirien verschleppt hatte. Anfangs nahm man sie nicht freundlich auf, und einmal sah ich, wie Frauen die Deutschen angriffen. Ich lief auch mit einem Stock in der Hand herum und versuchte, eine Deutsche damit zu schlagen. Doch diese Szene währte nur wenige Minuten. Jemand erklärte, dass dies keine Faschisten wären, sondern unsere Deutschen, Deutsche von der Wolga»... In diesem Buch ist davon die Rede, dass die Deutschen keinen Wohnraum hatten; sie mussten sich am Ende einer Dorfstraße auf einem sandigen Hügel Erd-Höhlen graben.

Also mein Studium der Literatur erklärt und ergänzt in der einen oder anderen Form die Informationen über die Gründe der politischen Repressionen am Vorabend und im Verlauf des Großen Vaterländischen Krieges. Und unfreiwillig stellt sich die Frage: wofür wurden diese Menschen «geahndet» und «bestraft»? Sie waren lediglich schuld, weil ihre Nationalität sie «herangeführt» hatte...

Dabei wollten sie doch auch ihre Heimat verteidigen. Schließlich waren sie hier geboren, und hier war ihre Erde, hier befanden sich ihre Familien. Sie hatten das, was es sich zu schützen lohnte. Und das Vaterland musste doch alle Anstrengungen des Militärs und der Miliz auf den Kampf gegen den Feind richten, nicht auf die Aussiedlung von hunderttausenden unschuldigen Sowjetbürgern.

Dass die Menschen vor der Heimat keinerlei Schuld traf – davon konnte ich mich in den Gesprächen überzeugen, die ich mit meinen Verwandten, mit Menschen, die unter den Repressionen zu leiden hatten, führte. Und was haben sie nicht alles durchgemacht!

Meine Forschung setze ich mit Beispielen aus den Erinnerungen fort, die aus meinen Gesprächen und durch geführten Fragebogenaktionen resultieren und von denen die ersten aus den Erinnerungen meines Großvaters Viktor Kasparowitsch Schadt stammen, der 1932 im Gebiet Saratow, Krasnojarsker Bezirk, Ortschaft Krasnij Jar, geboren wurde.

- Wir waren eine große Familie, an deren Spitze Großvater Kaspar Kasparowitsch Schadt stand, der vier Kinder großgezogen hatte. Es war der Großvater meines opas, er wurde 1876 geboren. Mein Opa war neun Jahr alt, als im August 1941 ein unbekannter Mann ins Haus kam, der die Mitteilung machte, dass wir sehr schnell das Allernötigste an Kleidung und Dokumenten zusammenpacken sollten, da wir eine lange Fahrt vor uns hätten. Wir begannen uns reisefertig zu machen. Die Großmama weinte bitterlich...

Als sie die Nachbardörfer passierten, sahen sie, wie Plünderer in den verlassenen Häusern wüteten. Unterwegs starben im Zug der Bruder und die Schwester meines Großvaters, die 1937 und 1939 geboren waren. Sibirien nahm sie rau und unwirtlich auf. Man befand sich mitten im kalten September des Jahres 1941. Zwei Wochen lang hausten sie elendig im Klubgebäude. Dann begann sich alle so gut es ging einzuleben: die einen hoben sich eine Erd-Höhle aus, andere fanden Unterschlupf in einer Wohnung, alles hergebend, was sie an Wertsachen besaßen, damit sie sich nur irgendwie ernähren konnten...» (Anhang ¹ 2 Bescheinigung).

Aus den Erinnerungen von Annan Iwanowna Krotowa (Schreider / Schröder), geboren 1921. Sie wurde aus der Stadt Engels im Gebiet Saratow ausgesiedelt.

- Sie war 20 Jahre alt, Krankenschwester von Beruf; sie arbeitete in der Nachbar-Siedlung und schaffte es gerade noch gemeinsam mit ihrer Familie fortzukommen. Eine interessante Einzelheit: alle Bewohner wurden in der Reihenfolge nacheinander zum Zug abtransportiert. Anna blieb nicht lange in Jurewka, Bogotolsker Bezirk. 1942 wurde sie in die Arbeitsarmee geschickt und erfuhr dort bis 1949 all ihren Liebreiz im IschimbaiLag, ASSR Baschkirien. Aber auch als sie schließlich nach Sibirien zurückgekehrt war, war sie noch lange mit dem Misstrauen der anderen konfrontiert: sie arbeitete als ungelernte Arbeiterin, Melkerin, Kälberhirtin, und erst 1956 konnte sie wieder ans Krankenhaus gehen, um dort in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten. Bis zu ihrer Pensionierung war sie als angesehene, respektierte Ärztin beschäftigt.

Anhang ¹ 3 «Personalkarten der Arbeitsarmee-Angehörigen». Anhang ¹ 4 Kopien der Ausweise.

Aus den Erinnerungen von W.A. Belowa, geboren 1947. Sie unterrichtet Russisch und Literatur an unserer Schule und ist zudem Leiterin des ethnologischen Schulmuseums «Erinnerung». Die dritte Deportationswelle erfolgte nach dem Krieg.

- Ende der 1950er Jahre lebten in der Ortschaft Aleksandrowka, Bogotolsker Bezirk, Leute aus dem Baltikum. Sie unterschieden sich von den anderen Einwohnern durch ihre Sprechweise und waren auch anders gekleidet: mit Ornamenten verzierte Röcke, - die Frauen trugen Käppchen, die den Pelz-Mützen mit Ohrenklappen, die keine Ähnlichkeit mit denen hatten, die die einheimischen Männer trugen. Es gab Klassenkameraden mit ungewöhnlichen Vornamen: Julis und Kasis. Sie wurden angeheuert, um Kartoffeln auszugraben, die Frauen stellten wegen der Bezahlung, die hauptsächlich aus Lebensmitteln bestand, Mutmaßungen über die Zukunft der Ortsansässigen an. Außerdem konnten sie gut nähen und dachten sich ein neues Gartengerät zum Ausgraben der Kartoffeln aus. Man sagte von ihnen, dass sie Litauer, Letten und Esten wären und dass sie wegen verräterischer Handlungen während des Krieges nach Sibirien ausgesiedelt worden wären.

Noch einmal möchte ich Zeilen aus dem Buch von Stéphane Courtois aus dem Buch «Schwarzbuch des Kommunismus», Seite 230, anführen: «In den Jahren 1947-1948 wurde das Arsenal an Druckmitteln auf die Gesellschaft durch neue Normativ-Akte bereichert, die das Klima der Epoche widerspiegelten: Das Dekret über ein Verbot von Eheschließungen mit Ausländern vom 15. Februar 1947...».

Dieses Beispiel wollte ich im Zusammenhang mit den Erinnerungen im Buch von A.G. Kim «Unsere raue Jugend» nennen, der nach seinem Aufenthalt im IschmaLag ein russisches Mädchen heiratete, und deren 1947 geborene Tochter später die Folgen dieses Dekrets bei ihren Altersgenossen am eigenen Leib zu spüren bekam. Ältere Kinder kamen auf sie zu, und dann geschah folgendes: «Hey, du Schlitzauge, bist du für den Mond oder die Sonne? Sie wusste nicht, dass «für den Mond» für das Sowjet-Land bedeutete. Sie dachte, dass der Mond gleichbedeutend mit Nacht, Winter, Kälte wäre und die Sonne – Sommer, Wärme, Mama. Und so antwortete sie: «Für die Sonne». «Für die Sonne! Für Japan! Hier hast du dafür…». Und auf sie prasselten Schläge hernieder...

Das sind glaubhafte Erinnerungen. In unserer Schule arbeitet J.J. Schumakowa; bereits seit vielen Jahren unterrichtet sie Russisch und Literatur. Nur wenige wissen, dass sie ihre Kindheit im NorilLag verbrachte, in der Stadt Kajerkan.

Sie wusste damals nicht, dass es um sie herum politische Gefangene gab, erinnert sich jedoch, dass es talentierte und sehr gebildete Menschen waren, die alles konnten. Viele Jahre später kommt ihr zu Ohren, dass es sich um politisch Verfolgte gehandelt hatte.

Unter den Dokumenten in unserem Schulmuseum fand ich Erwähnung darüber, dass in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Kalmück A.B. Utnossunow Direktor der Schule war, der ebenfalls nicht aus freiem Willen hierher geraten war. Das ist ein weiteres Beispiel für das Schicksal eines Menschen, der die Repressionen aufgrund seiner Nationalitätenzugehörigkeit am eigenen Leib erfahren musste. Nachdem er die Erlaubnis erhalten hatte, nach Kalmückien zurückkehren zu dürfen, war A.B. Utnossunow dort Minister als Bildungsminister im Amt.

Während meiner Forschungstätigkeit begriff ich, dass es keine schlechten Nationalitäten gibt, aber schlechte Menschen, dass alle Menschen Respekt verdienen und das Recht auf Glück haben. Ich begriff, dass hunderttausende Menschen unter den politischen Repressionen gelitten haben und dass es sogar gefährlich war, darüber zu sprechen, geschweige denn zu schreiben, doch sie fanden in sich die Kraft, über das Durchgemachte zu berichten, sie vertrauten mir all das an, worüber sie so lange geschwiegen hatten. Ich kann sagen, dass ich eine Schule besuche, in der jede Nationalität respektiert wird, und ich bin davon überzeugt, dass meine Dorf-Mitbewohner, die so viel durchgemacht haben und jetzt am Leben sind, in der Welt leben und arbeiten, aber sich nicht gegenseitig umbringen wollen.

Ich habe sehr viel gelesen, um meine Kenntnisse zu dem Problem, das mich schon so lange beschäftigt hat, zu vertiefen.

Es ist bitter, dass man schon nichts mehr ändern kann, doch möge meine Forschungsarbeit einen Beitrag zur Ausradierung der weißen Flecken in der Geschichte unserer Heimat darstellen.

Ich bin zufrieden mit meiner Arbeit, denn mein Großvater ist stolz auf mich und ich konnte sie noch zu seinen Lebzeiten fertigstellen.

Ich habe Routine im Umgang mit Informationsquellen erworben.

Es war für mich nicht leicht mit den Menschen zu reden, aber ich habe es geschafft.

Ich denke, dass man meine Forschungsarbeit als illustratives Material im Unterricht für Literatur, Geschichte und Heldenkunde verwenden kann, und vielleicht könnte man aus meiner Arbeit sogar einzelne Erinnerungen, um daraus einen Roman zu schreiben oder einen Kinofilm zu drehen.

Literaturangaben

1. Zeitung «Krasnojarsker Arbeiter», ¹ 121 vom 28.10. 2006
2. «Bedeutungswörterbuch» von S.I. Oschegow
3. Fremdwörterlexikon
4. Stéphane Courtois «Schwarzbuch des Kommunismus», Moskau, 2001
5. W. Barkunow «Protokoll des Lebens», Kaluga, 2004
6. A. T. Kim «Unsere raue Jugend», Kansk, 2004

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