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Die Unseren – die Fremden. Eine andere Nationalität, eine andere Religion, andere Überzeugungen

Kommunale Bildungseinrichtung Nowosydinsker Oberschule

Forschungsarbeit

«Die Unseren – die Fremden. Eine andere Nationalität, eine andere Religion, andere Überzeugungen».

Autorin:
Jekaterina Arne,
Schülerin der 7. Klasse
Kommunale Bildungseinrichtung Nowosydinsker Oberschule

Leitung: O.A. Bal (Bahl?)
Ortschaft Nowaja Syda

2012

Die Geschichte der Russland-Deutschen zählt mehr als 200 Jahre seit dem Augenblick ihres massenhaften Erscheinens in Russland. In diesen Jahren entstand eine besondere unverwechselbare und einzigartige kultur-ethnische Gemeinschaft -die Russland-Deutschen. Sie lebten in Russland, hielten es für ihre Heimat, bewahrten die Sprache, die Kultur und die Traditionen ihres Volkes, aber auch ihr nationales Selbstbewusstsein. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts beginnt jedoch ein Prozess der Zerstörung ihrer Traditionen. Viele Deutsche, die aufgrund des Kolonisationsmanifests von Katharina II aus Deutschland gekommen waren, konnten nicht ahnen, welches Schicksal ihre Nachfahren in Russland erwartete. Der Erste Weltkrieg, die Jagd nach Spionen und die deutschen Pogrome, und dann Revolution und Bürgerkrieg, die Jahre des Terrors, die Deportation und der Aufenthalt in den Trudarmeen – all das führte zum Bruch der familiären Bindungen, dem Verlust der Wurzeln und schlichtweg der physischen Ausrottung.

In unserem Dorf leben Menschen deutscher Nationalität. Es sind die Kinder der deportierten Wolga-Deutschen, die in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges verschleppt wurden. Wie viele Erschwernisse entfielen in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges und in der Nachkriegszeit auf das Los dieser Menschen! Diese Ereignisse müssen wir immer in unserer Erinnerung bewahren.

Ich will von einer Einwohnerin unserer Ortschaft, von Kadima Kabijewna Syrkina erzählen. Diese Frau mit der schlichten Erscheinung war bis zu ihrem wohlverdienten Renteneintritt mit schweren landwirtschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Sie musste auf dem Kolchosfeld arbeiten, auf der Farm, die Kälber hüten, die Kühe per Hand melken. Es war sehr schwer, aber sie ließ sich nicht unterkriegen. Schon als kleines Mädchen musste sie arbeiten gehen, um ihrer Mutter zu helfen. Kadima Kabijewnas Familie entging den stalinistischen Repressalien nicht. Ihre Mutter, Katharina Genrichowna Laiman (Laimann / Leimann?) lebte mit ihren Eltern im Gebiet Saratow, Bezirk Gmelin, «Sowchose 99». Noch als kleines Mädchen begann Katharina in der Sowchose zu arbeiten; 1939 heiratete sie Kabij Duschkanow. 1940 wurde in Katharinas und Kabijs Familie Töchterchen Kadima geboren. Die Familie war gegründet, sie schafften sich einen Haushalt an. Doch plötzlich und völlig unerwartet wurde Kadimas Vater krank und starb, als das kleine Mädchen gerade erst eineinhalb Jahre alt war.

Der Große Vaterländische Krieg brach aus. In den Kriegsjahren wurden die deutschen Familien Repressalien ausgesetzt. Die totale Deportation der Wolgadeutschen aus der ASSR der Wolgadeutschen geschah gemäß Dekret vom 28. August 1941 vorwiegend in der ersten September-Hälfte 1941. Die Deportation wurde von operativen Gruppen durchgeführt, die aus Mitarbeitern des NKWD und der Miliz bestanden. Die umzusiedelnden Personen bekamen eine bestimmte Frist für das Packen ihrer Sachen gesetzt. Für die Mitnahme waren nur persönliche Dinge, Kleidung, kleines Haushaltsinventar und Lebensmittel für eine Reisedauer von 20 Tagen erlaubt. Kadima Kabijewnas Familie war ebenfalls betroffen. Sie wurde ins ferne, kalte Sibirien deportiert. An ihren neuen Siedlungsort wurden die Ausgewiesenen mit Eisenbahnzügen gebracht. Die Waggons waren nicht beheizt, es war kalt. Sie mussten ihre Heimatorte, ihren Haushalt zurücklassen, und hatten praktisch keine warme Kleidung bei sich. Die Fahrt dauerte lange und war schwierig, es herrschten Kälte und Hunger, und alle waren mit ihren Erinnerungen bei ihrem verlassenen Zuhause. Auf der Fahrt wurden sie von Mitarbeitern des NKWD und Rotarmisten begleitet. Vom Waggon wurden sie auf einen Lastkahn verladen, und weiter ging die Fahrt über den Fluss. Doch auch auf dem Kahn herrschten unmenschliche Bedingungen. Das Schiff war für Viehtransporte vorgesehen, nicht für Menschen. An einer der Anlegestellen machte die Barke mit den Menschen an Bord mehrere Tage Halt. Unter den Leuten kursierten Gerüchte über das Versenken des Kahns, eine Panik brach aus. Viele konnten die Situation, die unmenschlichen Bedingungen und die Gerüchte über ein geplantes Versenken nicht länger ertragen und sprangen ins Wasser. Man griff sie auf und brachte sie zurück an Bord. Zum Glück stellte sich heraus, dass es sich um eine Lüge handelte, und die Menschen blieben am Leben.

Katharina Genrichowna kam mit ihrer Tochter zur Sonderansiedlung in die Ortschaft Tubinsk, Krasnoturansker Bezirk. Sie hatte es schwer an ihrem neuen Wohnort, und erst recht mit dem kleinen Kind. Die Ortsbewohner verhielten sich ihnen gegenüber wohlwollend, sie halfen ihnen, wo sie nur konnten, obwohl sie es selbst zu Kriegszeiten nicht leicht hatten. Die ganzen Erschwernisse des Alltagslebens vertieften sich noch durch die Lage der Menschen deutscher Nationalität – alle befanden sich unter Kontrolle. 1946-1947 wurden über alle erwachsenen Verbannten beim NKWD «persönliche Verbannten-Akten» geführt. Katharina Genrichowna stand von September 1941 bis Februar 1956 unter Sonderregistratur. Sie arbeitete in der Sowchose, wo sie jede beliebige Tätigkeit verrichtete. Die Tochter wuchs heran und fing an ihrer Mutter zu helfen. Ab dem 14. Lebensjahr arbeitete Kadima Kabijewna in der Sowchose.

Nach ihrer Heirat zogen Kadima Kabijewna und ihre Familie in die Ortschaft Ust-Syda. Sie arbeitete mit ihrem Mann in der Sowchose «Jenissei», sie – als Melkerin auf der Farm, er – als Traktorist. Nach der Umsiedlung des Dorfes Ust-Syda zogen sie an den neuen Wohnort, die Ortschaft Nowaja Syda. Kadima Kabijewna arbeitete bis zur Rente als Melkerin. Sie besitzt zahlreiche Ehrenurkunden, die sie für ihre schwere Arbeit bekommen hat. Derzeit befindet sie sich im wohlverdienten Ruhestand.

Am 13. Dezember 1956 kam das Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR «Über die Abschaffung der Einschränkungen in der Rechtslage der in Sonderansiedlung befindlichen Deutschen und ihrer Familienmitglieder» heraus, aber das Verbot der Rückkehr in ihre ursprünglichen Heimatorte blieb auch weiterhin in Kraft. Die nationalen Rechte in der UdSSR wurden nicht wiederhergestellt. Die Massen-Rehabilitation begann erst in den 1990er Jahren.

Und wenngleich die Zeit ihre Wunden vernarben ließ, weint die Seele in den Minuten der Erinnerung an die erlebten Demütigungen und Schrecken physischer Gewalt und das Herz zieht sich zusammen.

Anhang № 1
Liste rehabilitierter Personen im Dorf

1. Syrkina, Kadima Kabijewna
2. Pie(h)l, Maria Antonowna
3. Bahl ((Ball), Ella Davidowna
4. Ljutikowa, Ilvira (Elvira) Alexandrowna
5. Kaptelowa, Lydia Ottowna
6. Lindigrin, Tamara Alexandrowna
7. Kunzman(n), Roman Jakowlewitsch
8. Arne, Alexander Iwanowitsch
9. Kunzman(n), Alexander Gottliebowitsch
10. Bahl (Ball), Ljudmila Alexandrowna
11. Frank, Anatolij Jegorowitsch


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