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Wir waren niemals Fremde…

Föderale staatliche allgemeinbildende Einrichtung
„Gemischte allgemeinbildende Abendschule“ der
Hauptverwaltung des Föderalen Strafvollzugsdienstes der Region Krasnojarsk

Forschungsarbeit

Thema „Die Unseren – die Fremden“

Sergej Dinges

Föderale staatliche allgemeinbildende Einrichtung
„Gemischte allgemeinbildende Abendschule“ der
Hauptverwaltung des Föderalen Strafvollzugsdienstes Russland
in der Region Krasnojarsk, Klasse 10 B
663600, Kansk, Straße der Roten Armee 1
Telefon 3-59-96

Leitung: Natalia Iwanowna Jeremkina, Geschichtslehrerin

Stadt Kansk
2014

Inhalt

1. Einleitung
2. Hauptteil
Kapitel 1. Historischer Kontext
1.1. Deutsche Kolonien im zaristischen Russland des 15. – 19. Jahrhunderts
1.2. Entwicklung der Situation im 20. Jahrhundert
Kapitel 2.
2.1. Unter der Walze der Repressionen
2.2. Man kann es verstehen, aber vergessen – niemals
2.3. Die Russland-Deutschen heute
Kapitel 3.
3.1. Das schwere Schicksal der J.P. Malizkaja (Frisen)
3. Schlussbemerkung
4. Literatur-Angaben
5. Anhang

Einleitung

Forschungsobjekt: die Geschichte der Russland-Deutschen.

Forschungsgegenstand: das tragische Schicksal der Deutschen J.P. Malizkaja (Frisen) und ihre Lieder.

Ziel: Erforschung der Geschichte der Russland-Deutschen und des tragischen Schicksals der J.P. Malizkaja (Frisen) sowie Herausgabe eines Sammelbandes mit ihren Liedern.

Aufgaben:

1. In kritischer Weise die monografische Literatur zur Geschichte der Umsiedlung der Deutschen in Russland zu verstehen.
2. Das Problem der Verlagerung der Deutschen nach Sibirien zu erforschen.
3.Die Biografie der Russland-Deutschen J.P. Malizkaja (Frisen) zu untersuchen und einen Sammelband mit ihren Liedern herauszugeben.

Forschungsmethoden:

1. Sammeln von Informationen
2. Befragung, Beobachtung, Arbeiten mit Literatur und Internet.
3. Zusammenfassung
4. Analyse

Motivation für die Themen-Wahl:

Seit fünf Jahrhunderten in den russischen weiten
Man kann die deutsche Sprache hören
Die Deutschen wurden zu Seiten der Geschichte
Jeder befindet sich auf dem ihm zugewiesenen Platz
Vonwiesen, Eiler, Benkendorf,
Pallas, Brullow, Middendorf, Klodt, Kuchelbecker, Delwig, Berg,
Schmidt, Witte, Nesselrode…
Söhne des deutschen Volkes,
die ihr Haus in Russland erwarben
und ihm in all den Jahrhunderten Ruhm brachten.

In den Geschichtsstunden hat man uns von den „Russland“-Deutschen erzählt, die bereits seit mehreren Jahrhunderten auf russischem Territorium leben, von dem Beitrag, den sie zur russischen Geschichte geleistet haben, über die schwierigen Schicksalsherausforderungen während des Großen Vaterländischen Krieges, als sie aufgrund irgendjemandes bösem Willen für immer ihre kleine Heimat, ihr Elternhaus, ihre Familie verloren und mit furchtbaren materiellen Schwierigkeiten sowie der Veränderung ihres sozialen Status konfrontiert waren.

Mich interessierte das vorliegende Thema, denn in meinem Familien-Stammbaum (mein deutscher Nachname lautet Dinges) gibt es deutsche Wurzeln väterlicherseits. Mein Urgroßvater und Großvater wurden ebenfalls von der Wolga in die Ortschaft Dudowka im Kasatschinsker Bezirk, Region Krasnojarsk, verschleppt.

Ich wollte mehr über die Russland-Deutschen wissen – wer sind sie, wie kamen sie nach Russland? Was bedeutet die gewaltsame Umsiedlung? Wie leben sie heute?

Aktualität des Themas und seine praktische Bedeutung:

Aus dem Bericht der Lehrerin erfuhr ich, dass in der Stadt Kansk gegenwärtig noch ziemlich viele Deutsche und ihre Nachfahren leben (obwohl ein Teil von ihnen Russland noch zu sowjetischen, und später postsowjetischen Zeiten verließ, indem sie sich in ihrer historische Heimat – Deutschland - aufmachten). Die Lehrerin erzählte von Jelisaweta (Elisabeth) Petrowna Frisen, die im März 2014 das 90. Lebensjahr vollendete! Sie gehört zu den Russland-Deutschen, die in Kansk blieben und an keinen anderen Ort fuhren. Auf ihr Los entfielen die grausamen Schicksalsherausforderungen des Großen Vaterländischen Krieges.

Jelisaweta Petrowna verfügt über eine schöne Stimme und ein umfangreiches Repertoire an interessanten Volksliedern in deutscher Sprache, die keinem großen Publikum bekannt sind; daher möchten wir sie, zusammen mit der Subkultur der Russland-Deutschen der Stadt Kansk, verewigen. Das endgültige Ergebnis unserer Arbeit wird die Herausgabe eines Sammelbandes mit Jelisaweta Petrowna Malizkajas (Frisens) Liedern sein. An meiner Forschungsarbeit habe ich seit dem März 2014 gearbeitet.

Kapitel 1
Historischer Kontext

1.1 Deutsche Kolonien im zaristischen Russland des 15. – 19. Jahrhunderts

Ungeachtet der großen Entfernung zwischen Deutschland und Russland hegten die beiden Völker seit dem Mittelalter enge Kontakte. In erster Linie handelte es sich dabei um Beziehungen zwischen Diplomaten, Geistlichen und Kaufleuten. Aber bereits im 15. Jahrhundert begann der russische Zar Iwan III (1462-1505) nach Möglichkeiten zu suchen, deutsche Spezialisten für einen langen Zeitraum nach Russland zu holen. Mit der Besteigung Peters I (1689-1725) auf den russischen Thron wuchs der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Unter den Söldneroffizieren, Wissenschaftlern, Handwerkern, die per Einladung aufgefordert wurden, nach Russland zu kommen, machten deutsche Staatsangehörige die überwiegende Mehrheit aus. Die meisten von ihnen kehrten später in die Heimat zurück, aber es gab auch solche, die für immer in Russland ansiedelten. Sie bildeten im weiteren Verlauf auch den Beginn der deutschen Diaspora in Russland.

Mit dem Machtantritt von Zarin Katharina II (1762-1796) wurde der Politik der Einbeziehung ausländischer Lohnarbeiter im Land ein neuer mächtiger Impuls verliehen.

Innerhalb von drei Jahren (1764-1767) kamen etwa 29000 Umsiedler nach Russland. Eine geringe Zahl machten Franzosen, Holländer und Schweden aus. In der Hauptsache stammten die Kolonisten jedoch aus Deutschland. Ein Teil der Umsiedler erhielt das Recht, sich in der Nähe von Petersburg niederzulassen, die Mehrheit war jedoch für die Kolonisierung der Wolga-Steppen unweit von Saratow bestimmt, wo insgesamt 104 neue Siedlungen gegründet wurden. Um eine Hofwirtschaft betreiben zu können bekamen die Kolonisten vom Staat 30 Hektar Grund und Boden pro Familie als Erbbesitz.

Was waren es für Gründe, welche die Umsiedler dazu zwangen, ihre Heimatorte zu verlassen und sich auf den Weg ins Unbekannte, ins ferne Russland zu machen?

Anfang des 19. Jahrhunderts litt der südwestliche Teil Deutschlands unter einer hohen Steuerbelastung und der Notwendigkeit der Anwerbung einer großen Anzahl Rekruten für die Kriegsführung gegen Napoleon (1792-1815). Hinzu kamen die Missernten der Jahre 1809 bis 1816. Die erbärmliche Lage zwang viele tausend Menschen ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben zu verlassen. Angesichts dieser Umstände fasste die russische Regierung 1804 den Beschluss, die Zahl der Umsiedler, die in Russland einwanderten, auf 200 Familien pro Jahr zu beschränken. Die Umsiedler selbst sollten freie, gesunde Bauern oder Handwerker sein und eine Erlaubnis zur Ausreise aus ihrem Land besitzen. Die zukünftigen Kolonisten waren verpflichtet, bei der Einreise nach Russland nicht weniger als 300 Gulden Bargeld oder Waren in demselben Wert bei sich zu haben; auch durften sie in der Heimat keinerlei Schulden zurückgelassen haben.

Trotz der großen Hoffnungen, die den Umsiedlern gemacht wurden, blieb die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonien nahe Petersburg und an der Wolga in den ersten Jahrzehnten unbedeutend. Dennoch hielt die russische Regierung die Besiedlung russischer Ländereien durch Ausländer auch weiterhin für wichtig und nützlich. Due Umsiedler lebten sich ein, erhielten von der Regierung zusätzliche Vergünstigungen und Rechte. So wurde zum Jahr 1803 das Recht der Kolonisten auf Selbstverwaltung, unter Mithilfe von Vertrauenspersonen, offiziell in den „Instruktionen für die innere Ordnung und Lenkung“ festgelegt. Damit erhielten die Siedler eine gesetzliche Grundlage für die weitere Entwicklung der Kolonien. Die Kolonisten wurden mit dem Recht ausgestattet, selbständig Verwalter zu wählen, die in der Lage waren, ihre Interessen zu schützen. Es entstand Zuversicht für die Zukunft, die Siedler begannen, gemeinsam langfristige Pläne zu erarbeiten. Auf diese Weise wurden die Voraussetzungen für eine günstige ökonomische Entwicklung der Siedlungen geschaffen.

1.2 Entwicklung der Situation im 20. Jahrhundert

Mit der Zeit wurde das Verhältnis zu den Deutschen in der UdSSR immer angespannter und schroffer. 1934 wurden alle Bürger deutscher Herkunft, die auf dem Territorium der UdSSR lebten, heimlich registriert und ihre Daten im Archiv hinterlegt. Das Bildungssystem der Russland-Deutschen war Veränderungen ausgesetzt. Mit Beginn des Schuljahres 1938/1939 wurde der Unterricht an deutschen Lehreinrichtungen außerhalb der ASSR der Wolgadeutschen ausschließlich auf Russisch oder Ukrainisch geführt. Die Deutschen wurden in den Augen der Regierung erneut zum „inneren Feind“. Derartig radikale Veränderungen standen mit dem Wechsel des politischen Regimes in Deutschland selbst im Zusammenhang. Man verdächtigte die Russland-Deutschen mit dem national-sozialistischen Regime in Verbindung zu stehen. Auf Grundlage zuvor erstellter Listen kam es mit Beginn der Repressionen, und im weiteren Verlauf mit dem Einmarsch des faschistischen Deutschlands in der UdSSR im Jahre 1941, zur Durchführung von Verhaftungen und Deportationen der Russland-Deutschen aus politischen Motiven. Im November 1938 wurden der deutsche Altai-Bezirk und Ende März 1939 die deutschen Bezirke in der Ukraine annulliert.

Mit Ausbruch des Krieges am 10. Juli 1941 begann die Deportation der Krim-Deutschen. In dem Zeitraum bis Oktober wurden aus den ukrainischen Gebieten mehr als 100.000 Deutsche nach Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan verschleppt. Am 30. August 1941 wurde in der Regierungszeitung der wolgadeutschen Republik der Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 „Über die Umsiedlung der in den Wolga-Gebieten lebenden Deutschen“ veröffentlicht. Damit wurde die gesamte Bevölkerung der ASSR der Wolgadeutschen beschuldigt, eine Rebellion gegen die Sowjet-Regierung vorbereitet zu haben. Der Oberste Sowjet argumentierte das mit seinem Bestreben, während der laufenden Kriegshandlungen Blutvergießen und Verluste innerhalb der friedlichen Bevölkerung zu vermeiden und ordnete an, die in der Wolga-Autonomie lebenden Menschen nach Sibirien und Kasachstan auszusiedeln. Am 7. September 1941 wurde das Territorium der Autonomie der Wolga-Deutschen zwischen den Gebieten Saratow und Stalingrad aufgeteilt. Insgesamt wurden bis Ende 1941, ausgehend von den Archiv-Angaben, 799.459 Personen deportiert. Von 1942 bis 1944 waren weitere 50,000 Deutsche aus dem Leningrader Gebiet und aus den kleinen Siedlungen überall im Land der Aussiedlung ausgesetzt.

Wichtigste Folgen des Krieges für die in Russland lebenden Deutschen waren der Verlust der Eigenständigkeit innerhalb des Staatsgefüges, des Vertrauens von Seiten der Regierung und als weitere Konsequenz Entzug und Unterdrückung durch die Behörden und die angestammte Bevölkerung. Auch die Kultur der Deutschen nahm Schaden: Sprache, Traditionen und Geschichte des Volkes wurden nicht als urtümliche menschliche Werte angesehen, die Achtung und Anerkennung erforderten, sondern als notgedrungene Unabdingbarkeit, welche die Behörden mit verschiedenen Mitteln auf ein Minimum zurückzuführen versuchte. Die Identität des deutschen Volkes fing langsam an verloren zu gehen, und unter Berücksichtigung der zahlreichen Deportationen und Unterdrückungsmaßnahmen im Zusammenhang mit den Kriegsgeschehnissen kann man durchaus von einem Verschwinden der Identität und Assimilation der Russland-Deutschen in der sowjetischen multinationalen Gesellschaft sprechen.

Kapitel 2

2.1 Unter der Walze der Repressionen

Ab 1928 begann eine lange, schreckliche Zeit in der Geschichte unseres Landes, als ganze Völker der Aussiedlung und Massen-Verfolgungen ausgesetzt waren, unter ihnen auch die Russland-Deutschen.

Die Verfolgungen der deutschen Bevölkerung waren nun ständig an der Tagesordnung. und nahmen 1937 den Charakter ethnischer Säuberungen an. 1937 – 1938 – das ist der Zeitraum, in dem die politischen Repressionen ihren Höhepunkt fanden. Während der Konfrontation der beiden Staaten, konnten sie die Rolle des Feindes nicht besser erfüllen.

Nach dem Einmarsch Deutschlands in die Sowjetunion wurde von Stalin die gewaltsame Umsiedlung (Deportation) der deutschen Wolga-Bevölkerung organisiert, die hunderttausenden Familien Kummer und großes Leid brachte – auseinandergerissene Familien, Jahre der Verbannung und Zwangsarbeit in den Arbeitsarmeen, eine erschütterte Gesundheit, der Verlust von Verwandten und Freunden…

Das Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 verwandelte in einem einzigen Augenblick alle Deutschen der Sowjetunion, ohne jede Ausnahme, in „Verräter“, „Spione“ und „Komplicen des Nazismus“. Der Umsiedlung unterlagen etwa 904.000 Deutsche, doch es trafen nur ungefähr 800.000 von ihnen am neuen Bestimmungsort ein.

Die ausgesiedelten Deutschen wurden in Güterwaggons transportiert, in die sie zu jeweils 40 Personen samt ihrem mitgeführten Gepäck hineingepfercht wurden. Ausgegeben werden sollten je 500 g Brot pro Person und Tag; außerdem sollte eine warme Mahlzeit sichergestellt sein, doch all das geschah nicht, und einige der Zug-Verantwortlichen, welche die Deutschen beförderten, gaben weder Brot noch Geld aus.

Die deutschen Familien wurden an den Rand des Todes gebracht. In den Jahren 1942 – 1943 wurde praktisch fast die ganze arbeitsfähige deutsche Bevölkerung des Landes in die Arbeitsarmee mobilisiert. Das waren Männer zwischen 15 und 55 Jahren sowie Frauen im Alter von 16 bis 50 Jahren. Die Halbwüchsigen arbeiteten in gleicher Weise wie die Erwachsenen. Die Lage der Mobilisierten unterschied sich in nichts von der Situation der Gefangenen.

Die Lagerzonen waren mit einem Zaun oder Stacheldraht mit Blockposten, Wachhunden und Patrouillen umgeben.

Die Zwangsarbeit wurde in erster Linie im Bereich der Erdöl- und Kohleförderung organisiert. Die Arbeitskolonnen wurden im gesamten Land untergebracht, allerdings befand sich der größte Teil auf den Baustellen des Ural und Sibiriens. In der Region Krasnojarsk wurden die Arbeitsarmisten ins Kraslag mobilisiert. Die Anzahl der Häftlinge betrug dort 17.000 Mann, aber die Möglichkeiten für ihre Unterbringung waren nur für 8.000 ausgelegt.

Nach Berichten von Augenzeugen war in Kansk, im Bezirk hinter den Gleisen und dem Flößer-Kontor einer der Lagerteile untergebracht.

Trotz der schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen, der Notwendigkeit sich unbekannte Fähigkeiten anzueignen, arbeitete ein bemerkenswerter Teil der Mobilisierten aufrichtig und gewissenhaft.

Der Arbeitstag begann um 6.30h und dauerte 12 Stunden, mitunter in mehreren aufeinanderfolgenden Schichten. Die Nachtruhe begann um 23.00h. Es gab drei freie Tage pro Monat. Die Unternehmensleitungen verlangten, dass jeder Angehörige der Arbeitsarmee den sogenannten „Neujahrseid gegenüber dem Genossen Stalin“ leistete, in dem er sich verpflichtete, die Arbeitsnorm auf Kosten der freien Tage zu erhöhen.

Die Bedingungen des rauen Klimas, die schlechte Verpflegung, Kleidung, das Fehlen einer vollwertigen Erholung und die Zwangsarbeit an sich führten zu einer physischen Massen-Erschöpfung der Trudarmisten und in der Folge – zu Invalidität, schweren Erkrankungen, Tod. Die Sterblichkeitsrate erreichte in manchen Lagern 21%. Die hohe Todesrate wurde nicht nur durch die schwierigen Lebensbedingungen begünstigt, sondern auch durch das Fehlen von Medikamenten und qualifizierter medizinischer Hilfe. Die Freien bekamen Gemeinschaftsessen, aber Lebensmittel und Brot wurden nicht ausgegeben. In den Räumen der Freien war es stets kalt; sie deckten sich mit Matratzen zu, damit sie nicht erfroren.

Die Lagerform bei der Organisierung der Zwangsarbeit ermöglichte es, die Mobilisierten unter strenger Kontrolle zu halten, sie für die schwersten körperlichen Arbeiten einzusetzen und für ihren Unterhalt nur ein absolutes Minimum an finanziellen Mitteln auszugeben. Das war eine Art Racheakt wegen ihrer Verwandtschaft mit dem Volk des Landes, das der Hauptgegner der UdSSR in diesem Krieg war.

Um die ganze Tragik der Situation zu begreifen, darf man sich kein gesichtsloses Volk vorstellen, sondern einen konkreten Menschen mit seiner Verunsicherung, Angst, Verzweiflung, seinen Tränen… Jeder von ihnen erlebte das Gefühl der Kränkung und Bitterkeit über die in Bezug auf die Deutschen entfachte Ungerechtigkeit. Doch sie alle hatten nur ein einziges Ziel – zu überleben.

Viele leitende Mitarbeiter, freie Arbeiter, die Mehrheit der Ortsansässigen verhielten sich wohlwollend gegenüber den Deutschen, halfen ihnen nicht selten, teilten ihr Brot, ihre Lebensmittel, ihre Kleidung mit ihnen. Hier nun die Erinnerungen der Einwohnerin der Ortschaft Saosjornyj – Galina Wassiljewna Nikitina (Gorban) – (G.W. Gorban – die Mutter meiner Projektleiterin N.I. Jeremkina):

„Die Deutschen lebten in Baracken, ihre Lebensbedingungen waren schrecklich schwierig. Ich war 6-7 Jahre alt, und Mutter zwang mich, auf dem Markt Milch zu verkaufen. Mein Weg dorthin führte mich, mit den Blechkannen in der Hand, geradewegs an diesen Baracken vorbei. Mit was für gierigen Blicken ihre Kinder mich ansahen! Und sie sahen wie Schilfrohr aus – blass, dünn. Genauer gesagt – sie blickten nicht mich an, sondern starrten auf die Milchkannen. Ich erzählte der Mutter davon. Mutter meinte, dass ich ein wenig Milch in den Kannen zurückbehalten und sie dann auf dem Rückweg den Deutschen geben sollte. Wir hatten selber nicht genug zu essen, aber sie hatten es noch viel schwerer. Ich freundete mich mit den Deutschen an. Sie hatten ein Mädchen namens Pauline. Wie sehr mir dieser Name gefiel! Und als in unserer Familie bald darauf ein Schwesterchen zur Welt kam, überzeugte ich Mama davon, dass wir die Kleine Paulina nannten. Später wurden die Deutschen an eine anderen Ort verlegt, vielleicht weiter in den Norden, das weiß ich nicht“.

Die ganze Schuld der Russland-Deutschen bestand lediglich darin, das sie unglücklicherweise durch ihre historischen Wurzeln mit dem Staat verbunden waren, der den Krieg gegen die UdSSR entfesselt hatte.

2.2 Man kann es verstehen, aber niemals – vergessen

Du möchtest wissen,
Wie wir lebten-
Das war ein kollektiver Wettlauf
Mit Hürden aus Stacheldraht
Auf einer Strecke ohne Ziel,
Ohne den Wunsch zu überholen,
Ohne die Möglichkeit nicht zu rennen.

Diese Zeilen des Poeten Waldemar Weber spiegeln eine ganze Epoche in der Geschichte eines Volkes, seines brennenden Schicksals und zugrunde gerichteten Lebens wieder.

In die Stadt Kansk wurden die Deutschen während der Revolution und in der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges verbannt. Alle befanden sich unter der Aufsicht von Kommandanturen. Sie arbeiteten in der Lederfabrik, im Holzverarbeitungskombinat, beim Holzeinschlag. Im Abansker Bezirk, in der Ortschaft Beresowka, leben bis heute sehr viele Deutsche. Im Bezirk der Holzverarbeitungsfabrik waren die Deutschen in mehreren Baracken des Arbeiterstädtchens untergebracht. Eines der Häuser trug den Namen „Reichstag“.

Wie die Kansker Einwohnerin M.P. Melnikowa berichtete, wurde sie in der Stadt Engels im Gebiet Saratow geboren. Ihre Familie war groß – 7 Personen. Der Vater besaß in der Stadt eine eigene Schmiede, wo er auch arbeitete, während die Mutter als Erzieherin im Kindergarten tätig war. Sie lebten einträchtig miteinander und im Wohlstand. Maria fuhr, nachdem sie pädagogische Kurse absolviert hatten, nach Kujbyschew, wo sie dann auch davon erfuhr, dass die elterliche Familie nach Sibirien, in den Dserschinsker Bezirk ausgewiesen worden war. Damals war sie gerade erst 14 Jahre alt.

Die formellen Verbote für die deutsche Bevölkerung wurden erst im Jahre 1972 abgeschafft.

Die informellen existierten noch viele Jahre: den Deutschen waren eine höhere Ausbildung, der Erhalt leitender Posten und Ämter und die offizielle Anerkennung als Bestarbeiter nicht zugänglich. Nach den Erinnerungen von Iwan Nikititsch Gorban (Vater meiner wissenschaftlichen Leiterin N.I. Jeremkina, der in den 1950er bis 1970er Jahren als Direktor der Waldwirtschaft im Bogutschaner Bezirk arbeitete, wurde allen Vorgesetzten der holzverarbeitenden Betriebe, Flößerei-Kontore, Forstwirtschaften und Holzfällerpunkte in der Region Krasnojarsk (besonders in den Bogutschaner, Motyginsker und Keschemsker Bezirken) insgeheim befohlen, Deutsche nicht mit Prämien oder wertvollen Geschenken auszuzeichnen und sie auch nicht für staatliche Auszeichnungen vorzumerken. Und dabei arbeiteten die Deutschen sehr gut. Sie waren verantwortungsbewusst und äußerst fleißig. Mitunter verrichteten sie ihre Arbeit sogar besser, als die Ortsansässigen. Man gab beispielsweise einem „Holzbeförderer“ (Fahrer, der Holz transportierte), sofern er Deutscher war, niemals ein neues Fahrzeug, sondern stellte ihm immer nur das „allerschäbigsten“ zur Verfügung, das aus der Reparatur-Werkstatt praktisch nie herauskam. Aber die Deutschen verstanden das und murrten nicht. Sie verhielten sich den Vorgesetzten und ihren Nachbarn gegenüber respektvoll. Als die Ortsansässigen das merkten, benahmen sie sich den Deutschen gegenüber auch gut, die Kinder spielten zusammen und die Erwachsenen verhielten sich menschlich.
Die Sowjet-Deutschen waren, wie auch die anderen Völker, welche in der UdSSR lebten, von Hitlers Treuebruch und Verrat erschüttert. Sie wollten die Heimat mit Waffen in den Händen verteidigen, aber die Landesführung entzog ihnen diese Möglichkeit. Der Versuch, den Deutschen die Idee aufzuzwingen, dass sie mit ehrlicher Arbeit „ihre Schuld vor der Heimat wiedergutmachen“ sollten, löste bei ihnen mit Recht Empörung aus. Keiner von ihnen fühlt sich in irgendeiner Form schuldig. Viele derer, die in die Arbeitsarmee mobilisiert wurden, flohen aus den Arbeitskolonnen an die Front, indem sie auf irgendeine Weise ihre Nachnamen in Russisch klingende Namen umänderten. Und sie bewiesen, als sie sich in der aktiven Armee befanden, Mut und Heldentum im Kampf gegen den Feind. Sie kämpften in den Reihen der Sowjet-Armee mit selbstloser, grenzenloser Tapferkeit.

Der Patriotismus vieler Deutscher zeigte sich nicht nur in gewissenhafter Arbeit, sondern auch in einer aktiven Mitwirkung beim Sammeln von Hilfsmitteln für die Rote Armee. In einer der Fabriken sammelten sie Deutschen mehr als 2.000.000 Rubel für die Rüstung des Landes.

Die Anerkennung der „Trudarmeen“ als Form der Beteiligung der Sowjet-Deutschen gegen den Aggressor geschah jedoch erst in den 1980er und 1990er Jahren. Viele einstige Trud-Armee-Angehörige erlebten das nicht mehr.

Wissenschaftliche Mitarbeiter deutscher Nationalität, die in die Arbeitsarmee gerieten, fanden dort die Möglichkeit, in ihrem beruflichen Spezialgebiet tätig zu sein und erlangten dabei beachtliche Erfolge.

Kapitel 3
Die Russland-Deutschen heute

Die meisten Russland-Deutschen leben heute in Sibirien. Hier gibt es zwei noch existierende Nationalbezirke.

Gemäß Volkszählung von 1989 waren in Kansk 1037 Personen deutscher Nationalität registriert. Kansk wurde zur zweiten Heimat für viele deutsche Familien. Die Natur hatte die Deutschen mit einer Menge guter Merkmale ausgestattet. Sie sind fleißig, reinlich und rechtschaffen, akkurat, loyal, freundlich und ehrlich. Jeder, der mit ihnen einmal zu tun hatte, kann das bestätigen. Einem Deutschen glaubt man aufs Wort, und Fälle von Betrug sind äußerst selten. Sie sind auch sehr sparsam. Niemals würden sie einen Streit oder eine Schlägerei anfangen. Missgeschicke und unglückliche Umstände ertragen sie geduldig und in Demut. Deswegen haben sie sich den aufrichtigen Respekt der anderen verschafft.

Um die deutsche Kultur und Tradition zu wahren, wurde in Russland die gesellschaftliche Organisation „Wiedergeburt“ gegründet; die gleichnamige Autonomie in Kansk gehört zu einer ihrer Zellen. Ihr Tätigkeit richtet sich auf die Rehabilitation der Russland-Deutschen, die Festigung des Gefühls ihrer Gleichberechtigung und vollwertigen Staatsbürgerschaft in Russland, die Wiederaufnahme verwandtschaftlicher Beziehungen, die in den schwierigen Jahren verloren gingen. Zu den Aufgaben dieser Organisation gehören auch die Erweiterung des Gesichtskreises der Menschen, das Erlernen der deutschen Sprache, ihr Gebrauch, Bekanntschaft mit der Kultur der deutschsprachigen Länder.

In den Zentren der deutschen Kultur wird eine Atmosphäre der seelischen Entspannung für die Menschen geschaffen, wo jeder in einer schwierigen Minute seines Lebens Unterstützung und Mitgefühl finden oder Glück und Freude teilen kann.

Kapitel 4

4.1. Aus der Biografie der Jelisaweta (Elisabeth Petrowna Malizkaja, geborene Frisen

Jelisaweta Petrowna wurde 1924 auf der Krim, in der Siedlung Bijuk-Busaw, geboren: ihre Eltern stammten aus der Ukraine. Da sie bis zum 17. Lebensjahr auf der Krim inmitten von Tatarengelebt hatte, lernte sie auch deren Sprache. Die Familie war groß: neben Jelisaweta Petrowna gab es in der Familie noch eine Schwester sowie zwei Brüder.

1941 wurde ihre Familie nach Nord-Kasachstan deportiert, in die Ortschaft Berminowka im Gebiet Karaganda. Jelisaweta Petrowna erinnert sich, wie schlimm diese ganze Deportation war: sie hatten doch Gemüsegärten angepflanzt, und mussten nun Haus und Hof und ihren gesamten Besitz zurücklassen. So trafen sie also in Kasachstan ein – ohne warme Kleidung, nur mit den Dingen, die sie auf ihren Armen tragen konnten. Transportiert wurden sie in Güterzügen. Alle Männer holten sie in die Trudarmee. Dort starb Bruder Peter. Der Vater gilt seit 1937 als verschollen, der zweite Bruder seit 1941. Viele Deutsche erkannten ihre vermeintliche „Schuld“ nicht an und meinten: „Was für Feinde sind wir denn! Wir haben unsere eigene Sprache, verstehen doch die Sprache aus Deutschland überhaupt nicht“. Als man sie an ihren Verbannungsort brachte, verfluchten viele Hitler. Eine Menge Menschen starben unterwegs. Jelisaweta Petrowna arbeitete zusammen mit der Mutter in der Hilfswirtschaft; sie hackten keine Gruben in den gefrorenen Boden, schleppten auf Tragen Erde, verrichteten schwere körperliche Arbeit. Sie hausten in Erdhütten. Große Familien bauten sich eine separate Hütte, kleinere schlossen sich zu jeweils 2-3 Familien in einer Gemeinschaftshütte zusammen. In manchen Behausungen lebten 18-20 Menschen. Für die Pritschen sammelten sie Stangen, den Boden gruben sie aus mit dem Werkzeug, das sie gerade zur Hand hatten. Sie schliefen auf Wattejacken und deckten sich mit Säcken zu. Die Beleuchtung bestand aus – Kienspänen. Sie besaßen keine Kleidung, kein Küchengerät. Ihre Verpflegung war spärlich. Das Mädchen war an allen landwirtschaftlichen Arbeiten beteiligt, sowohl bei Gluthitze, als auch bei grimmigem Frost. Sie konnte alle Arbeiten verrichten, war fleißig und sang die ganze Zeit Lieder.

In Karaganda befanden sich bis 1956 alle Sondersiedler unter der Kommandantur-Aufsicht.

Von 1954 bis zum heutigen Tage lebt Jelisaweta Petrowna in der Stadt Kansk. 28 Jahre arbeitete sie im städtischen Krankenhaus als Krankenpflegerin. 2001 brach sie sich bei einem Sturz den Oberschenkelhals. denn Jelisaweta Petrowna lebt allein (sie hat keine Kinder), allerdings gibt es viele Bekannte und Freunde. Die Menschen zieht es hin zu dieser seelisch starken Frau. Jetzt, da sie an Krücken läuft, nimmt Jelisaweta Petrowna oft an städtischen Festtagen teil und singt dort immer Volkslieder. Die Lieder, der Fleiß und die Seelenstärke halfen ihr damals wie heute zu überleben – alle Schwierigkeiten zu meistern.

Jelisaweta Petrowna erinnert sich, dass es in Karaganda während des Krieges zahlreiche Kriegsgefangene gab: Deutsche, Japaner, Rumänen, Bulgaren, Gagausen (Turkvolk, welches überwiegend in der autonomen Region Gagausien im heutigen Moldawien lebt; Anm. d. Übers.) und andere.Der gefangene Deutsche Heinz Wölfel lehrte sie das neue Lied „“in Pferdchen“ zu singen, das sie bis heute auf allen Festtagen singt.

Ich fragte Jelisaweta Petrowna, ob sie sich in all diesen Jahren als Fremde unter den sowjetischen und später auch den russischen Menschen gefühlt habe. Jelisaweta Petrowna antwortete ohne nachzudenken: „Nein, wir sind niemals Fremde gewesen; Russland – das ist doch unsere Heimat. Ich hätte von hier fort fahren können, aber ich liebe die mir vertrauten Gegenden und bin deshalb für immer hier geblieben, und ich hege hier auch gegen niemanden irgendeinen Groll“.

 

Schlussbemerkung

Im Verlauf der Erforschung der Fragen, die ich mir zu Beginn der Arbeit gestellt hatte, kam ich zu folgenden Schlussfolgerungen:

1) Die Lebensbedingungen der Deutschen auf dem Territorium des zaristischen Russlands im 19. und 20. Jahrhundert unterschieden sich in positiver Weise von den Existenzbedingungen der angestammtem russischen Bevölkerung und lassen es zu, dass man sie als günstig charakterisiert. Die deutschen verfügten über eine Reihe von Vergünstigungen, die darauf ausgerichtet waren, zusätzliche Arbeitskräfte nach Russland zu locken. Die staatliche Unterstützung der Zaren-Regierung und die Freiheit der Glaubensausübung, die den deutschen Umsiedlern gewährt wurden, gestatteten es, die nationale Kultur der Deutschen im Laufe der Jahrhunderte zu bewahren. Das Bildungsniveau in den deutschen Siedlungen übertraf oft den durchschnittlichen Bildungsstand in Russland. Das Verhalten der Deutschen gegenüber der angestammten Bevölkerung Russlands kann man als freundlich kennzeichnen. Eine Abkühlung in den Beziehungen zwischen den Umsiedlern und dem russischen Volk setzte mit Beginn des ersten Weltkriegs ein.

2) Positive Momente in der Innen- und Außenpolitik der UdSSR in Bezug auf die Deutschen gab es in den 1920er und 1930er Jahren. Es wurden eine Wolgadeutsche Autonomie, ein eigenes Bildungssystem, nationale Theater und Verlage gegründet. Außerdem kamen Zeitungen und Zeitschriften in deutscher Sprache heraus. All das erlaubte es den Deutschen ihre nationale Kultur weiterzuentwickeln und an die neuen Generationen weiterzugeben.

Das 20.Jahrhundert brachte zwei blutige Kriege, in denen Russland und Deutschland auf unterschiedliche Seiten der Frontlinie gerieten. Und dieser Tatbestand spiegelte sich auf tragische Weise im Schicksal der Nachfahren der deutschen Umsiedler wieder. Der zweite Weltkrieg wurde zum Anlass für Massen-Deportationen der Russland-Deutschen aus ihren angestammten Wohnorten. In den Nachkriegsjahren richtete die Sowjetmacht verstärkte Bemühungen auf die teilweise Assimilation der Deutschen in der sowjetischen Gesellschaft. Die Sprachkenntnisse der Russland-Deutschen nahmen merklich ab, Versuche, die eigene Kultur vor dem Hintergrund der schwachen Unterstützung seitens des Staates zu bewahren, nahmen einen fragmentarischen Charakter an. Anfang der 1990er Jahre erhielten die Russland-Deutschen die Möglichkeit der Rückkehr in ihre historische Heimat – nach Deutschland. Die deutsche Regierung, besorg t wegen der geringen Sprachkenntnisse der Umsiedler, aber auch wegen des niedrigen Integrationstempos in die deutsche Gesellschaft, fasste eine Reihe von Beschlüssen, welche den Zustrom der Russland-Deutschen auf das Territorium Deutschlands verminderten.

3) Das traurige Schicksal der Deutschen Russlands, die tragischen Seiten der Kriegsjahre – das ist eine lehrreiche Geschichtsstunde für die Zukunft. Niemals mehr darf man eine derartige Willkür und Grausamkeit in Bezug auf ein ganzes Volke oder auch nur auf eine Einzelperson zulassen. Die ertragenen Schicksalsschläge, die auf das Los völlig unschuldiger Menschen fielen, haben nicht verheilende Wunden in den Seelen jedes einzelnen Menschen hinterlassen. Diese Menschen hat in der schweren Zeit die Hoffnung gerettet, dass das Schicksal ihnen wohlgesonnen, dass der Alptraum des Krieges, des Lager- und Sklaven-Lebens früher oder später zu Ende sein möge. Und auch die Lieder halfen ihnen zu überleben – die Seele des Volkes.

4) Sorgsam, wie das Feuer am heimischen Herd, wurden die Lieder von Generation zu Generation weitergegeben. Sie erklangen sowohl in Sibirien, als auch in Kasachstan, wohin die Deutschen auch verschleppt wurden. Die Lieder klangen übermütig und fröhlich, trotz des schwierigen und sorgenvollen Lebens. Leider gehen die Menschen der älteren Generation irgendwann für immer von uns, aber ihre Lieder sollend der Jungen Generation der Russland-Deutschen erhalten bleiben; deswegen haben wir einen Sammelband mit Liedern der Jelisaweta Petrowna Malizkaja (Frisen) geschaffen. Darin wurden einige bekannte und weniger bekannte deutsche Volkslieder aufgenommen.

Literatur-Angaben

1) Zeitschrift „Freundschaftsbund“, Moskau, Verlag Internationaler Verband der deutschen Kultur, N° 2 – 2007, S. 2-3, 16-17.
2) Informationsmethodisches Bulletin der Deutschen in Sibirien. Omsk. Verlag „Vereinigung der Deutschen in Sibirien“; N° 13 – 2007, S. 53-62.
3) Internet. Wissenschaftliche Forschung. C/Documents and Settings/USER.htm
Deutsche in Russland.
4) Sowjetisches enzyklopädisches Wörterbuch, Moskau, Verlag “Sowjetische Enzyklopädie”, 1984, S. 873-874.
5) Artikel aus der Zeitung „Neues Leben“, Meine Autobiografie, Moskau, N° 17 – 2000
6) Artikel aus der Zeitung „Kansker Nachrichten“, „Die Kansker Deutschen“, N° 20 – 2006

Anhang

Liederbuch
Die Lieder der Jelisaweta Petrowna Malizkaja (Frisen)

Es heißt, dass Lieder die Seele eines Volkes sind. Wahrscheinlich muss man dem wohl beipflichten. Es geschehen schwierige Zeiten, aber wenn die Menschen ihre Lieder vergessen, welche die Mutter gesungen hat – dann ist das ein Zeichen großen Elends. Vor gut zweihundert Jahren haben die deutschen Umsiedler, zusammen mit ihrer Lebensweise, auch ihre Volkslieder mit nach Russland gebracht, nachdem sie an den Melodien Gefallen gefunden hatten. Wie sich das leidvolle Los der Russland-Deutschen auch zusammenfügte – so trennten sie sich doch niemals von ihren nationalen Traditionen. Sorgsam, wie das Feuer im heimischen Herd, hüteten sie ihre Volkslieder und gaben sie von Generation zu Generation weiter. Sie ertönten sowohl in Sibirien, als auch in Kasachstan, wohin die Deutschen aus dem Wolgagebiet und von der Krim verschleppt wurden; die Lieder klangen übermütig und fröhlich, trotz des schwierigen und sorgenvollen Lebens. Aber es ist traurig zu sehen, dass immer weniger Menschen aus der alten Generation auf dieser Erde weilen. Sie verlassen uns nach und nach für immer, andere begeben sich an einen anderen Ort, aber ihre Lieder müssen der jungen Generation der Russland-Deutschen erhalten bleiben. Im vorliegenden Sammelband sind Lieder aus dem Repertoire von J.P. Malizkaja (Frisen) vorgestellt.

O, Isabella!

1)Solange man noch ledig ist, so ist die Liebe groß.
Und wenn man dann verheirat‘ ist, dann ist der Teufel los.
Sie lässt mir nicht, sie lässt mir nicht, sie lässt mir keine Ruh:
Und wenn sie abends schlafen geht, sperrt sie ihr Zimmer zu.
Refrain:
O! Isabella! Du bist mein Abendstern!
O! Isabella! Scheine für mich nicht so fern!
O! Isabella! Du bist mein Abendstern!
Dich nur alleine hab” ich im Herzen gern!
2) Und wenn mein Mann besoffen kommt, dann weiß ich, was ich tue.
Ich stopfe ihn in Hafersack und bind‘ ihn oben zu.
Und wenn er dann auch bitten tut: < Ach, liebes Weib, mach auf!
Dann bind” ich ihn noch fester zu und setz mich oben drauf.

Ein weiβes Blümelein

1)Ein weiβes Blümelein hab ich gefunden.
Und als ich näher kam, ist es verschwunden.
Gel, Schatz, das weiβt du ja so gut,
Dass ich dich ewig, ewig liebe tu.
Nur du alleine und weiter keine,
Nur du alleine bist meine Freude.
Gel, Schatz, das weiβt du ja so gut,
Dass ich dich ewig, ewig liebe tu.
2) Dort auf dem Dache, da sitzen Tauben,
Dass ich dich nehmen will, das kannst mir glauben.
Gel, Schatz, das weiβt du ja so gut,
Dass ich dich ewig, ewig liebe tu.
3) Dort auf dem Wasser, da schwimmen Enten,
Und unsere Liebe, die nimmt kein Ende.
Gel, Schatz, das weiβt du ja so gut,
Dass ich dich ewig, ewig liebe tu.
4) Dort auf der Hochzeit, da sind wir junge Leut,”
Und nach der Hochzeit, da sind wir Eheleut.”
Gel, Schatz, das weiβt du ja so gut,
Dass ich dich ewig. ewig liebe tu.
Nur du alleine und weiter keine,
Nur du alleine bist meine Freude.
Gel, Schatz, das weiβt du ja so gut,
Dass ich dich ewig, ewig liebe tu.-------Ja ljublju!

Winter ist kommen

1)Winter ist kommen,
Habt ihr‘s vernommen
Freude zu bringen
Kommen wir singen.
Kuchen auf den Tisch
Braten, Wein und Fisch
Ho-ho-ho, Nachbar, ho!
2) Őffnet die Türen
Mädchen, wir frieren!
Neue Geschichten
Können wir berichten.
Kuchen auf den Tisch……
3) Singen wir ein Liedel
Zu unserer Fiedel
Ein Gläschen Branntwein
Soll für uns Dank sein.
Kuchen auf den Tisch……
4) Herzlich willkommen
Habt ihr vernommen
Platz ist für alle
In unserer Halle.
Kuchen auf den Tisch……

Auf der Kalinebrück

1) Auf der Kalinebrück” hab ich mein Geld verschickt
Auf der Kalinenbrück” hab ich ‘s verschickt.
Auf der Kalinenschanz hab ich mein Geld vertanzt.
Auf der Kalinenschanz hab ich” s vertanzt.
Refrain: Das Geld, das könnt beim Kukuck sein, wär nur das Schätzchen mein.
Das Geld, das könnt beim Kukuck sein, wär es nur mein.
Pidepidebit, mein Mann ist Schneider, pidepidebit, er macht mir Kleider,
Pidepidebit,Kramande dran, pidepidebit, das kann mein Mann.
2) Die mit dem roten Rock, die hat mein Herz verzockt.
Die mit dem roten Rock, die hat”s verzockt.
Die mit dem groβen Schal, die liebt die Jungens all,
Die mit dem groβen Schal, die liebt sie all.
Refrain: Das Geld, das könnt beim Kukuck sein, wär nur das Schätzchen mein….
3) Dort leucht’ ein heller Stern, dort ist mein Schätzchen gern.
Dort leucht’ ein heller Stern, dort ist es gern.
Dort brennt ein helles Licht, dort ist mein Schätzel nicht.
Dort brennt ein helles Licht, dort ist es nicht.
Refrain: Das Geld, das könnt beim Kukuck sein, wär nur das Schätzchen mein….
4) Hier und da bleibe ich nicht, hier ist mein Schätzchen nicht.
Hier und da bleibe ich nicht, hier ist es nicht.
Kommt, wir wollen weiter gehen, bis ich mein Schätzchen sehn.
Kommt, wollen weiter gehen,bis ich es sehn.
Refrain: Das Geld, das könnt beim Kukuck sein, wär nur das Schätzchen mein….

Lustig ist das Zigeunerleben

1) Lustig ist das Zigeunerleben, faria,faria,
Brauch’ dem Kaiser kein’ Zins zu geben, faria, faria.
Lustig ist es im grünen Wald,
Wo des Zigeuners Aufenthalt, faria, faria.
2) Sollt’ uns einmal der Hunger plagen, …
Gehen wir uns ein Häschen jagen,…..
Häschen, nimm dich wohl in acht,
Wenn des Jägers Büchse kracht,….
3) Sollt’ uns einmal der Durst sehr quälen,…..
Gehn wir hin zu Wasserquellen,……
Trinken das Wasser wie Moselwein,
Als wär es deutscher Champagnerwein,……
4) Mädel, willst du Tabak rauchen, …….
Brauchst dir keine Pfeif’ zu kaufen,……..
Pfeif’ und Tabak hab’ ich hier,
Geb’ ich gerne, gerne dir,……….

Guten Abend, gut Nacht

1) Guten Abend, gut Nacht,
Mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt,
Schlupf unter die Deck:
Morgen früh, wenn Gott will,
Wirst du wieder geweckt,
Morgen früh, wenn Gott will,
Wirst du wieder geweckt.
Traum’ s Paradies!
2) Guten Abend, gut Nacht,
Von Englein bewacht,
Die zeigen im Traum
Dir Christkindleins Baum.
Schlaf nur selig und süβ,
Schau im Traum’s Paradies.

Schatz, ach Schatz, reise nicht so weit von mir

1) Schatz, ach Schatz, reise nicht so weit von mir-2.
Im Rosengarten will ich dich erwarten,
Im Rosengarten, wo Rosen blühn!
2) Auf mich zu warten, das brauchest du ja nicht,-2
Nimm dir ein Reiches, dir Deinesgleiches,
Ich armes Mädelein, ich lieb’ dich nicht!
3) Und den ich liebe, der ist so weit von mir.-2
Er ist in Polen, er ist Matrose,
Er ist Matrose im blauen Meer.
4) Matrosenleben, ist nicht so leicht gesagt.-2
Wenn alle schlafen, Matros’ muss wachen,
Muss kontrollieren gehn, muss Schildwach’ stehn.
5) Schatz, ach Schatz, reise nicht so weit von mir-2.
Im Rosengarten will ich dich erwarten,
Im grünen Klee, im weiβen Schnee.

In der Heimat

1) In der Heimat auf der Ferne
In der Heimat möcht’ ich sein
In der Heimat, in der Heimat
Gibt’ s ein frohes Wiedersehen
2)Abends, wenn die Lüfte wehen,
Und der Mond am Himmel stehen,
Steigt in mir ein heisses Sehnen
In der Heimat möcht’ ich sein
3)Wenn ich sehe, wie andere Kinder
In dem liebsten Elternhaus
Gehen zum Vater, gehen zur Mutter
Gehen froh Tag ein, Tag aus.
4)Und ich muss in weiter Ferne
In dem fremden Orte sein,
Muss mein Brot mir selber verdienen
Oh, es ist so hart wie Stein!

Nach Sibirien muss ich verreisen

1) Nach Sibirien muss ich verreisen,
Muss verlassen die blühende Welt.
Schwer beladen mit sklavischem Eisen,
Wo nur Hunger und Elend uns quählt.
2) Von den Seinigen weit abgerissen,
Von den Seinigen weit abgetrennt,
Kann sie niemals im Leben mehr küssen,
Die ich <Vater> und <Mutter> genannt.
3) Ach, dann schau ich noch einmal hinüber,
Nach dem Hügel noch einmal zurück.
Ist mir dennoch die Hoffnung geblieben,
Nach der Heimat mein einziges Glück!

Das Pferdchen

1) Es war einmal ein kleines Bübchen,
Das bettelte so wundersüβ:
Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen,
Ein Pferdchen wär’ mein Paradies
Darauf bekam der kleine Mann
Ein Schimmelpferd aus Marzipan.
Er schaut es an und weint, und spricht:
<Solche Pferde wollt’ ich nicht!>
Refrain: Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen,
Ein Pferdchen wär’ mein Paradies.
Mamatschi, solche Pferde wollt’ ich nicht!
2) Die Zeit verging, der Knabe wünschte
Vom Weihnachtsmann nichts als ein Pferd,
Da kam das Christkindlein geflogen
Und brachte ihm, was er begehrt.
Auf einem Tische standen stolz
Vier Pferde aus lackiertem Holz.
Er schaut sie an und weint, und spricht:
<Solche Pferde wollt’ ich nicht!>
Refrain: Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen,
Ein Pferdchen wär’ mein Paradies.
Mamatschi, solche Pferde wollt’ ich nicht!
3) Gar viele Jahre sind vergangen,
Und aus dem Knaben ward ein Mann,
Da hielt vor seinem Tore,
Da stand ein herrliches Gespann.
Vor einer Totkollesche standen
Vier Pferde schön geschmückt und fein.
Sie holten sein liebes Mütterlein,
Da fiel ihm seine Jugend ein.
Refrain: Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen,
Ein Pferdchen wär’ mein Paradies.
Mamatschi, solche Pferde wollt’ ich nicht!

 


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