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Die Feiertage, Sitten und Gebräuche der Deutschen in dem Dorf Troiza

Ekaterina Goldman(n), 11. Klasse
Projektleiterin: Galina Nikolaewna Gontschar
Troitsker allgemeinbildende Oberschule

Zunächst einige Worte zum Aufbau des Referats. Nach der Einleitung folgt eine Beschreibung des Weihnachtszeremoniells, denn Geburt bedeutet immer den Beginn des Lebens. Danach folgt die Schilderung der anderen Feiertage, in der Reihenfolge, wie sie im Jahresverlauf begangen werden – Neujahr, die Fastenzeit, die Karwoche mit Osten und Pfingsten.

In den 1930er Jahren erging von der Sowjetmacht, unter der ideologischen Führung der Partei, die Anweisung, die Kirchen zu schließen. Die Kirchenglocken mußten umgeschmolzen werden und sämtliche Kirchendiener und Geistliche wurden Opfer von Repressionsmaßnahmen. So wurde dem Thema Religion sowie dem Feiern religiöser Festtage für viele, viele Jahre ein Ende gesetzt. Aber nicht nur die Ideologie des Atheismus, Kampagnien gegen die Gläubigen, ihre Demütigung und Verspottung und die Schaffung atheistischer Gesellschaften führten zum Verlust der jahrhundertealten Traditionen des deutschen Volkes an der Wolga. Es gab auch einen Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, als die Deutschen 1941 per Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR vom 28. August 1941 „Über die Umsiedlung der in den Wolgagebieten lebenden Deutschen“, aus ihren Heimatorten verjagt wurden, und es nicht angebracht war, dieses Volk in irgendeiner Form zu erwähnen.

Bei den Vorbereitungen für das vorliegende Referat wurden eingehend die Arbeiten der deutschen Wissenschaftler Georg Dinges, Emma Dinges, A. Losinger und Peter Sinner aus dem Wolga-Gebiet studiert, aber auch die 1994 in der saratowsker „Wolgadeutschen Zeitung“ (WDZ) in neuer Auflage erschienene Arbeit Peter Gallers (Haller) – „Der Alltag der deutschen Kolonisten in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts“ – mit Erinnerungen deutscher Zuwanderer aus dem Wolgagebiet, die heute in Sibirien, im Altai und anderen Regionen Rußlands und der ehemaligen UdSSR leben.

Die gesammelten ureigenen Sitten und Gebräuche der Wolgadeutschen helfen, die verloren gegangenen Traditionen wiederherzustellen, die nationale Kultur wieder aufleben zu lassen. Die im einzelnen beschriebenen Zeremonielle sind möglicherweise nicht nur für all diejenigen, die diesem Thema Aufmerksamkeit schenken, von Interesse, sondern auch aus historischen Gesichtspunkten für Wissenschaftler beider Länder – Rußlands und Deutschlands, denn die dargestellten Bräuche sind noch so erhalten geblieben, wie die Vorväter aus der Zeit Katharinas II. sie mitgebracht hatten. Aber ein Teil dieser dieser Traditionen gehört bereits längst der Vergangenheit an, ein anderer Teil wurde im Laufe der Zeit abgewandelt, was besonders deutlich am Beispiel des Weihnachtsfestes zu erkennen ist.

Interessant sind die Feierlichkeiten der Wolga-Deutschen auch noch deswegen, weil sie eine wunderbare Ergänzung zu den Fest- und Feiertagen der russischen Kultur darstellten.

Weihnachten

Die Heilige Nacht oder Weihnachten ist der höchstgeachtete Festtag der Wolgadeutschen. Es war ein Feiertag der Hoffnung und der Verbundenheit, der Freude und des Optimismus.

Die Weihnachtsfeiertage ziehen sich bei den Wolgadeutschen über zwei Tage hin. Sie wurden begleitet von einer Vielzahl von Attributen, von denen der Weihnachtsbaum das wichtigste war. Er wurde am Weihnachtsvorabend in der Kirche oder der Schule aufgestellt und mit Pfefferkuchen sowie anderen Süßigkeiten aus eigener Herstellung geschmückt.

Vor Beginn der Festlichkeiten wurde im Haus alles gewaschen, geweißt, geschrubbt und die Stube mit Blumen geschmückt. Man mußte sich mit dem Aufräumen und Saubermachen beeilen, damit man bis zum Eintreffen des Boten, der den Beginn des Weihnachtsfestes verkündete, auch fertig war. Und falls der Bote es einmal vergaß, bei einer Familie hereinzuschauen, dann galt das als Vorzeichen für Unheil. Aus diesem Grunde wurde er von allen Familienmitgleidern mit großer Ungeduld erwartet. Die Weihnachtsfeierlichkeiten begannen immer am Heiligabend um fünf Uhr nachmittags. Die festlich gekleideten Kolonisten gingen zur Kirche, unterm Arm das Buch mit den Kirchenliedern, die während des Gottesdientst gesungen wurden.

Und nun ein paar Worte darüber, wie man sich zum Festtag kleidete. Die Frauen trugen aus Wolle gewebte, mit roten Mustern verzierte, warme Unterröcke, darüber einen kurzen, leichten, dunkelblauen Rock mit glänzenden Knöpfen und eine Weste zum Zubinden; darunter trugen sie eine weite, verzierte Bluse (Schabasch), deren Rüschen um die Taille herum und am Hals hervorlugten. Der Hals war geschmückt mit weißen oder gelben Ketten, die sie als Korallen bezeichneten. Zu den unverzichtbaren Attributen des Feiertages zählte auch eine mit großen Blumen verzierte Schürzen, die ganz verschiedenartig geschnitten waren. Die Oberbekleidung bestand aus einem wattierten, taillierten Mantel und Filzstiefeln, einem großen, um den Kopf gewickelten Umschlagetuch und einem Taschentuch, welches die Frauen in den Händen hielten. Es wurde jedoch nie benutzt, sondern nur wegen des Aussehens getragen.

Die Männer – in Oberhemden aus weißem Leinen, wobei die jüngeren von ihnen einen Umlegekragen trugen, kurzen Westen mit Metallknöpfen, einem langen Kaftan, der Stadt- oder Ausgeh-Anzug genannt wurde. Am Feiertag trug man um den Hals farbige Schals und Krawatten. Junge Männer konnten auch kürzere Jacketts tragen. Die Oberbekleidung wurde noch ergänzt durch einen gegerbten Schafspelz von schwarzer oder gelber Farbe. Später begann man anstelle der Pelze warme Mäntel zu tragen und auch sogenannte Bikeschs – wattierte, gesteppte Joppen mit zwei Knöpfen an der Rückenseite. Auf dem Kopf – eine wattierte Mütze aus Tuch. An den Beinen – glänzende Lackstiefel und Gummiüberschuhe. Später hatte man breite Stiefel an den Füßen, mit Eisenbeschlägen unter den Absätzen. Die Männer vollendeten ihren Festtagsstaat mit einer Kettenuhr. Außerdem gab es in der Jackentasche einen Tabaksbeutel und am Gürtel ein Futteral für die Pfeife.

Der Gottesdienst dauerte eine Stunde –von 17 bis 18 Uhr. Zuhause blieb während dieser Zeit nur eine Frau, die das Festtagsessen vorbereitete. Mit dem Abendessen mußte man sich beeilen, denn viele aßen an diesem Tag nicht eher etwas, als bis der erste Stern am Himmel zu sehen war, das heißt bei Einbruch der Dunkelheit.

Nach dem Abendgottesdienst überreichte man den Kindern im schulpflichtigen Alter ihre Geschenke – Pfefferkuchen und Süßigkeiten vom in der Kirche aufgestellten Weihnachtsbaum. Der Feiertag wurde nach dem Kirchgang bei den einzelnen Familien zuhause fortgesetzt. Das Ritual gestaltete sich in den einzelnen Kolonien und sogar in den Familien unterschiedlich, denn es war abhängig von den Besitzverhältnissen und den jeweils herrschenden Glaubensunterschieden.

Für die Kinder wurde meist ein verkleideter Mann eingeladen. Plötzlich vernahm man in den Räumen ein merkwürdiges Gepolter und das Rasseln von Ketten. Ein Mann erschien. Er war verkleidet mit einem umgedrehten Schafsfellmantel, einer Fellmütze und riesigen Filzstiefeln und trug einen Gürtel aus eisernen Ketten. In der linken Hand hielt er ein Glöckchen, in der rechten – eine Rute. Das war der Pelznickel – wörtlich übersetzt: Nikolaus mit der Pelzmütze. Er kroch auf allen Vieren in das Zimmer, in dem sich die Kinder befanden, und rasselte dabei mit seinen Ketten. Mit schrecklicher Stimme verlangte er, daß der eine oder andere Wildfang vor ihn trat. Vor lauter Angst versteckten die Kinder sich in den Ecken, verkrochen sich unter Bett oder Tisch. Der Pelznickel zog die unartigen Kindern entweder selbst aus ihren Verstecken hervor, oder er befahl den anderen Kindern dies zu tun. Der Pelznickel bestrafte die Kinder für ihre Streiche und kleinen Sünden (welche die Eltern ihm zuvor mitgeteilt hatten); er zwang sie, über die ausgestreckte Rute zu springen oder mit den Zähnen auf die Kette zu beißen. Und erst, nachdem er den Kindern das Versprechen abgenommen hatte, keinen Unfug mehr zu treiben, fleißig zu lernen und ihre Eltern zu ehren, ging er wieder fort. Nach dem Pelznickel kam das weihnachtliche (himmlische) Kind, das Christkind, das, wie die Kinder sagten, auf einer langen Leiter vom Himmel zur Erde herabgestiegen war. Für gewöhnlich war dies eine junge Frau aus dem gleichen Haus, ganz in Weiß gekleidet. Das Gesicht war von einem dichten Schleier bedeckt. Sie trat ins Zimmer, in der einen Hand eine Rute, in der anderen – Pfeffernüsse und Süßigkeiten, die in ein Tüchlein eingebunden waren, aber aich Spielzeug. Sie fragte die Kinder ebenfalls, ob sie unartig gewesen waren. Allerdings bestrafte sie sie, im Gegensatz zum Pelznickel, viel milder und beinahe freundlich, wobei sie sie nur ganz leicht mit der Rute schlug und sie zwang, ein extra für diesen Anlaß erlerntes Gebet aufzusagen. Anschließend teilte sie die Geschenke aus. Christkindchen fragte das Kind: „Versprichst du mir, daß du in Zukunft immer schön gehorchst und zu Gott beten wirst?“. Woraufhin das Kind antwortete: „ Christkindlein, eine ganze Woche, 14 Tage lang werde ich beten, und ich will auch nie wieder unartig sein». Man muß hinzufügen, daß die Kinder sich auch ein wenig vor dem Christkind und seiner Rute fürchteten. Diese Sitte – den Kindern Angst zu machen – verschwand nach und nach. Pelznickel und Christkindchen tauchten später nur noch als fröhliche Erscheinungen auf.

Die erwachsenen Männer und jungen Burschen fürchteten das Christkind nicht. Sie versuchten vielmehr, den Schleier hochzuheben und es zu küssen. Aber es verteidigte sich mit Hilfe der Rute und schlug ziemlich schmerzhaft auf die außer Rand und Band geratenen neugierigen Erwachsenen ein. An Weihnachten wurde viel getanzt. Der beliebteste Tanz war der „gehüpfte“ Walzer, „Ach, du lieber Augustin“ (das hatte man damals aus Deutschland mitgebracht) und die „Kamarinskaja“ (ein Volkslied, das sie von den Russen gelernt hatten). Auf originelle Weise, mit einer schwindelerregenden Schnelligkeit, tanzten die Wolga-Deutschen auch Polka, wobei sie mit den Absätzen auf den Boden stampften.

Zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar stellte man Vermutungen über das Wetter im kommenden Jahr an. Jeder Tag entsprach dabei einem bestimmten Monat. So sagte man beispielsweise anhand des Wetters vom 26. Dezember das Februar wetter des Folgejahres voraus.

Der Weihnachtsfeiertag schien nach und nach in den fröhlich-lärmenden Neujahrsfesttag überzugehen.

Neujahr

Am Vorabend des neuen Jahres war es bei allen Völker seit alters her üblich, über das Vergangene Bilanz zu ziehen und den Festtag mit der Hoffnung zu begrüßen, daß alles erfüllt und vollendet würde, was man sich für das kommende Jahr vorgenommen hatte. Diese Traditionen existieren auch heute noch. Daher wird das neue Jahr von allen Völkern so fröhlich und geräuschvoll gefeiert. Da bilden auch die Deutschen von der Wolga keine Ausnahme. Am Vorabend des Neujahrstages kamen der Neujahrsbock oder der Neujahrs-Pelznickel sowie ein Bote, der die Menschen vom bevorstehenden Festtag benachrichtigte. Am Neujahrstag, wie auch am 2. Weihnachtsfeiertag, arbeitete die männliche Bevölkerung nicht, sondern sie vergnügte sich. Früh am Morgen, etwa um 5 Uhr, war die Jugend bereits auf den Beinen, um bei Tagesanbruch die nahen Verwandten zu beglückwünschen. Die Kinder gratulierten den Eltern, Paten, Großeltern; eigens für diesen zweck hatten sie zuvor Verse auswendig gelernt. Auch die Erwachsenen gratulieren sich gegenseitig. Den ersten „Besuch“ in aller Herrgottsfrühe statten auf jeden Fall die Eltern den Paten ab, anschließend den Schwiegereltern, Onkel und Tante, den Freunden. Dem Brauch entsprechend, der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts aufgekommen war, gaben die Glückwünschenden an der Türschwelle Schüsse ab, und manchmal auch direkt an der Tür des Hauses. Das taten sie mit Hilfe einer Flinte, die immer wieder mit kleinsten Schrotkügelchen geladen wurde. Durch den ohrenbetäubenden Schuß wurde die ganze Familie geweckt. Das Schießen an Neujahr bedeutete den Glückwunschfür den beginnenden Feiertag. Die Jungs ahmten die Erwachsenen nach; sie liefen von Haus zu Haus und schossen aus Spielzeuggewehren. Nach der Schießerei ertönten Gratulationen mit besten Wünschen für Glück, Gesundheit, ein langes Leben und ewige Rettung der Seele. Nachdem die Hausherrn sich die Glückwünsche angehört hatten, beschenkten sie die Angekommenen. Die Kinder bekamen kleine Kupfermünzen oder Süßigkeiten. Die Erwachsenen wurden mit Wodka und einem kalten Imbiß bewirtet – Wurst, Schinken, Speck; man gab ihnen auch kleine Geschenke – hübsche Tücher. Die Gewehre waren mit bunten Bändern geschmückt. Bevor die Kirchenglocken anfingen zu läuten, hörte das Schießen auf. Wenn die Familie sich zum Festtagsfrühstück niederließ, kamen Musikanten. Sie ehrten den Hausherrn mit ihrem Klarinettenspiel und erhielten dafür ebenfalls kleine Aufmerksamkeiten. Vor und nach dem Essen wurden immer Gebete gesprochen. Am Tisch sang man Volkslieder.

Nach dem festtäglichen Mittagessen waren die jungen Leute bis in die Nacht hinein mit eingespannten Pferden unterwegs.

Und noch lange danach erinnerten sich alle an diesen schönen Neujahrsfeiertag, der mit so viel Gutem, so viel Freude und dem Segen des Herrn erleuchtet gewesen war.

Ich habe Ihnen hier nur von zwei Feiertagen berichtet. Im kommenden Jahr werden wir dieses Thema aber fortsetzen.

Literaturangaben:

„Feiertage, Sitten und Gebräuche der Wolga-Deutschen“. Erinnerungen von Iwan Andrejewitsch Goldman(n) und Amalie Iwanowna Goldman(n).

E.M. Schischkina-Fischer: „Die Volksbräuche der Deutschen im Jahresverlauf, Tänze und Lieder in Deutschland und Rußland“.


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