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Die Trudarmee in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges

XIII. jährlicher Allrussischer Wettbewerb
historischer Forschungsarbeiten von Schülern der höheren Klassenstufen
„Der Mensch in der Geschichte. Russland – 20. Jahrhundert

Irina Jametowa
Allgemeinbildende Oberschule N° 3 in Aban
Klasse 10 A

Heimatkunde-Klub „Landsleute“. Ergänzendes Bildungsprogramm „Weiße Flecken in der Geschichte des Abaner Bezirks“

Leitung
Nadeschda Wasiljewna Kaljakina, Leiterin des Klubs „Landsleute“, Geschichtslehrerin an der Allgemeinbildenden Oberschule N° 3 in Aban

Aban 2011

ANMERKUNGEN zur Prüfungsarbeit im Profilkurs Geschichte:
Irina Jametowa
Aban, städtische Bildungseinrichtung Abaner Allgemeinbildende Oberschule N° 3, 10. Klasse
Thema: „Die Trudarmee in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges“
Leitung: Nadeschda Wasiljewna Kaljakina, Geschichtslehrerin
Ziel der wissenschaftlichen Arbeit: anhand von lokalem Material die Verwendung der Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit während des Großen Vaterländischen Krieges zu bekräftigen.
Forschungsmethoden: Vergleichsanalyse der verschiedenen Quellen
Historiker haben in den vergangenen 13 Jahren damit begonnen, das vorliegende Thema zu erforschen. Durch das Studium der Historiographie dieser Frage enthüllt die Autorin das betreffende Erscheinungsbild in der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges anhand von Materialien aus dem Bereich der hiesigen Heimatkunde. Aufgezeigt wird die Widersprüchlichkeit zwischen der „Volks“-Einschätzung und der offiziellen Bewertung des Arbeitsbeitrages der Zivilbevölkerung zum Sieg über das faschistische Deutschland.

Einführung

Der Ausdruck „Trudarmee“ (Arbeitsarmee; Anm. d. Übers.) kam in den Jahren des Bürgerkriegs auf und bezeichnete die real existierenden „Revolutionsarmeen der Arbeit“. Der Kriegsausbruch machte die Arbeitsmobilisierung zur praktischen Aufgabe. Anfang 1920 wurde durch ein spezielles Dekret die allgemeine Arbeitspflicht eingeführt. Aus den an die Arbeitsfront Mobilisierten formierten sich militärische Arbeitsunterabteilungen. Es entstanden die „Revolutionsarmeen der Arbeit“ [1].

In den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges wurde dieser Terminus inoffiziell benutzt. „Trudarmisten“ nannten sich diejenigen, die Zwangsarbeit verrichten mussten. Aber in keinem einzigen offiziellen Dokument des Zeitraums 1941-1945 begegnet man dem Begriff „Arbeitsarmee“. Die Arbeitspolitik des Sowjetstaates in Kriegszeiten steht mit den Begriffen „Arbeitspflicht“, „Arbeitsgesetzgebung“ und „Arbeitsreserven“ in Zusammenhang. Die Widersprüchlichkeit zwischen der „Volks“-Bewertung und der offiziellen Auffassung vom Arbeitsbeitrag der Zivilbevölkerung zum Sieg über das faschistische Deutschland wurde zum Gegenstand meiner Forschungsarbeit.

Ziel der Arbeit: anhand lokaler Materialien die Anwendung von Zwangsarbeit der zivilen Bevölkerung in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges bekräftigen.

Aufgabenstellungen: Studium der Historiographie der Frage und Beschreibung von Beispielen der Anwesenheit von Abanern in der „Trudarmee“.
Forschungsmethode – Vergleichsanalyse verschiedener Quellen.

Die Aktualität des vorliegenden Themas mit seinen neuesten Erkenntnissen wird selbst von Wissenschaftlern erst in den letzten 10-13 Jahren erforscht. Ich habe dieses Thema auch deswegen gewählt, weil ich durch meine Nachbarin von dieser Erscheinung hörte, die von ihrer Nationalität her Deutsche ist und die, wie man ihr erklärte, in die „Trudarmee“ einberufen wurde, aber ich habe in keinem Lehrbuch irgendetwas darüber gelesen.

Kapitel 1. Historiographie des Problems

Die Historiographie der „Arbeitsarmee“ während des Großen Vaterländischen Krieges umfasst etwas mehr als zehn Jahre. Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts erschien eine Reihe von Publikationen über die aufkommende Frage der Deportationen von Sowjet-Deutschen und anderer Völker, in denen auch das Problem der Wechselbeziehungen zwischen den Schicksalen der deportierten Völker und der „Trudarmee“ aufgegriffen wurde.
[2] Indem sie vom Schicksal der Sowjet-Deutschen sprachen, haben die Autoren angemerkt, dass sie „in die sogenannte Arbeitsarmee einberufen“ wurden. Die Sowjet-Deutschen haben gemeinsam mit allen Völkern den Sieg über die Aggressoren näher heranrücken lassen, aber die Geschichte hüllt sich darüber in Schweigen, genauso wie darüber, was diese Erscheinung
„Trudarmee“ als solche überhaupt darstellt.

Diese Widersprüchlichkeit zwischen der offiziellen und der „Volks“-Auffassung über den Arbeitsbeitrag der Bevölkerung zum Sieg über das faschistische Deutschland entstand meiner Ansicht nach aus dem Unwillen der Staatsmacht heraus, die Mitwirkung der Sowjet-Deutschen an unserem gemeinsamen Sieg anzuerkennen.

Zum ersten Mal sah ich darüber Material im Buch „Krasnojarsk – Berlin“, w3elches zum 65. Jahrestag des Sieges herauskam. Hier wird erstmalig eine Einschätzung bezüglich der Rolle der Deutschen bei der Widererrichtung der evakuierten Fabriken auf dem Territorium unserer Region gegeben. [3] Gerade mit dem Studium der Rolle der „arbeitsmobilisierten“ Deutschen beim Siegt begann die Historiographie der „Trudarmee“.

Krasnojarsker Wissenschaftler leisteten als erste ihren Beitrag in der Wissenschaft. Am 6. und 7. Oktober 1997 fand in Minusinsk die Wissenschaftlich-praktische Konferenz „Verbannung in den Süden des Jenisejsker Gouvernements“ statt, die dem 175. Jahrestag der Entstehung des Jenisejsker Gouvernements gewidmet war.

In der russischen Historiographie kann man mehrere Standpunkte zur Definition des Begriffs „Arbeitsarmee“, ihrer Zusammensetzung und des Zeitraums, in dem sie in Betrieb war, feststellen. N.F. Bugaj und P.B. Rempel, beispielsweise, trennen den Begriff „Trudarmee“ nicht im eigentlichen Sinne von der insgesamt an die Arbeitsfront mobilisierten Bevölkerung. Doch N.F. Bugaj weitet auch den chronologischen Rahmen ihres Inbetriebseins aus. Der Forscher führt Fakten des Arbeitseinsatzes von Sowjet-Deutschen in den Jahren 1947 und 1948 an. Allerdings hatte sie nach Meinung der Forscher, die sich an die Konzeption der Formierung der „Trudarmee“ auf Grundlage des Arbeitseinsatzes deportierter Sowjet-Deutscher halten, in dem angegebenen Zeitraum ihren Betrieb bereits eingestellt, und die „Trudarmisten“ waren nach ihrem Rechtsstatus in die Kategorie der „Sonderumsiedler“ übergegangen. Nachdem P.B. Rempel eine Reihe „streng geheimer“ Befehle und Instruktionen des NKWD der UdSSR aufgezählt hat, welche die Mobilisierung, Bewachung und das Regime der „Trudarmee“ sowie den Arbeitseinsatz der Sowjet-Deutschen reglementieren, dehnt er den Bestand der „Trudarmisten“ aus. Er führt Befehle an, welche Bürger deutscher Nationalität in anderen Ländern anführt. N.A. Morosow nennt in seinen Forschungsarbeiten, die dem Studium der Geschichte der GULAG-Lager im Gebiet Komi gewidmet sind, Beispiele für die Formierung von Arbeitskolonnen innerhalb der „Trudarmee“ aus Vertretern nicht nur der deutschen, sondern auch anderer Nationalitätenzugehörigkeiten. In diese Kategorie fielen, nach seinen Angaben, bei der Lagerbevölkerung auch Koreaner, Russen und Ukrainer, Weißrussen und Kalmücken, Vertreter zahlreicher anderer Nationen und Völkerschaften. Der Autor gibt eine Definition des Begriffs „Trudarmee“, die ein wenig treffender als die von A.A. Kurotschkin vorgeschlagene, nach dessen Bestimmung es sich bei der „Trudarmee“ um eine militarisierte Form der Arbeit bestimmter Sowjetbürger in den Jahren 1941-1945 handelt, welche als Abart der Arbeitssiedlungen und der „Kolonisationspolitik“ in Erscheinung trat. [4]

P.N. Knyschewskij weitet, nachdem er die Aktivitäten des staatlichen Komitees für Verteidigung im Hinblick auf die Mobilisierung von Arbeitsressourcen eingehend untersucht hat, die Liste der Kriegsmobilisierten auf den alternativen Dienst (die Arbeitsfront) aus: gleichzeitig mit den deportierten Völkern wurden Personen dorthin geschickt, welche aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung für den Wehr- und Kampfdienst nicht geeignet waren, Demobilisierte aus den Reihen der Armee, das GULAG-Kontingent sowie Internierte.
Diesen Standpunkt teilt auch N.P. Palezkich. Sie schlug eine erweiterte Interpretation bezüglich der Zusammensetzung der „Trudarmee“ vor, welche ihrer Meinung nach über verschiedene Abarten verfügten – Baubataillone, Arbeitskolonnen, Sonder-Bau- und Montage-Abteilungen, Lager für „Sowjet“-Deutsche. [5]

Schlussfolgerungen zum Kapitel:

Nach genauer Untersuchung der Interpretationen des Begriffs „Trudarmee“ habe ich diesen Terminus im „engen Sinne“ als Zwangsmobilisierung der Zivilbevölkerung zum alternativen Dienst (Arbeitsfront). Im „weiten“ Sinne beinhaltet der Begriff „Trudarmee“ nach meinem Verständnis unterschiedliche Formen des Zwangseinsatzes deportierter und mobilisierter Zivilbevölkerung in Baubataillone, Arbeitskolonnen, Sonderansiedlungen oder Lager. Es bezeichnet den Arbeitseinsatz der „Sowjet“-Deutschen und Vertreter anderer deportierter Nationen, von Personen, die aufgrund ihres Gesundheitszustands aus den Reihen der Armee demobilisiert worden waren, von Gefangenen aus dem GULAG-Kontingent sowie internierten Personen.

In erster Linie interessierte mich die Frage der gewaltsamen Mobilisierung der Abaner Jugend.

Kapitel 2 . Die Abane4r Jugend in der „Trudarmee“

Als Bestätigung für die Schaffung der Trudarmee kann man den Ukas des Obersten Sowjets vom 13.Februar 1942 „Über die Mobilisierung der arbeitsfähigen Stadtbevölkerung zu Arbeiten in der Industrie und bei Bauprojekten für die Dauer des Krieges“ rechnen. Der Mobilisierung waren Männer im Alter zwischen 16 und 55 Jahren sowie Frauen zwischen 16 und 45 Jahren ausgesetzt. Personen, die den Versuch unternahmen, sich der Mobilisierung zu entziehen, mussten sich vor Gericht nach geltendem Kriegsrecht verantworten. Ein ähnlicher Ukas wurde auch für Landbewohner am 10. August 1942 verabschiedet. [6]

Der Bezirk Aban ist eine landwirtschaftliche Region. Während des Krieges lebte und arbeitete der überwiegende Teil der Bevölkerung in der Kolchose. Auf den Schultern der Frauen lag nicht nur die Arbeit Auf den Feldern und Farmen, die Erziehung der Kinder, das Meistern technischer Dinge. Es fehlte an arbeitenden Händen, aber ein Teil der jüngsten, ausdauerndsten und zähesten Kolchosarbeiter wurde in die „Trudarmee“ mobilisiert.

Am Beispiel der Abaner Historie versuchte ich die Prinzipien der Formierung der „Trudarmee“ näher zu definieren. Mir schien, dass die Menschen nicht so sehr aufgrund ihrer physischen Eigenschaften (kräftiger Körperbau und Gesundheit), sondern aufgrund sozialer Merkmale ausgewählt wurden: junge Leute, die weder in Ausbildung standen, noch in der Kolchose arbeiteten.

Wenn man den Beschluss des Abaner Bezirksexekutiv-Komitees analysiert, kann man zu dem Schluss kommen, dass bereits gegen Ende des Jahres 1941 damit begonnen wurde, aus Aban innerhalb der arbeitsfähigen Bevölkerung Gruppen zu mobilisieren und zu formieren. Am 2.Mai 1942 wurde ein Beschluss über die Arbeitsverschickung einer aus 100 Personen bestehenden Gruppe nach Igarka getroffen. Sich auf die Anordnung des Rates der Volkskommissare der UdSSR und des Zentralkomitees der WKP (B) „Über die Art und Weise der Mobilisierung der Bevölkerung zur Arbeit“ beziehend, entschied der Bezirksrat: „für Arbeiten beim Konzern „Nordpolar-Waldwirtschaft“ für den Zeitraum der Befahrbarkeit der Flüsse 100 Personen aus den Reihen der nichtarbeitenden Bevölkerung sowie einzelnen Sektoren arbeitsfähiger Männer und Frauen nach Igarka zu mobilisieren[7]

Es war vorgesehen, vom 17. bis 19. Juni Untersuchungen durch eine Ärztekommission durchzuführen. Die Untersuchung wurde in insgesamt 30 Dorfsowjets veranstaltet. Im Dokument ist vermerkt, dass als Verantwortlicher für die Verschickung der Leiter der Mobilisationsabteilung des Bezirksexekutiv-Komitees Ustin Kapitonowitsch Orlow ernannt wurde.

Des Weiteren wurde die Abaner Jugend in die Fabrik N° 4, die Woroschilow-Werke, nach Krasnojarsk geschickt. [8] Und 1944 wurden noch einmal 25 Leute zum Arbeiten in die Fabrik N° 580 aus Aban nach Krasnojarsk abtransportiert. [9]

In all den Kriegsjahren unterlag die arbeitsfähige Bevölkerung der Zwangsmobilisierung zu Saisonarbeiten in den Kolchosen - Heumahd, Ausjäten der Felder -, in Sowchosen sowie der Fahrzeug- und Traktorenstation im Abaner Bezirk. [10] So wurde beispielsweise zur Holzbeschaffung in der Saison 1942-1943 “eine Gruppe Arbeiter und Zugtiere zusammengestellt“. Diese Entscheidung wurde am 30. November 1942 in Aban getroffen. [11]

In den Kriegsjahren wurde die Mobilisierung von jungen Leuten, besonders in Betriebsfachschulen und zum Wiederaufbau evakuierter Fabriken, verkündet. Von der Einberufung betroffen waren junge Männer im Alter von 15, 16 Jahren sowie Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren. [12] Infolge der Mobilisierung aus Aban im August 1942 wurden 60 Personen aus Aban auf die Betriebsfachschule N° 16 für Eisenbahn-Transportwesen geschickt [13]

Nadeshda Wasiljewna Kaljakina stellt ihren Schülern all die Jahre, seit sie an der Schule als Geschichtslehrerin tätig ist, die Aufgabe, die Erinnerungen der Verwandten an den Krieg aufzuzeichnen. Und jedes Jahr lässt sie uns im Unterricht, wenn wir das Thema „Der Große Vaterländische Krieg“ behandeln, diese Erinnerungen lesen. Vieles ist verloren gegangen, nicht alle sind mit einem Datum versehen und sogar die Familiennamen werden nicht bei allen genannt. Genau diese Dokumente einer historischen Epoche, die in verschiedenen Jahren notiert wurden, habe auch ich benutzt.

Es ist mir gelungen, die Erinnerungen zweier Abaner Großmütter ausfindig zu machen, die während des Krieges als junge Mädchen Waggons mit Ausrüstungsgegenständen evakuierter Fabriken entladen mussten. Aus diesen Erinnerungen bekam ich eine Vorstellung davon, unter welchen Alltagsbedingungen sie lebten und arbeiteten. Aber ich konnte nicht feststellen, ob sie zur gleichen Zeit gearbeitet haben oder nicht, denn diese beiden Zeuginnen weilen schon nicht mehr unter den Lebenden.

Galina Petrowna Ostapenko berichtete, wie ihre Mutter Vera Minejewna Iwanowa an der Bahnstation Slobino in Krasnojarsk Waggons abgeladen hatte. Sie lebten in Baracken und schliefen auf dem kalten, feuchten Boden, so dass die Haare anfroren. Sie luden per Hand Werkbänke ab, indem sie sie über Bretter nach unten gleiten ließen. Mitunter brachen die Bretter, und dann prallten sie alle vor Schreck zurück, denn sonst wären ihnen die schweren Teil auf die Füße gefallen und hätten sie zu Krüppeln gemacht.

Ich erfuhr aus der Heimatkunde-Literatur, dass die ersten Gefangenenzüge am 4. August 1941 an der Station Slobino eintrafen. Zwei Züge mit Ausrüstungsgegenständen der Fabrik „Rote Profintern“ aus der Stadt Beschenza im Gebiet Brjansk. Die Sachen wurden in der Sibirischen Schwermaschinen-Fabrik aufgestellt. Insgesamt kamen 190.000 Tonnen Ausrüstungsmaterial aus der Stadt Beschenza nach Krasnojarsk. [14]

Maria Dmitrijewna Kaljakina, geboren 1926, wurde mit 15 Jahren in die Atschinsker Fabrik- und Werksfachschule mobilisiert. (Anlage 1). Auch sie konnte sich daran erinnern, dass sie Waggons mit Ausrüstungsgegenständen evakuierter Fabriken an der Station Slobino in Krasnojarsk ausgeladen hat. Sie erzählte, dass sie im Winter in provisorischen Baracken untergebracht waren, wo das Bettzeug am Morgen mit Schnee zugeweht war und die Haare nachts an den Kissen festfroren. Um nicht selber zu erfrieren, legten sich jeweils 2-3 Personen auf eine Matratze; sie deckten sich mit einer dünnen Matratze zu und wärmten sich gegenseitig. Ein großes Problem stellte das Ungeziefer am Körper und in den Haaren dar. Sie schliefen, ohne die Kleidung abzulegen. Das nass gewordene Schuhwerk trocknete nicht vollständig. Maria Dmitrijewna erinnert sich auch an die Hungerration, die sie bekamen; ständig wollten sie essen, aber das empfand sie noch nicht als das Schlimmste. Zu Friedenszeiten hatte sie nicht glauben können, dass sie sich noch die Fähigkeit erhalten hätten, Kinder zu gebären. Sie mussten die schweren Werkbänke von den Eisenbahn-Plattformen heben, von denen jede eine halbe Tonne wog. Die Plattformen hatten ungefähr Brusthöhe, und man durfte die Werkbänke nicht einfach von oben herunterwerfen – wenn sie beschädigt wird, dann ist das ein Kriminaldelikt. Sie legten sich Stangen zurecht, legten sie schräg an die Plattformen an, stützten sie mit ihren Körpern und rollten auf diese Weise die schweren Werkbänke zu Boden. Wenn das Holz dem Druck nicht standhielt und die Stangen durchbrachen, mussten die Mädchen sie trotzdem halten. Sie erinnerte sich, dass hundert Lastpferde aus der Mongolei zur Bahnstation Slobino geschickt wurden; sie wurden zum ersten Mal zur Erholung nach Aban geschickt, um sich wieder in Ordnung zu bekommen. Viele der Mädchen kehrten mit kurz geschnittenen Haaren zurück – eine der Folgen ihres Aufenthalts in der „Trudarmee“.

Alle „Trudarmisten“ erinnern sich daran, unter welchen unmenschlichen Bedingungen die Mobilisierten leben mussten. Hier die Erinnerungen von Fedosja Ruban, die 1942 am Industrieaufbau in Krasnojarsk mitwirkte: „Sie brachten uns nach Krasnojarsk, zur Bahnstation Basaicha, in eine Erdhütte. Damals befand sich dort eine Häftlingszone – und ringsherum gesonderte Erdhütten für Männer und Frauen. Darin gab es durchgehende Pritschen, alle lagen dicht aneinander gedrängt, Seite an Seite. Die Kleidung wurde nachts nicht abgelegt, im Gegenteil – man wickelte sie sich so eng wie möglich um den Körper, denn die Flöhe fraßen einen sonst auf. Am Morgen gehst du draußen zum Abort, ziehst dir die Sachen aus und schüttelst sie kräftig, sonst beißen sie dich den ganzen Tag“ [15].

In die „Trudarmee“ wurden nicht nur junge Menschen verschickt, sondern auch Leute mit Familie. In den Erinnerungen von Galina Nikolajewna Posoch (Koslowa), Einwohnerin von Aban, gibt es Hinweise auf diese Tatsache. Sie berichtete: „Wir waren eine große Familie: 12 Kinder, aber nur 5 von ihnen blieben am Leben, ich bin die mittlere. Als der Krieg ausbrach, arbeitete Vater Nikolaj Andrejewitsch Koslow an der Arbeitsfront an der Station Slobino in Krasnojarsk. Andere Familienmitglieder waren aus Aban mit ihm gekommen. Die Männer mussten Waggons entladen“.

Während ich verschiedene Quellen miteinander verglich, bemerkte ich, dass sie in sogenannte „Arbeitskolonnen“ vorwiegend junge Leute von Einzelhöfen holten, wodurch sie sie offenbar zwangen einer Kolchose beizutreten. Jelena Demidowna Gawrilenko erinnerte sich, dass man sie, obwohl sie selbst bereits mehrere Jahre in einer Kolchose gearbeitet hatte, der Vater jedoch Einzelbauer war, ebenfalls zusammen mit Abaner Komsomolzen nach Leninsk-Kusnezk schickte, um dort im Schacht zu arbeiten. Sie sagte, dass es die schwersten Jahre in ihrem Leben waren. Die Arbeit im Schacht begann um 5 Uhr morgens und dauerte bis 8 Uhr abends. In den Schacht wurden sie mit Meißeln in der Hand sowie Grubenlampen gelassen. Trotz dieser schweren Arbeit wurden sie schlecht verpflegt: 200 Gramm Schwarzbrot und eine dünne Brühe aus Bärlauch und Sauerampfer. Die Großmutter erinnerte sich: „dass sie in ihrem 77 Lebensjahren nie wieder so einen schrecklichen Gestank erlebte“ (die Aufzeichnung erfolgt 2006). Unter derart unmenschlichen Bedingungen magerte sie so ab, dass sie überhaupt nicht wiederzuerkennen war. Sie arbeitete dort 8 Monate, dann floh sie. Sie war nur mit einem dünnen Kleidchen bekleidet, und man hatte sie nicht fortgelassen, um warme Sachen zu beschaffen. In den drei Tagen ihrer Flucht ernährten sich drei Mädchen von schmutzigen Kohlblättern. Aber bald darauf wurden sie aufgegriffen. Die Geflohenen fürchteten, dass nun jede von ihnen mit 8 Jahren Gefängnis bestraft würde, aber man sperrte sie nicht ein, sondern brachte sie zum Schacht zurück. Bestraft wurden sie, indem man ihnen kein Brot gab. Diese Großmutter wäre in diesem furchtbaren Schacht umgekommen, wäre dort nicht eine junge Familie gewesen, die offenbar aus den Reihen „der Obrigkeit“ stammte. Die Großmutter erzählte, wie sie zu ihnen ins Wohnheim gekommen wären und aus den zahlreichen Mädchen ausgerechnet sie ausgewählt hätten. Sie schlugen ihr vor, auf ihre Kinder acht zu geben. Sie arbeitete trotzdem auch im Schacht weiter, aber nach der Arbeit eilte sie „nach Hause“. Sie gaben ihr andere Kleidung und Essen und halfen ihr sogar dabei, eine Reisegenehmigung zu „erwirken“, damit sie nach Hause fahren und warme Sachen holen konnte.

Afanasij Chmelew, Einwohner von Aban berichtete in seinen Erinnerungen davon, dass sie ihn in ein „Arbeitsbataillon“ in die Stadt Krasnojarsk geschickt hätten. Dort musste er, zusammen mit den anderen Arbeitern, eine Menge durchmachen; er hatte dort ein sehr schweres Leben. Sie bekamen nicht genug zu essen, viele litten Hunger. Dort erbauten sie das heutige Schelesnogorsk. Sie bauten Tag und Nacht, ohne Unterbrechung.

Schlussfolgerungen zum Kapitel:

Am Beispiel der Abaner Geschichte habe ich versucht, nicht nur den Tatbestand der Zwangsmobilisierung von Abaner Jugendlichen zu beweisen, sondern auch die Prinzipien zu definieren, nach denen die „Trudarmee“ formiert wurde. Der Mobilisierung waren vor allem junge Menschen unterworfen, die weder eine Ausbildung machten, noch einer Arbeit nachgingen. Es ist mir nicht gelungen festzustellen, ob die Komsomolzen freiwillig oder gewaltsam an die Arbeitsfront geschickt wurden. Zur Arbeit herangezogen wurden auch Schüler der Fabrik- und Werkslehreinrichtungen. In Archivdokumenten wird noch ein Prinzip genannt, das nämlich häufig Leute von Einzelbauernhöfen zwangsweise in die „Trudarmee“ geschickt wurden. Offensichtlich sollte diese Mobilisierung sie dazu antreiben, einer Kolchose beizutreten. Man schickte nicht nur Jugendliche in die „Trudarmee“, sondern auch Männer, die bereits eine Familie gegründet hatten.

Anhand der Erinnerungen von Abanern konnte ich auch die Struktur der „Trudarmee“ veranschaulichen. Zu ihre gehörten „Arbeitsbataillone“, „Werkskolonnen“, „Arbeitskolonnen“, „Sondersiedlungen“, „Lager“ und „Kolonien“.

Kapitel 3 . Die deutsche Kolonie im Abaner Bezirk

Im Abaner Bezirk trifft man häufig Personen mit deutschem Nachnamen an; es sind Nachfahren von in den Kriegsjahren aus dem Gebiet Saratow an der Wolga Deportierten.

Auf Staatsebene wurde die Heranziehung von Deutschen zur Zwangsarbeit offiziell im Jahre 1942 festgesetzt. Die Masseneinberufung von Deutschen in die „Trudarmee“ stand mit einigen Anordnungen des Staatlichen Komitees für Verteidigung der UdSSR zusammen: vom 10. Januar 1942, N° 1123, streng geheim – Über die Art und Weise des Arbeitseinsatzes von deutschen Umsiedlern im Einberufungsalter zwischen 17 und 50 Jahren“, vom 14. Februar 1942, N° 1281, streng geheim – „Über die Mobilisierung deutscher Männer im Einberufungsalter zwischen 17 und 50 Jahren mit ständigen Wohnsitz in Regionen, Gebieten, autonomen und Unionsrepubliken“, vom 7. Oktober 1942, N° 2383 –„Über die zusätzliche Mobilisierung von Deutschen für die Volkswirtschaft der UdSSR“.

In die „Trudarmee“ wurden auch deutsche Frauen im Alter zwischen 16 und 45 Jahren einberufen. Von der Mobilisierung befreit waren lediglich schwangere Frauen und Frauen mit Kindern unter drei Jahren. Mit dieser Anordnung wurde das Einberufungsalter für deutsche Männer auf 15 – 55 Jahre ausgeweitet.[16]

Die mobilisierten Deutschen arbeiteten hauptsächlich auf Objekten des NKW, aber auch in der Kohleförderung, der Erdölindustrie, beim Bau von Eisenbahnlinien, an Objekten der Volkskommissariate zur Herstellung von Kriegsmunition, auf Bauobjekten und in der Leichtindustrie. Insgesamt wurde die Arbeitskraft mobilisierter Deutscher in Unternehmen von 24 Volkskommissariaten in verschiedenen Regionen der UdSSR eingesetzt. [17] Zur Durchführung der Aussiedelungsoperation der Deutschen aus dem Gebiet Saratow und der ASSR der Wolgadeutschen wurden 1450 Mitarbeiter des NKWD, 3000 Mitarbeiter der Miliz und 9650 Rotarmisten entsandt. Die Abfahrt der Züge mit den deutschen Sonderumsiedlern war auf den 3. September 1941 veranschlagt.

Für die Neuansiedlung wurden Bezirke in den Gebieten Nowosibirsk und Omsk, dem Altai-Gebiet, Kasachstan sowie andere Regionen zugewiesen.

In die Region Krasnojarsk sollten 21450 Familien geschickt werden. [18]

Viktor Iwanowitsch Kerber (Körber?) lebt in der Ortschaft Beresowka (Anhang 2). Er ist in unserem Bezirk ein bekannter und geachteter Mähdrescherfahrer, der für seine heldenmütige Arbeit mit zahlreichen Regierungsauszeichnungen geehrt wurde. Er berichtete, wie seine Familie aus dem Gebiet Saratow ausgesiedelt wurde. Er war damals 10 Jahre alt und hatte gerade erst die zweite Klasse an der deutschen Schule beendet. In der Familie gab es 11 Kinder, aber die Mutter brachte nur vier von ihnen lebendig nach Beresowka. Transportiert wurden wir in Güterwaggons. Sie verhielten sich uns gegenüber schrecklich. Als wir in dem Dorf Matwejewka, Bezirk Aban, eintrafen, brachten sie alle in einem einzigen Klubhaus unter, wo wir dann auch fünf Jahre lebten. Ich ging nur einen Monat zur Schule, aber ich verstand kein Russisch, und so ließ ich das Lernen sein. Mutter arbeitete als Schweinehirtin, ich half ihr in der Kolchose. 1955 wurden wir rehabilitiert. Mit der Rehabilitation hat sich am Leben nichts geändert, so wie es war, ist es auch geblieben“.

Jekaterina Nikolajewna Tschermoschenzewa wurde am 2. Oktober 1939 geboren. (Anhang 2). Im Gebiet Saratow wurde sie im Aleksandrowsker Kinderheim erzogen. Sie lebt ebenfalls in Beresowka, wohin „gute Menschen“ sie brachten und großzogen.

Anhand der Erinnerungen von Melchior Karlowitsch Schreider (Schröder?) (Anhang 2) kann man eine Vorstellung vom Weg seiner Familie, von der Wolga bis in den Bezirk Aban, bekommen: „Am 12. September wurden an der Bahnstation Krasnokut im Gebiet Saratow 3 Dörfer (Konstantinowka, Katharinenthal und die Sowchose N° 105 im Bezirk Krasnokut) verladen. Sie passierten die Städte Engels, Puschkino, Jerschow, Uralsk, Aktjubinsk, Oransk, Ksilwerda, Apil, Tschimkent, Dschambul, Alma-Ata, Semipalatinsk, Barnaul, Nowosibirsk, Norilsk, Atschinsk, Krasnojarsk. Am 18. September brachten sie uns nach Kansk. Dort trieben sie uns in die Weinfabrik und brachten uns im Kulturpark unter, wo wir bis zum 25. September blieben. Danach verteilte man uns auf verschiedene Dörfer“.

Alle deutschen Umsiedler wurden zahlenmäßig strikt berücksichtigt, und innerhalb kürzester Zeit wurde bereits die Registrierung der deutschen Bevölkerung durchgeführt. Die lokalen Bezirks- und Stadt-Exekutivkomitees wurden dazu verpflichtet, fristgerechte Informationen über die genaue Anzahl, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Sonderumsiedler-Familien, ihre massenpolitische Unterweisung und das mögliche Vorhandensein einer antisowjetischen Stimmung zu erteilen. Wie die Anordnung der Volkskommissare der UdSSR besagte, konnten die Sonderumsiedler alle Bürgerrechte nutzen, mit Ausnahme der festgelegten Einschränkungen, die ihnen im Grunde genommen genau diese Rechte entzogen. Sie durften sich nicht ohne die Erlaubnis der Sonderkommandantur über den Einzugsbereich der Kolchose, Sowchose oder Stadt hinaus begeben, waren dazu angehalten, alle drei Tage Veränderungen, besondere Ereignisse innerhalb der Familie mitzuteilen, strikte Disziplin und Ordnung in den Siedlungsorten zu wahren, denn bei einer Verletzung des Regimes unterlagen sie einer auf administrativem Wege angeordneten Bestrafung. Mit allen die Sonderumsiedler betreffenden Problemen befasste sich die Abteilung für Sonderumsiedler in den Sonderkommandanturen, kurz OSP genannt.

Die während des Krieges in den Abaner Bezirk deportierten Deutschen waren in zwei benachbarten Dörfern untergebracht: Matschino und Beresowka. Als frei kann man diese Ansiedlungen nicht bezeichnen. Als Beweis dafür möge der Tatbestand dienen, dass es im Dorf Beresowka zwei Grundschulen gab. Im Abaner Archiv gibt es Schuldatenblätter. Und als weiteren Beweis kann man den Umstand werten, dass die deportierten Deutschen nicht in ihrem erlernten Berufen tätig waren: mit höherer Schul- und Universitätsausbildung mußten sie auf der Farm Kühe melken. In einem Dorf gab es eine Kolchose und eine Sowchose, die „Abaner Zucht-Sowchose“ genannt wurde. In dieser Sowchose arbeiteten auch deportierte Deutsche. In den 1950er bis 1970er Jahren war dieses landwirtschaftliche Unternehmen für seine Arbeitsrekorde bekannt und berühmt. Auch heute noch erwirtschaften die Matschinsker Farmen die höchsten Milcherträge.

In Beresowka lebten die Deutschen getrennt von der übrigen Dorfbevölkerung und unter Kommandantur-Aufsicht. 1944 war Semjon Archipowitsch Odinzow Kommandant der deutschen Kolonie; er hatte in den Jahren 1943-1944 bei der Abaner Bezirksabteilung der NKWD-Verwaltung der Region Krasnojarsk seinen Dienst versehen. Offensichtlich war er kein bösartiger Mensch, wenn ihn die Alteingesessenen von Beresowka bis heute in guter Erinnerung haben. Die „Abaner Zucht-Sowchose“ kann man wohl als Ort für Sondersiedler ansehen, wenn die alten Dorfbewohner sagen, dass sie sich täglich in der Kommandantur melden und registrieren lassen mussten. Sie besaßen nicht das Recht, den Einzugsbereich der Sowchose ohne Erlaubnis des Kommandanten zu verlassen.

Aber einige Bewohner dieser Dörfer gerieten nach ihrer Zeit im Lager und in der „Trudarmee“ in unseren Bezirk. Im Dorf Matschino, Bezirk Aban, lebt Amalie Michailowna Arndt, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Sie erinnert sich, dass sie aus Saratow ins Lager geschickt wurde; dort arbeitete sie, zusammen mit inhaftierten Kriminellen, beim Bau. Und die Begleitsoldaten verhielten sich gegenüber den Ordnung liebenden Deutschen genauso, wie zu den Häftlingen.

Das Regime der Haltung der Trudarmisten in den „Arbeitskolonnen“ war fest definiert - mit Befehl N° 0083 des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten vom 12. Januar 1942 „Über die Organisierung von Trupps aus mobilisierten Deutschen in den Lagern des NKWD der UdSSR“. Laut diesem Befehl sollten die Trudarmisten in speziell für sie geschaffenen Lagerpunkten untergebracht werden, und zwar getrennt von gewöhnlichen Häftlingen. Tatsächlich wurde dies jedoch nicht immer eingehalten.

An der Spitze der Trupps standen Mitarbeiter des NKWD. Zu Brigadeleitern wurden häufig freie Arbeiter ernannt. Aber auch ein Deutscher aus den Reihen der Trudarmisten konnte für den Posten eines Brigadeführers bestimmt werden. Eine Bestätigung für diese Fakten fand ich in den Erinnerungen von Lydia Jakowlewna Gardt (Hardt?), die in einem solchen Lager geboren wurde. Sie ist die Mutter einer der Lehrerinnen an unserer Schule – Natalia Aleksandrowna Purin, und lebt heute im Dorf Matschino. Mit den Wortenihrer Mutter sowie aus der eigenen Erinnerung heraus erzählte Natalia Aleksandrowna, dass ihre Großmutter in der zweiten Hälfte ihrer Schwangerschaft aus dem Gebiet Saratow zur „Trudarmee“ in den Norden geschickt worden wäre. Lydia Genrichowna Hardt brachte ihre Tochter im Dezember zur Welt, und im September arbeitete sie bereits in der Fischfang-Genossenschaft. Im Lager lebten sie hinter Stacheldraht und unter der Bewachung von Soldaten. Brigadeleiterin war „eine von ihnen“ – Martha Stark. Offensichtlich war sie jedoch so infam und boshaft, dass, als sie starb (nach dem Krieg wurden alle Genossenschaftler in unseren Bezirk, ins Dorf Matschino, geschickt), die Großmutter in einem Gespräch mit der Nachbarin die Worte fallen ließ: „Gott sei Dank, sie ist krepiert!“ Natalia Aleksandrowna erinnerte sich an dieses Gespräch und diese unselige Martha, die allen Deutschen in Matschino so verhasst war.

In Denisowka existierte während des Krieges eine landwirtschaftliche Kolonie, welche alle Lager des KRASLAG mit Lebensmitteln versorgte. Nach Auflösung der Kolonie im Jahre 1953 wurde hier die erste Farm der Ustjansker Sowchose gegründet. Ein ganzer Straßenzug war von Deutschen aus dem Wolgagebiet besiedelt. Ein Teil von ihnen verbrachte die Haftzeit in dieser Kolonie, andere waren aus der Sonderansiedlung hierher umgezogen.

Die Schwierigkeit bei der Erforschung dieses Themas war, dass die Menschen ihr Leben lang ihre Vergangenheit geheim gehalten haben. Einer der Alteingesessenen von Denisowka war Konstantin Iwanowitsch Solotuchin, der erst im Alter von fast neunzig Jahren seiner Landsmännin N.W. Kaljakina einen auf den Namen Gottlieb Johannowitsch Wittenbek zeigte. Er hatte seiner Gespröchspartnerin den Eid abgenommen, dass sie zeitlebens keinem Menschen etwas über seine Vergangenheit erzählen würde. Wir sehr musste man wohl dem deportiertem Deutschen seine Schuld vor der Heimat eingeredet haben, dass dieser Mensch den nichtoffiziellen Familiennamen seiner Ehefrau annahm und seinen eigenen Nachnamen nicht an seine Kinder weitergeben konnte? Ich denke, das hängt mit der öffentlichen Meinung zusammen, die sich während der Kriegsjahre durch die Behörden herausbildete. Man benahm sich den Deutschen gegenüber so, als wären sie „Volksfeinde“. Er gab zu, dass er zu Beginn des Krieges aus Saratow in ein „Arbeitslager“ in Kasachstan verschleppt worden war,; später arbeitete in einem Schacht im Donbas. Erst 1949 ließen sie ihn frei und „siedelten“ ihn in den Abaner Bezirk „aus“, an den Wohnort seiner Landsleute aus dem Gebiet Saratow. Der Terminus „sek“ (Gefangener; Anm. d. Übers.) in seinem Bericht bestätigt, dass deutsche „Trudarmisten“ wie Kriminelle behandelt wurden, vielleicht auch noch schlimmer. In Kasachstan, beim Kupferbergwerk, lebten sie in einem „Arbeitslager“, dessen Territorium mit mehreren Reihen Stacheldraht umgeben war. An den Ecken standen Wachtürme mit Wachsoldaten, unten Wachmannschaften mit Hunden. Es wurde eine strenge militärische Ordnung eingeführt; die Leute wurden in strikter Formation zur Arbeit und wieder zurück gebracht. Während Gottlieb Johannowitsch von den Lebensbedingungen in der Trudarmee erzählte, musste er sich selber wundern, wie es möglich war, dass er überlebte.

Schlussfolgerungen zum Kapitel:

Die während des Krieges in den Abaner Bezirk deportierten Deutschen wurden in zwei Dörfern und in der 1953 aufgelösten Denisowsker Landwirtschaftskolonie untergebracht. Hier wurde die Denisowsker Farm N° 1 der Ustjansker Sowchose gegründet. Eine ganze Straße war nur von Deutschen aus dem Wolgagebiet bevölkert. Ein Teil von ihnen verbüßte die Haftstrafe in dieser Kolonie, andere kamen aus der Sonderansiedlung der „Trudarmee“-Lager. Man kann die „Abaner Zucht-Sowchose“ in Beresowka als Sondersiedlung bezeichnen; ihre Bewohner befanden sich unter der Kontrollen einer Kommandantur. Vor der Unterbringung im Abaner Bezirk verbüßten viele von ihnen eine „Arbeitsstrafe“ in speziell für mobilisierte Deutsche geschaffenen Lagerpunkten von NKWD-Lagern. Sogar im Abaner Bezirk wurde in den Revieren der Onatschunsker Waldwirtschaft etwas ähnliches geschaffen. Die „Trudarmee“ existierte auch noch einige Zeit nach dem Krieg.

Schlussbemerkung:

Die in der Wissenschaft skizzierte Richtung für das Studium der Geschichte der Schaffung und des Funktionierens der „Arbeitsarmee“ erfordert eine fortlaufende Ausweitung der Quellengrundlagen und ihrer Erforschung. Augenzeugen dieser historischen Erscheinung scheiden nach und nach aus dem Leben. Mir meiner Arbeit beabsichtigte ich das Sammeln und die Systematisierung von Quellen, in erster Linie Erinnerungen von ehemaligen „Trudarmisten“, deportierten Deutschen. Ich habe die Absicht, diese Arbeit fortzusetzen. Es ist mir nicht gelungen, die genauen Zeiträume der Existenz der „Trudarmee“ festzulegen. Ich denke, dass es diese Erscheinung, ebenso wie die Nutzung von Zwangsarbeit, auch noch einige Zeit nach dem Krieg gab.

Die Erforschung des Themas „Trudarmee“ durch die Geschichtsforscher ermöglicht es, genauere Angaben zur Definition der „Arbeitsarmee“ zu machen. Für mich persönlich habe ich den Begriff im „engeren Sinne“ als Zwangsmobilisierung der Zivilbevölkerung zum alternativen Dienst definiert. Im „weiten“ Sinne waren es verschiedene Formen des Zwangseinsatzes der deportierten und mobilisierten Zivilbevölkerung in Baubataillone, Arbeitskolonnen, Sonderansiedlungen oder Lager.

Ich bin der Meinung, dass die „Arbeitsarmee“ in den Jahren des Krieges zum allgemeinen Sieg beigetragen hat. Im Laufe meiner Arbeit habe ich Dokumente gelesen, in denen die schrecklichen Lebensbedingungen der Mobilisierten beschrieben werden; diese Bedingungen waren nicht leichter, als die Situation an der Front. An der Front wurden die Menschen wenigstens normal verpflegt, während die alteingesessenen, ehemaligen „Trudarmisten“ sich an quälenden Hunger erinnern. Viele sahen die Verschickung an die Front als großes Glück an; so bestand wenigstens die Möglichkeit, dem Hungertod zu entrinnen.

Ich bin der Ansicht, dass eine Erscheinung wie die Zwangsmobilisierung, besonders von Mädchen, in die Trudarmee ungerecht und unmenschlich war. Hunger, Krankheiten, körperliche Arbeit, die für den weiblichen Körper unzumutbar war, untergruben die Gesundheit und verdarben den Schicksalsweg. Ich denke, dass die Forscher an dem Thema „Trudarmee“ noch ihren Stellenwert im System der Arbeitsverhältnisse zur Zeit des Großen Vaterländischen Krieges werden klären müssen.

Bibliographie

1. Abaner Stadtarchiv, Fond N° P. -1, Verz. N° 1, Akten 19, 20, 21, 23.
2. Die Region Krasnojarsk in der Geschichte des Vaterlandes (3. Buch, 1941-1953), Lesebuch für Schüler, Krasnojarsk, 2000.
3. Krasnojarsk – Berlin 1941 – 1954, Krasnojarsk, 2009
4. W.G. Tschernyschowa, Materialien der wissenschaftlich-praktischen Konferenz „Verbannung im Süden des Jenisejsker Gouvernements“, 1997.
5. W.Fuchs, Die verhängnisvollen Wege der Wolgadeutschen 1763 – 1993, Krasnojarsk, 1993.
6. Erinnerungen von Jelena Demidowna Gawrilenko (geb. 1928), aufgezeichnet 2006 von ihrer Enkelin Natalja Gawrilenko.
7. Erinnerungen von Vera Minejewna Iwanowa (geb. 1925), aufgezeichnet von ihrem Enkel Sergej Iwanow im Jahre 1990.
8. Erinnerungen von Maria Dmitrijewna Kaljakina (geb. 1926), aufgezeichnet 1983 von Nadeschda Wasiljewna Kaljakina.
9. Erinnerungen von Nadeschda Wasiljewna Kaljakina (geb. 1952).
10. Erinnerungen von Viktor Iwanowitsch Kerber (Körber?), geb. 1931, Dorf Beresowka.
11. Erinnerungen von Galina Nikolajewna Posoch (Koslowa), geb. 1928, aufgezeichnet am 23. Dezember 2010 von W.S. Belskaja
12. Erinnerungen von Natalia Aleksandrowna Purin (geb. 1962) über ihre Großmutter Lydia Genrichowna Gardt (Hardt?), die im Dorf Matschino lebte.
13. Erinnerungen von Afanasia Chmelewa, aufgezeichnet 2001 von ihrer Enkelin Tatjana Kowalewskaja.
14. Erinnerungen von Jekaterina Nikolajewna Tschermoschenzewa, geb. 1939, wohnhaft im Dorf Beresowka
15. Erinnerungen von Melchior Karlowitsch Schreider (Schröder?), geb. 1922, wohnhaft im Dorf Beresowka.

Anhang 1


Fabrik- und Werksschule Atschinskoje. M-D- Kaljakina – zweite Reihe, links. 1942.


Maria Dmitrijewna Kaljakina, geb. 1926

Anhang 2

Einwohner des Dorfes Beresowka im Abaner Bezirk, die 1941 aus dem Gebiet Saratow, ASSR NP (autonome sowjetische, sozialistische Republik der Wolgadeutschen), deportiert wurden


Jekaterina Nikolajewna Tschermoschenzewa, geb. am 2. Oktober 1939.
Kinderheim-Zögling.


Viktor Iwanowitsch Kerber (Körber?), geb. am 18. Dezember 1931


Melchior Karlowitsch Schreider (Schröder?),
geb. am 7. September 1922

[1] www.trudovayaarmiya.ru
[2] W.G. Tschernyschowa, Materialien zur wissenschaftlich-praktischen Konferenz „ Verbannung im Süden des Jenisejsker Gouvernements“ (zum 175. Jahrestag der Gründung des Jenisejsker Gouvernements), 1997.
[3] Krasnojarsk – Berlin, Krasnojarsk 2010, S. 212-223
[4] www.trudovayaarmiya.ru
[5] www.historydeutchwar.ru
[6] Krasnojarsk – Berlin 1941 – 1954, Krasnojarsk, 2009, S. 73
[7] Abaner Stadtarchiv, Fond N° P. – 1, Verz. N° 1, Akte 19, Blatt 108
[8] Abaner Stadtarchiv, Fond N° P. – 1, Verz. N° 1, Akte 19, Blatt 102
[9] Abaner Stadtarchiv, Fond N° P. – 1, Verz. N° 1, Akte 23, Blatt 93
[10] Abaner Stadtarchiv, Fond N° P. – 1, Verz. N° 1, Akte 19, Blatt 198
[11] Abaner Stadtarchiv, Fond N° P. – 1, Verz. N° 1, Akte 20, Blatt 302
[12] Die Region Krasnojarsk in der Geschichte des Vaterlandes (3. Buch, 1941-1945), Lesebuch für Schüler, Krasnojarsk 2000, S. 63
[13] Abaner Stadtarchiv, Fond N° P. – 1, Verz. N° 1, Akte 19, Blatt 154
[14] Krasnojarsk – Berlin 1941 – 1954, Krasnojarsk, 2009, S. 63
[15] Krasnojarsk – Berlin 1941 – 1954, Krasnojarsk, 2009, S. 67
[16] Krasnojarsk – Berlin 1941 – 1954, Krasnojarsk, 2009, S. 73, 215
[17] Krasnojarsk – Berlin 1941 – 1954, Krasnojarsk, 2009, S. 63
[18] W. Fuchs, Die unheilvollen Wege der Wolgadeutschen 1763-1993, Krasnojarsk, 1993, S. 84


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