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Deportation und Rehabilitation der enteigneten Großbauern von Pensa

15. jährlicher Allrussischer Wettbewerb
historischer Forschungsarbeiten von Schülern der höheren Klassenstufen
„Der Mensch in der Geschichte. Russland – 20. Jahrhundert“

(Fragment der Arbeit, das mit der Geschichte der Region Krasnojarsk in Verbindung steht)

Autoren:
Irina Nowikowa
Marina Nowikowa
Schülerinnen der 9. Klasse
Städtische allgemeinbildende Einrichtung
Allgemeinbildende Oberschule N° 30, Stadt Pensa

Leitung:
Tatjana Jakowlewna Alfertjewa
Vorstandsvorsitzende der
Regionalen Zweigstelle der russischen öffentlichen Organisation " Memorial“

2013

Inhalt

1. Einleitung
2. Haltung der Behörden gegenüber der Bauernschaft – Gründe für die Deportation
3. Der Deportationsprozess ist vorüber
4. Das Leben in der Sonderansiedlung
4.1. Nischnij Tagil
4.2. Die Siedlung Polewoj, Bezirk Biriljussy, Region Krasnojarsk
4.2.1. Die Sonderansiedler Subanow
4.2.2. Die Sonderansiedler Soustin
5. Rehabilitation
5.1. Es sprechen Dokumente und Zahlen

„Am Beginn einer jeden Philosophie liegt die Verwunderung,
ihre Weiterentwicklung ist die Forschung,
ihr Ende – die Unwissenheit“.
Michel de Montaigne

<…>

4.2. Die Siedlung Polewoj, Bezirk Biriljussy, Region Krasnojarsk

Mit der Krasnojarsk sind die Schicksale zahlreicher Pensensker Sonderumsiedler aus dem Gebiet Pensa verknüpft. Auf der Internet-Seite der Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft fanden wir in der Rubrik „Verbannung“ folgende Information: „Der letzte Verbannten-Strom floss im Frühjahr des Jahres 1933. Im April wurden ein ganzer Zug mit Menschen aus Pensa fortgeschickt. In Atschinsk wurde er entladen. Man brachte die Verbannten mit Lastkähnen den Tschulym flussabwärts und setzten sie am Ufer, im Norden des Bezirks Biriljussy, in der Siedlung Sopka, aus. Ein anderer Verbannten-Zug wurde im Mai 1933 aus den östlichen Bezirken Mordwiniens abgeschickt. Dieser Zig wurde in Tomsk entladen. Die Verbannten wurden mit Lastkähnen den Ob flussabwärts und anschließend den Ob flussaufwärts gebracht. An einem abgebrannten Waldstück in der Nähe des Flusses Tschindat, ließ man sie aussteigen. Die Stelle befand sich unweit des Tschulym, im Biriljussker, heute Tjuchtjetsker Bezirk). So entstand auf dieser ehemaligen Waldfläche die Siedlung Passetschnoje (unterhalb von Sopka).

Schauen wir uns die Karte an.
Die Sondersiedler aus Pensa ließ man an der Station Atschinsk aus dem Zug steigen und brachte sie dann weiter auf dem Fluss Tschulym in den Norden.

Die Sondersiedler aus Mordwinien verließen den Zug in Tomsk; man brachte sie dann zunächst den Ob flussabwärts (weiter nördlich von Tomsk), später den Tschulym flussaufwärts (wieder Richtung Süden, dann – in den Osten, bis zum Fluss Tschindat).

Der Zeiger auf der Karte markiert die Siedlung Polewoj

Alle drei genannten Siedlungen befinden sich nördlich von Atschinsk, in den Bezirken Tjuchtjet und Biriljussy: Passetschnoje – westlich, ein wenig unterhalb des Flusses Tschindat, die Siedlung Sopka – am Fluss Tschulym, ein wenig weiter östlich der Kartenmitte, und die Siedlung Polewoj – östlich des Flusses Tschulym.

Gottverlassene, in Flussniederungen gelegene Orte, Taiga, Sumpf, keine Menschenseele und keine Wege und Straßen – mit welcher Beharrlichkeit nur schickten die Behörden die Bauern in die ungeeignetsten Gegenden, und das sowohl zum Leben, als auch für ihre Tätigkeiten als Bauern – an Orte, an denen es praktisch keine Menschen gab, die mit den Umsiedlern mitfühlen und sie unterstützen konnten, dorthin, wo die Sonderumsiedler, selbst wenn sie es sich noch so sehr gewünscht hätten, sich niemals eine „gesicherte Existenz schaffen“ konnten.
Darüber, was die Sonderumsiedler in jenen Gegenden am eigenen Leib erfahren mussten, erzählten uns deren Kinder, die in die Siedlung Polewoj verschleppt wurden und dort geboren sind.

4.2.1. Die Sonderumsiedler Subanow

Maria Fjodorowna Subanowna wurde 1936 in der Siedlung Polewoj, Bezirk Biriljussy, Region Krasnojarsk geboren. Wie ihre Eltern enteignet und deportiert wurden, weiß sie aus ihren Erzählungen. Als sie damit begonnen, Kolchosen zu gründen, verweigerte ihr Vater Fjodor Mironowitsch Subanow, seinen Beitritt und wollte auch seinen Besitz nicht abgeben. Etwas später, nachdem er noch einmal darüber nachgedacht hatte, beschloss er, sein Pferd zur Kolchose zu bringen, doch das Tier erkrankte dort und starb. Man beschuldigte den Vater, dass er das gesunde Pferd absichtlich zugrunde gerichtet hätte.

Sie kamen in der Nacht, um die Familie Subanow zu holen, die von dieser Maßnahme eiskalt überrascht wurde. Man gab ihnen noch nicht einmal die Möglichkeit, die allernötigsten Habseligkeiten mitzunehmen – so halbnackt wie sie waren, brachen sie auch von Zuhause auf. Wohin, weswegen – das sagte man ihnen nicht. Als sie sich der Eisenbahnstation näherten, vernahmen sie Weinen und Jammern. Es kam von Menschen wie sie, unglücklichen und verängstigten Menschen.

Die Familie Subanow, in der es neben dem Vater, Wassilij Fjodorowitsch Subanow (geb. 1901), und der Mutter, Anastasija Aleksejewna Subanowa (geb. 1903), noch vier Kinder gab, wurde in einen Güterwaggon verfrachtet. Im Waggon befanden sich vierzig Personen, es war eng und stickig – und es stank! Unterwegs hungerten die Umsiedler, denn sie hatten nichts zu essen mitgenommen. Das älteste Töchterchen wurde vor aller Augen immer schwächer. Das jüngere, vierjährige Schwesterchen streichelte ihr unentwegt über den Kopf und sprach vor sich hin: „Mami, wir werden wohl alle sterben“. Die vor Kummer völlig verzweifelte Mutter wusste nicht, was sie antworten sollte, und schickte das kleine Töchterchen an einen etwas weiter entfernten Platz von der Schwester – in eine andere Ecke des Waggons, und befahl ihr sich dort schlafen zu legen. Bald darauf starb die ältere Tochter. Anastasija konnte ihren Kummer nicht verbergen, sie schluchzte laut auf und bemerkte beim Weinen nicht, dass ihr geliebtes kleines Mädchen ganz steif dalag und überhaupt keine Fragen mehr stellte.

So verlor die Familie Subanow auf dieser Fahrt zwei ihrer Kinder. Die Mutter konnte dem Staat diese beiden Todesfälle bis ans Ende ihrer Tage nicht vergessen und verzeihen. Sie konnte überhaupt nicht begreifen, was ihrer Familie da schreckliches widerfahren war, weshalb sie solche Qualen und Verluste erleiden musste. Sie verurteilte die Politik der Sowjetmacht bis zu ihrem Tode.

Wie sich später herausstellte, traf die Familie zunächst in der Region Krasnojarsk, in der Siedlung Polewoj, ein. Die Eltern erzählten, dass man aus den Waggons hauptsächlich Leichen heraustrug und dann die Überlebenden aussteigen ließ – so, wie man sie von Zuhause abgeholt hatte. Alle waren nicht der Saison entsprechend gekleidet, sie trugen leichte Bekleidung, viele waren barfuß, und im Mai ist es schließlich noch nicht heiß.

So gerieten die hungrigen, hilflosen Menschen an die entlegene, fremde Bahnstation, ohne ein Dach über dem Kopf, ohne Geräte und Werkzeuge für die Errichtungen von Behausungen – eine ausweglose Situation.

Vorübergehend brachte man sie in großen Baracken unter. Bettwäsche war nicht vorhanden. Man verteilte ungenießbare Wassersuppe. Wenn jemand erkrankte, nicht in der Lage war aufzustehen oder die Äußerung machte, dass das Essen schlecht war, richteten sie auf die Umsiedler das Gewehr und schrien sie an, dass ihr Kulaken-Leben nichts wert wäre. Sogar heute noch erinnert sich Maria Fjodorowna daran, was für eine Verzweiflung in der Stimme ihrer Mutter erklangt, als sie über die ersten Lebensmonate in der Zwangsansiedlung berichtete.

Fjodor Mironowitsch, Maria Fjodorownas Vater, war ein völliger Analphabet, aber ein fleißiger Arbeiter. Das erlaubte es ihm, die alle menschlichen Kräfte übersteigende Schwerstarbeit in der Holzfällerei durchzustehen: er rodete Bäume, zersägte sie. Anstelle von Geld bekam er ein Stückchen Brot.

Mit der Zeit erhielt Fjodor Mironowitsch Subanow die Erlaubnis an Bauarbeiten teilzunehmen, und die Familie wurde in ein Mehrfamilienhaus umgesiedelt. Sie selber waren allerdings nicht die Hausherrn. Dort wurde 1936 Maria Fjodorowna Subanowa geboren, und von dort holten sie auch ihren Vater zu Beginn des Krieges an die Front. 1941 starb in der Schlacht bei Moskau.

4.2.2. Die Sonderumsiedler Soustin

Walentina Michailowna Agejewa (Mädchenname Soustina) kennt die Geschichte der Aussiedlung ihrer Familie sowie der ersten Lebensjahre in Sondersiedlung ebenfalls aus Berichten der älteren Familienmitglieder. Auch sie wurde in der Siedlung Polewoj, Region Krasnojarsk, geboren, allerdings etwas später – 1942.

Dieriesige Familie Soustin (Walentina MJichailownas Mädchenname) wurde zweimal ausgesiedelt. Das erste Mal – aus dem heimatlichen Haus in der Siedlung Moschkan, Gebiet Pensa, Nord-Ost-Region. Damals wurden die Soustins in den Ural ausgesiedelt: Großvater Jegor Iwanowitsch Soustin, Großmutter Aleksandra Nikolajewna Soustin, Vater Michail Jegorowitsch, Mutter Serafima Wassiljewna und Michails einjährige Tochter Walentina. Erhalten geblieben ist die Waggonliste, in die die Familie Soustin eingetragen war.

WAGGON-LISTE
der nach der zweiten Kategorie aus den Kamensker und Mokschansker Bezirken auszusiedelnden Kulaken (Großbauern; Anm. d. Übers.), die an der Bahnstation Belinskaja der M.K. Bahnlinie am 23/Ø-31 verladen wurden.

¹¹ Nachname, Vorname, Vatersname Alter des Familien-oberhaupts Alter der Familienmitglieder
      Männer Frauen
24 Soustin, Jegor Iwanowitsch 45  
25 Soustina, Aleksandra Nikolajewna     45
26 Soustin, Michail Jegorowitsch   24
27 Soustina, Serafima     20
28 Soustina, Walentina Michailowna     1

In der ersten Verbannung – im Ural – blieben die Soustins 7 Monate. Sie lebten in Baracken für jeweils 40 Personen. In der Mitte des Zimmers stand ein Ofen, auf dem sie ihre Kleidung trockneten. Das war mit Unannehmlichkeiten verbunden: bei manchen versengten die Kleidungsstücke oder verbrannten sogar, bei anderen blieben sie feucht.

Geschlafen wurde auf Pritschen, die tägliche Essensnorm pro Person bestand aus 200 Gramm Mehl und Wasser, welche sie vermengten – und das ergab dann Wassersuppe. Sie erzählten ihr, dass, so sehr sie auch essen wollten, das Mehl immer unbedingt mit dem Wasser vermischt werden musste, denn von dem trockenen Mehl bekamen die Leute Erstickungsanfälle und starben sogar daran.

In der Umgebung gab es Wald, Sumpf und Morast; deswegen gingen sie über zwei zusammengebundene Baumstämme zur Arbeit. Das gestaltete sich äußerst schwierig, denn alle Sondersiedler waren sehr geschwächt. Viele Menschen starben – vor Hunger, Kälte oder Nässe.

Die Verstorbenen wurden in mit Wasser gefüllten Gruben bestattet – 10-15 Särge pro Tag.

Nachdem der Säugling gestorben war – die einjährige Tochter und Enkelin Waletschka – beschloss die Familie einen Fluchtversuch zu unternehmen, während Großvater Iwanowitsch für alle Fälle zurückblieb, um den Platz in der Baracke zu bewachen. Die Flüchtlinge wurden aufgegriffen. Als sie in die Baracke zurückkehrten, erfahren sie, dass Großvater Jegor inzwischen in ihrer Abwesenheit verstorben war. Er war 45 Jahre alt geworden. Hinterlassen hatte er seine Jacke. Großmama erzählte Walentina Michailowna, wie diese Jacke an der Wand hing und sich wegen die Unmenge Läuse darin bewegte, als ob sie am Leben wäre.

Nach dem weiteren Verlust begriffen Aleksandra Nikolajewna Soustina, ihr Sohn Michail und Schwiegertochter Serafima, dass sie hier nichts als der Tod erwartete, dass sie so nicht leben konnten; und so fassten sie den Entschluss, ein weiteres Mal zu fliehen. Diesmal liefen sie durch die Taiga, immer entlang der Bahnschienen. Zu essen hatten sie nichts; sie ernährten sich von Kräutern, Almosen und Zwieback, welche Serafimas Eltern ihnen geschickt hatten. Einmal schliefen sie vor lauter Kraftlosigkeit unterwegs ein, und währenddessen stahl irgendjemand ihren Zwieback. Es blieben ihnen nichts weiter übrig, als Gras und Kräuter zu essen. Und trotzdem gelangte die Familie bis nach Pensa.

Nach Mokschan kehrten sie nicht zurück; sie hausten in verschiedenen Wohnungen. Aber dann erkannte ein Bekannte sie und denunzierte sie. Man verhaftete sie in einer Wohnung in der Lunatscharskij-Straße N° 75, wo sie gerade das nächste Quartier bezogen hatten. Nun wurde auf Beschluss einer Troika Michael Jegorowitsch Soustin als Oberhaupt der Familie ausgesiedelt. Sie verschleppten den Vater – als Sohn eines Kulaken. Wieder wurde die gesamte Familie auf einen Zug verladen, der am 4. Mai 1933 abfuhr – diesmal schickte man sie in die Arbeitssiedlung Polewoj, Podkamensker Dorfrat, Bezirk Biriljussy, Region Krasnojarsk.

Und wieder kamen sie an einen Ort, an den Ausgesiedelte Bauern verschleppt wurden, an dem es keine Unterkünfte gab. Wieder hoben sie Gruben für Erd-Hütte aus, versuchten sich irgendwie einzurichten. In der ersten Zeit hatten sie es sehr schwer, aber später organisierte sie eine Kolchose, fingen an Haus-Vieh zu züchten und zur Jagd zu gehen. In der Siedlung wurde ein Kindergarten eröffnet, in dem die Mutter Serafima Wassiljewna Soustina anfing zu arbeiten. Hier hatte sie ihre Kinder bei sich, die in der Siedlung Polewoje geboren waren: Tochter Tamara (geb. 1934) und Sohn Viktor (geb. 1939).

Das Leben wurde in wenig besser, doch dann brach der Krieg aus. Im ersten Jahr wurde der Vater nicht einberufen, weil er ein Volksfeind war. 1942 wurde Walentina Michailowna geboren. Sie gaben ihr diesen Namen zu Ehren der Tochter, die während der ersten Verbannung gestorben war. Bald darauf holten sie den Vater an die Front, die Mutter blieb mit den drei kleinen Kindern zurück, wobei eines von ihnen gerade erst geboren war.

An der Front wurde Michail Jegorowitsch Soustin verwundet. Als Ehefrau Serafima davon erfuhr, erwirkte sie die Genehmigung zu ihm fahren zu dürfen. Sie erzählte Walentina Michailowna, wie sie ihn mit Pferden, auf einem Federbett liegend, durch die Taiga gefahren hätte. Zuhause verstarb der Vater.

Nach der Rückkehr aus der Sonderansiedlung entdeckte man bei Serafima Wassiljewna Soustina einen Herzfehler. Walentina Michailowna wundert sich bis heute, wie ihre Mutter alles hatte ertragen können, was auf ihr Los entfallen war, und wie sie dabei noch so viele Kinder großgezogen hatte.

5. Rehabilitation

Die Jahrzehnte vergingen. Es kam die Perestroika. 1991 zerfiel die Sowjetunion – ein neues Land entstand – die Russische Föderation, und ihre Mächte verabschiedeten das Gesetz über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen. Seitdem sind 22 Jahre vergangen, und es sollte wohl so sein, dass mittlerweile alle unschuldigen Opfer der Verfolgungen rehabilitiert sind.

Vor uns liegt eine Liste der Rehabilitierten des Gebietes Pensa. Eine riesige Liste – sie umfasst 10759 Namen. Wir möchten darin bekannte Personen finden, die unter so großen Qualen von der einstigen Ungerechtigkeit und Grausamkeit der Behörden berichteten.

Wir suchen die Familie Buluchow – es gibt sie nicht: weder den Vater, noch die Mutter, auch nicht Schwester Tamara und Sofia Fjodorowna Buluchowa selber.

Wir suchen die Subanows. Es gibt sie.
Subanow, Wassilj Fjodorowitsch, geb. 1926, Ortschaft N. Slawkino, Maloserdobinsker Bezirk;
Subanow, Fjodor Mironowitsch, geb. 1901, Ortschaft N. Slawkino, Maloserdobinsker Bezirk;
Subanowa, Anastasija Aleksejewna, geb. 1903, Ortschaft N. Slawkino, Maloserdobinsker Bezirk;
Subanowa, Maria Fjodorowna, geb. 1936, Region Krasnojarsk

Bei allen steht als Art der Verfolgung – Klassenzugehörigkeit – Verbannung und Enteignung. Hier hat sich ein Fehler eingeschlichen, denn Maria Fjodorowna wurde nicht verschleppt, sondern erst in der Sonderansiedlung geboren. Doch unter den rehabilitierten Familienmitgliedern befinden sich nicht die beiden Mädchen, die im auf dem Weg in die Sonderansiedlung im Waggon verstarben. Wir befragten dazu Maria Fjodorowna, doch sie sagte, dass sie im Antrag auf Rehabilitation nur die noch lebenden Familienangehörigen erwähnt hätte.

Als wir beim Archiv der Behörde für Inneres anriefen, sagte man uns, dass die Rehabilitierung auf Antrag erfolge. Liegt kein Antrag vor, dann erfolgt auch keine Rehabilitation.

Eine derartige Situation verwunderte uns, denn, wenn Menschen der Verfolgung ausgesetzt waren und diese als ungesetzlich und unbegründet anerkannt ist, dann sind sie zu rehabilitieren und Listen mit den Namen dieser unverdient mit Schande bedeckten und mit großem Leid überhäuften Menschen zu veröffentlichen. Umso mehr, wenn Menschen während des Prozesses der Anwendung von Repressionsmaßnahmen ums Leben gekommen sind. Man muss sie rehabilitieren, in die Liste mit den Namen der Opfer aufnehmen und ihren Angehörigen eine Kompensation zahlen.

Wir sehen in der Liste die Familie Soustin.

In der Rehabilitationsliste gibt es die Soustins, die uns schon aus der Waggonliste und den Erzählungen von Walentina Michailowna bekannt ist, und zwar diejenigen, die im Verlauf der ersten Repressionsmaßnahme am Leben blieben und dann erneut verfolgt wurden:

Vater – Soustin, Michail Georgiewitsch, Ortschaft Mokschan, Gebiet Pensa;
Mutter – Soustina, Serafima Wassiljewna, geb. 1911, Ortschaft Mokschan, Gebiet Pensa;
Und drei Kinder, geboren in der Sonderansiedlung:
Soustina, Tamara Michailowna, geb. 1934, Siedlung Polewoj, Region Krasnojarsk;
Soustin, Viktor Michailowitsch, geb. 1939, Siedlung Polewoj, Region Krasnojarsk;
Soustina, Walentina Michailowna, geb. 1942, Siedlung Polewoj, Region Krasnojarsk.

In dieser Familie sind Michail Soustins Eltern – Jegor Iwanowitsch und Aleksandra Nikolajewna -, die im März 1931 in den Ural verschleppt wurden, nicht rehabilitiert worden; auch das winzige einjährige Töchterchen, Walentina Michailowna Soustina, erhielt die Rehabilitation nicht.

Aber Michail Jegorowitsch/Georgiewitsch Soustin, der zwei Ausweisungen zur Sonderansiedlung durchmachte, der es verstand zu überleben, Ehefrau und Mutter zu überleben, der in den Krasnojarsker Sümpfen drei Kinder unter den schwierigen Bedingungen der Sondersiedlung zeugte, der im Großen Vaterländischen Krieg kämpfte und sein Leben für die Heimat hergab – er wurde rehabilitiert. Und es geschah deswegen, weil sein Name im Rehabilitationsantrag ausdrücklich genannt war.

Es gibt noch drei weitere Soustins – mit anderem Vatersnamen: Dmitrij tauchte in der Liste „unserer“ Soustins nicht auf. Es handelt sich um drei ganz kleine Kinder, geboren 1927, 1929 und 1930: Grigorij Dmitrijewitsch Soustin, Anastasia Dmitrijewna Soustina und Wladimir Dmitrijewitsch Soustin aus der Siedlung Mokschan, Gebiet Pensa. Erwachsene aus dieser Familie gibt es in dieser Auflistung nicht – wir vermuten,. Dass sie nicht rehabilitiert wurden. In den Waggonlisten haben wir eine solche Familie bislang nicht gefunden.

Wie kann es angehen, dass bei der Rehabilitierung derer, die als ganz kleine Kinder verfolgt wurden, ihre Eltern keine Berücksichtigung finden?

 


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