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Verfolgte Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur im Bezirk Schuschenskoje. Das Schicksal des Iwan Nikititsch Krasnow – einem repressierten Poeten aus der Ortschaft Schuschenskoje

Kultureinrichtung „Bibliotheken-System Schuschenskoje“

Filiale N° 1 „Kontakt“

Aktion:
„Verfolgte Persönlichkeiten aus den Bereichen Kultur und Kunst in der Geschichte und Kultur der Region Krasnojarsk“

Ausführung:
Irina Viktorowna Scherzowa

Regionale staatlich geförderte Bildungseinrichtung für mittlere berufliche Ausbildung
(mittlere spezialisierte Lehreinrichtung) „Landwirtschaftliches College Schuschenskoje“
Gruppe Typ – 31

Leitung:
Anna Rafailewna Kurmakajewa
Kultureinrichtung „Bibliotheken-System Schuschenskoje“
Bibliothekarin
Filiale N° 1 „Kontakt“

2012

Inhaltsverzeichnis

1. Aus der Geschichte des Norillag
2. Verbannungssiedler der 1940er und 1950er Jahre im Schuschenskojer Bezirk, Region Krasnojarsk
3. Das Schicksal des Iwan Nikititsch Krasnow – repressierter Poet aus der Ortschaft Schuschenskoje
Anhang
Bibliographische Liste

1. Aus der Geschichte des Norillag

Wie die 1940er Jahre des 20. Jahrhunderts unserem Volk als die schlimmsten aller Kriegszeiten in Erinnerung geblieben sind, so blieben die 1920er und 1930er Jahre aufgrund der Massen-Verfolgungen als tiefe Wunde in den Seelen vieler Millionen Menschen zurück. Nach der Revolution von 1917 teilten sich die Menschen in unserer Heimat in jene auf, die für die neue Staatsmacht und andere, die gegen sie eingenommen waren. Mit den Gegnern der Sowjetmacht verfuhr man ohne Ermittlungsverfahren und Gerichtsverhandlung. Aber selbst die aktivsten Kommunisten konnten sich nicht in völliger Sicherheit wiegen – eine einzige anonyme Denunziation genügte, um einen Menschen für immer verschwinden zu lassen.

Die Repressionsmaschinerie wurde 1927, nach dem 15. Parteitag, in Gang gesetzt. Das alles erinnert ungemein an die mittelalterliche „Hexen-Verfolgung“, wenn Menschen wegen der undenkbarsten Anschuldigungen in Konzentrationslager geschickt werden. Während der Verhöre sagten Kinder sich von ihren Eltern los, nur um zu überleben, und manch einer denunzierte seine Nachbarn und eigenen Freunde. Diejenigen, die aufrichtig an die Sowjetmacht glaubten, waren überzeugt, dass man niemanden einfach so verhaften würde, und wenn jemand wirklich unschuldig war, dann würde man es herausfinden und ihn wieder frei lassen. Aber die Menschen kehrten nicht zurück… Die Einen wurden erschossen, andere starben vor Kälte, Hunger oder der alle Kräfte übersteigenden Schwerstarbeit. Und die Leute, denen es gelang durchzukommen, lebten noch lange Zeit mit dem Stempel eines Vaterlandsverräters.

In der Region Krasnojarsk setzten die politischen Verfolgungen im Jahre 1917 mit Verhaftungen von Mitgliedern der Semstwo-Selbstverwaltung ein, daran anschließend begann man mit Repressionen gegen die orthodoxe Kirche. Wie in ganz Russland wurden auch hier Gottestempel entweiht und zerstört, Geistliche und ihre Familienmitglieder erschossen.

Einer der größten Orte, an denen Verfolgte ihre Verbannungszeit verbrachten, ist das Norillag:

Das Norilsker Besserungs-/Arbeitslager (ITL, Norillag) des NKWD der UdSSR, eines der Lager des GULAG-Systems, war vom 25. Juli 1935 bis zum 22. August 1956 in Betrieb. Es begann mit der Siedlung Norilsk im Norden der Region Krasnojarsk. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre erstreckte sich die Aktivität des Norilsker ITL über eine Länge von 3500 km – von der Stadt Minusinsk im Süden bis zur Kara-See im Norden. Auf diesem Territorium waren dutzende Lager-Unterabteilungen eingerichtet worden. Nach dem Stand vom April 1948 vereinte das Norillag 10 Lagerabteilungen mit Außenlagern (8 in Norilsk, 1 in Krasnojarsk, 1 in Dudinka) sowie 18 Nebenlager (13 in Norilsk, je 1 in Krasnojarsk, Igarka, der Siedlung Kajerkan, den Ortschaften Schuschenskoje und Atamanowo), welche das Norillag mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen versorgten.

Die Gefangenen arbeiteten auf dem Bau und bei der Erschließung des Norilsker Kombinats, beim Bau der Stadt Norilsk, dem Be- und Entladen von Schiffen, dem Bau und der Wartung der Eisenbahnlinien Walek – Norilsk und Dudinka – Norilsk, dem Bau des Flugplatzes „Nadeschda“ („Hoffnung“; Anm. d. Übers.), Autostraßen, dem Krasnojarsker Metallhüttenwerk, den Häfen von Dudinka und Krasnojarsk, dem Bau von Objekten des sozialistischen Kulturalltags (dazu zählte beispielsweise die Restaurierung des Häuschens, in dem I.W. Stalin in der Ortschaft Kurejka während seiner Verbannungszeit lebte); sie verrichteten ferner landwirtschaftliche Arbeiten, u.a. in den Ortschaften Kurejka und Schuschenskoje.

In den 1950er Jahren wurden in den südlichen Bezirken der Region Krasnojarsk eine Reihe von Nebenlagern organisiert, die im sogenannten Krasnojarsker Hafen des Norillag zusammengefasst waren. Es handelte sich dabei um die 8. Lager-Abteilung (Krasnojarsk), die 25. (Sowchose „Taiga“, 100 km von Krasnojarsk entfernt), Schuschenskoje (2 Nebenlager), Maklakowskoje (600 km nördlich von Krasnojarsk), den Podtjessowsker Sonder-Lagerpunkt (650 km nördlich von Krasnojarsk).

Mitte 1955 gab es im Norillag 14 Lager-Abteilungen, die 29 Lagerpunkte unter sich vereinten.

2. Verbannungssiedler der 1940er und 1950er Jahre im Schuschenskojer Bezirk, Region Krasnojarsk

Eine der Seiten in der Geschichte des Schuschenskojer Bezirks ist die Verbannung politisch Verfolgter während der Stalin-Epoche. Die Erste, die sie zu erforschen begann, war die Heimatkundlerin N.L. Petrik, die sich intensiv mit der Geschichte der W.I. Lenin-Sowchose sowie der N.K. Krupskaja-Sowchose befasste. Sie fing an Material zu sammeln, erstellte eine Liste mit den Namen der Siedler, die nach Verbüßung ihrer Haftstrafen im Norilsker GULAG in der Sowchose eingetroffen waren.

In der Folge waren es bereits Mitarbeiter des Naturschutzpark-Museums „Schuschenskoje“, welche die Begegnungen mit Bewohnern und Angehörigen ehemaliger Repressionsopfer aus den Siedlungen Ilitschowo und Schuschenskoje fortsetzten, ihre Erinnerungen aufzeichneten, Fotos und persönliche Gegenstände der Verbannten sammelten. Man studierte auch Dokumente aus dem Bezirksarchiv von Schuschenskoje, die von der Schaffung und Arbeit der landwirtschaftlichen Abteilung des Norilsker Kombinats bei der Schuschenskojer Sowchose berichteten, welche sich in der Siedlung Ilitschowo und anderen nahegelegenen Dörfern befand.

In einem Dokument vom 14. Januar 1950 steht geschrieben, dass, dass es Aufgabe dieser Abteilung war, eine eigene Produktionsstation für die Versorgung der im Norillag arbeitenden Personen mit Gemüse, Kartoffeln, Milch und anderen Lebensmitteln aus dem Bereich der Pflanzen-, Vieh-, Geflügel- und Bienenzucht war. Zur Realisierung der gestellten Aufgaben wird ein Abteilungsapparat mit folgendem Personalbestand geschaffen: einem Leiter der landwirtschaftlichen Abteilung, einem Haupt-Agronom, Vorgesetzten der einzelnen Zootechniker-Gruppen sowie Chefs für die Bereiche Mechanisierung, wissenschaftliche Forschung, Planung und technische Versorgung. In den Unterlagen finden sich Dokumente, in denen es Angaben darüber gibt, dass in der Sowchose, zusammen mit freien Mitarbeitern, auch Wachleute und Gefangene tätig waren.

Davon zeugen auch die Erinnerungen des operativen Bevollmächtigten Nikolaj Pawlowitsch Ampilogow: … Das Frühjahr wurde im Frühjahr 1944 eröffnet, und zwar auf dem alten Zentral-Bauernhof. Die Häftlinge wurden in ehemaligen Kuhställen untergebracht, aus denen man vorläufig den Mist entfernte und anschließend zweistöckige Pritschen aufstellte. Das Ganze wurde eingezäunt und für die Wachen ein Wachturm errichtet“. Die Gefangenen waren im Arbeitseinsatz, als Spezialisten arbeiteten verbannte Siedler, die vorwiegend aus Norilsk eingetroffen waren, wo sie ihre Haftzeit im Norillag verbüßt hatten.

Im Schuschenskojer Bezirksarchiv ist eine „Liste der Arbeiter der Schuschenskojer Sowchose am Norilsker Kombinat erhalten –Menschen, die einst wegen konterrevolutionärer Tätigkeiten verurteilt worden waren“. Bezüglich der in dieser Liste Genannten wurde eine Anfrage an das Archiv der Behörde für innere Angelegenheiten bei der Verwaltung der Region Krasnojarsk gerichtet, von wo Informationen zu 29 Personen (wo, weswegen und zu welcher Strafe sie verurteilt wurden und wo sie diese verbüßten).

Vor ihrer Verhaftung hatten die Verbannten in der Ukraine, in Weißrussland, Litauen, Kirgisien, den Städten Leningrad, Stawropol, Swerdlowsk, Odessa und anderen Städten, sowie dem Iwanowsker, Kujbyschewsker, Moskauer und anderen Gebieten des Landes gelebt. Zeitpunkt ihrer Verhaftung – Ende der 1930er bis Anfang der 1940er Jahre. Als Gründe für ihre Festnahme findet man in den Schriftstücken – Spionage, konterrevolutionäre Agitation, Vaterlandsverrat. Die meisten von ihnen verbrachten ihre Haft im Norillag und als führende Spezialisten in landwirtschaftlichen Angelegenheiten wurden zur Ansiedlung in die Sowchose geschickt: Agronomen, Zootechniker, Buchhalter, Wirtschaftswissenschaftler, Gärtner, Baufachleute.
Jeder der Verbannten hat sein eigenes Schicksal, seine eigene Tragödie…“ [2]

Schuschensker Sowchose in der Siedlung Ilitschewo:

„In den Kriegsjahren verringerten sich die Saatflächen auf ein Drittel. Auf Beschluss der Regierung wird die Schuschenskojer Sowchose 1944 aus der Zuständigkeit des Landwirtschaftsministeriums an das Ministerium für Buntmetalle übertragen – in die MWD-Abteilung für die Versorgung der Arbeiter des Norilsker Metallurgie-Kombinats mit Nahrungsmitteln. Zur Ausführung der landwirtschaftlichen Arbeiten wurden auf dem Gelände der Sowchosen-Wirtschaft Häftlinge des Norillag untergebracht. Als Behausungen wurden Viehställe bereitgestellt, die man zu Baracken umgebaut hatte. Frauenlager befanden sich in den Siedlungen Altan und Sarnichnyj. Auf dem Zentral-Gehöft befand sich ein Männer- und ein Frauenlager. Sofort wurde intensiv mit dem Bau der Produktionsobjekte begonnen. Innerhalb kurzer Zeit entstand ein Flugplatz, es wurden Kutter und Lastkähne angeschafft, Lagerhäuser für Kartoffeln und Gemüse sowie eine Verarbeitungsstation und anderes errichtet. Die Saat- und Anbauflächen für Kartoffeln und Gemüse wurden um ein Vielfaches vergrößert. Zur Gemüseverarbeitung während des Sommers wurden Gefangene aus den Gefängnissen von Atschinsk und Minusinsk gebracht. Politische Häftlinge wurden in den Baracken nicht untergebracht. Sie erhielten Quartier in den Wohnungen der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Kategorie Häftlinge nahm leitende Posten und Ämter innerhalb der Landwirtschaft ein.

Zum Herbst 1953 wurde aus der Siedlung das gesamte Sonder-Kontingent abtransportiert, aber bis zum März 1957 blieb die Sowchose im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Buntmetalle“. [6]

In Tabelle N° 1 (s. Anhang) werden in Kurzform Angaben über den Arbeitseinsatz der Norillag-Gefangenen bei landwirtschaftlichen Arbeiten im Schuschenskojer Bezirk gemacht. (Die Tabelle wurde anhand von Abschriften aus Archiv-Quellen zusammengestellt, die von der leitenden wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Staatlichen Museums für Geschichte und Ethnologie des Naturschutzparks „Schuschenskoje“ – T.M. Kikilowa – zur Verfügung gestellt wurden).

3. Das Schicksal des Iwan Nikititsch Krasnow – repressierter Poet aus der Ortschaft Schuschenskoje

Mitte des 20. Jahrhunderts arbeiteten auf dem Territorium des Schuschenskojer Bezirks Unterdrückte des Norillag-Systems, doch befand sich unter ihnen niemand, der sein Leben der Kultur und Kunst gewidmet hätte. Dafür hatte ich im Museum für Geschichte und Ethnographie „Schuschenskoje“ das Glück, eine Information über eine Persönlichkeit aus dem Bereich der Kultur und Kunst und einen einfach ungewöhnlich talentierten Mann zu finden, der seine Jugend und auch den größten Teil seines Erwachsenen-Lebens in der Siedlung Schuschenskoje verbrachte. Und auch wenn der Verbannungsort sich weit entfernt von seinen heimatlichen Gefilden befand, habe ich mich entschlossen, von seinem Werk und seinem schweren Los zu erzählen.

Ich war von seinen Versen verzaubert, die in einem gesonderten Gedichtband vom Museum für Geschichte und Ethnologie des Naturschutzparks „Schuschenskoje“ auf Grundlage von Materialien herausgegeben wurden, welche Iwan Nikititschs Schwester – G. N. Jemeljanowa – dem Museum zur Verfügung stellte.

„I.N. Krasnow wurde am 17.Oktober 1929 als Bauernsohn in dem Dorf Nowaja Sarja, Gebiet Orel, geboren. Im Jahre 1933 zog die Firma nach Sibirien, um sich vor der dort ausgebrochenen Hungersnot zu retten. Ab 1937 ließen sich die Krasnows in Schuschenskoje nieder. Damals kam Iwan in die erste Klasse der Schuschenskojer Oberschule. Er war ein guter Schüler und mochte besonders den Unterricht in Literatur und russischer Sprache. Bereits während der Schulzeit machten sich seine schöpferischen Neigungen bemerkbar. Der junge Mann las viel und gern die Werke der russischen und ausländischen Klassiker, philosophische Werke, die Bibel. Er konnte gut zeichnen und Geige spielen. Auch meisterte er in hervorragender Weise seine Rollen im Laien-Theater auf der Bühne des Schuschenskojer Klubhauses.

In der höheren Klassenstufe fing er an Gedichte zu verfassen, welche er der heimatlichen Natur und seinem geliebten Mädchen widmete. Es geschah nicht zufällig, dass er nach Abschluss der Oberschule verantwortlicher Sekretär in der Redaktion der Bezirkszeitung „Iskra Ilitscha“ („Ilitschs Funke“; Anm. d. Übers.) wurde, auf deren Seiten seine Artikel über das soziale und wirtschaftliche Leben der Bauern gedruckt wurden. Er sah die Knappheit und den Mangel, den sie litten, und kritisierte diese Zustände kühn in seinen forschen Feuilletons. Man wurde a7uf den prinzipientreuen jungen Journalisten „aufmerksam“. Kurz nach seinem 20. Geburtstag wurde er wegen des Verdachts verhaftet, gegen die Regierung Propaganda betrieben zu haben, und geriet in die Untersuchungszelle des Krasnojarsker Gefängnisses.

Am 27. Februar 1950 wirde Iwan Krasnow nach dem berühmt-berüchtigten § 58 vom Militär-Tribunal zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt“. [4]

Ob man glaubt oder nicht, alles ist verloren:
Das Leben ist keine Ehefrau, keine Mutter.
Sehr schade, dass alles so gekommen ist.
Ich habe gelernt, um das Leben zu verstehen.
In meiner Kindheit hatte ich mir prophezeit
Ein gar nicht schlechtes Los,
Gibt es denn nichts Kürzeres
Als Kinderträume- und kindliches Tun.
Durch kalte und brutale Hand hat die Zeit
Die Kalender verändert,
Und ich bin schon kein Halbwüchsiger mehr
Mit Wangen, wie der Mohn im Morgenrot.
Die Freiheit hat ihren Spaziergang beendet, wie der Wind,
Sie ist verloren, genau wie jede Spur.
Es schmerzt auf dieser Welt Gefangener zu sein
Im Alter von 18 glanzlosen Jahren. [1]

Dies schrieb I.N. Krasnow in einem seiner Gedichte.

Seine Häftlingszeit verbrachte I.N. Krasnow in Kasachstan, im Sonderlager N° 4, im berühmten GULAG-Bergwerk Dscheskasgan. Dort entstanden wohl auch seine durchdringendsten Gedicht-Zeilen. In ihnen liegt nicht nur der Schmerz, sondern auch der Versuch, einen philosophischen Sinn für seinen Aufenthalt hinter Stacheldraht zu finden.

Ganz besonders sind mir diese Verse in der Erinnerung geblieben:

Aber die Zeit ist ein Richter, der nie verzeiht,
Er hat gerichtet, gestraft und mitgerissen
Und mit trockener Verachtung die
Früchte der Unverschämten verweht.

Menschen werden verstreut wie Pfeffer:
Sind sie verweht – versuch sie nur wieder einzusammeln…
Die Verrückten hat die Epoche nicht gewählt,
Doch weiß sie sie zu strafen. [1]

1956 wurde Iwan Nikititsch aufgrund einer Amnestie in die Freiheit entlassen und wurde 10 Jahre später aus Mangel an Tatbeständen vollständig rehabilitiert. Nach der Freilassung kehrte er nach Schuschenskoje zurück. Aus seinem Unterdrückten-Dasein brachte ihn seine kreative Tätigkeit im Klub der Ortschaft Kasanzewo ins Leben zurück. Er war ein künstlerisch begabter Mensch, der sich stets zu kreativen Berufen hingezogen fühlte. Er arbeitete als Künstler im Schuschenskojer Kinotheater. 1958 immatrikulierte er an der Krasnojarsker Surikow-Fachschule, die er jedoch aufgrund materieller Schwierigkeiten nicht beenden konnte. Er träumte davon, das Literatur-Institut zu besuchen. Und wenn man nach seinen Gedichten urteilt, war er dessen auch würdig. Aber es kam nicht so – die schwere Schleppe des Lagers machte sich doch bemerkbar.

Nach seiner Haftverbüßung schwamm er mit der Strömung wie ein Holzspan. Über seine seelische Verfassung schrieb er:

Ich lege mich schlafen, aber jedes Mal im Bett
Atme ich nur und träume:
Da hält in mir eine bislang
Nie da gewesene Schwermut Einzug.
Und die Beine gehorchen überhaupt nicht mehr,
Wenn ich mich mühsam in abendlicher Finsternis vorwärts schleppe,
Weil ich wohl der einsamste Mensch
Auf dieser Erde bin. [1]

Seine weiteren Aktivitäten ergaben sich vor allem aus seiner Arbeit in den Redaktionen verschiedener Bezirkszeitungen. Völlige Zufriedenheit gewann er daraus nicht, denn es gelang nur sehr selten, das gedruckt zu bekommen, was er den Menschen wirklich sagen wollte. Mehrfach verließ Iwan Krasnow Schuschenskoje für viele Jahre, arbeitete in Mittel-Asien, bei der Taschkenter Zeitung in Chakassien.

Am Vorabend des Zusammenbruchs des Landes, als er bereits in Rente war, kehrte er in seine kleine Heimat, in unsere Siedlung zurück. Das schwierige Erdendasein des Iwan Nikitisch Krasnow wurde wie ein Trauerrahmen durch zwei schreckliche Umwälzungen auf russischem Boden umsäumt, die als erbarmungslosen Walze über die Schicksale von Millionen Menschen hinwegrollte. Er wurde in dem Jahr geboren, als die Hungersnot, die Zwangskollektivierung, ausbrach und schied in der Zeit der kriminellen Privatisierung im Jahre 1994 aus dem Leben. Zwei Daseinskreise – der des Landes und der eines Menschen – schlossen sich beinahe gleichzeitig. Zum Glück stellte sich im Fall des Iwan Krasnow heraus, dass ein Teil seines schöpferischen Erbes – die Gedichte – für die zukünftige Generation nicht verloren gingen.

In dem Buch, Dank dessen es mir gelang, Iwan Nikititsch Krasnows Schicksal und Werk kennenzulernen, befinden sich 89 Gedichte, die zwischen 1948 und 1956 von ihm verfasst wurden, und zwar überwiegend unter den Bedingungen des GULAG, ohne jede Hoffnung auf Veröffentlichung. Mag sein, dass es unter ihnen keine unsterblichen Meisterwerke der Dichtkunst gibt. Aber weder die Zeit, in der sie geschrieben wurden, noch das Alter des Dichters und die Umstände, unter denen er sich befand, waren in irgendeiner Weise dazu geeignet, kreatives Schaffen anzuregen, und schon gar nicht das Schreiben von Gedichten. Krasnow dichtete trotzdem – und deswegen sind seiner Feder wertvolle Zeilen voller Schmerz und Seelenqualen entsprungen. Ich denke, dass man ihm schon allein für den Wunsch, trotz der unerträglichen Lebensbedingungen etwas zu schaffen, zweifellos eine poetische Begabung zugestehen muss. Meiner Ansicht nach ist dem Autor das Wichtigste gelungen: sich seine ganz besondere dichterische Welt mit ihren eigenständigen, unverwechselbaren Sprachbildern, Motiven und Anziehungspunkten zu schaffen. Eine poetische Welt mit ihrem lyrischen Helden.

Zum Abschluss dieser Arbeit möchte ich gern aus einem der Gedichte des Schuschenskojer Poeten zitieren, das mir mit am besten gefällt. Es heißt „10 Jahre später“ und ist dem Thema der freudlosen Rückkehr des Dichters in seine Heimat nach der Gefangenschaft gewidmet.

„Müde vom Sich-Dahinschleppen in der Fremde,
Beschloss ich, in die heimatlichen Gefilde zurückzukehren.
Ich ergötze mich am Anblick der Natur,
Schlendere einsam auf dicht bewachsenen Pfaden.

Seitdem sind mit dem Umherirren acht
Schwere, rebellische, quälende Jahre vergangen.
Die silbrig-grauen Haarsträhnen werfen
Den einsamen Blumen einen Gruß zu.

Es hat mich erstaunt, mit welcher Genauigkeit der Dichter die Erlebnisse des lyrischen Helden übermittelt; es ist, also ob du selber, während du diese Zeilen liest, zum Teilnehmer an den Geschehnissen wirst und die Welt durch das Prisma der Erlebnisse des Autors sehen kannst.

Ich sehe die bekannten Gesichter der Vorübergehenden,
Mich haben sie nicht erkannt, für sie bin ich ein Fremder.
Aber ich erkenne sie, genau wie früher. Oh Gott!....
Was für ein Spiel mit dem erbarmungslosen Schicksal!/…/“. [4]

Anhang

Tabelle N° 1. Personelle Besetzung der Planstellen in der Schuschenskojer Sowchose per 1. Oktober 1951

Stellenbezeichnung Nachname, Vorname, Vatersname Geburtsjahr Vorstrafen Ausbildung. Name der Ausbildungseinrichtung
1 2 3 4 5
Ober-Agronom Selesnew, Peter Andrejewitsch 1904 30/õ-38 lt. § 54-7.11 Höhere. K.A. Timirjasew-Landwirtschaftsakademie
Ober-Zootechniker Tschitscherin, Serafim Dmitrijewitsch 1908 § 54-7.11 Höhere. Kurse zur Weiter- Qualifizierung am Leningrader Landwirtschaftsinstitut
Ober-Mechaniker Lukjanow, Aleksander Aleksandrowitsch 1912 § 56-17 Mittlere. Technikum für Straßenbau und Mechanik sowie 2 Kurse am Institut für Straßenwesen
Ober-Ingenieur Flurbereinigung Aleksejew Afanasij Grigoriewitsch 1889 § konterrev. trotzkist. terrorist. Tätigkeit Mittlere technische. Landvermesser-Kurse in Omsk
Hauswart Kasanow Aleksander Petrowitsch 1898 § 58-10 (5 Jahre) Mittlere technische. Bau-Technikum
Forschungsagronom Charitonow Wasilij Jakowlewitsch 1908 § 58-10 Höhere. Landwirtschaftsinstitut Nowotscherkask
Leiter der Planungsabteilung Kaplan, Susman Lwowitsch 1898 § Konterrev. Tätigkeit Höhere. Moskauer Erdöl-Institut
Leiter der Normungsabteilung Sitew, Jakow Ignatewitsch 1901 § 58-8-7-11 Mittlere technische. Kujbyschewer Landwirtschaftstechnikum
Ober-Buchhalter Wolkow, Pawel Pawlowitsch 1915 § 59-3 12/IX 1935 Nicht abgeschlossene mittlere
Stellvertretender Ober-Buchhalter Jablonzew, Grigorij Nikolajewitsch 1902 § 58-10. 1935 Mittlere.
Haupt-Buchhalter Sulimow, Petr Iwanowitsch 1914 § 58-10 1939 (10 Jahre) Mittlere.
Haupt-Buchhalter Scherebzow Konstantin Grigorewitsch 1888 § konterrev. Tätigkeit (10 Jahre) 1937 Mittlere.
Haupt-Buchhalter, Revisor Rybakow, Iwan Michailowitsch 1902 § 58-3 (8 Jahre) 1944 Mittlere. / spez. juristische
Versorgungsabteilung
Abteilungsleiter Lewinson, Isaak Selinowitsch 1907 § 120 7 Klassen
Spediteur Mjakota, Wasilij Georgiewitsch 1912 § 193 (6 Jahre) 1937 5 Klassen
Zentrale Reparatur-Werkstatt Ober-Buchhalter Staruchin, Nikita Wasiljewitsch 1917 § 58-10 (8 Jahre) Mittlere
Leiter der Garage Mechaniker Kuprin, Sergej Iljitsch 1914 §54 Pkt. 10 ( 10 Jahre) 5 Klassen
1. Abt.
Ober-Agronom Olejnik, Semjon Aleksejewitsch 1905 § 193 Höhere. Umansker Landwirtschafts-Institut
Ober-Buchhalter Anufrijew Jewgenij Aleksejewitsch 1896 § 58-10 (10 Jahre) Mittlere
Leiter des Gemüse- Vorratslagers Trilewitsch, Jurij Tomowitsch 1897 § 54 (5 Jahre) 7 Klassen
2. Abt.
Ober-Agronom Tschudin, Konstantin Sergejewitsch 1909 § 58-10 Mittlere / technische. Mendelejew-Landwirt-schafts-Technikum -
Ober-Mechanisator Askin, Machor Nikonorowitsch 1916 § 116 3 Klassen
Volkswirtin Tschudina, Anna Nesterowna 1903  § konterrev. Tätigkeit Mittlere / technische. Krasnoufimsker Landwirtschafts-Technikum -
Datenerfasser der Kontrolltafel Kasakow, Aleksander Karpowitsch 1920 §. 162 7 Klassen
3. Abt.
Buchhalter Jermakow, Fjodor Michailowitsch Keine Angaben $ 58-10 ( 5 Jahre) 1931 Keine Angaben
Ober-Agronom Karas, Grigorij Trofimowitsch 1917 § 111 ( 5 Jahre) 7 Klassen
Ober-Agronom - Gärtner Gulewitsch, Stanislaw Petrowitsch 1897 § soz.-gefährl. Element (8 Jahre) Nicht beendete höhere 4 Kurse am landwirtschaftl. Institut
Ober- Zootechnikerin Andrejewa, Maria Fjodorowna 1908 § soz.-gefährl. Element Höhere. Moskauer Institut für Zootechniker
Leiter des Getreide-und Gemüselagers Turow, Pjotr Romaowitsch 1920 § 74 1 Jahr) 5 Klassen
Ober-Buchhalter Parfenow, Dmitrij Sergejewitsch 1914 § 58-12 (5 Jahre) Nicht beendete mittlere
Unternehmen zur Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse
Ingenieur-Technologe Makopuch, Aleksej Fjodorowitsch 1919 § 193-22 (10 Jahre) Höhere. Landwirtschaftliches Institut Shitomir
Leiter der Bauabteilung Rjasanowskij, Walentin Dmitrijewitsch 1915 § 58-11 Nicht beendete höhere
Ober-Meister Kowschin, Jakow Iwanowitsch 1909 §193-17 ( 5 Jahre) 7 Klassen
Volkswirt
Normsachbearbeiter Snegurow, Sergej Fjodorowitsch 1919 § Sonder-Tribunal 7 Klassen
Leiter Holzeinschlag Lysenko, Stepan Lewanowitsch keine Angaben § 70 (5 Jahre) Keine Angaben
Ober-Buchhalter Bardjugow, Nikita Iwanowitsch keine Angaben § 59-10 § 58-10 keine Angaben

Literatur-Angaben:

1. Karlowitsch, Tatjana Nikolajewna. Leben, versengt durch die Zeit [I.N. Krasnow – Leben und Werk]; [Text] / T.N. Karpowitsch // Buch der Erinnerung an die Opfer politischer Repressionen in der Region Krasnojarsk; Bd. 9 / I.N. Krasnow. – Krasnojarsk: PIK „Offset“, 2009., Bd. 7. – S. 34-41.
2. Buch der Erinnerung an die Opfer politischer Repressionen in der Region Krasnojarsk [Text]. Bd. 7, R-S / Verwaltungsrat der Region Krasnojarsk, Behörde für Sozialfürsorge der Verwaltung der Region Krasnojarsk, Komitee für Archiv-Angelegenheiten der Region Krasnojarsk; Redaktionskollektiv: N.W. Krepyschewa (Vors.), W.N. Puschkarewa (stellv. Vors.) u.a.; Arbeitsgruppe: A.A. Babij (Leitg.), O.R. Sordija (stellv. Leitg.) u.a. – Krasnojarsk; PIK Offset. 2009. – 521 S.
3. Krasnow, Iwan Nikitsch. Über die Zeit und über mich selbst: Sammelwerk von Gedichten 1947-1956. Schuschenskoje, Verlag des Naturschutzpark-Museums für Geschichte und Ethnographie „Schuschenskoje“. 2012. – 68 S.
4. Momente der Geschichte: Sammelband von Materialien zum Thema „Politische Repressionen in der UdSSR“ (1898-2009) / Haupt-Redakteur J.L. Sberowskoj. – Krasnojarsk: „Krasnojarsker Schriftsteller“, 2009. – 150 S.
5. Lage der Landwirtschaftlichen Abteilung des Norilsker Kombinats des MWD der UdSSR. SchRA, Fond Nr. 20, Dossier 1, Blatt 3, 5.
6. Enzyklopädie der Region Krasnojarsk. Der Süden. – Krasnojarsk, Verlag „Buchstabe S“, 2008. – 592 S.


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