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Georgij Stepanowitsch Schschjonow

Regionale Aktion „Verfolgte Persönlichkeiten aus den Bereichen Kultur und Kunst in der Geschichte der Region Krasnojarsk“

Ausführung:
Viktoria Schilina
Städtische Bildungseinrichtung Allgemeinbildende Oberschule N° 1, Borodino

Während unseres Rundgangs durch die städtische Zentral-Bibliothek machten wir uns mit der Grundidee der regionalen Aktion „Verfolgte Persönlichkeiten aus den Bereichen Kultur und Kunst in der Geschichte der Region Krasnojarsk“ bekannt. Ich interessierte mich für das Schicksal des berühmten Schauspielers Georgij Schschjonow.

Schon in frühen Jahren begeisterte Georgij sich für Zirkus, Theater und Kino.

1935 beendete Georgij Schschjonow die Universität. Zu der Zeit hatte er bereits mehrfach in Filmen mitgespielt: „Der Republik-Thronfolger“, „Goldene Feuer“, „Tschapajew“. Es schien, als ob sich das Unheil durch nichts ankündigen würde….

Im Dezember 1936 wurde Georgijs älterer Bruder Boris nach dem Mord an S.M. Kirow in Leningrad aufgrund einer absurden Beschuldigung wegen „antisowjetischer Tätigkeit und Verbreitung einer terroristischen Stimmung“ verhaftet und im Frühjahr 1937 verurteilt. Die Familie Schschjonow (Vater, Mutter und drei Schwestern), die mit dem Bruder zusammenwohnte, wurde nach Kasachstan ausgewiesen. Georgij weigerte sich kategorisch in die Verbannung zu gehen. Während der Aufnahmen zu dem Film „Komsomolsk“ (1938) begab sich Schschjonow, gemeinsam mit den damals bekannten Filmgrößen des sowjetischen Kinos N. Krjutschkow, P. Alejnikow, I. Kusnezow und anderen, im Zug nach Komsomolsk-am-Amur. Auf der Fahrt lernte er einen Amerikaner kennen, der sich auf dem Weg nach Wladiwostok zu einem geschäftlichen Treffen befand. Diese Bekanntschaft wurde Georgij Stepanowitsch zum Verhängnis. Man nahm sie zum Anlass für eine Anklage wegen Spionage.

In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli 1938 wurde er auf Grundlage dieser absurden Spionage-Beschuldigung von den Organen des NKWD der UdSSR verhaftet. Mittels Erpressungen und Drohungen prügelten sie ein Geständnis aus ihm heraus. In Abwesenheit wurde er dann auf Anordnung deines Sonder-Kollegiums des NKWD der UdSSR zu 5 Jahren Haft verurteilt.

In seinem autobiographischen Roman „Der kleine Schlitten“ erzählt Schschjonow eine Episode „als an mir mitteilte, dass ich – oh , was für ein Wunder! – gleich zwei Pakete auf einmal erhalten hätte, beide von meiner Mutter. Um sie abzuholen, musste man 10 Kilometer zu Fuß gehen. Ich begriff, dass die Pakete mir das Leben retten konnten, denn durch den ständigen Hunger ließen meine Kräfte jeden Tag mehr und mehr nach, und ich war mir bereits im Klaren darüber, dass ich so nicht mehr lange durchhalten würde. Aber ich war körperlich nicht in der Lage, diese weite Strecke von zehn Kilometern zu meistern. Es fehlte mir einfach die Kraft. Und da geschah ein zweites Wunder: der operative Bevollmächtigte nahm mich mit, als er zur Lager-Außenstelle zurückkehrte. Und als ich schließlich unterwegs endgültig im Schnee zusammenbrach, so kraftlos, dass ich keinen einzigen Schritt mehr machen konnte und mit tief empfundener Gleichgültigkeit begriff, dass dies mein Ende war, lud der operative Bevollmächtigte mich auf den Schlitten, den er hinter sich herzog und transportierte mich ab. Dass ein ansonsten grausamer Mensch, der längst vergessen hatte, was Mitleid überhaupt war, ausgerechnet einen Gefangenen auf seinem Schlitten mitnahm, das war sogar noch mehr als ein Wunder. Die beiden Pakete hatte Mutter bereits drei Jahre zuvor abgeschickt; demzufolge hatte sich deren Inhalt – Speck, Wurst, Knoblauch, Zwiebeln, Konfekt, Tabak – längst vermischt und waren zu einem Klumpen, hart wie Stein, zusammengefroren. Ich betrachtete die beiden Pakete und widersetzte mich mit allerletzter Kraft dem Wunsch, meine Zähne auf der Stelle in diesen Klumpen hineinzuschlagen. Ich wusste, dass ich in dem Fall unwiderruflich an einer Darmverschlingung sterben würde. Ich bat die Wachleute darum, mir die Pakete unter keinen Umständen auszuhändigen, selbst wenn ich auf allen Vieren kröche, die Ruhe zu bewahren und mir dreimal am Tag kleine Stückchen von der vereisten Masse abzuspalten. Wenn ich sage, dass ich gelernt hatte, absolut nichts von der Lagerleitung zu erwarten und auch um nichts zu bitten und mir gerade das beim Überleben half, so übertreibe ich nicht. Im Jahre 1943 endete meine Haftzeit, und man händigte mir ein offizielles Blatt Papier mit einem Wappen aus – leider bekam ich noch weitere 21 Monate Lagerhaft aufgebrummt. Ich las das Dokument beinahe gleichgültig durch.

Was konnte man von diesem System denn anderes erwarten?“

Im Frühjahr 1947 kehrte Schschjonow nach Moskau zurück, weil er eine Arbeitseinweisung dorthin erhalten hatte.

Am 2. Juni 1949 wurde er erneut verhaftet, danach verbrachte er ein halbes Jahr im Gefängnis der Stadt Gorkij und wurde anschließend in die Verbannung nach Norilsk geschickt, wo er bis 1953 am Norilsker Theater für Dramaturgie tätig war: „Am Norilsker Dramaturgie-Theater lernte ich Innokentij Smoktunewskij kennen, mit dem ich zusammen spielte“.

Im Dezember 2003 antwortete Georgij Schschjonow auf die Frage des Korrespondenten der Zeitung „Norilsker Nickel“ nach dem Repertoire während der Verbannungszeit: „Wir inszenierten viele Stücke, hatten bis zu 18 Premieren in der Saison – wenn es im Vergleich bei einem gewöhnlichen Theater nicht mehr als drei oder vier pro Jahr gibt. Stellen Sie sich vor, ich spiele ein Theaterstück, und in meinem Kopf schwirrt bereits der Text für die Premieren-Aufführung herum, die morgen oder übermorgen stattfinden wird. Wir hatten wirklich beinahe jede Woche eine Uraufführung. Es gab nur wenig Zuschauer in der Stadt. Das lehrte uns schnell zu arbeiten. Mit Innokentij Michailowitsch Smoktunowskij spielte ich in „Degen“-Stücken von Lope de Vega und Moretto. Er spielte den zweiten, ich den Haupt-Helden, er war immer der Lächerliche und ich – der Liebhaber. Unsere Zuhörerschaft bestand aus Vertretern der verbannten Intelligenz, Militärangehörigen, Mitarbeitern des Norilsker Kombinats“. Auf die Frage desselben Korrespondenten darüber, welche Eindrücke ihm von der Stadt geblieben sind, antwortete der Schauspieler: „Zu unserer Zeit war die Stadt interessant. Unter den Stadtbewohnern gab es viele aus den Reihen der Hauptstadt-Intelligenz. Petersburger und Moskauer schufen eine einzigartige Atmosphäre in Norilsk. Aber was das Klima betrifft, so gibt es wohl keinen schlimmeren Ort, den man sich denken könnte“.

Beim Überleben in Norilsk half Schschjonow die Arbeit mit seinen Fotografien. 1950 erwarb er im örtlichen Klub einen Fotoapparat und war der Erste in Norilsk, der Farbbilder anfertigte, die in der damaligen Zeit für einen undenkbaren Luxus gehalten wurden. „Bei den alten Norilskern sind die Spuren meiner Tätigkeit bis heute erhalten geblieben, - erinnerte sich Georgij Schschjonow später. – Mitunter schicken die Leute mir sogar Briefe und legen Bilder bei, die ich damals aufgenommen habe“.

Am 2. Dezember 1955 wurde Georgij Schschjonow vom Militärgericht des Leningrader Wehrkreises rehabilitiert; er kehrte nach Leningrad zurück und begann im Alter von 38 Jahren sein Berufsleben als Schauspieler noch einmal von Null an. Er fand eine Stelle als Schauspieler am Leningrader Regionstheater für Dramaturgie und am Lensowjet-Theater.

Merkwürdig, dass Georgij Schschjonow erst später einen ersten Bekanntheitsgrad erlangte, und zwar in einer nicht besonders großen Rolle. In der legendären Komödie von Eldar Rjasanow „Nimm dich vor Autos in Acht“ (1966) spielte er einen Fahrzeug-Prüfer. Er spielte die Rolle so täuschend echt, dass seine Persönlichkeit den Zuschauern sofort in der Erinnerung blieb.

Das Leben Georgij Schschjonows, der mehr als hundert Rollen in Kino und Theater spielte, ähnelt selber einer Kinoveranstaltung. Einem anderen Menschen an seiner Stelle hätte auch nur die Hälfte der Erfahrungen gereicht, die das grausame Jahrhundert dem Künstler unterschob. Jedem anderen, doch nicht Schschjonow. Er zerbrach nicht, geriet nicht in Zorn und beklagte sich nie – ein Mann, der den Preis von Leben und Tod kannte, der mit Freude lebte und arbeitete und die Wärme mit denen teilte, die um ihn herum weilten. Das ungewöhnlich launische Schicksal prüfte ihn auf Beständigkeit und führte zu dem Verdikt:
„eine rechtschaffener Mensch“. Und es belohnte ihn mit der höchsten Auszeichnung, die man bekommen kann – der Liebe eines ganzen Volkes.

Literatur-Angaben

1. Material der Internet-Seite HTTPS://www.msactors.ru
2. Material der Internet-Seite www.kino-teatr.ru
3. Material der Internet-Seite www.pravoslavie.ru
4. Material der Internet-Seite www.russ-yug.ru
5. G.S. Schschjonow. Der kleine Schlitten. Erzählungen und Roman.


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