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Geheimnisse des Krasnojarsker Konzentrationslagers


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Das Wort «Konzentrationslager» wird bei uns mit den nazistischen «Todesfabriken» assoziiert, die in den 1930er-1940er Jahren in Deutschland in Erscheinung traten. Allerdings tauchten die ersten Konzentrationslager bereits viel früher auf, in der Epoche des «Kriegskommunismus». In unserem Land wurden sie von den Bolschewiken geschaffen. Vor 72 Jahren entstand auch in Krasnojarsk das erste große Konzentrationslager. In all diesen Jahren war es strengstens verboten, in seine Geheimnisse vorzudringen. Und nun endlich, viele Jahrzehnte später, hat das Krasnojarsker Konzentrationslager, dessen Dokumente im Staatsarchiv der Region verwahrt werden, aufgehört, ein Geheimnis mit sieben Siegeln zu sein.

Zunächst ein wenig Geschichte über die Erfindung der Maschinerie bolschewistischer Gewalt. Marx, der die berüchtigte Theorie des wissenschaftlichen Kommunismus erarbeitete, empfahl für den staatlichen Umbau die Schaffung unterstützender Strukturen — grausamer Apparate des «Revolutions-Terrorismus». Lenin, der Marx in allem nachahmte, gab bereits 1901 grünes Licht für die Anwendung von Terror im Kampf um die Machtergreifung in Russland. Und er hielt Wort. Nachdem sie den staatlichen Umsturz vollzogen haben, schaffen die Bolschewiken sogleich zur Unterdrückung und physischen Vernichtung der «Klassenfeinde» die Allrussische Tscheka — eine faschistische Maschinerie der Gewalt, deren Laufwerk die Konzentrationslager waren. Für den Vater «unserer» Konzentrationslager können wir zu Recht Lenin höchstpersönlich halten.

Bereits Anfang 1918 benutzt er häufig das Wort «Konzlager», wobei er bereits Maßnahmen zu deren Einrichtung ergreift. Und er erreicht das Seine. Die ersten sowjetischen Konzentrationslager treten im Sommer 1918 in Erscheinung, und am 11. April 1919 legen die Bolschewiki ihre Existenz gesetzlich fest. 1921 waren in Lenins «Zarenreich» 103 Konzentrationslager in Betrieb, in denen 44517 Personen die «Schule der Sowjetisierung» durchliefen. So begann der bolschewistische Genozid, der allein in den 42 Jahren sozialistischer Umbildung 66.700.000 Menschenleben forderte.

Auch Krasnojarsk blieb nicht hinter der Hauptstadt zurück. Nachdem die Krasnojarsker Bolschewiken die Macht ergriffen haben, schaffen sie bereits einen Monat später rote Abteilungen, mit deren Hilfe sie die Bevölkerung terrorisieren. Am 15. Dezember 1917 führen sie ein Revolutionstribunal ein, am 2. April 1918 entsteht die Jenisseisker Gouvernements-Tscheka. Doch sie konnte sich nicht entfalten – der Bürgerkrieg brach aus. Am 4. Januar 1920, als man gerade damit begonnen hatte, Krasnojarsk von den Weißgardisten zu befreien, nimmt die Jenisseisker Gouvernements-Tscheka ihre Arbeit wieder auf und beginnt am 9. Januar mit der allgemeinen Verhaftung von Menschen. Es ergab sich die Frage: wohin mit den ganzen Verhafteten? Und die Krasnojarsker Tschekisten, die den Leninistischen «Kriegskommunismus» leiten, finden einen Ausweg. Sie schaffen «eine Fabrik, welche die Menschen auf kommunistische Weise neu schmiedet —das Konzentrationslager.

Das erste Krasnojarsker Konzentrationslager, eine Domaine der Jenisseisker Gouvernements-Tscheka, wird am 25. Mai 1920 eröffnet, was der Befehl* ¹ 1 des Kommandanten Kudraschow besagt. In dieses Amt wurde er mit Legitimation des städtischen Partei-Komitees der Bolschewiken bestellt, wie es von der Jenisseisker Gouvernements-Tscheka vorgeschrieben war. Die ersten Häftlinge waren — 89 Kriegsgefangene. Wenige Tage später waren es bereits hunderte.

Das Krasnojarsker Konzentrationslager war in Baracken untergebracht, die noch in den Jahren 1915-1917 errichtet worden waren. Darin wurden Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs gehalten, worüber die Krasnojarsker Zeitungen häufig berichteten. Vier Baracken befanden sich am Ufer des Jenisseis, gegenüber der Eisenbahnbrücke, die übrigen — im Militärstädtchen. Jede der Baracken war von einem Stacheldrahtzaun umgeben und besaß vier Wachtposten. Das Konzentrationslager beinhaltete mehrere Kolonien mit den Buchstaben-Kennzeichnungen «À» uns «B» sowie Kommunen zur Erziehung durch Arbeit unter der allgemeinen Bezeichnung «Gouvernements-Gemeinschaftsarbeit».

Sobald das Konzentrationslager in Betrieb genommen worden war, legte der Kommandant durch eine entsprechende Instruktion seine Funktionsweise fest. Aufstehen um 8 Uhr morgens, Aufstellung zu je 20 Mann um 9 Uhr und Abmarsch zu den Arbeitsobjekten unter der Begleitung bewaffneter Wachmannschaften. Abendappell um 11 Uhr. Bewacht wurde das Konzentrationslager von einem Rotarmisten-Kommando aus der Division der III. Internationale, das sich aus 40 Mann zusammensetzte. Später erhöhte sich die Zahl der Begleitsoldaten um ein Mehrfaches. Jeden Tag wurden auf schriftliche Anordnung des Lagerkommandanten bewaffnete Wachen ernannt, denen es erlaubt war, auf die Häftlinge zu schießen. Im Mai 1922 erhielten sie insgesamt 6650 Patronen.

Alle Gefangenen durchliefen, bevor sie ins Konzentrationslager kamen, eine Filterung durch die — Jenisseisker Gouvernements-Tscheka. Die Urteile wurden in speziellen Protokollen durch eine Sonderabteilung der 5. Armee, des Revolutions-tribunals sowie des Revolutionsgerichts ausgestellt. Auf schriftliche Erklärung der Gefangenen selbst führten die Tschekisten kein Ermittlungsverfahren durch und verkündeten ihnen auch ihre Urteile nicht. 1920 wurden im Konzentrationslager 582 Personen festgehalten, die keine offizielle Haftstrafe auferlegt bekommen hatten. Wie aus Lagerdokumenten ersichtlich ist, wussten die Gefangenen oft nicht, dass sie verhaftet und in einem Konzentrationslager untergebracht worden waren. In den Dokumenten erscheinen unterschiedliche Haftzeiten — von 1 bis zu 5 Jahren. Und wenngleich das Konzentrationslager vollkommen geheim gehalten wurde, sickerte 1921 im «Krasnojarsker Arbeiter» die Information durch, dass Häftlinge zu 20 Jahren Konzentrationslager verurteilt worden waren und sie im Falle von Fluchtversuchen erschossen würden. Unter den ersten Urteilen stehen die Unterschriften des Vorsitzenden der Gouvernements-Tscheka Lepsis und des Chefs der Sonderabteilung der 5. Armee Marzinkowskij.

Man kann die Gefangenen des Konzentrationslagers in drei Kategorien einteilen. Zur ersten gehören ausländische Kriegsgefangene, zur zweiten — Personen, die in der weißen Armee gedient hatten, zur dritten, nach Meinung der Gouvernements-Tscheka, Gegner der Sowjetmacht. Zu den ausländischen Kriegsgefangenen zählten — Österreicher, Ungarn, Tschechen, Deutsche, Chinesen, aber in der Hauptsache Polen.
Die Konzentration polnischer Kriegsgefangener im Lager ist kein Zufall, sondern das Ergebnis der ausgeklügelten Politik der bolschewistischen Regierung. Sie wollte sich keineswegs mit der Versailler Friedenskonferenz des Jahres 1919 und der Rigaer Vereinbarung des Jahres 1920 abfinden, nach denen Polen, das sich mit Sowjetrussland im Kriegszustand befand, aber an das Land angrenzte, nicht die letzte Rolle bei der Umgestaltung Europas spielte. Zudem schuldete die bolschewistische Regierung Polen gemäß der Rigaer Vereinbarung Gold im Wert von 49 Millionen Rubel. Der totalitäre Bolschewismus konnte ihm das nicht verzeihen und, um mit dem Ziel der Verweigerung der Vertragsbedingungen Druck auszuüben, beeilte man sich daher nicht mit der Repatriierung der polnischen Kriegsgefangenen, sondern hielt sie auch weiterhin in den Konzentrationslagern fest. In den Dokumenten des Krasnojarsker Konzentrationslagers gibt es drei Listen von Polen mit einer Gesamtzahl von 626 Mann.

Auch mit den Ungarn fackelten die Bolschewiken-Tschekisten nicht lange. Am 6. Juni 1920 verurteilte die Gouvernements-Tscheka 145 ungarische Offiziere zur Inhaftierung im Konzentrationslager, und zwar bis zum Ende des Bürgerkriegs. Um die Gefangenen einzuschüchtern, wurden 43 Offiziere zu Geiseln bestimmt. In demselben Jahr wurden 649 ungarische Offiziere aus dem Krasnojarsker Konzentrationslager verlegt und an die Hauptverwaltung für Arbeitsbeschaffung und Arbeitsdienstpflicht zur weiteren Verfügung übermittelt. Ausländische Kriegsgefangene hielten die Bolschewiken noch zu einem weiteren Zweck. Mit ihnen wollten sie die Gewaltakte gegen die «Klassenfeinde» vertuschen. Denn der Bürgerkrieg der Bolschewiken gegen das eigene Volk ging weiter, allerdings nun schon in einer anderen Form.

Die Gefangenen unterlagen einer strengen Registrierung und Kontrolle; zum Arsenal gehörten spezieller Registrierkarten und Fragebogen sowie verschiedene Beschränkungen. Jede Art der Verlegung im Konzentrationslager war nur mit schriftlicher Anordnung des Kommandanten und mit einem besonderen Passierschein erlaubt. Zwischen dem 25. Mai 1920 und dem 3. Februar 1922 wurden 372 Befehle im Konzentrationslager erteilt. Hier wurde die sogenannte Vetternwirtschaft praktiziert, festgelegt auf Befehl des Kommandanten. Alle Gefangenen zersplitterten in Gruppen zu jeweils 10 Mann. Unter ihnen wurden ein Ältester und ein Bürge ernannt. Wenn ein Häftling eine Straftat beging, indem er die Lagerordnung verletzte, oblag die Schuld dem Bürgen, der dafür dann auch bestraft wurde; zu diesem Zweck wurde ein ganzes System an Strafmaßnahmen ausgearbeitet. Bei Verletzung der der Haftordnung im Konzentrationslager jagten sie die Häftlinge für den Zeitraum von drei Tagen und Nächten in dunkle Zellen und reduzierte ihre Brot- und Wasserrationen drastisch. Oder sie verlängerten die Haftstrafe im Konzentrationslager für jedes Verbrechen um 3 bis 8 Monate Zwangsarbeit. Sie verboten ihnen des Weiteren zur Abendzeit zu singen, zu tanzen oder sich laut zu unterhalten.

Das Konzentrationslager befand sich unter der ständigen Kontrolle des Sibirischen Revolutionskomitees und des Jenisseisker Gouvernements-Exekutivkomitees, die dem Kommandanten die Befehle zum Zwangsarbeitseinsatz der Häftlinge gaben. Die Gefangenen wurden auf Sonderbestellung zu Schwerstarbeiten geschickt – zum Kalkabbau und zur Herstellung von Ziegelsteinen, zu Arbeiten in der Landwirtschaft und bei Transportunternehmen, zur Verfügung der Jenisseisker Gouvernements-Tscheka, des Gouvernements-Revolutionskomitees, der Gouvernements-Miliz, dem Gouvernements-Rat für Volkswirtschaft. Die billige Arbeitskraft der Häftlinge machte man sich in der Abakansker Eisenhütte, am Erzbergwerk „Julia“ zunutze. Gefangene arbeiteten an 91 Objekten. So gestaltete sich die totalitäre Lagerwirtschaft des Bolschewismus, die Russland letztendlich in den Abgrund einer erdrückenden Krise stürzte.

Neben ausländischen Häftlingen befanden sich im Konzentrationslager auch solche, die aus den Gouvernements Jenisseisk, Irkutsk, Grodno, Wolhynien, Kasan, Perm, Tobolsk, Wjatka, Jekaterinburg gebürtig waren.

Von Interesse sind die Protokolle, in denen es um die Verhängung der Urteile gegenüber den Verhafteten geht, deren Schicksale die Krasnojarsker Gouvernements-Tscheka besiegelte (so wurde sie seit Juni 1920 genannt).

«Abschrift aus dem Protokoll ¹ 38 vom 11. August 1920.

Verhandelt wurde der Fall des Nikolai Wassilewitsch Rylow, der des Schreibens verdächtiger Briefe beschuldigt wurde. Beschluss: er ist für die Dauer eines Jahres in einem Konzentrationslager zu inhaftieren».

«Abschrift aus dem Protokoll ¹ 42 vom 22. August 1920.

Verhandelt wurde der Fall des A.P. Onossowskij, welcher konterrevolutionärer Aktivitäten und der Zugehörigkeit zu den Kadetten beschuldigt wird. Beschluss: er ist für die Dauer von fünf Jahren in einem Konzentrationslager zu inhaftieren».

A.P. Onossowskij — eine bekannte Krasnojarsker Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, Leiter der Stadt-Duma, der viel Gutes für die Entwicklung der Bildung getan hatte, war übrigens in keinerlei konterrevolutionäre Aktivitäten verwickelt, sondern befand sich in der Opposition zu den Bolschewiken.

Sehr häufig erfolgten die Verhaftungen und Inhaftierungen im Konzentrationslager durch Denunzierungen. Denunziantentum wurde von den Tschekisten auch bei bestimmten Strafmaßnahmen verwendet. Das war der Beginn der sowjetischen Spitzeleien und geheimen Mitarbeiter im Lager.

Anlässlich des dritten Jahrestages der Oktober-Revolution wurde im Konzentrationslager eine Häftlingsamnestie erlassen. Natürlich stellte das keinen Akt der Barmherzigkeit seitens der Bolschewiken dar. Der Grund lag vielmehr darin, dass die Mittel für den Unterhalt der Gefangenen nicht ausreichten. Nicht umsonst unterschrieb Lenin am 7. September 1921 die Anordnung des Rates für Arbeit und Verteidigung über die Kürzung der Mittel für den Unterhalt der Angestellten. 1921 wurden im Krasnojarsker Konzentrationslager in aller Eile etwa 1300 Häftlinge amnestiert. Allerdings zeigte eine Vergleichsanalyse der Dokumente aus dem Konzentrationslager mit Materialien, die in anderen Beständen verwahrt wurden, dass die Amnestierten in der Regel aus dem Konzentrationslager überhaupt nicht entlassen wurden. Man setzte sie auch weiterhin für Zwangsarbeiten ein.

Um den Bürgerkrieg gegen das eigene Volk nicht zu verlieren, schickten die Bolschewiken die Häftlinge des Krasnojarsker Konzentrationslagers 1920 an die Front. Im Lager wurden dann Frauen und Minderjährige gehalten. Neben Strafmaßnahmen und schwerer Zwangsarbeit brachen die Insassen oft aufgrund von Krankheiten zusammen. Viele wurden von einer in jenen Jahren grassierenden Typhus-Epidemie niedergerafft.

Tausende Gefangene durchliefen das erste Krasnojarsker Konzentrationslager. Ein Teil von ihnen wurde unter Bewachung der örtlichen Tscheka zu Zwangsarbeiten nach Atschinsk und Minussinsk gebracht. Die größte Partie der Insassen, die 1920 das Krasnojarsker Konzentrationslager durchlief machte 1431 Mann aus. Insgesamt befanden sich in den Jahren 1920-1922 ständig 1742 Gefangene im Lager.

Die ersten Konzentrationslager, Instruktionen, Befehle, zu den Gefangenen geführte Karteikarten, Strafmaßnahmen — all das wird später in Erfahrung einzementiert, und das Erbe geht von der blutigen Allrussischen Tscheka zu der spitzfindigen OGPU und dem grausam-fanatischen Volkskommissariat für innere Angelegenheiten über, verwandelt sich in einen unheimlichen Staat — den GULAG. Historisch kann man den totalitären Bolschewismus wohl kaum rechtfertigen. Schließlich hat er im Namen der Befriedigung seiner ideologischen Leidenschaften eine Lager-Industrie geschaffen und das riesige Land gewaltsam in seinen Blutstrom hineingezogen, wobei es seine zivilisierte Entwicklung für Jahrzehnte ausbremste.

...Heute hört man aus dem leisen Rascheln der Lager-Dokumente das unheimliche Echo der tragischen Vergangenheit. Wenn die Menschen die Vergangenheit kennen, müssen sie den Glauben daraus ziehen, dass sich so etwas niemals wiederholt.

Leonid KISSELEW.

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Aufgrund der Tatsache, dass die Archiv-Information vom Autor auf kommerziellem Wege erhalten wurde, bleibt dieses Material sein Eigentum.

Auf Bitten des Autors wird das Honorar zum 350. Jahrestag des Erlöser-Verklärungs-Klosters auf das Verrechnungskonto ¹ 701902 bei der Kombank «Niwa» in Jenisseisk überwiesen (für Restaurationszwecke).

«Krasnojarsker Arbeiter», 08.08.1992


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