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Bei MEMORIAL wird Beschlagnahmt

Verwunderliches - nebenan. Weit gehen muß man nicht, und fahren nur ein paar Haltestellen. Genau gegenüber vom STI - der Verwaltung des Zentralbezirks. Und in ihm befindet sich inder zweiten Etage - die Steuerinspektion.

Und eben dort entnahmen und beschlagnahmten sie neulich das Kinto der Gesellschaft "Memorial". Wie? Warum? Was hat denn diese Wohltätigkeitsorganisation nur angestellt?

Hat sie vielleicht vor dem Staat Millioneneinnahmen verheimlicht? Aber nein, in dem halben Jahr der Existenz des Kontos wurden darauf ganze 18.000,- Rubel (in Worten: achtzehn-tausend Rubel, Null-Null Kopeken) an wohltätigen Spenden verbucht. Wenn man das auf sechs Monate verteilt - dreitausend pro Monat, so entspricht dies innerhalb der Grenzen eines Durchschnittsgehaltes für einen Hausmeister. Eine wahre Großzügigkeit der Krasnojarsker Geschäftsleute ist wirklich grenzenlos, aber darum geht es gar nicht.

Möglicherweise benutzten die Gauner von "Memorial" die 18.000,- Rubel für unvorschrifts-mäßige Aktivitäten: sie nahmen sie vom Konto für angeblich wohltätige Zwecke, kauften sich dann selber einen Waggon voll Schnaps unter der monarchistischen Bezeichnung

"Royal", verkauften das Zeug und versoffen den Erlös? Nicht doch, sie lassen "Memorial" nicht das Geld nehmen, um es an bedürftige Repressionsopfer zu verteilen. Für Gehaltszahlungen vielleicht, für Dienstreisen, aber Barauszahlungen für wohltätige Zwecke ausgeben, das darf man nicht. So liegen auch bis heute diese unglückseligen Tausender auf dem Konto, trocknen mit der Inflationsrate ein und erreichen nicht jene, für die sie bestimmt sind, aber auch darum geht es nicht.

Es geht vielmehr darum, weshalb trotzdem das Konto beschlagnahmt wurde. Wie Sie verstehen, sind Sie nicht die einzigen, die das interessiert. Es interessierte ebenso die Buchhalterin von "Memorial", Natalja Fjedotowa. Sie ruft bei der Finanzinspektion an und fragt:" Warum?" Darauf antwortet ihr der zuständige Inspektor namens Sergej Leonidowitsch:

"Weil ich so entschieden habe." - "Ich verstehe, daß genau Sie das entschieden haben. Aber WARUM haben Sie so entschieden?" - interessierte sich Fjedotowa, und Sergej Leonidowitsch antwortete sinngemäß, daß man vom vielen Wissen angeblich vorzeitig alt und in Trauerstimmung geraten würde.

Einen Grund führte Sergej Leonidowitsch nicht an. Er hatte entschieden - und das war's.

Am nächsten Tag fand sich dann eine vermeintliche Begründung: angeblich war der Halbjahresabschluß nicht rechtzeitig abgeschickt worden. Aber die Bilanz und eine Erklärung

darüber, daß eine Angabe bei den Einnahmen lächerlich wäre, waren bereits ACHT TAGE VOR DEM FÄLLIGEN TERMIN abgeschickt worden, und ein erstes persönliches Gespräch mit einem Mitarbeiter der Steuerinspektion bestätigte dies. Das brachte im übrigen Sergej Leonidowitsch keineswegs in Verlegenheit, und er lehnte es ab, das Konto wieder freizugeben. Warum? Nicht warum. Er gab es nicht frei - und damit basta.

Das Memorial-Konto wurde aber trotzdem freigegeben. Ohne Sergej Leonidowitsch zu fragen. Welche Gespräche dafür geführt werden mußten, welche Kräfte dazu aufgebracht wurden und wieviel kostbare Zeit die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung dafür verschwendete - darum geht es nicht und darin liegt auch nicht das Rätsel.

Das Rätsel liegt hier: Sergej Leonidowitsch hat bis jetzt nicht zugegeben, warum er das Konto beschlagnahmt hat. Und er gab auch keine vernünftige Erklärung für sein Benehmen.

Deshalb begannen die Memorialisten und ihre Bekannten verschiedene ganz wilde Vermutungen vorzubringen. Einer meiner Bekannten, ein Kaufmann, behauptete, daß "Memorial", im Unterschied zu den mächtigen kommerziellen Strukturen, aufgrund seiner bescheidenen finanziellen Möglichkeiten und hauptsächlich wegen seiner veralteten moralischen Prinzipien, nicht gerade seine Wohltätigkeit bei den Steuerinspektoren deutlich macht, und diese es deswegen nicht gerade lieben. Aber diese Inszenierung wies ich mit Entrüstung zurück. Weder Sergej Leonidowitsch, noch irgendein anderer Finanzinspektor, boten irgendeine Veranlassung dafür, daß man so über sie denkt.

Ein bekannter Demokrat, Funktionär einer winzigen Partei, überzeugte uns, daß Sergej Leonidowitsch ein tief verwurzelter Stalinist sei, der "Memorial" aus ideologischen Gesichts-punkten nachstellte. Keineswegs. Sergej Leonidowitsch ist ein junger Mann, der sich mit dem Stalinismus nicht abgeschwitzt hat. Zweifellos befindet er sich an der vordersten ideologoischen Grenze, und deswegen kann er sich gegenüber einer wohltätigen Gesellschaft, die mit dem Ziel gegründet wurde, den Opfern des GULAG Hilfe zu leisten, schlimmstenfalls gleichgültig verhalten (genauso wie die unterdrückte Mehrheit unserer Mit-bürger). Aber um ihm mit Enthusiasmus nachzustellen..... Mein Gott, wer braucht es schon, dieses "Memorial", außer zehn Mitglieder und ein paar hundert ehemalige Häftlinge.

Ja und dann - Sympathie mit den Sympathisanten, aber es gibt auch noch Gesetze, und Sergej Leonidowitsch, selbst wenn er "Memorial" dreimal haßt, könnte doch nicht einfach das Konto wieder freigeben, ohne eine gesetzliche Grundlage dafür zu haben.

Wir haben heute nicht jene Zeiten und nicht jene Bürokraten.

Das war früher, unter den Kommunisten, das Telefonrecht und anderes Teufelszeug, aber die heutigen Staatsmänner kennen noch nicht einmal die Gesetze - und wollen sie doch heilig bewahren.

Werfen wir auch die anderen Erklärungen beiseite, die ganz fantastischen (in der Art psychotronischer Strahlen, schlechter Energie aus dem Kosmos: und bis dahin denken die müßigen memorialischen Köpfe. Und einer schrie überhaupt, daß all dies die Intrige einer gewissen Galina Borissowna sei, was noch einmal mehr beweist, daß, egal, von was in einer Männergesellschaft die Rede ist, die kommen doch letztendlich zu den Frauen.

Schieben wir beiseite und lassen wir das im Zweifel. Wie das so ist: alles lief einigermaßen gut, und plötzlich - so ein Mist....

Aber das Wichtigste - es kommt vollkommen ungelegen....... . Es geht darum, daß gerade zu dieser Zeit das Krasnojarsker "Memorial" ein Buch von W. Abramkin zu verteilen begann, mit dem Titel "Wie man im sowjetischen Gefängnis überlebt". Der Autor, ein offensichtlicher Dissident, und jetzt Mitglied der Kommission für Menschenrechte vor dem Obersten Rat Rußlands, teilte seine reichen Erfahrungen des Sitzens in sowjetischen Lagern mit. (Übriegens: ich rate es zu kaufen: die Zustände haben sich dort wenig geändert, und man sollte nicht seine Tasche verwetten, daß man nicht eines Tages selbst ins Gefängnis kommt.

Um Gottes willen, aber vielleicht kann man das Buch gebrauchen.

Na ja, die Verteilung dieses Buches war eigentlich so etwas wie eine satzungsgemäße Aktion von "Memorial". "Memorial" erklärte dabei sein Vorhaben und wies auf sein Konto hin (700089 bei der Krasnojarsker Direktion der Mosbisbank, MFO 144018), auf das man 49,. Rubel überweisen sollte, um das gesuchte Buch zu bekommen. (Übrigens, es muß noch eine Bestellung geschickt werden an die Adresse 660049, Krasnojarsk, Pr. Mira, 3, "Memorial".

Es versteht sich, daß Sergej Leonidowitsch davon nichts wußte. "Memorial" machte kein Geheimnis aus seinen Absichten, aber die Veröffentlichung in der Zeitung erschien wenige Tage nach der Beschlagnahme des Kontos, so daß ich einen Zusammenhang zwischen der Ausgabe des Buches und er Konto-Beschlagnahme kategorisch verneine. Gott sei Dank, daß die Steuerinspektion noch nicht den Durchgang von Materialien in den Zeitungsredaktionen kontrolliert und keine Telefongespräche abhört (obwohl es, wie man sagt, dazu kommen wird). Und die Begründung... Das ist nicht unsere Sache - über Gründe zu rätseln. Im allgemeinen finde ich, daß Sergej Leonidowitsch gerade in dieser Zeit ganz zufällig und absolut unverbindlich dachte, daß, wenn "Memorial" vier Jahre lang ohne Bankkonto leben konnte, dann wird es auch ohne weiterleben: dem Staat erwächst daraus sowieso kein Vorteil, die staatlich angestellten Beamten bekommen allenfalls Kopfschmerzen. Nun, und da hat er das Konto beschlagnahmt. Und bis dahin dachte er ausschließlich selbst.

Ich unterstreiche: niemand hat ihm dazu geraten. Ich unterstreiche: diese beiden Ereignisse stehen in keinerlei Zusammenhang. Und ich sage verantwortungsbewußt: in unserem demokratischen Rußland gibt es keine Menschen oder Organisationen, die auf diesem Weg versuchen, die Verteilung eines Buches zu bremsen oder "Memorial" einfach das Leben schwer machen. Und jene Memorial-Bösemacher, die behaupten, daß aus dieser Geschichte einige lange blaue Ohren herausragen, die sind ganz einfach erkrankt an Verfolgungswahn und schleichender Schizophrenie (zu einigen von ihnen gibt es bereits entsprechende Erkundigungen, herausgegeben von Organen, die in psychiatrischen Angelegenheiten kompetent sind, aber man kann von ihnen nichts erwarten, außer vielleicht Analysen. Mögen sie Danke sagen dafür, daß sie selbst noch nicht arretiert worden sind.

....All das wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Die Steuerinspektion, anstatt die Machenschaften der Mafia freizulegen, behandelt einen Haufen armer Altruisten in schlechter Weise. Die Miliz, anstatt den Geldeintreibern das Handwerk zu legen, jagt alte Frauen, die an unzulässigen Stellen Handel treiben. Ich spreche wirklich nicht von den vielen anderen staatlichen Organisationen, die, anstatt sich mit dem zu beschäftigen, was notwendig ist, sich mit weiß der Teufel was befassen. Und all das ungeachtet des immer näher rückenden Jahrestages der Großen Kapitalistischen August-Revolution. Besonders traurig geht es in der Seele des gewöhnlichen Steuerzahlers zu, wenn er daran denkt, daß sie sich mit seinem eigenen Geld beschäftigen: 28% vom Vertragsabschluß, 32% vom Gewinn, und von der Einkommensteuer rede ich schon gar nicht erst.

Aber wenn man gutartig denkt, ist das menschlich verständlich: die Banditen haben Pistolen mit Automatik, Geschäftsleute Geld, und im Zusammenhang damit, unverschämte Buchhalter. Sich mit ihnen anlegen - das wird teuer. Alte Mütterchen sind eine andere Sache........... . 

Veröffentlicht in "Meine Stimme", 1993
© Alexej Babij 1993


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