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Die nebeligen Seen des Bruno Diehl

AUSSTELLUNGEN

Ein Ereignis für Kansk war die Bilderausstellung des ältesten Künstlers der Stadt am Fluss Kan — Bruno Andrejewitsch Diehl.

Den meisten Stadtbewohnern ist Bruno Diehl einfach als Andrejitsch bekannt. Er unterrichtete an der Schule, leitete zu seiner Zeit einen Kunstkreis an der Station junger Techniker und die letzten fünfundzwanzig Jahre die Künstlerwerkstatt in der Stadt. Seine schneebedeckten Neujahrsstädtchen auf dem Zentralplatz – was sind sie nur wert! Ich habe mich mein Leben lang dieser märchenhaften kleinen Städte erinnert, sie haben meine Kindheit erwärmt und selbst heute noch stellen sie eine glückliche Erleuchtung meines Gedächtnisses dar. Und da lernte ich denjenigen kennen, der dank der Ausstellung seiner Bilder mein kindliches Glück schuf.
Heuer feierte Kansk das goldene Jubiläum der kreativen Tätigkeit des Künstlers, dessen Talent als Amateur allgemeine Anerkennung fand. Davon zeugen auch der Katalog mit den Arbeiten Bruno Diehls, der vom Heimatkunde-Musem der Stadt herausgegeben wurde, sowie die zahlreichen Worte der Dankbarkeit in den im Ausstellungsaal ausliegenden Rezensionsbüchern.

Auch Bruno Andrejwitsch Diehls Vater war Künstler. Allerdings lautet der wahre Name des Vaters nicht Andrej, sondern Heinrich. Heinrich Iwanowitsch Diehl. Die Nachfahren von Einwanderern aus Lothringen und dem Elsass, Hamburger Schiffbauer und Münchener Bürger, lebten seit mehr als einem Jahrhundert mit höchster Erlaubnis der glänzenden Zarin Katharina in Russland an der Wolga. Durch ihren ureigenen Verstand und Fleiß Deutschen gelangten die Deutschen auf diesen Ländereien zu Wohlstand, und es schien, als ob das immer so sein würde. Doch der Große Vaterländische Krieg brach herein. Zu der damaligen Zeit lebte die Familie Diehl mit ihren vier Kindern in der Hauptstadt der Deutschen Republik. Der Vater war Zeichenlehrer. Bruno verstand es mit 14 Jahren den Pinsel zu führen und wollte, natürlich, ebenfalls Künstler werden. Doch ihn erwartete ein anderes Schicksal.

...In Minussinsk wurden die Sonderumsiedler Diehl freundlich aufgenommen und bekommen als Wohnort die Ortschaft Jermakowskoje zugewiesen. Seit jeher ließ Sibirien niemanden in den Abgrund sinken. Die Sonderumsiedler von den Ufern der Wolga trafen mit diesen und jenen Dingen ein, die sie in aller Eile noch zusammenraffen und einpacken konnten, bevor man sie in die Waggons trieb. Der Ortsrat teilte ihnen in Jermakowskoje ein Haus zu, die Dorfbewohner halfen ihnen mit Kartoffeln aus. Die Nationalität hatte die Sibirier noch nie interessiert, so lange die Menschen gut waren, und an die "Verbannten“ hatten sie sich hier mittlerweile auch schon gewöhnt. Bald darauf wurde Heinrich Iwanowitsch Diehl zur Front einberufen. Und die Kinder hätten weiterleben und auf den Vater warten können. Aber... er gerät in die Wjatka-Lager, wo er ungefähr drei Jahre als Holzfäller arbeiten muss. Und in der Zeit werden seine Frau und seine Kinder bereits nach Turuchansk gejagt.

Die schwächliche Ehefrau Ida Michailowna Diehl wäre mit ihren Kinderchen in dem hinter dem Polarkreis liegenden Turuchansk umgekommen, gestorben durch Hunger und Kälte, wenn Gott sich nicht als gnädig erwiesen hätte. Die Diehls trafen dort schon halb verhungert und erfroren ein. Bruno Diehl, als ältester in der Familie, fängt bei den Geologen Fisch. Und malt. Nischnaja Tunguska, wie lebendig es in den Skizzen unter seinen Pinselstrichen zum Ausdruck kommt. Die nordische Natur, ihre unermessliche Weite und berührende Schutzlosigkeit — das sind die Themen seiner frühen Werke.

Kaum noch am Leben, aber unverzagt, kehrt das Familienoberhaupt aus dem Lager zurück. Während er in Krasnojarsk auf die Befahrbarkeit des Jenisseis wartete, gelang es ihm, in Sorge um seine Kinder, sich zur regionalen Abteilung für Volksbildung zu begeben, um darum zu bitten, ihn zum Arbeiten als Kunstlehrer von Turuchansk ans Kansker Institut für Lehrerbildung zu schicken.

1947 wird in Kansk die erste Nachkriegs-Kunstausstellung in Kansk organisiert, in der Bruno Diehl die Jugend zusammenführt. Er ist 20 Jahre alt. Er beendet die Lehrkurse am Kansker Lehrer-Institut und arbeitet nun als fest angestellter Künstler im Übungsraum. Und nachts — im Atelier. 1965 leitet er die städtische Künstler-Werkstatt. Er reist viel durch die Region, fährt mit seinem Skizzenbuch im Gepäck auf den Bergflüssen des Sajan, malt den Baikal, den Jenissei...

Ohne Ende lässt sich über die Bilder des Künstlers reden, Bruno Diehls Katalog ist riesig. Eine Unmenge wird verschenkt. Doch auch diejenigen, die sich in persönlichen Sammlungen befinden, zusammengestellt und präsentiert auf der letzten Ausstellung in Kansk, Malerei und Grafik, haben buchstäblich alle verblüfft, die sie sich angesehen haben und ihn lediglich als Gestalter kannten. Ewig ist die junge, von Bruno Diehl mit dem Pinsel eingefangene Natur, — plastisch, fließend, lebendig in den plätschernden und wütend dahinfließenden Bächlein, den nebelverhangenen Seen und Bergtälern, im Rauschen des Regens und dem bläuöich-frostigen Dunst. Eine derartige Kunst heilt, erneuert die Seele.

Viele Male hat Bruno Diehl in Krasnojarsk ausgestellt, war aber auch auf republikanischen Ausstellungen in Moskau als Amateurkünstler. Bei Expositionen seiner professionellen Mitbrüder aus der Künstler-Werkstatt gelang es ihm nicht, in vollem Umfang mit seinen besten Malereien in Erscheinung zu treten. Vielleicht ist dieser hervorragende Kansker Künstler heute auch nicht, wie seine ehemaligen Schüler,- Mitglied der Künstlervereinigung Russlands? Aber das ist etwas, was mich aufregt, und vielleicht noch ein paar andere, aber nicht ihn. Seine Augen blicken dorthin, wo die sauberen, klaren Seen zu finden sind.

Valerij SCHELEGOW, Schriftsteller
Kansk

«Krasnojarsker Arbeiter», 23.03.96


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