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Was gewesen ist, ist gewesen

Es ist geschah, dass 1941 auf Beschluss der höheren Instanzen zahlreiche Deutsche aus dem Wolgagebiet in den Balachtinsker Bezirk deportiert wurden. Heute ist es schwierig, die genauen Zahlen festzulegen, aber selbst wenn auch heute noch im Bezirk eine hinreichend große Anzahl Deutscher lebt, so sind doch viele von ihnen inzwischen an andere Orte in Russland verzogen (vorwiegend deren Kinder, die in der Stadt an Instituten oder an einem Technikum studierten wollten und dann dort blieben), und ein bedeutender Teil der deutschen Familie reiste nach Deutschland aus, so dass man sich vorstellen kann, wie viele unglückliche Menschen aus ihren angestammten Plätzen, aus dem gewohnten Alltag fortgerissen und in neuen unbewohnten Gegenden ausgesetzt wurden.

Vor allem handelte es sich dabei um Frauen und Kinder, während die Ehemänner in Trudarmeen mobilisiert wurden – im Wesentlichen nichts anderes als Konzentrationslager. Glück hatte die Familie, in die der Vater, Ehemann und Ernährer aus der Trudarmee wieder zurückkehrte. Und wenn nicht?

HISTORISCHE ZUSAMMENFASSUNG
Die deutsche autonome sowjetische sozialistische Republik gehörte von 1924 bis 1941 zum Bestand der RSFSR. Sie hatte eine Größe von 28,8 Tausend Quadratkilometern. Bevölkerung: 605000 Personen (1939). Hauptstadt - Engels.
«Sowjetisches Enzyklopädisches Wörterbuch»

So geschah es auch in der Familie von Amalia Buksman (Amalie Buchsmann?), aus deren Ahnin inzwischen eine kleine, runzelige alte Frau von 92 Jahren geworden ist. Es ist unmöglich, die Erzählungen über ihr Leben, die Qualen ihrer Kinder, ihrer Familie anzuhören ohne Tränen zu vergießen. Nicht selten habe ich mich bei dem Gedanken erwischt, dass das doch alles nicht sein kann, dass es sich nur um eine Erfindung handelt, weshalb sollte man so mit jemandem umgehen? Was hatten sie sich zu Schulden kommen lassen? Und wenn ich nicht selbst während der Verbannungszeit meines Vaters geboren wäre, dann hätte ich wohl auch nicht mein gesamtes bewusstes Leben in Sibirien verbracht und vermutlich auch nicht ähnliche Berichte von Menschen anderer Nationalität gehört und würde bezweifeln, was ich dort zu Ohren bekommen habe. Aber ich weiß, dass alles genauso war, wie die Alte mit dem wohlgeformten Gesicht, die Russisch mit Akzent spricht und eine Tochter des deutschen Volkes ist, es gesagt hat.

Valerij Kern, ihr Enkel, Oberst im Ruhestand, war es, der uns zu ihr nach Hause gebracht hat. Er bringt seiner Großmutter großen Respekt und sogar Ehrfurcht entgegen, schreibt ihr, trotz ihres hohen Alters, einen gesunden Menschenverstand, ein hervorragendes Erinnerungsvermögen und ewige Fürsorge für die Kinder, Enkel and inzwischen auch Urenkel zu.

Wir hielten uns in mehreren deutschen Familien im Balachtinsker Bezirk auf; ihnen allen reichte es, wie man sagt, «bis zu bitteren Tränen», jede von ihnen trank die Tasse bis zum Bodensatz leer. Doch das Erstaunliche ist, dass sie nicht in Erbitterung gerieten, keinen Groll gegen alle hegten, die sie so gedemütigt und verletzt haben. Sie führen ihr gewohntes, normales Leben, das mit Alltagsproblemen angefüllt ist. Sie verhalten sich freundlich gegenüber den Menschen, sind gastfreundlich und herzlich. Sie denken nicht oft an die Vergangenheit zurück: wozu alte Wunden aufreißen? Die Erinnerungen sind einfach zu schwerwiegend. Und es lässt sich auch nichts mehr ändern. Die alten Leute wollen nicht mehr woanders wohnen. Sie wollen in Ruhe bis an ihr Lebensende auf sibirischem Boden bleiben, der ihnen in mehr als 50 Jahren vertraut geworden ist.

Vielleicht gibt der Herr ihnen wegen der durchgemachten Leiden, wegen ihrer reinen und gutmütigen Seelen so ein langes Leben?

In der Tat ist es uns das ganz besonders aufgefallen, dass viele der Menschen, die in diese Gegenden deportiert wurden, ihr 80. Oder 90. Lebensjahr erreichen, manche sogar noch älter werden. Was für ein Phänomen?

Irma Friedrichowna Kern sagt:
- Als sie uns im Viehwaggon von der Wolga abtransportierten, erlitt unsere Mama eine Kopfverletzung (sie stieß gegen ein Brett); man holte sie aus dem Zug und brachte sie ins Krankenhaus. Und wir drei Kinder kamen ins Kinderheim, das war bereits hier in Sibirien (insgesamt waren wir sieben Kinder). Später fand Mama uns wieder, und dann lebten wir alle zusammen. Den ältesten Bruder, der gerade erst 17 Jahre alt geworden war, holten sie sofort zur Trudarmee. Später steckten sie Mama ins Gefängnis, weil sie für die anderen Kindern eine Ähre vom Feld entwendet hatte, und dann kamen wir wieder ins Heim. Mehr kann ich nicht sagen, entschuldigt mich.

Veröffentlicht: „Gemeinschaft“ N° 4, 1998


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