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Der lange Weg ins Leben

Die Geschichte der Wolgadeutschen hat ihre Wurzeln in der Mitte des 18. Jahrhunderts. 1763 kamen sie auf Einladung Katharinas II hierher. Sie lebten – grämten sich nicht, bauten Getreide an, wie alle Menschen, schmolzen Metall, und es gab nicht einen einzigen Zweig der Volkswirtschaft, in denen sie nicht ihre Spuren hinterlassen hätten.

Doch fast zwei Jahrhunderte später kam das Ende ihres ruhigen, friedlichen Lebens: der Große Vaterländische Krieg brach aus. Im August 1941 brachen die Faschisten bis an die Wolga durch. Und die sowjetische Regierung hielt es zur Vermeidung einer möglichen Unterstützung Deutschlands durch die Russland-Deutschen für notwendig, die Wolga-Deutschen nach Kasachstan und Sibirien umzusiedeln, wo es eine Menge freies Land gab.

Unter anderen vielköpfigen Familien, die dasselbe Los ereilte, befand sich auch die Familie von Friedrich Friedrichowitsch Greb. Entsprechend dem Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR "Über die Umsiedlung der in den Wolga-Rayons lebenden Deutschen" vom 28. August 1941 wurde die Familie Greb in aller Eile, innerhalb von vierundzwanzig Stunden, aus der Ortschaft Lugowoje (Wiesenmiller), Rowenesker Bezirk (Bezirk Seelmann), Gebiet Saratow, nach Sibirien deportiert. In Lujowoje hatten sie ein gutes Leben geführt: sie hatten dort in der Sowchose gearbeitet, jeder ein eigenes kleines Stück Land besessen. Die Kinder, sechs an der Zahl, waren gesund gewesen und hatten die Schule besucht. Deswegen war für sie der Abschied von der Wolga eine Tragödie. Ihnen wurde noch nicht einmal erlaubt, viele Sachen und Lebensmittel mitzunehmen. Man versicherte ihnen vielmehr, dass man ihnen am neuen Wohnort alles zur Verfügung stellen würde.

Bis zur nächsten Bahnstation waren es 12 Kilometer. Kinder und persönliche Dinge wurden auf Planwagen mit Pferden und Kamelen transportiert. Die Erwachsenen gingen nebenher. Die Kolonne der Umsiedler war schier endlos. Alle weinten.

Am dritten Tag wurden alle auf Güterwaggons verladen, in denen es sehr kalt war, denn sie wurden nicht beheizt. Und der Weg bis ins Nowosibirsker Gebiet war weit – ganze 15 Tage dauerte die Fahrt. Lebensmittel hatten sie nicht von Zuhause mitnehmen dürfen, und sie wurden sehr schlecht verpflegt: nur einmal am Tag. Um 12 Uhr hielt der Zug, und der Waggon-Älteste brachte eine dünne Suppe und ein kleines Stückchen Brot. Und so ging es Tag für Tag... Wie sie das überlebten – kann man sich nur schwer vorstellen!

Nach einem halben Monat gelangten die Umsiedler an ihren neuen Wohnort. Ihr erstes Zuhause dort war die Kolchose "Neue Familie" im Karassuksker Bezirk, Gebiet Nowosibirsk. Sie bekamen nichts von dem, was ihnen versprochen worden war und blieben ohne eigenen Haushalt. Den Vater, die neunzehnjährige Schwester und den siebzehnjährigen Bruder mobilisierten sie 1941 in eben jene Arbeitsarmee, aus der viele nicht lebend nach Hause zurückkehrten. Alle drei aus der Familie Greb kamen dort ums Leben. Sie schafften es nicht, bis zu ihrer Freilassung zu überleben. Der Vater war damals erst 44 Jahre alt, er war von kräftigem Körperbau gewesen, gesund – doch er geriet zusammen mit seinem Sohn zum Holzeinschlag... Die Bedingungen dort waren unerträglich, und beide starben aufgrund der alle menschlichen Kräfte übersteigenden Schwerstarbeit. Der Vater – 1942, der Sohn - 1953. Über das Schicksal von Marias Schwester ist bis heute nichts bekannt.

Die Mutter blieb mit den kleinen Kindern allein zurück, und in Sibirien wurde auch noch Sohn Alexander geboren. Der älteste, Robert, war zu dem Zeitpunkt gerade 11 Jahre alt. Das Lernen war für ihn natürlich beendet, er musste seiner Mutter beim Großziehen der Kleinen helfen. Bereits mit 12 Jahren begann Robert in der Kolchose auf Pferden und Ochsen zu arbeiten, er transportierte Lasten, pflügte den Boden, säte und erntete Getreide. Seit seiner Kindheit träumte er davon, einmal Maschinen zu bedienen. Und 1944 schickte man ihn zu dreimonatigen Traktoristen-Kursen zur Maschinen- und Traktoren-Station.

Nachdem er sie erfolgreich absolviert hatte, vertraute ihm die Kolchose das Arbeiten mit einem Traktor des Charkower Traktorenwerks (Modell "Stachel") an. Zwei Jahre darauf bekam er einen neuen Ketten-Traktor („Nati“), und später einen noch leistungsstärken aus dem Charkower Traktorenwerk. Di Brüder Gustav, Wladimir und Albert wuchsen heran. Schon bald folgten auch sie dem Beispiel ihres ältesten Bruders und wurden Traktoristen.

Und dennoch gestaltete sich das Leben in der Kolchose für die Grebs schwer. Die Mutter beschloss, mit den Kindern mehr in die Nähe ihrer Brüder Emmanuel und Andrej Miller, in die Sowchose "Balachtinskij" zu ziehen. Hier wurde das Leben in materieller Hinsicht leichter. Die Brüder Greb gründeten Familien, und jeder definierte sein eigenes Schicksal auf seine Weise. Gustav, Wladimir und Albert zogen um zur Sowchose "Kurbatowskij", während Robert sich in der Sowchose "Malotumninskij" niederließ. Alle bekamen schöne Wohnungen mit technischer Ausstattung. Jeder von ihnen arbeitete dreißig oder mehr Jahre fleißig auf sibirischem Boden und besitzen Auszeichnungen, die sie für gute Leistungen erhielten. Gustav und Albert wurden mehrfach zu Gardisten ernannt, sowohl für das Einbringen der Ernte als auch für das Pflügen der Herbstäcker.

Robert arbeitete vierundzwanzig Jahre auf Traktoren unterschiedlicher Marken, und achtzehn Jahre lang saß er jeden Herbst saß er am Steuer eines Mähdreschers. Sechsunddreißig Arbeitsjahre von fünfzig arbeitete er nur in der Sowchose "Malotumninskij". Sieben Jahre davon war er als Mechaniker der Filiale Marjassowo tätig, anschließend war er acht Jahre lang Mechaniker für landwirtschaftliche Maschinen und Mechaniker für arbeitsintensive Prozesse bei der Viehzucht in der zentralen Werkstatt, weitere sieben Jahre – auf dem Posten des stellvertretenden Direktors in der Futterherstellung und ebenso viele – als Ober-Ingenieur der Sowchose. Und erst mit sechsundsechzig Jahren ging er in Rente.

Aber er muss nicht vor dem Fernseher sitzen. Mit seiner Ehefrau Berta Genrichowna unterhält er eine kleine Hofwirtschaft. Sie haben vier Kinder großgezogen, von denen sie acht Enkel bekommen haben. Sie sind im Haus immer willkommen. Für sie backt die Oma mit viel Liebe Kuchen, und auch noch für jeden nach seinem Geschmack – für den einen gefüllt mit Fleisch, für den anderen mit Marmelade, mit Kohl oder Kartoffeln. Vier der Enkelkinder studieren an der landwirtschaftlichen Universität und werden das Erbe von Ackerbauern und Viehzüchtern fortsetzen.

Und Robert Friedrichowitsch ist auch heute noch ein guter Konstrukteur und Rationalisator. Heu für die Kühe mäht er mit einer selbstgebauten Heumaschine, einem selbstfahrenden Schlepper. Aus Einzelteilen hat er einen Rechen gefertigt, ihn mit einem kleinen Muldenkipper ausgerüstet – und vieles mehr. In seinem Familienarchiv bewahrt er eine Vielzahl von Ehrenurkunden und Dankesschreiben auf, aber das schönste Geschenk für seine Arbeit war ein Auto der Marke „Moskwitsch-408", den er sich mit Gutschein № 1 vor über 34 Jahren angeschafft hat. Auch heute dient er ihm noch zuverlässig...

W. RYSCHAKO, Direktor des Bezirksmuseums

„Dorf-Nachrichten“ (Balachta), 2. November 2001
Das Material wurde vom Balachtinsker Heimatkunde-Museum zur Verfügung gestellt.


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