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Das Leben auf dem Prüfstand

Sehr geehrte Redaktion! Ich möchte von einer guten, bemerkenswerten Frau berichten, die in unserem Dorf wohnt. Es handelt sich um Klara Alexandrowna Brochowa. Geboren wurde sie 1924 im Gebiet Saratow, in der Ortschaft Gmelinka, als Kind wolgadeutscher Eltern.

Schon früh lernte sie Elend und Kummer kennen; ihre Mutter starb, als Klara fünf Jahre alt war. Sie lebte bei der Stiefmutter und ihrem Vater. Neben Klara gab es in der Familie zwei weitere Schwestern, um die sie sich kümmerte, für die sie sorgte. Wie all ihre Altersgenossinnen besuchte sie die russische und deutsche Schule und absolvierte fünf Klassen.

Und wieder wurde sie von einem Schicksalsschlag getroffen: 1937 kam ihr Vater ins Gefängnis, und sie sollte ihn nie wiedersehen. In der Sowchose Gemlinskij, an der Maschinen- und Traktoren-Station, arbeitete der gute Onkel Kolja als Leiter, und der unterbreitete Klara den Vorschlag, dort als Technikerin zu arbeiten, denn sie musste die Mutter beim Großziehen der Schwestern unterstützen. Im Leben war sie, wie sie selbst sagt, von guten Menschen umgeben, die ihr alle irgendwie halfen, vermutlich deswegen, weil Klara Alexandrowna selbst ebenfalls über eine gutmütige Seele verfügte und bei menschlichem Leid sehr mitfühlsam war.

1941 trafen Soldaten aus Moskau ein (da sie sich unter Kommandantur-Aufsicht befanden) und gaben ihrer Familie drei Tage, um ihre Sachen zu packen. Sie sollten nach Sibirien gebracht werden. Die Mutter und ihre Schwestern fuhren mit dem Schiff, sie selbst wurde vorausgeschickt. Als sie in Juksejewo eintrafen, befand sie sich mutterseelenallein unter lauter fremden Menschen. Ihre Beine schmerzten stark, sie konnte nicht laufen, hinkte, saß am Ufer und wartete auf das Schiff, mit dem ihre Angehörigen eintreffen sollten. Aber wieder fanden sich gutherzige Menschen, die das Mädchen mit sich nahmen. So kam sie in das Dorf Bolsche-Brodowo im Bolsche-Murtinsker Bezirk, wo eine alte Frau sie gesundpflegte und Klara anschließend als Kälberhüterin arbeiten konnte. Sie wohnten direkt bei der Farm, in einer eingezäunten Ecke, und die Menschen halfen ihr: manchmal bekam sie ein Kleidungsstück oder Lebensmittel, man teilte mit ihr, so gut man konnte. Im Winter versorgte sie die Kälber, im Sommer hütete sie auf der Weide. Zudem transportierten sie Brennstoff aus Bartata nach Basan.

Zu jener Zeit war in Bolsche-Brodowo Stepan Jakowlewitsch Brochow als Vorsitzender tätig; er hatte eine eigene Familie, doch seine Frau war schwerkrank, und Klara, die tagsüber in der Kolchose arbeitete, half ihm abends im Haushalt. Als seine Ehefrau starb, machte er Klara Alexandrowna den Vorschlag ihn zu heiraten.

Damals wurden die Bezirke geteilt, es entstand der Kasatschinsker Bezirk, wo man die Sowchose «Kemskoje» gründete. 1949 zog sie mit ihrem Ehemann in die Ortschaft Basan. Stepan baute eine Farm auf und arbeitete anschließend als Schmied, während sie bis 1973 als Hammerschmiedin dort tätig war. Dann zogen sie in die Siedlung Rasdolnoje; hier arbeitete sie dann schon als Wärterin in der Autowerkstatt. Man erzählt es so, als wäre das alles nichts, aber im Krieg mangelte es an allem – es fehlt an genügend Schlaf, es gab nicht genug zu essen, Menschen froren, waren halb verhungert, jedes Stückchen Brot oder Fleisch wurde abgegeben und an die Front geschickt, damit der Sieg schnell näher rückte.

Klara Alexandrowna ist «Veteranin der Arbeit». Sie und ihr Mann zogen fünf bemerkenswerte, fleißige Kinder groß, alle erhielten eine Ausbildung. Sie hat zwölf Enkelkinder und 6 Urenkel, die in den Bolsche-Murtinsker und Kasatschinsker Bezirken sowie in der Stadt Krasnojarsk arbeiten. Doch auch in friedlichen Zeiten ging das Leid nicht an dieser Frau vorüber.

Zuerst verstarb der älteste Sohn, dann ihr Ehemann, in der Armee kam ihr Enkel Kolja ums Leben, und erst kürzlich verstarb ein weiterer Enkel. Trotzdem ist die Seele dieser Frau Nicht verhärtet, sie leidet nur sehr unter dem Schmerz um ihre Verwandten, und ihre Gesundheit ist schwer geschädigt. Sie lebt bei ihrer Tochter Vera, umgeben von der Fürsorge und Aufmerksamkeit ihrer Kinder und Enkelkinder. Es scheint als wäre sie eine gewöhnliche, einfache Frau, aber wie viele Qualen und Leid entfielen auf ihr Schicksal! Wahrscheinlich sind es Menschen wie diese, die die Welt zusammenhalten.

Es sind Menschen wie sie, die fleißig gearbeitet und so gut sie konnten dabei geholfen haben, den Sieg näherzubringen. Gute Gesundheit, Tante Klara; ich verneige mich zutiefst.

G.N. Jeraschowa, Direktorin des Dorf-Kulturhauses in der Siedlung Rasdolnoje.

„NEUE ZEIT“, № 51-52, 9.04.2005.


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