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Das Stalin-Spiel

Die Idee der Errichtung eines Pantheons und eines Denkmals für den „Vater der Völker“ in Kurejka kann nur einem kranken Kopf in den Sinn gekommen sein

Wie man so sagt, hat das Unglück seinen Lauf genommen. Im Juli vergangenen Jahres schrieb ich über Kurejka: „Ich schlenderte über das dicht mit Gras und Schilf zugewucherte Gelände mit dem völlig zerstörten, niedergebrannten Stalin-Pantheon, lief durch die in einem sehr guten Zustand erhalten gebliebene Fichtenallee, erklomm das Postament, auf dem irgendwann einmal ganz standhaft und, wie es schien, für immer und ewig das Denkmal des „Führers der Völker“ stand, und erinnerte mich des Genossen Jurtschik ... Warum nur, so mag man denken, hat er versucht, ein Stalin-Denkmal im mit den Wohltaten der Zivilisation verwöhnten Krasnojarsk zu errichten und nicht in der Turuchansker Taiga? Ach so – dort, wo sich tausende von Grabhügeln unserer unschuldig umgekommenen Vorfahren befinden,, wäre das wohl etwas unpassend und ungehörig. Außerdem wäre es mit körperlichen Anstrengungen verbunden und würde zudem eine ganze Menge Geld verbrauchen“.

Die Idee wurde, wie es heißt, gezündet. Aber nun ist es schon nicht mehr der „Haupt- Parteimensch“ der Region, Wladislaw Jurtschik, sondern eine ganz und gar offizielle Persönlichkeit – nämlich der Berater des Gouverneurs, Jewgenij Paschtschenko, der, ohne an jegliche Ungehjörigkeit zu denken, für die Errichtung eines Stalin-Denkmals an den Orten eintritt, an denen er einst in der Verbannung lebte, und dabei beruft er sich auf die Initiative von ein paar turuchansker Unternehmern, die sich um die Entwicklung des Tourismus Sorgen machen. Angeblich haben sie beschlossen, für diesen Zweck durch Speichelleckerei und beschönigendes Reden eine Million Rubel zusammen zu bekommen. Es heißt, daß das Denkmal bereits bei Skulpteuren in Auftrag gegeben wurde und zum Sommer fertig sein soll.

Weshalb aber belästigen Sie, liebe Herren, Skulpteure damit? Wenn die Gedanken und Ideen so am Glühen sind, dann organisieren Sie doch eine Expedition und heben Sie vom Grund des Jenisej die bereits fertige, zehn Meter hohe Statue. Schließlich ist sie nicht mit der Strömung davongeschwommen, sondern liegt irgendwo in Ufernähe. Aber das ist schwierig und mühsam. Aber Nachrichten über irgendeine billige, in aller Eile geschaffene Skulptur in die ganze Welt hinauszuposaunen, das ist eine Public Relations-Aktion für sich – und es ist viel einfacher.

Ich kann mir das Bild schon lebhaft vorstellen: findige Jungs stellen auf dem halbzerstörten Postament eine neue Figure des Führers auf.. Hinter ihr, der Figur – die Ruinen des Pantheons, dessen Wiedererrichtung nicht eine, sondern dutzende, wenn nicht hunderte Millionen Rubel verschlingen wird. Wieviele Touristen muß man da wohl nach Kurejka schaffen, um diese Kosten zu rechtfertigen?

Und, mit Verlaub gesagt, womit soll man sie wohl dorthinschaffen? Den langjährigen Stolz der Jenisej-Flotte – den Dampfer „Anton Tschechow“, hat bei seinen Nordmeer-Fahrten beinahe der Tod ereilt – inzwischen durchfurcht er fremde Gewässer. Das Touristengschäft auf dem Jenisej befindet sich am Rande des Verschwindens, denn niemand schickt sich zum Kauf komfortabler Passagierschiffe an. Ausgedient haben auch bereits seit langem die völlig veraltete „Matrosow“ samt ihrer Artgenossen – und bis nach Dudinka werden lediglich Lastschiffe gehen. Oder sollen etwaige Touristen vielleicht in den Frachträumen und auf Lastkähnen in den Norden transportiert werden, wie früher die Häftlinge?

Natürlich kann man auch mit dem Fluzeug nach Igarka oder Turuchansk fliegen und von dort mit Kuttern bis nach Kurejka. Aber ob sich wohl viele finden werden, die diesen schwierigen und kostspieligen Weg auf sich nehmen wollen? Derzeit sind sie am Horizont noch nirgends zu sehen. Der Volkspfad zum Pantheon ist längst zugewuchert, im direkten wie auch im übertragenen Sinne, und kaum jemand, nicht einmal einer, der den dreifachen Rang eines Gouverneursberaters einnimmt, wird diesen Pfad wiederherstellen können.

Wie man es auch dreht und wendet – nach Business riecht die Errichtung eines Stalin-Denkmals jedenfalls ganz und gar nicht. Da bleibt nur eines – die Politik. Wenn es nur die Partei der kommunistischen Partei wäre, dann könnte man das noch akzeptieren. Aber dahinter stehen jene, die derzeit an der Macht sind.

Unser Gouverneur wiederholt immer wieder, daß die Region Krasnojarsk eine Region mit Lokomotiven-Charakter ist: sie befindet sich in Bewegung. Ob das Volk daran glaubt oder nicht, kann ich nicht beurteilen, aber eines weiß ich sehr genau: in ganz Rußland hört man momentan nicht viel von irgendwelchen wirtschatlichen Plänen, sondern vielmehr von Projekten, die der Verewigung des Josef Wissarionowitsch dienen. Als ob irgendjemand ganz bewußt diese krasnojarkser Lokomotive auf die Stalinsche Eisenbahnlinie rollen läßt, auf der schon längst keine Schienen und Brücken mehr existieren.

Wladimir PAWLOWSKIJ
„Krasnojarsker Arbeiter“, 22.04.06

AUF DEN FOTOS:

Fotos von Aleksander KUSNETSOW und dem Autor


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