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Wird Stalin in die Turuchansker Verbannung zurückkehren?

Der Versuch einer kommunistischen Tourismus-Industrie

Mit einer Hartnäckigkeit, die eigentlich besser dem Einsatz auf einem anderen Tätigkeitsfeld würdig wäre, wird in der Region Krasnojarsk versucht, ein Denkmal zu Ehren Stalins zu errichten. Im Gwardejsker Park hatte man damit keinen Erfolg – also dann vielleicht im Ruhmes-Pantheon. In Krasnojarsk kam man mit der Idee auch nicht durch – dann kann man es ja wenigstens in Schelesnogorsk versuchen. Aber auch dort gelang es nicht – also schön, dann eben in Kurejka (in diesem Dorf verbrachte Josef Dschugaschwili bis 1916 eine Verbannungsstrafe).

Möglicherweise geht es überhaupt nicht um Stalin: es ist ein gründlicher Kampf im Gange, und offenbar hat irgendwer es nötig, die Region Krasnojarsk und ihren Gouverneur in Mißkredit zu bringen. Die Herren dort oben raufen sich, und die kleinen Kriecher unten bekommen alles ab: und wir, die Krasnojarsker, stehen voller Schande vor der ganzen Welt da.

Leider ist auch die krasnojarkser Gesellschaft „Memorial“ an dieser Public-Relations-Aktion beteiligt. Leider – weil Stalon als solcher für uns kaum von Interesse ist: uns interessiert vielmehr das Schicksal der Menschen, deren Leben während seiner Regierung zerstört wurde. Aber wenn sich mit der Lobpreisung Stalins nicht die alten Mütterchen auf den Straßen anfangen zu beschäftigen, sondern die Beamten in den Verwaltungen, dann sind wir zur Belustigung der Masseninformationsmittel gezwungen, uns in den Kampf einzuschalten. Und somit wird es also erforderlich, vorübergehend die Arbeiten an der Ausgabe des vierten Bandes des Buches der Erinnerung, ebenso wie eine Vielzahl anderer wichtiger und notwendiger Angelegenheiten, im Stich zu lassen, um bei den immer wieder auftretenden verschrobenen Einfällen Halt zu machen. Jetzt geht die Initiative schon nicht mehr von der Stadt-, sondern von der Regionsverwaltung aus, und dem älteren Paschtschenko - Oleg, kam der jüngere – Jewegenij, zu Hilfe (eben von diesem Oleg Paschtschenko stammt die Idee, einen Fond zu gründen und eine Expedition zur Hebung des 1963 mitsamt seinem Sockel in den Jenisej geworfenen Stalin-Denkmals zur nachfolgenden Wiedererrichtung zu organisieren).

Angeblich soll das Stalin-Denkmal aus reinen kommerziellen Gründen aufgestellt werden. Aber für jeden beliebigen Menschen, der über einen gesunden Menschenverstand verfügt, ist es offensichtlich, daß eine derartige Investition sich niemals rentieren wird. Stalin ist nur für die Gebrüder Paschtschenko ein großartiger Führer, aber bei normalen westlichen Bürgern ruft er beispielsweise eine ebensolche Abscheu hervor wie Hitler. Meine Bekannte, eine Deutsche, die bereits einmal eine Schiffsreise auf dem Jenisej unternommen hat, schrieb mir, daß sie ihre Fahrkeite unverzüglich zurückgegeben hätte, wenn im Programm der Besuch eines Stalin-Denkmals enthalten gewesen wäre. Auch das Lumpen-Proletariat und die Lumpen-Intelligenz werden nicht dorthin fahren – sie haben nicht das nötige Geld dafür. Und wer das Geld hat, der muß sich nicht ausgerechnet an solche Orte begeben. Fachleute haben einheitlich ausgesagt: der Russische Tourismus-Verband hat das Projekt als unrentabel und zudem als unethisch definiert. Und diese Leute verstehen etwas vom Touristengeschäft - im Unterschied zum Berater des Gouverneurs.

Also, ein kommerzieller Nutzen ist nicht zu erwarten, dafür ist der politische Vorteil ganz offensichtlich. Es fällt auf, dass das Wichtigste an dem ganzen Projekt das Errichten des Denkmals ist, und zwar so schnell wie möglich. Man hat die Absicht, anschließend auch das Pantheon wieder aufzubauen, was einige Jahre dauern wird (und während dieser Zeit stirbt entweder der Herr oder der Esel). „Um das Ganze zu vertuschen“, spricht man ganz verschwommen darüber, dass man für die Opfer politischer Repressionen und zum Gedenken an die Lager-Bauverwaltung 503 ein Denkmal aufstellen will (1). Aber gerade die Turuchansker Verwaltung war es, die vor einem Jahr, nachdem sie das Stalinsche Projekt abgesegnet hatte, die Siedlung Jermakowo ausplünderte, indem sie zwei zu den Raritäten zählende Lokomotiven von dort fortschaffen und die historischen Exponate zur Metallver-schrottung bringen ließ. Mit Schaudern denkt man daran, was wird, wenn sie, die Verwaltung, sich nun auch noch tatsächlich direkt daran macht, die Jermakowsker Lager zu einem Museum zu gestalten, aber nach allem zu urteilen, droht uns das nicht. Bis zu r Errichtung eines Pantheons wird es wohl kaum kommen. Jermakowo bleibt auch so ein ausgeplünderter Ort. Und Stalins Denkmal wird bereits in diesem Sommer, weshalb auch dieses ganze Drumherum überhaupt entstanden ist.

Aber in dieser Geschichte gibt es noch ein kleines unangenehmes Detail. Selbst wenn wir mal annehmen, dass es gar keinen politischen Auftrag gab, so gab es doch einen kommerziellen Gesichtspunkt – wenn auch einen nicht sehr klugen. Es ist offensichtlich, dass, unabhängig von den Motiven, die zu einer derartigen Entscheidung geführt haben, diese Entscheidung dennoch eine politische war. Und das Ganze war auch nicht nur auf einen regionalen Maßstab begrenzt – das ist deshalb so auffällig, weil das Projekt sogar in der Weltpresse behandelt wurde (eine typische Überschrift –„Chloponin errichtet ein Pantheon für Stalin“). Aber diese politische Entscheidung wird ohne weitere Erörterung durch die Öffentlichkeit gefaßt, ohne das Einverständnis mit den Behörden auf entsprechender Ebene – in diesem Fall mit dem Gouverneur der Region. Das muß ja nicht unbedingt ein unbekannter turuchansker Geschäftsmann oder das Oberhaupt der Region verstehen. Aber der Berater des Gouverneurs sollte eigentlich trotzdembegreifen, dass er eine Entscheidung nicht auf seiner Ebene trifft, und zudem auch noch nicht einmal für seine Region, dass er dem Gouverneur nicht bloß Ratschläge erteilen soll, sondern sich gelegentlich auch mitihm selbst beraten sollte. Er hat es nicht begriffen. Im Geschäftsleben nennt man so etwas Selbstdelegierung,und es endet in der Regel damit, dass man dem recht waghalsigen Mitarbeiter kündigt.

Und nun wurde Chloponin einfach vor die vollendete tatsache gestellt (oder, genauer gesagt, er wurde zum Sündenbock). Ich glaube nicht, dass die ganze Situation Alexander Gennadewitsch Freude gemacht hat. Und er hat das Recht zu fragen: „Wer ist der Herr im Haus, ich oder die Katze?“

Chloponin hat seine Meinung in einem Interview mit der Zeitung „Iswestija“ kundgetan: „Wir werden die alten Denkmäler nicht beseitigen, aber es werden auch keine neuen errichtet“. Hoffen wir, dass das Thema damit beendet ist. Aber endgültig wird die Situation erst in drei bis vier Monaten geklärt sein. Die Hühner werden im Herbst gezählt – und im Herbst werden wir dann sehen, wer der Herr im Haus ist. Falls in Kurejka ein Stalin-Denkmal auftauchen sollte, dann ist es wahrscheinlich – die Katze.

Anmerkungen

1) Nach der 1949 getroffenen Entscheidung über den Bau der Eisenbahnlinie Salechard-Igarka, wurde mit deren Realisierung gleichzeitig aus beiden Richtungen durch zwei Bau-Verwaltungen begonnen – Nr. 501, die den Bau aus westlicher Richtung begann, und Nr. 503, die im Osten anfing zu bauen. Etwa 900 Schienenkilometer wurden verlegt. Der Bau, der durch die Arbeitskraft von Häftlingen verwirklicht wurde, wurde bald nach Stalins Tod eiligst eingestellt. Die durch den ewigen Frost verschandelten Überreste dieses grandiosen Bauwerks nennt man heute „Straße des Todes“.

Aleksej Babij, Vorsitzendr der Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft

polit.ru 25. April 2006, 08.44


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