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Das Gefühl gegenüber dem Führer

Die kürzliche abgehaltene Umfrage des WZIOM (Allrussisches Zentrum für Meinungsforschung; Anm. d. Übers.) hat verdeutlicht: 50% der heutigen Russen „bewerten die Rolle Stalins positiv“, 37% sind ihm gegenüber „negativ eingestellt“. Es ist interessant, dass beinahe die gleichen Proportionen, nämlich 46% „für“ und 39% „gegen“ ihn, auch bei den jungen Leuten gestzustellen ist. Was kann man daraus folgern? Wenn man sich ein wenig hineindenkt, wenn man Vergleiche mit anderen Umfragezahlen zur „Wert-Orientierung“ vornimmt, dann gibt es keineswegs Sympathien gegenüber dem Sozialismus, der sowjetischen Vergangenheit, usw.

Aber zunächst noch eine Zahl zur besseren Verdeutlichung. Schließlich kann man mit einem Akteur des öffentlichen Lebens, also einer historischn Person, sympathisieren, als jemand, der unter ganz bestimmten Bedingungen gelebt und Entscheidungen getroffen hat. Man kann sich doch für den großen Chingis Khan begeistern, ohne ihn sich dabei gleich in die Reihen der Gebieter des heutigen Rußlands zu wünschen, oder man kann Napoleon mit einer sehr progressien Persönlichkeit des politischen Lebens gleichsetzen, ohne dass hier und jetzt seine damaligen Methoden wieder Eingang finden. Aber Stalin setzt nicht nur ein Zeichen für die Vergangenheit. 42% erklärten, dass das derzeitige Land einen Staatsman „Stalinscher Art“ braucht.

„Was für ein riesiges linkes Elektorat!“ – sagt der oberflächliche Analytiker und irrt sich gewaltig. Das ist kein linkes Elektorat, sondern vielmehr ein radikal rechtes - und kein liberales, versteht sich. Das viktorianische England oder Italien zur Zeit Mussolinis waren nicht liberal, aber sie waren, gelinde ausgedrückt – rechts. Und nun wieder zu Stalin. Der Test ist ganz einfach: als äußerst rechts in der Bewertungsorientierung erwiesen sich alle Russen, die Stalin mehr lieben als Lenin, die Oktober-Revolution, den sozialistischen Aufbau, usw. Mehr noch, diese beiden Arten von Sympathie stehen in keinerlei Wechselbeziehung zueinander. Man kann die „Roten“ hassen und sich für das „Stalinistische Imperium“ begeistern. Eine solche Position haben in der Regel die russischen Nationalisten inne. Und es gibt nicht wenige Geschäftsleute denen von den Begriffen Revolution, RSDRP (B), Marxismus und „Kapital“ schlecht wird, die jedoch den „Vater der Völker“ verehren.

Man kann die Sowjetunion von zwei völlig unterschiedlichen Positionen aus bewerten. Man kann sie hoch einschätzen, weil „damals Ordnung herrschte“, „Amerika Angst vor uns hatte“, es eine „vertikale Staatsmacht“ war, wohingegen s sich bei dem heutigen Putinschen Regime eher um eine Laienspielgruppe handelt. Und man kann sie auch deshalb hoch bewerten, weil es hier eine kostenlose medizinische Versorgung, ein kostenfreies Bildungssystem, kostenlosen Wohnraum, einen fortschrittlichen Stand der Wissenschaften und eine Weltkultur gab. Und außerdem existierten eine vertikale Mobilität, auf die so manches Land neidisch war, sowie die von der Propaganda deklarierte „Hochachtung vor dem werktätigenMenschen“. Auf den ersten Blick mag man das nationalsozialistisch nennen, auf den zweiten – sozialdemokratisch. Im ersten Fall wird Stalin als Stützpfeiler des Vaterlandes gesehen, der Rußland mit seinen stacheligen Handschuhen angepackt hat. Im zweiten sieht man in  Josef Wissarionowitsch – die Reaktion, den Thermidor (Begriff aus der französischen Revolution = Tag, an dem die Revolution endete; Anm. d. Übers.), „er hat die Sowjets abgeschafft“, „er hat das Leninsche Erbe verraten“, er ist der schwarze Fleck vor dem hellen, klaren Hintergrund der UdSSR. Wenn man ihn auch akzeptiert, so doch nur als etwas „unvermeidliches, unausweichliches Böses“.

Es läßt sich leicht erraten, zu welchem Typ die Mehrheit der Verehrer des Generalissimus gehört und was für Perspektiven sich daraus ergeben.

Krasnojarsker Abendblatt 09.08.06


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