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Ein Bezirk, ein Land

Gedenkdaten

Im Bezirks-Heimatkundemuseum fand eine Begegnung statt, die dem Tag des Gedenkens an die Opfer der politischen Repressionen gewidmet war, der am 30. Oktober begangen wird.

An der Museumsbegegnung, die dem Tag des Gedenkens an die Opfer der politischen Repressionen gewidmet war, nahm Aleksej Babij – Leiter der Krasnojarsker «Memorial»-Organisation, Autor zahlreicher Bücher und Publikationen zur Geschichte der politischen Repressionen in der Region Krasnojarsk, ein großer Freund und Gleichgesinnter des Balachtinsker Museumskollektivs, teil. Aleksej Babij brachte hundert Exemplare des 13. Bandes des Buches der Erinnerung an die Opfer der politischen Repressionen in der Region Krasnojarsk mit, in dem ungefähr siebenhundert Namen von Einwohnern des Daurischen und des Balachtinsker Bezirks verewigt sind, unter anderem die Familiennamen enteigneter Bauern. Die Museumsmitarbeiter laden die Einwohner des Bezirks ein, sich mit dem Buch vertraut zu machen und vielleicht darin Nachnamen ihrer Angehörigen zu finden. In einem solchen Fall wird das Buch der Familie zum Geschenk überreicht.

Nach den Worten der Museumsdirektorin Jelena Artjuschina hat sich das Museumskollektiv erstmalig in seiner Tätigkeit diesem tragischen Datum zugewandt. Die Mitarbeiter waren verblüfft, wie weiträumig und tiefgreifend die Geschichte der tragischen Schicksale verfolgter Menschen in unserem Bezirk und auch außerhalb seiner Grenzen ist. Wie sehr haben ganze Generationen gelitten, in Angst gelebt, waren gezwungen, ihre Verwandtschaft zu den lieben Verwandten und Nahestehenden zu verbergen. Zusammen mit vielen anderen sind ihre Namen in Vergessenheit geraten.

Um die ungerechterweise verlorengegangene Erinnerung wenigstens teilweise wiederherzustellen, wird in Moskau am Tag des Gedenkens an die Opfer der politischen Repressionen auf Initiative der «Memorial»-Organisation die Aktion «Rückkehr der Namen» durchgeführt. Teilnehmer der Versammlung verlesen der Reihe nach den ganzen Tag über die Namen von Menschen, die in den Jahren 1937-1938 erschossen wurden. Auf dem Podium werden Sozialaktivisten, Funktionäre aus dem Bereich der Kultur sowie einfache Bürger stehen, die einander abwechseln, damit die Wiederherstellung der Namen über einen Zeitraum von zehn-zwölf Stunden nicht unterbrochen wird. Im Laufe der Zeit wurde die Aktion auch von anderen Städten Russlands aufgegriffen, in denen es jeweils lange Gedenklisten gibt.

Unsere Antwort an die großen Städte war das themenbezogene Treffen im Museum und eine Ausstellung von Fotos, Dokumenten, Briefen von Verfolgten und ihren Angehörigen. Es ist der Beginn einer großen Arbeit zum Sammeln von Informationen, aber es gibt noch leere Ausstellungsstände, die von allen interessierten Einwohnern des Bezirks vervollständigt werden können. Häufig verhält es sich so, dass es zwar ein Foto gibt, es jedoch unmöglich ist, eine Bildunterschrift darunter zu setzen, weil bis heute zahlreiche Archiv-Zeugnisse mit dem Stempel «Geheim» versehen sind und keine näheren Angaben dazu gemacht werden dürfen. Zum großen Bedauern sind viele Namen gänzlich im Zuge der tragischen Ereignisse unserer historischen Vergangenheit verlorengegangen. Sie für die gemeinsame menschliche Erinnerung wiederherzustellen – ist unsere heilige Pflicht!

Zu diesem Zweck wurde auch das Treffen im Museum organisiert. Die Museums-Mitarbeiterin und Heimatkundlerin Nina Laletina sagte: "Ich irre nicht, wenn ich behaupte, dass fast alle, die sich heute in diesem unserem gemütlichen Raum befinden, irgendeinen Bezug zu diesem traurigen Oktober-Datum haben. Um in einem vereinten Bild zu sammeln, wie die Verfolgungen die Einwohner unseres Bezirks berührten, haben wir unsere Gäste auch dazu aufgerufen – ihre Geschichten zu erzählen, Fotomaterial und Dokumente ihrer Angehörigen mit anderen zu teilen.
Nach den offiziellen Informationen zu urteilen, gibt es bei uns Menschen, die etwas haben, was sie teilen können... Die Massen-Repressionen begannen im Balachtinsker Bezirk Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre. Sie führten dazu, dass Inhaftierungen und Erschießungen eine Vielzahl von Kindern und Heranwachsenden zu Waisen machten. Man musste ein Kinderheim abseits des Flusses Syr eröffnen – für Kinder, die beide Elternteile verloren hatten. Bleibt nur zu erraten, was für ein Grauen, was für einen Alptraum, diese Kinder erleben mussten, die nun zu Vollwaisen geworden waren.

In den ersten Monaten des Großen Vaterländischen Krieges setzte die Massen-Deportation der Wolgadeutschen in den Balachtinsker und den Daurischen Bezirk ein. Nach dem Krieg, schon 1949, nahm unser Bezirk hauptsächlich Frauen und Kinder aus Lettland, Litauen und Estland auf. Die Männer wurden von ihren Familien getrennt und Gefangenschaft geschickt. Die Frauen und Kinder mussten unermüdlich arbeiten, bisweilen alle menschlichen Kräfte übersteigenden Tätigkeiten verrichten, um wenigstens sich wenigstens notdürftig ernähren zu können. Manche überlebten, andere verhungerten.

Erst nach 1953, als das Dekret «Über die Amnestie» herauskam, wurde der große Beitrag, den die Deportierten zur Entwicklung, Wirtschaft und Infrastruktur des Bezirks geleistet hatten, anerkannt.

Darüber wie sie gelebt, gearbeitet, Familien gegründet, ihren Stammbaum fortgeführt hatten, hörte man am Gedenktag Gedichte und Lieder, Erzählungen und Erinnerungen. Gekrönt wurde die Begegnung von der symbolischen Aktion «Wege mit Nadelstichen», als hausgemachte kleine Teppiche im Schnee einen Kreis bildeten, und alle Teilnehmer der Zusammenkunft sich daraufstellten und an den Händen hielten – als Zeichen dafür, dass die verschiedenen, nicht leichten Wege sie alle in eine Bezirk, auf ein Fleckchen Erde, gebracht hatten, das ihnen nun zur Heimat geworden war.

Natalia SOLOWJEWA

 

„Dorf-Nachrichten“ (Balachta), 04.11.2016
Das Material wurde vom Balachtinsker Heimatkunde-Museum zur Verfügung gestellt.


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