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Mühlsteine des Schicksals

WER WEISS, WAS KREPPEL (KRAPFEN) SIND, der begreift sofort, dass es sich um die deutsche Küche dreht. Es ist ein Schmalzgebäck, nur dicker, zu dessen Zutaten Sauermilch oder Kefir, Schmand oder Joghurt, oder alles zusammen, gehören, und außerdem Mehl, Milch, Butter, Soda, Eier und ein wenig Hefe.

Sehr leckere und aromatische Kreppel gelingender Einwohner von Balachta Tamara Greb – du leckst dir alle zehn Finger danach ab! Natürlich besitzen hier, außer den Zutaten, auch die besonderen Kenntnisse, die seelische Befindlichkeit und die warmen Hände der Hausherrin eine entscheidende Bedeutung. Diese Eigenschaften und die Liebe zu ihrer nationalen Küche hat Tamara Jakowlewna von ihrer Mutter übernommen, die bis zu ihrem Lebensende bei der Tochter gelebt hat.

Nach Sibirien wurde die kinderreiche Familie von Jakob Schmidt (ein Sohn und vier Töchter) 1941 aus dem Gebiet Saratow deportiert, als das fünfte Kind - Tomotschka – gerade erst sieben Monate alt war. Man siedelte sie in Balachta, in Kulitschki, an. Bald darauf holte man den Vater in die Trudarmee nach Perm - zum Holzeinschlag, von wo er nicht mehr zurückkehrte, und so musste Maria Jegorowna ihre Kinder allein aufziehen. Sie arbeitete als Melkerin in der Sowchose, später – in der Ziegelfabrik. Noch als Kind erfuhr Toma die Schwere körperlicher Arbeit. Zusammen mit dem älteren Bruder und den Schwestern ging sie in die Ziegelei, um dort etwas hinzu zu verdienen: mit ihren kleinen Kinderhänden legte sie Ziegel in den Brennofen oder reichte, zusammen mit den anderen, eingetroffenen Käufern beim Abladen jeweils zwei Ziegelsteine zu. Ungeachtet der Schwierigkeiten verstand es Tamara, die Zehn-Klassen-Schule zu beenden; sie besuchte die Abakansker Handelsschule und begann 1963, im Alter von 22 Jahren, in einem ehemaligen «Fisch»-Geschäft zu arbeiten, das sich neben dem Agrar-Technikum befand.

Im selben Jahr 1963 wurde der junge Alexander Greb, den sie auf einem der Tanzabende kennengelernt hatte, zum Wehrdienst in die Sowjetarmee eingezogen. Damals stellte der Armeedienst eine große Herausforderung für den noch recht jungen Burschen dar. Die dort herrschenden Bedingungen glichen denen, die zu Kriegszeiten herrschten, und die Wehrpflichtzeit belief sich auf drei Jahre. Daher war dieser lange Zeitraum für die jungen Männer eine echte Aufnahmeprüfung in das Erwachsenenleben. Von dort kehrten nun bereits ernste junge Männer zurück, die moralisch und physisch auf das Familienleben vorbereitet waren. Man muss dazu sagen, dass Alexander Greb nicht an der Wolga geboren wurde – der zweiten Heimat der Russland-Deutschen, sondern in Sibirien, im Nowosibirsker Gebiet, und zwar ein halbes Jahr nach den Deportationen.

Man wies der Familie Greb ein kleines Haus in einer der Kolchosen zu. Saschas Vater – Fjodor Greb, richtete die Kate, so gut es ging, her, damit es für die kleinen Kinder und seine schwangere Frau ein wenig leichter wurde, die grimmigen sibirischen Fröste zu ertragen, aber schon kurz darauf «holten» sie ihn zur Trudarmee. So konnte er die Geburt seines nächsten Kinds nicht mehr erleben. Und wie sehr hatten er und seine Frau Maria von einer Tochter geträumt, denn in der Familie gab es bereits vier Söhne! Aber leider wurde 1942 der fünfte Sohn geboren; seine Ehefrau schaffte es irgendwie, Fjodor eine kurze Nachricht darüber zukommen zu lassen, und ihm gelang es, Glückwünsche zu übermitteln.

«Vater geriet nach Nischnij Tagil zum Holzeinschlag und kehrte nicht mehr nach Hause zurück – er kam dort ums Leben. Ein Glück nur, dass Mama nähen und stricken konnte. Das half uns zu überleben. Es gab sogar einen Moment, dass sie uns beiden letzten Brüder wegen der Armut ins Kinderheim stecken wollten, aber Mutter lehnte das entschieden ab. Ihre Worte waren: «Entweder sterben wir alle oder wir werden gemeinsam überleben» - Das habe ich mein ganzes Leben nicht vergessen», - erzählt Alexander Fjodorowitsch.

Ein wichtiges Ereignis in ihrem Leben trug sich 1950 zu. Die Familie zog in die zweite Abteilung der Balachtinsker Getreidesowchose um (Siedlung Wolnij), wo das Leben etwas leichter war. Hier konnte Sascha nur die Grundschule absolvieren (in der Kolchose besuchte er die Schule nicht – er besaß nichts zum Anziehen). «Mutter wäscht – du sitzt nackt da und wartest, bis die Wäsche trocken ist», - erinnert sich Alexander mit einem traurigen Lächeln.

Der älteste Bruder Roman arbeitete auf einem Traktor. Er war spindeldürr und konnte manchmal das «eiserne Pferd» (es wurde mit einer Kurbel angeworfen) nicht lenken, so dass die Arbeiterin am Anhänger, eine gesunde Frau, ihm half. In Wolnij arbeitete auch der zweite Bruder - August. Sie wohnten zuerst in einer Baracke, später bekamen sie eine kleine Kate zugewiesen. Im Zimmer stand eine Schlafkoje, auf der die Mutter schlief, und darüber, auf zwei Regalbrettern schliefen die Brüder.

Es kam die Zeit, als der älteste Bruder heiratete und in ein eigenes Zuhause zog, später auch der zweite und dritte Bruder. Zuhause blieben Sascha und sein Bruder Albert. Sie lebten einträchtig miteinander, arbeiteten als Mechanisatoren, unterhielten ihren Haushalt, mähten per Hand Heu für das Vieh. Es gab eine Menge zu tun, doch die jungen, gesunden Jungs fanden auch Zeit für Unterhaltung. Es tauchten zahlreiche Freunde und bekannte Mädchen auf. Alle standen miteinander in einfachen, freundschaftlichen Beziehungen. An einem der gesegneten Tage lernte Sascha Tamara Schmidt kennen und verliebte sich in sie, wie man so schön sagt, «bis über beide Ohren». Das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit, und das Mädchen versprach dem jungen Mann, drei lange Jahre auf ihn zu warten, während er seine Schuldigkeit gegenüber dem Vaterland tat.
Der Dienst in der Armee fiel Alexander nach all den Erfahrungen des bisherigen Lebens leicht, wenngleich er im Kommandanten-Zug diente, wo eine eiserne Disziplin herrschte. Bereits nach einem Jahr wurde er für seinen vorbildlichen Dienst mit Urlaub belohnt und kam nach Hause. Während seines Aufenthalts wurde klar, dass die Gefühle der beiden Verliebten nicht erloschen waren, im Gegenteil, sie entflammten noch mehr. Sie schworen sich Treue und Alexander kehrte beflügelt für weitere zwei Jahre zu seinem Truppenteil zurück.

Und während der Balachtinsker Romeo seinen Wehrdienst ableistete, verlor Tamara auch keine nutzlose Zeit und erfüllte sich ihren Traum — sie besuchte Krankenschwestern-Kurse am zentralen Krankenhaus. Nach Beendigung der Kurse bot man ihr eine Arbeit als Krankenschwester in der chirurgischen Abteilung an.

Alexander wurde zu Neujahr 1967 demobilisiert, und zwei Wochen später feierten er und Tamara eine bescheidene Hochzeit. Sascha meldete sich anschließend zu Fahrer-Lehrgängen beim Autohof an. Er lenkte einen Lastwagen und besuchte parallel die Abendschule. Zu der Zeit befassten sich viele Erwachsene mit ihrer Ausbildung – diejenigen, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht geschafft hatten, seinerzeit die den Mittelschulabschluss zu machen. Nachdem er das Reifezeugnis erhalten hatte, schrieb sich Alexander, ohne zu zögern, am Minussinsker Technikum für Landwirtschaft ein und erlernte dort den Beruf eines Technikers und Mechanikers. Seine Versetzung übernahm der Ingenieur-Inspektor der Staatlichen Technischen Aufsicht, wo Greb fast zwanzig Jahre tätig war – bis eben dieses Unternehmen umorganisiert wurde. Alexander Fjodorowitsch musste zur Kommunalwirtschaft wechseln, wohin man ihn einbestellte. Neben seiner Haupttätigkeit nahm Alexander Greb aktivsten Anteil am gesellschaftlichen Leben der heimatlichen Siedlung: er war freiberuflich bei der Staatlichen Automobil-Inspektion tätig und einfach nur ein toller und nicht gleichgültiger Bursche.

Es ist schon lange aufgefallen, dass das Leben demjenigen wohlgeneigt ist, der sich unermüdlich und zielstrebig bemüht, sich und seine Umgebung zu verbessern und zu vervollkommnen. So geschah es auch mit der jungen Familie Greb. Die Eheleute arbeiteten beharrlich, zogen Kinder groß: 1967 wurde Tochter Tanja geboren, 1972 Stammhalter Sascha. Amara musste im ersten Arbeitsjahr ihre Tätigkeit als Krankenschwester wegen einer starken Allergie gegen Penizillin-Präparate abbrechen. Das Schicksal war ihr wohlgesonnen und brachte die junge Frau auf einen anderen Weg — den Weg der Erziehung von Kindern. Sie setzte ihre Arbeit als Krankenschwester im Balachtinsker Kindergarten ¹ 1 fort und wurde nach einiger Zeit, nachdem sie Fortbildungskurse in Krasnojarsk absolviert hatte, Erzieherin der Krippen-Gruppe. Tamara Jakowlewna widmete 30 Jahre ihres Lebens (bis zur Schließung des Kindergartens) den kleinen Bürgern unseres Landes und gab ihnen alle Wärme ihrer reinen Seele.

Aktiv, zielstrebig, keineswegs gleichgültig oder desinteressiert, war diese liebe, bescheidene Frau stets mittendrin im Balachtinsker Leben. Deputierte des Siedlungsrats, Volkslaienrichterin bei Gericht, Teilnehmerin an künstlerischen Amateur-Aktivitäten — überall war sie eine der Besten. Ihr Porträt prangte am Ehrenbrett, sie ist im Besitz einer Medaille «Veteran der Arbeit» sowie zahlreichen Ehrenurkunden.

Auch heute noch fehlt den Eheleuten Greb immer noch die Zeit, um sich auszuruhen. Alexander Fjodorowitsch bezeichnet sich selbst als «Workaholic»: ständig beschäftigt er sich in seiner Wirtschaft, nebenbei hilft er der Familie des Sohnes, die nicht weit entfernt wohnt. Und Tamara Jakowlewna läuft im Haus, im Gemüsegarten herum, erzieht die Enkelkinder, die Oma und Opa häufig besuchen, versorgt die Kuh und bereitet in den freien Minuten ihre einmalig leckeren Krapfen zu.

E. Dobrjansky

„Dord-Nachrichten“ (Balachta) N° 35 (10860), 1. September 2017
Das Material wurde vom Balachtinsker Heimatkunde-Museum zur Verfügung gestellt.


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