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Wie alles begann

Tugatschinsker Kraslag: Menschen und Schicksale. Die Redaktion der Zeitung "Prisajane" begann ihre Arbeit an einem neuen Projekt. Wir berichten über die Schicksale von Menschen, die, obwohl sie unschuldig waren, viel Leid ertragen und ihre Haftstrafe im Tugatschinsker Kraslag verbüßen mussten.

Mehr als 60 Jahre sind seit jener Zeit vergangen, als sich die Abteilungen des GULAG aufzulösen begannen, unter ihnen auch das Tugatschinsker Kraslag. Gerade hier, in unserem Bezirk, lebten und arbeiteten Häftlinge unter unerträglichen Bedingungen. Die Einen verbüßten ihre Haftstrafe nach Paragraphen des Strafrechts, andere – waren Opfer der politischen Repressionen.

Für viele Jahre gerieten ihre Namen in Vergessenheit. Man akzeptierte nicht, dass darüber gesprochen oder auch nur daran gedacht wurde. Und ausgerechnet die Einwohner des Sajan-Bezirks, unter anderem auch der Siedlung Tugatsch, wurden zu Initiatoren des ersten in der Region Krasnojarsk geschaffenen Freilicht-Museums "Streng geheim – das Tugatschinsker Kraslag". Dieses Ereignis fand am 10. Juni 2018 statt.

Als erste sprach die Geschichtslehrerin Ludmila Miller bereits im Jahre 2009 über die Vergangenheit von Tugatsch. Es war so gewesen, dass ihr Vater als Aufseher, später als Leiter der Baracke mit verschärftem Regime in diesem Lager tätig war. Die kleine Ludmila lebte zusammen mit Bruder Jurij und den Schwestern in einem Häuschen unweit der Baracke. Die Familie hatte Kontakt mit den Aufsehern und den Soldatenwachen, denn die älteren Kinder, Jura und Luba waren nur wenig jünger. Viele Jahre vergingen. Gemeinsam mit ihren Schülern begann Ludmila Konstantinowa betagte Menschen zu befragen und ihre Geschichte aufzuschreiben. Diese Geschichten fügten sich zu einem einzigen großen Drama zusammen. In jeder liegt das tragische Schicksal eines Menschen, der unschuldig verurteilt wurde und den Glauben an die Gerechtigkeit verlor.

2011 erblickte das erste Sammelwerk mit dem Titel „Aus Sibirien nach Sibirien“ das Licht der Welt, das von Schulabgängern des Jahres 2011 der Aginsker allgemeinbildenden Oberschule №2 unter der Leitung von Ludmila Miller vorbereitet worden war. 2013 kam der zweite Teil heraus. Beide Sammelwerke sind das Ergebnis einer mühsamen Sucharbeit von Schülern, basierend auf Dokumenten der regionalen "Мемориал"-Organisation. Aus dem Buch der Erinnerung an die Opfer der politischen Repressionen wählten die Schüler die Namen unserer Landsleute aus. In der Rubrik „Urteile“ – der § 58 des Strafgesetzes der RSFSR. In der Spalte " Strafverbüßungsort, erschossen" wiederholen sich die nicht endenden Zeilen – erschossen, erschossen, erschossen …

Auf Initiative des einstigen Oberhaupts des Tugatschinsker Dorfrats Nikolaj Starikow und Ludmila Miller wurde an der Stelle der ehemaligen Baracke mit verschärftem Regime eine Gedenktafel für die Opfer der politischen Repressionen aufgestellt. Die Herstellung der Täfelchen mit Aufschrift bezahlten der frühere Bezirksleiter Alexander Antonow und Vera Leontewa. Im Herbst 2016 wurde am alten Friedhof des Kraslag, dort, wo mehrere Jahrzehnte zuvor Gefangene bestattet wurden, ein orthodoxes Kreuz aufgestellt. 2017 wurde das Projekt Sieger beim Allrussischen Wettbewerb "Kulturmosaik der Kleinstädte und Ortschaften".

Tamara Petrowa, Pawel Kusmitsch, Swetlana Schukowitsch, Lydia Slepez, Jelena Koslowa, Natalia Wolkowa, Tatjana Mironowa, Alexej Babij, Anatolij Asarow und viele andere wirkten unmittelbar an der Schaffung des Projekts "Streng geheim – das Tugatschinsker Kraslag" mit. Mit jedem Jahr kommen neue Partner und Gleichgesinnte hinzu.

Das Museum nahm ganz allmählich Gestalt an. Anfangs rekonstruierte man einige Straßenobjekte: einen Damm zum Holzflößen auf dem Fluss, gebaut mit den Händen von Häftlingen, darauf eine Aussichtsplattform, von der aus man die Wohn- und Arbeitszonen vollständig überblicken konnte; auch eine Baracke wurde von Mitarbeitern des Museums errichtet.

Die erste Führung durch das Museum fand am Tag seiner Eröffnung statt. Sie begann mit dem Schulmuseum. Hier werden Sachen von Häftlingen verwahrt, die man auf dem Dachboden eines der Gebäude fand. Nächster Haltepunkt: der "Klub" – hier gaben die Gefangenen Konzerte, führten Theaterstücke auf. Und weiter – "Stab der militarisierten Wachen", "Ambulantes Krankenhaus", "Wohnzone", "Produktionsbereich", "Aussichtsplattform", "Stationäres Krankenhaus", "Pferdepark", "Veterinärstation", "Friedhof", "Rekonstruierte Baracke", "Baracke mit verschärftem Regime". Die Bezeichnungen dieser Objekte sprechen für sich. In ihnen liegt die Lebensgeschichte tausender Menschen, Nachfahren derer, die auch heute noch an diesen Orten leben.

Ihre Strafen verbüßten hier Verurteilte aus sämtlichen Republiken der UdSSR. Während des Krieges gerieten Polen, Deutsche (keine Kriegsgefangenen), Japaner, Chinesen, Türken, Rumänen, Griechen hierher.

Bis heute ist es nicht gelungen, alle Informationen über die nach § 58 verurteilten Personen zu sammeln. Allerdings ist bekannt, dass im Tugatschinsker Kraslag Vertreter der Intelligenz, gebildete Menschen, ihre Strafen verbüßten: Ärzte, Ingenieure, Offiziere, Geistliche, Künstler. Veiel von ihnen verließen den Ort nach ihrer Freilassung, manche blieben und gründeten hier ihre eigenen Familien.

Nach und nach bekundeten ausländische Journalisten Interesse an unserem Museum. Tomasch Kisny, ein polnischer Fotograf und Journalist, hielt sich vom 1. Bis 4. August 2018 in unserem Bezirk auf; er sprach mit Einwohnern, die an den Ereignissen in der Tugatschinsker Abteilung des Kraslag beteiligt waren, fotografierte Museumsobjekte;, und am 3. August kam Nikolai Wert, ein französischer Historiker, in den Sajan-Bezirk.

Am 6. Februar fand in der Siedlung Tugatsch, im Sajan-Bezirk, der feierliche Abtransport einer Tür aus dem Lagergebäude statt, das Häftlinge mit ihrer Hände Arbeit gebaut hatten; sie wurde zur Türenausstellung an das staatliche Museum der Geschichte des GULAG nach Moskau versendet.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Zeitung "Prisajane" den Roman unseres Landsmanns Michail Gafurow - "Flucht (von den Sajaner Bergrücken)". Er wurde im Jahre 1983 geschrieben. Im Herzen der Geschichte – das Schicksal des Wladimir Rokotow, der seine Strafe nach § 58 im Tugatschinsker Kraslag verbüßte.

Diese Reihe von Ereignissen brachte die Entstehung eines neuen Projektes hervor, dessen Initiator die Zeitung "Prisajane" ist. Ein Name dafür fand sich sofort – "Das Tugatschinsker Kraslag: Menschen und Schicksale". Voraus liegt eine Menge Arbeit – die Rekonstruktion der Lebensgeschichte konkreter Menschen, deren Angehörige sorgsam die Erinnerungen an ihre Mütter und Väter hüten, die das Tugatschinsker Kraslag durchliefen. Diese Erinnerungen sind für uns und unsere Landsleute von unschätzbarem Wert. Aus verschiedenen Gründen können wir nicht über alle berichten, denn viele von ihren Verwandten leben in der ganzen Welt verstreut. Aber wir sind bemüht, mit Hilfe der Schicksale der Menschen so viele Informationen wie möglich über die traurige Geschichte unseres Landes zusammenzutragen. Wir berichten über außergewöhnliche Menschen, die ihre Verbannungszeit im Kraslag verbrachten. Wir sind davon überzeugt, dass sich zu unserem Projekt Gleichgesinnte, Angehörige, die uns beim Sammeln von Informationen behilflich sein können, hinzugesellen werden. Heute veröffentlichen wir das erste Material über das Leben eines bemerkenswerten Mannes mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten – Chodsche Amirow.

Jelena Viktorowna Scheinmeier
„Prisajane“, 18.07.2019


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