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Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Karl Fjodorowitsch Zimmermann

Geboren 1929 in der Ortschaft Grimm im Gebiet Saratow. Es war ein deutsches Dorf, alle sprachen dort nur Deutsch.

Vater – Fjodor Andrejewitsch
Mutter – Maria Karlowna
In der Familie gab es ferner: Bruder Reinhold (geb. 1931), Schwester Irma (geb. 1925) und Schwester Erna (geb. 1925).

Der Vater arbeitete als Schlosser; die Mutter war nicht berufstätig. Sie besaßen ein großes Haus, aus Stein gebaut. Es gab einen Gemüsegarten, aber den hat man ihnen später weggenommen und auf das Grundstück ein Klubgebäude gebaut. Im Garten wuchsen Äpfelbäume und Wassermelonen. Außerdem hielten sie eine Kuh und Hühner. Von Kindheit an fuhr er immer mit zur Heumahd und in den Wald, um dort Brennholz zu sammeln (die Holzmenge wurde vom Forstaufseher festgelegt).

Als Kind beschäftigte er sich gern mit Würfelspielen („Knöchelspiel“).

In Grimm besuchte er zwei Schulklassen.

Am frühen Morgen, als die Kinder noch schliefen, erfuhren sie von der Deportation. Man sagte ihnen, dass am nächsten Tag alle abtransportiert würden.

Sie nahmen nur wenige Dinge mit, hauptsächlich Werkzeug und Küchenutensilien, aber auch die Nähmaschine und das Spinnrad.

Die ganze Familie wurde ausgewiesen, und die Schwester der Mutter ebenfalls.

Die Kuh mußten sie abgeben; dafür erhielten sie ein Stück Papier, auf dem man ihnen versprach, dass sie am Verbannungsort Ersatz dafür bekämen (sie bekamen dort auch eine Kuh, aber nicht sofort, sondern erst viel später).

Am Abend ihrer Abreise kamen die Kuh und der Hund angelaufen, sie hatten extra die Tür für sie offen stehengelassen.

Alle weinten. Der Vater äußerte die Vermutung, dass man sie nach Sibirien bringen wollte. Und so geschah es auch.

Mit der Eisenbahn gelangten sie bis nach Krasnojarsk. Im Zug bekamen sie zu essen, niemand wurde krank oder starb. Die Bedingungen waren einigermaßen erträglich.

Dann wurden sie auf dem Flußweg nach Jenisejsk gebracht. Dort übernachteten sie; dann gingen sie an Bord eines Kutters und gelangten Baschenowo, wo sie anschließend insgesamt 9 Jahre lang lebten. Dort gab es eine Kolchose. Sie wurden in verschiedenen Häusern untergebracht.

Die Ortsbewohner verhielten sich ihnen gegenüber gut.

Auf einem kleinen Stückchen Land bauten sie Getreide an. Sie holten den Vater dorthin, damit er als Brigadier arbeiten sollte. Die Frau, die vor ihm diesen Posten innegehabt hatte war beleidigt und verärgert.

Lohn wurde nicht gezahlt; stattdessen bekamen sie Tagesarbeitseinheiten angerechnet. Das Essen reichte nicht, sie hatten Hunger.

Mama arbeitete als Schweinehirtin. Und wenn die Kinder zu ihr kamen, aßen sie Runkelrüben. Sie gruben auch den Kartoffelacker um, wo sie die im Boden zurückgebliebenen Kartoffeln aufsammelten. Sie aßen auch die grünen Büschel.

Karl ging zur Schule. Wie alle anderen deutschen Kinder konnte auch er kein Russisch. Die russischen Kinder brachten ihnen bei, wie man den Lehrern in ihrer Sprache einen guten Tag wünscht, aber sie benutzten dabei üble Schimpfworte („Geh zum ....:“!) Der Lehrer betrat die Klasse, sagte „guten Tag“ und die Deutschen stießen Flüche gegen ihn aus. Der Lehrer war anfangs sehr verärgert, dann verstand er jedoch die Situation und bestrafte diejenigen, die sich das ausgeheckt hatten.

Zuerst kam Karl in die dritte Klasse, aber da er die Sprache nicht verstand, wurde er in die erste zurückversetzt. Die Sprache erlernte er dann ziemlich schnell.

In der Schule bekamen sie nichts zu essen.

Er absolvierte fast ein ganzes Schuljahr (vom Herbst bis zum Frühjahr); dann hatten sie nichts mehr zu essen, und er mußte die Schule verlassen, um zu arbeiten.

Die Tante arbeitete in der Kolchose als Milchentrahmerin, und im Winter fuhr sie zum Arbeiten nach Michailjowo oder Anziferowo – dort nähte sie für die Leute auf Bestellung.

In Baschenowo mußten sie sich regelmäßig melden und registrieren lassen. Niemand lief fort.

Im Frühjahr begann er in der Kolchose zu arbeiten. Der Boden war gerade erst trocken geworden, da gaben sie ihm einen Pflug und ein paar Pferde, und das Pflügen begann. Die Arbeit war sehr anstrengend.

Den Vater holten sie in die Trudarmee nach Solikamsk. Das war 1941 oder 1942; er kehrte erst 1954 zurück. Er arbeitete dort in der Holzfällerei; dann wurde er befördert und wurde Lagerverwalter.

Ein Bekannter namens Miller kam aus der Trudarmme zufuß bis nach Anziferowo gelaufen. Er hatte nichts zum Anziehen, und kam, eingewickelt in eine Decke, nach Hause.

Auch die Schwester war in der Arbeitsarmee.

Der Vater holte die Familie sogleich nach Podtjossowo. Man gab ihm ein Zimmer in einer Baracke.

Der Vater arbeitete in der Schiffsreparatur-Werft in der Werkzeugmacherei, während Karl im Schiffbau tätig war.

Keiner von ihnen fuhr noch einmal nach Grimm; sie wollten es nicht. Sie hegen keine Wut gegen ihre Vergangenheit.

Die Befragung erfolgte durch Olga Kruschinskaja und Tatjana Dschiojewa.

(AB - Anmerkungen von Aleksej Babij, “Memorial“ Krasnojarsk)


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