Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Русский

Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Tamara Konradowna Ganijewa (geb. Welsch)

Geb. 1939, Geburtsort – Stadt Saratow.

Vater: Konrad Konradowitsch Welsch, von Beruf Historiker, beendete das Pädagogische Institut in Saratow. Er schaffte es noch zum Aspiranten, konnte jedoch nicht rechtzeitig seine Dissertation verteidigen, weil der Krieg ausbrach.

Mutter: Lidia Karlowna, Lehrerin für Erstklässler.

Die Familie Welsch lebte in Saratow. Sie hatte zwei Töchter: Nina, geb. 1933, und Tamara, eb. 1939.

Sobald der Krieg ausgebrochen war, wurde Konrad Konradowitsch einberufen. Aber schon zwei Tage später, nachdem man in Erfahrung gebracht hatte, dass er Deutscher wa, wurde er mit seiner Familie in das Dorf Braschnoje im Bezirk Kansk verschleppt. (A.B. – offenbar wurde K.K. im August mobilisiert).

Tamara Konradowna meint, dass allein aufgrund der Tatsache, dass sie damals erst 1 Jahr und 3 Monate alt war, die Familie nicht nach Dudinka oder Igarka deportiert wurde. (A.B. – wohl kaum). Zu jener Zeit waren die Dampfer nach den Worten von T.K. voll von Deutschen, die nach Dudinka deportiert wurden. Die meisten von ihnen starben unterwegs, die Toten wurden in den Jenisej geworfen. (A.B. – Ungenauigkeit und Übertreibung: viele, aber nicht die meisten; die Leichen wurden am Ufer begraben; die Lastkähne machten dafür an den Anlegestellen fest.

Zunächst brachte man die Familie Welsch in die Ortschaft Braschnoje im Bezirk Kansk. Aber da es für Lidia Karlowna keine Arbeit gab, wurde sie mit ihren Töchtern zwei Monate später in die Ortschaft Georgiewka umgesiedelt.

Die Mehrheit der ortsansässigen Bevölkerung bestand aus entkulakisierten Weißrussen; deswegen verhielten sie sich wohlwollend gegenüber der Familie Welsch. Aber es gab doch auch einige, bei den die Eltern ihren Kindern nicht erlaubten, sich mit den Deutschen anzufreunden.

Bei ihrer Ankunft in Georgiewka besaß die Familie praktisch nichts. Sie hatten nur dass mitbringen können, was sie auf dem Leib trugen. Die Ortsbewohner halfen den Deportierten. Ab und zu half ihnen in ihrer Not die humanitäre Hilfe aus den USA. In den Pakten befanden sich für die Umsiedler viele dringend notwendige Dinge: Kinderkleidung, Schuhwerk, Flickmaterial. Obwohl sich in einem der Pakete auch der verschmutzte, zerrissene Kittel einer Köchin befand.

Bis 1953 lebte die Familie Welsch voneinander getrennt. Konrad Konradowitsch war in Reschoty (A.B. – wahrscheinlich in der Trudarmee im Kraslag?), während Lidia mit ihren Töchtern Nina und Tamara in Georgiewka wohnte. Nach Stalins Tod wurde Konrad Konradowitsch freigelassen; er kam nach Georgiewka. Allerdings war es ihm nicht erlaubt, eine Arbeit entsprechend seiner beruflichen Befähigung auszuüben, denn er war Deutscher; aber er durfte als Lehrer der deutschen Sprache tätig sein.

Lidia Kralowna arbeitete in dieser Zeit als Lehrerin für Erstklässler. Aufgrund ihrer gewissenhaften Arbeit wurde auf einer Konferenz verkündet, dass man sie für die Verleihung einer Ehrenmedaille vorgesehen habe. Allerdings konnte sie selbst wegen einer Erkrankung an dieser Konferenz nicht teilnehmen. Und als sie einige Tage später kam, um ihre Medaille entgegenzunehmen, sagte man ihr, dass sie sie nicht bekommen würde, weil sie Deutsche war.

Etwas später schickte man eine junge Pionierleiterin an die Schule, in der sie tätig war. Sie nahm Lidia Karlownas Platz als Lehrerin der ersten Klassen ein. Lidia Karlowna wurde als Lehrerin für Fremdsprachen eingesetzt.

In der Zwischenzeit hatte die älteste Tochter Nina 1952 die Schule beendet. Ihr ganzes bisheriges Leben hatte sie davon geträumt Lehrerin zu werden; deswegen schrieb sie einen Antrag ans Pädagogische Institut in Krasnojarsk. Sie erhielt zur Antwort, dass sie Deutsche sei und deswegen keine Pädagogin werden könnte. Lediglich das Institut für Forstwirtschaft und –technik könnte sie zum Studium aufnehmen. So trat sie in die Sowchose für Waldwirtschaft ein. Als sich die Zeit für die Examina näherte, bekam sie vom UWD dafür keine Erlaubnis. Aber ein Mann, der im UWD tätig war, half ihr. Er sagte: „Ich kann ihnen in der Form behilflich sein, dass ich sie unter der Begleitung von Wachmannschaften zum Institut bringen lasse“. Und so wurde Nina Welsch unter Bewachung nach Krasnojarsk gebracht. An diesem Tag legte sie ihr Examen ab.

Als sie bereits im dritten Semester studierte, starb Stalin und man erlaubte ihr, ins erste Studienjahr am Pädagogischen Institut in Jenisejsk überzuwechseln – an die physikalisch-mathematische Fakultät. Nach Beendigung des Päd-Instituts war es für Nina schwierig eine Arbeit zu finden, und nur dank einer Bekanntschaft gelang es, sie als Lehrerin unterzubringen, aber auch nicht für Physik oder Mathematik, sondern für Fremdsprachen.

Als Stalin Starb, erinnert sich Tamara Konradowna, sagte mama: „Mädels, Stalin ist tot, was soll nun werden... Denn Stalin weiß nicht alles. Wenn er es wüßte, dann wäre so etwas nicht mit uns geschehen“.

Die Befragung erfolgte durch Olga Jakutina, Ljubow Schangarajewa und Jelena Mischutina.

(AB – Anmerkungen von Aleksej Babij, Krasnojarsker „Memorial“)
Vierte Expedition für Geschichte und Menschenrechte, Ust-Kem 2007


Zum Seitenanfang