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Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Boris Dmitriewitsch Gerasimenko

B.D. Gerasimenko, 1944Boris Dmitriewitsch GERASIMENKO (geb. 1922) beendete die Militär-Fachschule. Ende 1944 hatte er den Titel eines Leutnants inne und diente in KREMENTSCHUG als Leiter der Aufbewahrungsstelle des Artillerielagers N 652.

Am 06.12.1944 wurde er verhaftet und sofort nach MOSKAU geschickt, wo er zwei Jahre im Butyrka-Gefängnis saß. Zur selben Zeit wurden auch seine Bekannten verhaftet, ebenfalls Kriegsdienstleistende, die so unvorsichtig gewesen waren, im Briefwechsel mit Freunden offen ihre Meinung ausgesprochen zu haben.

Auf Beschluß einer Sonder-Sitzung vom 02.07.1946 wurde Boris Dmitriewitsch nach § 58-8, 10,11 zu 10 Jahren verurteilt.

Nach der Gefängnishaft schickte man ihn mit einer Etappe zur Holzfällerei in die Region Komi, zum 12. Lagerpunkt USTWYMLAG, unweit BOSCHAJOLJA, und etwas später ins Invalidenlager, dem Lagerpunkt 21. Von dort schickte man ihn 1948 in ein Spezialgefängnis für Wissenschaftler in der Nähe von Moskau – das OTB-862 (Sonder-Technologiebüro; Anm. d. Übers.) in ZAGORSK. Im März 1950 wurde er von SAGORSK nach KRASNOJARSK geschickt, in das wissenschaftliche Sonderlager OTB-1, das zum Lager-System des JENISEJSTROJ gehörte und in der ul. Solidarnosti (heute ul. Pruschinskaja) lag, auf dem Gelände des heutigen „Sibirischen Instituts für die Erforschung von Buntmetallen“.

W.G. Tepljakow, OTB-1, 1953Zusammen mit ihm wurde aus SAGORSK auch Wladimir Georgiewitsch TEPLJAKOW (geb. 1920) ins OTB-1 überstellt, der etwa 1944, nach seiner Gefangenschaft, gemäß § 58-1b verhaftet worden war. Auch er bekam 10 Jahre und wurde ins UCHTPETSCHLAG gebracht. 1948 kam er jedoch ins OTB-862, denn er war ein gescheiter Radiotechniker, wenngleich ohne besondere Bildung. 1954 wurde er aus dem OTB-1 entlassen und war dann auf Forschungsreisen in der Region Krasnojarsk tätig.

Außer ihnen wurden noch etwa 10 weitere Häftlinge aus Sagorsk ins OTB-1 verlegt. Ein wenig später geriet auch der bekannte Geologe Dmitrij Iwanowitsch MUSATOW (geb. etwa 1918) ins OTB-1. Er war zu 6 oder 8 Jahren verurteilt worden. Im OTB-1 leitete er die geologische Abteilung. Nach seiner Freilassung (ungefähr 1952) stellte man ihn bei der Krasnojarsker Geologie-Verwaltung ein. Jetzt lebt er in Moskau.

B.D. Gerasimenko, 1954Das OTB-1 bestand aus vier Unterabteilungen: der geologischen und technologischen, dem zentralen Chemielabor und dem Konstruktionsbüro. Der technologische Bereich beinhaltete eine Forschungsabteilung und eine Produktionsversuchsabteilung – eine Antimon-Fabrik, welche anfangs die Bezeichnung „Anlage C“ trug, jedoch Anfang der 1950er Jahre zum Krasnojarsker Metallurgiewerk umgestaltet wurde, wo Wladimir Iwanowitsch Dolgich den Posten des Ober-Ingenieur besetzte. In der Fabrik wurde Antimon raffiniert, das in Form von Barren aus China herangeschafft wurde. Das Konstruktionsbüro führte eben jener Leiter des OTB-1 – Oberst A.P. LEWITSCHEK.

All diese Unterabteilungen bildeten zusammen die Arbeitszone, und von der Seite der Sonder-Haftanstalt grenzte daran die Wohnzone, in der sich 6-8 zweigeschossige Wohnbaracken befanden. Im OTB-1 gab es auch nichtpolitische Verbrecher – sie waren hauptsächlich als Arbeiter dort tätig, wie zum Beispiel Leutnant Aleksej Bejdenko (geb. etwa 1926), aber auch solche, wie der moskauer Ingenieur Pawel Wladimirowitsch Jasew (geb. ca. 1920), der wegen „Verletzung der Finanz-Disziplin“ einsaß und in der Geologie-Abteilung arbeitete.

Leiter der technologischen Abteilung (u.a. der Produktionsversuchsabteilung bis zu ihrer Umgestaltung zum Krasnojarsker Metallurgie-Werk) war der Hüttenwerker Semjon Michailowitsch WECHOW (geb. um 1897). Bis zu seiner Verhaftung arbeitete er in einem Ministerium in MOSKAU. Seine Haftzeit endete etwa 1952.

Zum Bestand dieser Abteilung gehörte ebenfalls ein wissenschaftliches Forschungslabor, welches von dem Doktor der technischen Wissenschaften BIRJUKOW geleitet wurde.

In dieser Abteilung arbeitete Oberst Boris Iwanowitsch BODUNKOW (geb. um 1919), Lehrer an der Militär-Akademie in MOSKAU. Er wurde 1950 oder 1951 nach § 58-10 verhaftet und aus dem Gefängnis direkt ins OTB-1 geschickt – mit einer Haftstrafe von 8 Jahren.

Im Forschungsbereich der technologischen Abteilung arbeitete BORUCHOW (geb. um 1920). Leiter der Laborforschungsarbeiten war der hagere, ergraute SALKIND (geb. um 1885); er hatte noch zwei Assistenten.

Der Ober-Hüttenwerker der technologischen Abteilung war bis zu seiner Verhaftung im Donez-Becken tätig (an seinen Nachnamen kann Boris Dmitriewitsch sich nicht erinnern).

In der geologischen Abteilung bei MUSATOW arbeiteten auch andere bekannte Geologen:

der in MOSKAU verhaftete „Fünfundzwanziger“ (zu 25 Jahren verurteilte;Anm. d. Übers.) Wladimir Michailowitsch KREJTER (geb.um 1895), der nach seiner Freilassung Professor an der Universität der Völkerfreundschaft wurde, und der kleine, magere Jurij POGONJA-STEFANOWITSCH (geb. um 1910), welcher einen dünnen Schnurrbart trug und Papirossi der Marke „Kasbek“ rauchte.

Dort arbeitete auch der Absolvent der Akademie für Fernmeldewesen - Ingenieur Igor Leopoldowitsch GANZ (geb. um 1914). Der Familien- und Vatersname war ihm von seinem Stiefvater zuteil geworden. Er saß 8 Jahre ab.

Zum Bestand dieser Abteilung gehörte ein physikalisch-chemisches Laboratorium. Es wurde von dem Doktor der technischen Wissenschaften Michail Nikolajewitsch FUNDER geleitet. 

Das zentrale Chemielabor (ZChL) wurde vom Professor des LENINGRADER Technologischen Instituts Wladimir Aleksejewitsch SUCHODSKIJ (geb. um 1905)geleitet. Nach § 58-10 saß er 5 Jahre ab. Im ZChL arbeitete auch Leonid Petrowitsch ASCHAR.

Im Konstruktionsbüro arbeiteten die Ingenieure PONOMARJOW (geb. um 1905) und ROMASCHOW.

Im ersten Jahr nach seiner Etappe aus Sagorsk arbeitete Boris Dmitriewitsch in der geologischen Abteilung, danach, zusammen mit TEPLJAKOW, BORUCHOW und dem Ingenieur Andrej HETSCHKIN (mit Spitznamen Rotbart genannt) im physikalisch-chemischen Labor bei FUNDER), und gegen Ende seiner Haftzeit im Express-Labor der Versuchsproduktion. Im Juni 1954 wurde er freigelassen und in die Verbannung geschickt – in den SUCHOBUSIMSKER Kreis. Er geriet nach SCHILINKA, wo sich eine Filiale des OTB-1 befand.

In dieser Filiale arbeiteten ungefähr 100 Verbannte, darunter zahlreiche Konstrukteure. Dorthin in die Verbannung kamen nach dem Ende ihrer Haftstrafe auch PONOMARJOW, ROMASCHOW und GANZ (s. weiter oben).

Für Boris Dmitriewitsch fand sich in der Filiale keine Arbeit, die seinen beruflichen Fähigkeiten entsprach. Er wurde nach MINDERLA verlegt, wo das OTB-1 einen Kuhstall für die Paten-Kolchose baute. Dort stellte man ihn als Normsachbearbeiter ein. Zuerst rechnete er die Arbeit in Normen um und erhöhte den Lohn in der Baubrigade von 300 auf 3000 Rubel. In seiner Brigade arbeiteten hauptsächlich Verbannte; der polnische Lehrer JUSCHKEWITSCH, zwei Esten (Partisanen), eine Frau – Mitglied des Zentralkomitees des Allrussischen Leninistischen Kommunistischen Jugendverbandes (sie war über vierzig), und noch eine weitere Frau – Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. In dieser Zeit war USTIMENKO Kommandant in MINDERLA.

Dort arbeitete Boris Dmitriewitsch etwa ein Jahr lang; dann bekam er einen Paß und fuhr nach Krasnojarsk, und im Dezember 1955 begab er sich nach Nowosibitsk. Dort machte ihn jedoch Tepljakow ausfindig und berief ihn nach Krasnojarsk, um auf Forschungsexpeditionen zu arbeiten.

Boris Dmitriewitsch wurde am 29.08.1960 durch das Militärtribunal des Moskauer Wehrkreises rehabilitiert (Bescheinigung datiert 31.08.1960).

Aufgezeichnet von W.S. Birger Krasnojarsker Gesellschaft „Memorial“ 

F O T O S


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