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Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Maria Kondratewna Kihl (Kiel?)

Geboren am 17.09.1923
Vater: Adolf Konrad (an den vatersnamen erinenrt sie sich nicht mehr)
Mutter: Amalia Filippowna Gebel (Göbel), geb. 1899
Bruder Aleksander, geb. 28.10.1928
Schwester Amalia, geb. 04.05.1921

Kinder:
Aleksander (geb. 15.05.1946), Fjodor (geb. 17.04.1949), Viktor (geb. 24.12.1953), Lidia (geb. 24.12.1953)
Ehemann: Fjodor Fjodorowitsch (Friedrich Friedrichowitsch) Kihl (Kiel?)

Vor der Deportation lebten sie in der Ortschaft Warenburg, Kukkusker Bezirk, Gebiet Saratow. Dort besaßen sie ihre eigene Wirtschaft: 2 Kühe, Ziegen, Schafe, Schweine, Hühner, Gänse. Am 18. September 1941 wurde im Radio die Umsiedlung der Deutschen nach Sibirien bekanntgegeben. Binnen 24 Stunden wurde die gesamte Familie, außer Schwester Amalia, die bereits verheiratet war, deportiert.

Am Tag der Deportation wurde Maria Kondratewna 18 Jahre alt.

Es gelang ihnen nur das mitzunehmen, was sie unmittelbar bei sich trugen. Das Essen bestand aus Trockennahrung: Zwieback. Wer es noch rechtzeitig schaffte, schlachtete in letzter Minute sein Vieh. Wem dies nicht gelang, der mußte alle Tiere zurücklassen.

Zuerst wurden sie nach Warenburg gebracht, und von dort mit Lastkähnen nach Engels.

In Viehwaggons ging es weiter bis Abakan, von dort mit Pferden weiter nach Karatus. Am 20. Oktober trafen sie im Karatuisker Bezirk, im Dorf Staraja Kop, ein. Lebensmittel waren vorhanden, deswegen brauchten sie keinen Hunger leiden; außerdem wurde heißes Wasser für Tee ausgeteilt.

Von Staraja Kop schickte man sie weiter nach Smolnoje (nahe Jarzewo – A.B.). Dort lebten sie drei Jahre lang direkt am Jenisej in Erdhütten; danach wurden sie ins Klubhaus umgesiedelt. In jeder Semljanka lebten damals bis zu acht Familien.

Im Mai 1942 holten sie Maria Kondratewna in die Trudarmee. Nach ihrer Demobilisierung im August 1942 schickte man sie erneut nach Jarzewo, aber eineinhalb Monate mußte sie in Nasimowo arbeiten. In Jarzewo war sie in der Fischfabrik tätig: dort wurden Fische egsalzen, geräuchert und dann nach Krasnojarsk verschickt. In Jarzewo lebte sie von Oktober 1942 bis August 1996. Sie war bei der Brennholz-Beschaffung tätig: Holz sägen und hacken, aber sie verdiente dabei nicht einmal 2 Rubel am Tag. Jeden Monat mußten sie sich einmal in der Kommandantur melden und registrieren lassen. Ohne Erlaubnis des Kommandanten war es auch verboten, die Bezirksgrenze von Jarzewo zu verlassen. Ihren ersten Lohn bekam sie 1947.

Bis 1956 gab es keinerlei Ansporn, keine Ermunterung zum Arbeiten. Dann wurden sie aus der Sonderansiedung in die Freiheit entlassen. Danach gestaltete sich das Leben ein wenig leichter. Im Februar wollten sie sich auf den Weg zur Wolga machen, aber man ließ sie nicht weg, und was noch viel schlimmer war – man befahl ihnen auf ihren gesamten Besitz zu verzichten, den sie seinerzeit an der Wolga hatten zurücklassen müssen. Der Dorfrat hatte ihnen bei der Deportation ein Stück Papier übergeben, das eine Auflistung des beschlagnahmten Besitzes enthielt. Man versprach ihnen damals, dass sie bei ihrer Ankunft in Sibirien alles ersetzt bekämen. Aber sie bekamen gar nichts zurück.

1994 kam der Ukas über die Leistung von Schadensersatzzahlungen an die Deportierten heraus, aber es war dazu zwingend notwendig, jede Menge Papiere zusammenzusuchen und auf jeden Fall auch Zeugen vorzuweisen. Das gestaltete sich allerdings äußerst schwierig. Lidia Fjoeodrownas Tochter fuhr extra nach Krasnojarsk, konnte dort aber nichts bewirken.

1996 zogen sie nach Ust-Kem um. Maria Kondratewnas Bruder fuhr in die Heimat, um kurz bei seinem ehemaligen Haus vorbeizuschauen, aber er fand dort bereits keine Häuser mehr vor, nur jede Menge Abfall. Danach kam es niemandem mehr in den Sinn, die alte Heimat zu besuchen.

Die Befragung erfolgte durch Kristina Polysalowa, Tatkana Korotkich und Veronika Gimranowa.

(AB – Anmerkungen von Aleksej Babij, Krasnojarsker „Memorial“)
Vierte Expedition für Geschichte und Menschenrechte, Ust-Kem 2007)


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