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Verbannungs- / Lagerhaft-Bericht von Jewdokia Wasiljewna Kuprijanowa

Jewdokia Wasiljewna DSCHUS (geb. 1924) lebte mit ihren Eltern in dem Dorf PAZYKIW, 5 km westlich von STANISLAWOW (heute IWANO-FRANKOWSK). Das Dorf heißt jetzt PODLESE: und tatsächlich beginnt dahinter ein großer Wald. Vor dem Krieg zählte das Dorf ungefähr 1200 Höfe. Die Bevölkerung war rein ukrainisch, mit Ausnahme einiger weniger polnischer und jüdischer Familien.

Im Sommer 1940 wurden im Dorf drei Bauern verhaftet. Was aus ihnen geworden ist, konnte niemand sagen. Einer von ihnen war Wasil KOWTUN (geb. um 1900).

Bei der Besetzung durch die Nazis begann man die jungen Leute nach Deutschland zu schicken. Anfangs, im Frühjahr und Sommer 1942 versuchten die Nationalsozialisten die Leute anzulocken und durch Versprechungen zu verleiten, aber es gelang ihnen nur wenige zu betrügen. Später setzten regelrechte Hetzjagden ein: das Dorf wurde umzingelt, durchsucht und die Menschen von der Straße aufgegriffen, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten sich zu verstecken. Außerdem umstellten sie die Kirche während der Gottesdienste. Damit Jewdokia Wasiljewna nicht von den Nazis davongejagt wurde, gab die Mutter ihr Geburtsjahr mit 1928 an.

Im Frühjahr des Jahres 1944, als sich dem Dorf bereits die Front näherte, umzingelten die Nazis das Dorf, trieben alle Männer auf die Plantagen neben dem Vorwerk hinaus und schickten einen Teil von ihnen los, um am Flugplatz Gräben auszuheben. 7 oder 8 Mann wurden in die Gestapo weggeholt; sie kehrten von dort nicht mehr zurück. Auch vorher schon hatte es während der nazistischen Besatzung Festnahmen gegeben. Einmal wurde eine Frau in der Kirche verhaftet; man ließ sie in einen „Schwarzen Raben“ einsteigen und fuhr sie in die Stadt.

Bereits 1942 hatten sich die Bauern auf die Verteidigung ihres Heimatgebietes vorbereitet. Im Dorf hatte sich eine Truppe aus 40 Kämpfern gebildet. Sie wurde von Fjodor „MAUS“ kommandiert. Im Wald errichteten sie „schkrony“ – getarnte Unterstände. Darin wurde eine ganze Hundertschaft (Bataillon) der Ukrainischen Aufständischen Armee (UAA) stationiert.

Die Einheiten der UAA brachten Züge zum Stehen, in denen Menschen nach Deutschland abtransportiert wurden – diese befreiten sie. Außerdem richteten sie Hinterhalte ein und nahmen den Deutschen die Waffen weg. Aber da sich PAZYKIW gleich neben der Stadt befand, war es schwierig, das Dorf vor den Vergeltungskommandos zu schützen. Einmal geriet in der Nähe des Dorfes eine ukrainische Einheit in einen deutschen Hinterhalt, und in dem Kampf kam „Karmeljuk“ ums Leben (er war kein Ortsansässiger, sondern stammte von irgendwoher aus den Karpaten). Ein anderes Mal hatte irgendjemand den Vergeltungstrupps einen der Unterstände im Wald gezeigt; er wurde umzingelt, und alle 18 Krieger kamen darin um. Die UAA-Kämpfer besaßen hauptsächlich Gewehre, verfügten jedoch auch über Maschinen-Pistolen.

Im Mai oder Anfang Juni 1944 wurde das Dorf von sowjetischen Truppen eingenommen. Sofort wurden alle Männer zwischen dem 16. und 50. Lebensjahr eingefangen und in die Sowjet-Armee weggeholt. Man brachte die Mobilisierten nach Kalysch. Unterwegs flohen viele in den Wald und schlossen sich den Einheiten der UAA an.

Nun lösten Hitlers Vergeltungskommandos die der Sowjets ab, die Menschen wurden nicht mehr von der Gestapo aufgegriffen, sondern vom NKWD. 1945 wurde Ganna (Hanna?) DJAKUN (geb. ca. 1927) verhaftet. Im Gefängnis trug sie den ausgedachten Familiennamen TSCHOWGANKA. Unter diesem Nachnamen bekam sie 10 Jahre nach § 54-1a, 11. Die Haftstrafe saß sie im GORLAG (in der Ziegelfabrik) ab.

1954 wurde sie in die Freiheit entlassen, ohne dass mab sie anschließend in die Verbannung schickte. In Norilsk heiratete sie den Ukrainer Iwan BOSNJAK, der ebenfalls 1954 aus dem GORLAG freigelassen worden war. Sie verließen Norilsk und ließen sich im Nikolajewsker Gebiet nieder.

Im Herbst 1945 wurden 7 oder 8 Familien aus dem Dorf nach PETSCHORA (KOMI) in die Verbannung geschickt. Unter ihnen befanden sich Ganna DJAKUNs Mutter – die Hebamme DJAKUN (geb. um 1900) sowie Marina ZARUK (geb. etwa 1912) mit ihrem Sohn Michail (geb. ca. 1938). Marinas Mann, Semjon Zaruk, gelang es, sich zu verstecken und im Dorf zu bleiben. DJAKUN und Maria ZARUK starben in der Verbannung, aber M.S. ZARUK konnte sich retten, und irgendwer brachte ihn zu seinem Vater.

1945 wurde Olena IWANITSCHIN (geb. etwa 1925) festgenommen. Auch sie wurde zu 10 Jahren nach § 54-1a, 11 verurteilt und saß ihre Haftzeit in Karaganda ab. Ungefähr 1946 wurde ihre Familie – Vater Mikola IWANITSCHIN (geb. 1905), Mutter Sofia IWANITSCHIN (geb. 1905>), Schwester Magdalina IWANITSCHIN (geb. 1934) in die Region Karaganda deportiert. Sie verbrachten ihre Verbannungszeit in der Kreisstadt KARKARALINSK und kehrten Ende der 1950er Jahre in die Ukraine zurück.

Im Sommer 1946 wurde Rusja (Rosalia) Fedorowna DJAKUN (geb. 1929) verhaftet. Sie bekam eine Haftstrafe aufgebrummt und wurde zunächst in die Kinder-Kolonie in DROGOBYTSCH geschickt. Danach kam sie nach NORILSK und saß dort im GORLAG. Im Sommer 1954 wurde sie als „Minderjährige“ ohne nachfolgende Verbannung entlassen und fuhr sofort in die Heimat zurück. Jetzt lebt sie in Iwano-Frankowsk.

Zu Beginn des Jahres 1947 wurde Donja (Jewdokia) Nikolajewna DSCHUN (geb. 1925), eine Namensvetterin von Jewdokia Wasiljewna, festgenommen. Sie bekam ebenfalls 10 Jahre. Sie überlebte. Nach ihrer Verhaftung schickte man ihre Familie in die Verbannung: den Vater Mikola DSCHUS, die Mutter Olena DSCHUS und die Schwester Palagna (Pelagea) DSCHUS. Nach der Freilassung aus der Verbannung kehrten sie in die Heimat zurück.

Die Festnahmen im Dorf hielten auch noch 1948 und 1949 an. Rosalia DJAKUNs Bräutigam, Wasil Stefanowitsch JATSCHISCHIN (geb. 1926), diente in der UAA. Einmal, 1948 oder 1949, kam er aus dem Wald kurz nach Hause zu den Eltern. Dort ergriffen ihn die Straforgane. Er bekam 25 Jahre, die er im GORLAG und später im KRASLAG absaß. Nach seiner Freilassung kehrte er in die Heimat zurück.

Im Herbst 1949, als Taras LUSCHSCHAK (geb. 1928) heiratete, kamen aus dem Wald Burschen zu seiner Hochzeit, die in der UAA dienten. Vermutlich gab es einen Denunzianten auf der Feier: am nächsten Morgen kamen aus der Stadt Angehörige der Straforgane herbeigelaufen, umstellten die Hütte und verhafteten alle, die auf der Hochzeitsfeier gewesen waren, sowohl den Hausherrn als auch die Gäste. Taras LUSCHSCHAK und seine Frau Olena LUSCHSCHAK (geb. 1928) wurden verhaftet und jeder zu 25 Jahren verurteilt. Seine Eltern wurden in die Verbannung geschickt. Unter den Gästen hatte sich auch ein Bruder der Mutter Jewdokia Wasiljewna – Ignat Stepanowitsch BABINTSCHUK (1905-1972) befunden. Auch er bekam 25 Jahre. Taras LUSCHSCHAK saß im GORLAG, wurde aber nach einem Streik nach KARAGANDA gebracht. 1954 ließ man ihn frei. Sowohl er als auch seine Frau kehrten nach der Freilassung in die Heimat zurück.

Eines Morgens, Mitte August 1947, wurde die heimatliche Hütte von Jewdokia Wasiljewna von einer ganzen Einheit umstellt: mehr als 20 Soldaten. Sie waren gekommen, um sie zu holen. Aus dem Dorf war sie die einzige, die verhaftet wurde. Man brachte sie nach LISETZ (damals Kreisstadt), wo eine sowjetische Garnison stand (ihr Leiter war ein gewisser SUBKOW). Dort steckte man sie in eine Scheune, in der bereits zwei Frauen aus dem Dorf POSITSCH saßen: Donja (Jewdokia) Stepanowna TERESCHKUN (geb. 1918) und Ganna Wasiljewna LOMEJ (geb. 1924).

Dieses Dorf befand sich im Wald, 2 km von PATZIKOW entfernt. Später siedelten die sowjetischen Behörden ausnahmslos alle Bewohner mitsamt ihrem Besitz weit nach Süden um, in die Nähe von Odessa. Das Dorf wurde von Bulldozern abgerissen und an seiner Stelle ein Truppenübungsplatz und Militärlager eingerichtet. Der Truppenübungsplatz existiert heute noch.

Die Gefangenen bekamen keine Verpflegung, sie aßen das, was sie von ihren Familien bekommen hatten. Donja TERESCHKUN bekam ein Paket von ihrem Vater, Ganna Lomej von ihrer Schwester. Zu zweit saßen sie zwei Wochen lang in dem Schuppen. Nachts brachte man sie einzeln zum Verhör. Mehrere Untersuchungsrichter versuchten gleichzeitig, ihnen Antworten auf die Fragen abzuzwingen, wer in der UAA diente, wo sie sich versteckt hielten und wer ihnen half. Sie wurden geprügelt, mit Füßen gestoßen. Jewdokia Wasiljewna war mit vielen Burschen aus der UAA bekannt und hatte ihnen mit Lebensmitteln geholfen, aber sie gab keinen von ihnen preis, sondern wiederholte nur immer wieder: „Selbst wenn ihr mich totschlagt – ich weiß nichts!“

Am 28.08.1947 führte man sie zu dritt hinaus, setzte sie in ein geschlossenes Auto und transportierte sie nachts nach STANISLAWOW (IWANO-FRANKOWSK). Genau dieses Datum wurde in den Dokumenten als Verhaftungsdatum angegeben. Man führte sie ins innere Gefängnis und steckte sie dort in eine kleine Zelle im Kellergeschoß, ohne Pritschen, mit einem Holzfußboden, in der schon zwei Mädchen saßen: Nastja aus dem Dorf BONDARIW und Paraska aus dem Dorf TYSMENYTSCHANY. Nach 3 Tagen brachten sie Jewdokia Wasiljewna zum Verhör. Danach kam sie in eine andere, etwas größere Zelle, die sich jedoch ebenfalls im Keller befand. Dort saßen etwa 12 Frauen.

Auch dort gab es keine Pritschen, nur einen Latrineneimer. Sie schliefen auf dem Holzfußboden, und wer Kleidung hatte, legte sie unter seinen Körper. Donja TERESCHKUN und Ganna LOMEJ gerieten nicht dorthin. Ewdokia Wasiljewna begegnete ihnen erneut, als sie zur Gerichtsverhandlung gebracht wurde (s. weiter unten).

Vier- oder fünfmal hetzten sie Jewdokia Wasiljewna zum Verhör. Es war nur ein Ermittlungsrichter da. Immer fanden die Verhöre nachts statt, und jede Nacht wurde irgendeine aus der Kammer geholt. Dann knieten alle Frauen sich hin und beteten für diejenige, die hinausgegangen war. Manchmal nahmen sie es sich so zu Herzen, dass sie sich nicht einmal zum Schlafen hinlegten. Aber tagsüber durften sie nicht schlafen – dann hämmerte der Aufseher an die Tür. Aber beim Beten störten sie einen nicht. Die Mädchen modellierten aus Brot einen Rosenkranz, und damit sprachen sie dann ihre Gebete.

Jeden Tag wurden sie einmal zum Spaziergang herausgeführt. Sie „spazierten“ im Kreis, die Hände auf dem Rücken. Es war ihnen erlaubt, einmal im Monat von ihren Familien eine Sendung zu empfangen, aber Jewdokia Wasiljewna bekam nichts – ihre Mutter und ihren Bruder hatte man bereits in die Verbannung vertrieben (s. weiter unten).

Im Guckloch der Zelle war kein Glas, sondern nur ein Gitter. Im Hof liefen Wachposten herum. Die Mädchen fragten sie, ob es bald eine Amnestie gäbe. Und jene antworteten: „Bald, aber nicht für euch – nur für diejenigen, die klauen!“ Einmal sagte ein älterer Begleitsoldat während des „Spaziergangs“ zu den Mädchen: „Eins sollt ihr wissen: wer nicht war, der wird sein, wer gewesen ist, der wird nicht vergessen!“ Das bewahrten sie in ihrem Gedächtnis.

Darja CHARUK (geb. 1920) aus dem KOSOWSKER Kreis, STANISLAWSKER (IWANO-FRANKOWSKER) Gebiet, ging tagelang i ihrer Zelle auf und ab und sprach mit niemandem, nur beten tat sie mit allen anderen gemeinsam und sang häufig immer ein- und dasselbe Lied in ukrainischer Sprache:

„Paß auf mich auf, du himmlisches Wesen, wenigstens für eine kurze Zeit,
nimm die Traurigkeit, die Seelenlast von meinem Herzen.
Deinem Willen nach bist Du frei von allem.
Oh Gott, mein Gott, wo ist Dein Wille?“

Im inneren Gefängnis saß Jewdokia Wasiljewna fast 3 Monate. Am Morgen des 22.11.1947 riefen sie sie „mit Sachen“ aus der Zelle und verfrachteten sie in einen Lastwagen. Da sah sie Ganna LOMEJ und Donja TERESCHKUN. Zu dritt brachte man sie in die Bator-Straße (während der Sowjet-Zeit war das die Frunse-Straße), steckte sie in eine Zelle und rief sie der Reihe nach zur „Gerichtsverhandlung“ – vor das Militärtribunal des MWD der Stanislawsker Region. Sie wurden in verschiedenen Angelegenheiten verurteilt und bekamen alle 10 Jahre (TERESCHKUN bat darum, ihr weniger zu geben: ihr Sohn war fünf Jahre alt ...). Jewdokia Wasiljewna wurde einige Stunden festgehalten: sie verlasen Protokolle, stellten immer wieder dieselben Fragen. Sie hatte die Nase voll, und als sie das „letzte Wort“ hatte meinte sie: nennen sie endlich meine Haftstrafe, damit ich hier nicht noch länger im Keller sitzen muß.

Vom Gericht brachte man sie zu dritt schon nicht mehr ins innere Gefängnis, sondern ins allgemeine, zentrale Isolationsgefängnis, und stellte sie in einer großen Zelle im 2. oder 3. Stock unter Quarantäne. Dort waren mehr als 30 Frauen, die nach unterschiedlichen Paragraphen verurteilt worden waren. Nach etwa 3 Wochen wurden alle hinausgeführt, auf einen Lastwagen verfrachtet (im Wagenkasten sitzend, mit dem Kopf nach unten), zur Bahnstation gebracht und dann per Zug nach LWOW geschickt. Dort fuhr man sie mit einem Auto ins Durchgangsgefängnis (sie sagten: „auf die Insel“) und steckten sie in eine große Zelle mit durchgehenden Pritschen, in der sich ungefähr 80 Frauen befanden. Das Zellenfenster war aus Milchglas. Ganna LOMEJ und Donja TERESCHKUN gerieten in jene Zelle. In der Zelle hatten Diebinnen das Sagen (man nannte sie „schutschki“ – „Käferchen“; Anm. d. Übers.). Der Huzulin (Angehörige eines ukrainischen Volksstammes; Anm. d. Übers.) Katerina aus dem Dorf SCHABJA (WERCHOWINA) klaute eine Diebin die Stiefel, aber mit der Aktion hatte sie sich gehörig verrechnet. Katerina stürzte sich mit den Fäusten auf das „Käferchen“: „Ich reiß dich in Stücke, wenn du sie nicht wieder hergibst!“ Die Diebin bekam es mit der Angst zu tun und gab die Stiefel zurück.

In dieser Zelle saß auch Paraska (Paraskowja) URBANOWITSCH (geb. ca. 1921) aus dem JABLONOWSKER (heute KOLOMYJSKER oder KOSOWSKER) Kreis.

Nach etwa einer Woche (wahrscheinlich unmittelbar vor Neujahr) wurden alle Zelleninsassen hinausgeführt und mit Lastwagen zur Bahnstation gefahren. Dort hieß man sie in Güterwaggons einsteigen, die mit zweigeschossigen Pritschen ausgestattet waren. Jewdokia Wasiljewna, Ganna LOMEJ und Donja TERESCHKUN gerieten in denselben Waggon. Insgesamt saßen 28 Frauen darin. Sie waren ungefähr 2 Wochen unterwegs. Viele Male stand der Zug für lange Zeit auf irgendwelchen Abstellgleisen. Dann ließen die Wachsoldaten diejenigen aussteigen, die darum baten, ihre Notdurft verrichten zu dürfen. Während sie noch unterwegs waren, kamen die Weihnachtsfeiertage. Die Frauen zweigten aus ihrer Wassersuppe ein paar Graupen ab, zerrieben sie und machten daraus Kutka (eigentlich ein Gericht aus Reis oder Graupen mit Honig oder Rosinen, das bei Totenfeiern gegessen wird; Anm. d. Übers.). Dem Teig fügten sie etwas Zucker hinzu (er wurde löffelweise ausgegeben).

Die Häftlinge wurden jeden Tag durchgezählt: zuerst wurden sie ans eine Ende des Waggons gejagt, danach einzeln – ans andere. Allerdings wurde nicht mit Hämmern auf sie eingeschlagen. Die Wand- und Bodenbretter wurden abgeklopft. Nur ein Eimer Wasser wurde ihnen pro Tag gebracht – und davon mußten sie trinken und sich waschen.

Unterwegs erkrankte Jewdokia Wasiljewna an Unterleibstyphus, und als man den Häftlings-transport in UCHTA ablud, trugen sie sie bewußtlos aus dem Waggon und brachten sie ins Krankenhaus.

Dort kam sie erst nach einer Woche wieder zu sich. Während der ganzen Zeit, in der sie im

Fieberdelirium lag und nichts aß, hatten die Mädchen in der Krankenbaracke ihre Rationen aufbewahrt und gaben sie nun sofort an sie heraus. Brot und ein kleines, ungefähr 10 g schweres Stückchen Butter.

Etwa einen Monat lag sie in der stationären Krankenbaracke. Danach wurde sie ins Durchgangslager verlegt, obwohl sie kaum imstande war aufzustehen. Dort kam sie in eine große Baracke mit durchgehenden, zweistöckigen Pritschen.

In diesem Durchgangslager saßen mit ihr die Ukrainerinnen: Nadija (Nedeschda) Stepanowna SMITJUCH (geb. 1930) aus BUZYN, STAROWYSCHEWSKER Kreis, Gebiet Wolhynien, Galina Konstantinowna BALTUN (geb. 1930) und Katerina PRYJDUN (geb. ca. 1923), beide aus dem Dorf MANEBO, WISCHNOWEZKER Kreis, Region TERNOPOL, Anna Konstantinowna SKLJARTSCHUK (geb. etwa 1927) aus dem Dorf TORSKE, SALISCHSCHIZKER Kreis, Region TERNOPOL, und Anna Mykolaiwna (Nikolajewna) KOTIK (geb. 1926) aus dem Dorf KOBYLIJA, SBARASKER Kreis, Region TERNOPOL. Sie alle waren zu 10 Jahren verurteilt worden. Ungefähr nach 2 Wochen, im Februar 1948, wurde Jewdokia Wasiljewna mit ihnen gemeinsam in einem Güterwaggon nach SEDJA abtransportiert, das etwa 25 km von UCHTA entfernt lag. Dort hieß man sie beim 6. Lagerpunkt des UCHTISCHMLAG aussteigen und brachte sie in die Lagerzone.

Nach dem Bad gab man ihnen ihre „Ausstattung“ (neue Sachen zum Anziehen; Anm. d. Übers.). Jewdokia Wasiljewna wurde ein riesiger Mantel zuteil. Sie schnitt den Saum ab und krempelte die Ärmel um, aber die Schultern hingen ihr bis fast auf die Ellbogen. Als Kopfbedeckung bekamen sie so eine Art Budjonnow-Mützen. Für die Füße gab man ihnen weder Filz- noch andere Stiefel, sondern lediglich Ärmel von Wattejacken, die unten zugenäht waren. Oben mußten sie sie am Bein festbinden.

Im 6. Lagerpunkt schliefen die Mädchen auf blanken Pritschen; zur Nacht legten sie ihre feucht geworden Mäntel unter sich. Man trieb sie 8 km weit zum Bäumefällen. Sie wußten nicht wie man Bäume fällt. Die abgesägten Bäume blieben an den Nachbarbäumen hängen, und es gab nichts, womit man sie gänzlich auf den Boden herunter bekommen hätte. Sie arbeiteten zu zweit an einer Säge. Natürlich erfüllten sie die Norm nicht, und die ganze Brigade bekam nur die Mindestration (600 g Brot und 1 Kelle Brei). Bei Frost von unter –36° wurden sie von der Arbeit freigestellt, und viele Male kam es vor, daß sie die Brigade auf halbem Wege anhielten und dann wieder in die Zone zurückkehren ließen. Auf dem Rückweg vom Holzfällen ins Lager nahmen sie alle Holzscheite mit, um ihre Baracke zu erwärmen, aber oft ließen sie sie unterwegs fallen oder warfen sie fort, weil sie keine Kraft besaßen sie noch weiter zu schleppen. So verging der Februar, dann der März, und im April hatte die Lagerleitung begriffen, daß diese Brigade beim Bäumefällen keinen Nutzen brachte. Man begann damit, sie aus der Lagerzone in die Nebenwirtschaft zu treiben – um Schnee und Eis von den Beeten zu räumen. Jedesmal, wenn fast die gesamten Gemüsebeete gesäubert waren, wurde es plötzlich kälter, erneut fiel Schnee und alles wurde wieder zugeweht. Sie mußten mit ihrer Arbeit wieder von vorn beginnen.

Bereits im Sommer, im Juni oder Juli ließ man die ganze Brigade auf Lastwagen steigen und brachte sie dann zum 13. Lagerpunkt des USCHTISCHMLAG, zur Ziegelfabrik. Es handelte sich um eine neue Lagerzone, mit neuen Baracken, von denen jede in vier Sektionen unterteilt war. In der Mitte waren die Baracken von einer schalldichten Wand durchzogen. In jeder Hälfte wurden jeweils zwei Brigadcn untergebracht, die Eingänge befanden sich an den Baracken-Enden. Geschlafen wurde auf zweistöckigen Kojenpritschen. Von diesen Baracken gab es hier nicht weniger als zwanzig. In separaten Gebäuden waren die Kantine, der Klub und das Ktankenhaus untergebracht. Lautsprecher gab es in diesem Lager nicht. Es stand im Wald, sogar auf dem eigentlichen Lagergelände wuchsen viele Bäume. Ganz in der Nähe floß der Fluß Uchta dahin.

In der Ziegelfabrik wurde in 3 Schichten gearbeitet: ab 4 Uhr morgens, 12 Uhr mittags und 8 Uhr abends. An den Sonntagen hatten die Häftlinge frei. Ihre Arbeit verrichteten sie im Sägewerk, wo sie Brennholz für die Ziegelei sägten, bei der Verladung von Holz und auch in der Zigelfabrik selbst. Im Sommer zogen sie aus dem Fluß das Holz heraus und schichteten es zu Stapeln auf; später verluden sie es auf Waggons.

Die Zone war ein reines Frauenlager. Dort gab es nicht wenige „Käferchen“ (Diebinnen) und nichtpolitische Alltagsverbrecherinnen, aber in Jewdikia Wasiljewnas Brigade waren alle nach § 58 verurteilt worden. Brigadeführerin war eine Russin namens Nelja (in der Holzfällerei hatte Tosja aus der Ost-Ukraine die Brigade geleitet). Insgesamt arbeiteten in dieser Brigade 27-28 Mädchen und Frauen, darunter auch zwei Deutsche (eine von ihnen hieß Erna), zwei Estinnen, eine Moldawierin und vier Litauerinnen: Birute BARSCHEWITSCHUTE (geb. ca. 1926), Wanda PETRAUSKAJTE (geb. ca. 1922), Walentina KULITE (geb. ca. 1927) und Marite KIRSCHITE (geb. ca. 1928). In derselben Schlafkoje wie Jewdokia Wasiljewna schlief auch die Lettin Malwina ELKSNITIS (geb. ca. 1920), deren 5-jähriger Sohn in der Heimat zurückgeblieben war. Sie hatten alle 10-jährige Haftstrafen.

Sowohl bei der Waldarbeit als auch in der Ziegelei arbeitete Jewdokia Wasiljewna gemeinsam in einer Brigade mit Anna SKLJARTSCHUK, Galina BALTUN, Anna KOTIK, Katerina PRYJDUN und Nadeschda SMITJUCH. In der Brigade arbeiteten auch noch andere Ukrainerinnen: Olga Mykolaiwna (Nikolajewna) SYNKYW (geb. ca. 1930) aus der Stadt JESUPOL (SCHOWTEN), STANISLAWSKER (IWANOFRANKOWSKER) Region, die man 1947 aus der 8. Klasse weg verhaftet hatte (sie hatten handgeschriebene Flugblätter gefunden, und dem Ermittlungsrichter schien es so, als ob die Handschrift der ihren ähnlich war). Sie bekam auf Beschluß der „Sonder-Sitzung“ 4 Jahre aufgebrummt; Maria TARGONI (geb. ca. 1920) aus dem KOSTOPOLSKER Kreis, Region ROWNO, sowoe drei Freundinnen aus dem Gebiet um ROWNO: Stanislawa, Anna und Stefanija (vielleicht waren sie sogar aus ein und demselben Dorf). Ebenfalls am 13. Lagerpunkt, jedoch in einer anderen Brigade, arbeitete Donja TERESCHKUN. Ganna LOMEJ geriet nicht hierher, und Jewdokia Wasiljewna begegnete ihr auch später nicht wieder.

In der Ziegelei arbeiteten auch ungefähr zwanzig Ukrainerinnen, die alle aus dem selben Dorf im KOROSTENSKER Kreis, Gebiet SCHITOMIR, stammten und die alle in demselben Verfahren zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Unter ihnen befanden sich Hanna PROKOPTSCHUK (geb. 1930), Christina WASYLTSCHUK, Ganna CHRESCHSCHENKO, Maria KOS und Jefrosinja ROMANJUK (alle ca. 1922 geboren), Antonina RUDENKO (geb. ca. 1924) und Anastasia Leontjewna WASYLTSCHUK (geb. 1914), die zu 10 Jahren verurteilt worden waren, sowie die bereits betagte und kranke Olga KOSLOWSKA (geb. ca. 1895); sie wurde nicht zur Arbeit getrieben. Tagsüber blieb sie mit anderen Bewohnern aus ihrem Dorf in der Baracke.

Ebenfalls arbeitete dort die Ukrainerin Tamara GAJDUTSCHIK (geb. ca. 1920) aus dem KOLKIWSKER Kreis, Gebiet ROWNO. Zuhause hatte sie zwei Kinder zurücklassen müssen – einen Jungen und ein Mädchen.

Innerhalb der Zone gab es außer dem Krankenhaus noch einen Genesungspunkt. Den geschwächten Häftlingen wurden auf Beschluß des Arztes 24 Tage im Genesungspunkt „zur Erholung“ gewährt; während dieser Zeit schickte man sie auch nicht zur Arbeit.

Anfangs rannten die Gefangenen morgens nach dem Weckruf selbst in die Kantine, um ihre Brotration und ihren Brei in Empfang zu nehmen (damals hatten viele überhaupt kein Geschirr). Später wurde das Brot jeweils von derjenigen in Empfang genommen, die gerade Stubendienst hatte. Sie gab die Brotration in der Baracke aus und ging dann noch einmal los, um für alle den Brei zu holen.

Im Klubgebäude wurden von Zeit zu Zeit Filme gezeigt. Dies wurde vorher angekündigt. Die Filme konnte sich jeder ansehen, der Lust dazu hatte. Dort fanden auch Auftritte von Laienspielgruppen statt (insbesondere auch Chor-Veranstaltungen). Allerdings gingen die Ukrainerinnen zum größten Teil weder ins Kino, noch zu den Laienspielen: sie waren der Meinung, daß es keine Veranlassung gab, fröhlich zu sein.

Im Juli 1950 trieb man beinahe die ganze Brigade in einen Güterwaggon mit Pritschen (im Waggon befanden sich etwa 50 Häftlinge) und brachte sie auf direktem Wege nach KRASNOJARSK. Hier hielt man sie einige Tage im Durchgangslager fest und transportierte sie anschließend im Frachtraum eines Lastkahns nach DUDINKA. Dort lud man sie aus und brachte sie mit Waggons zum 7. Lagerpunkt nach NORILSK.

Olga SYNKIW blieb im 13. Lagerpunkt des UCHTISCHMLAG. 1951 wurde sie freigelassen. Ein wenig später kehrte sie in die Heimat zurück und lebt jetzt in der Stadt Nadwirna. Auch Anna SKLJARTSCHUK, Maria TARGONI und Malwina ELKSNITIS blieben in der Ziegelei.

Anna KOTIK kam ebenfalls nicht NORILSK. Ein paar Wochen früher, im Juni 1950, wurden ungefähr 30 Frauen, darunter auch sie, mit einem Häftlingstransport nach KARAGANDA geschickt. Nach ihrer Freilassung blieb sie dort und lebte in den 1950er bis 1970er Jahren in Karaganda.

Zusammen mit Jewdokia Wasiljewna gerieten Nadja SMITJUCH, die vier Litauerinnen (BARSCHEWITSCHUTE, KIRSCHITE, KULITE und PETRAUSKAJTE), die Deutsche namens Erna sowie Tamara GAJDUTSCHIK und die beiden Frauen, die aus demselben Dorf im Gebiet SCHITOMIR stammten (Antonia PUDENKO und Anastasia WASYLTSCHUK), zum 7. Lagerpunkt des NORILLAG.

Nadja SMITJUCH wurde im Sommer 1954 als „Minderjährige“entlassen. Sie wurde nicht in die Verbannung geschickt. 1955 fuhr sie in die Heimat ab. Tamara GAJDUTSCHIK wurde 1952 in die Freuheit entlassen, weil sie kleine Kinder hatte. Anastasia WASYLTSCHUK kam Ende 1954 mit auf einen Häftlingstransport zum Bauplatz 503, wurde jedoch nach wenigen Monaten freigelassen und kam nach NORILSK in die Verbannung.

Die Litauerinnen saßen bis zu ihrer Freilassung im 7. Lagerpunkt. BARSCHEWITSCHUTE blieb in der Verbannung in NORILSK und heiratete dort einen Litauer, ebenfalls einen politischen Gefangenen. KULITE lebte auch nach 1956 noch in NORILSK.

Der 7. Lagerpunkt war die Frauenabteilung des NORILLAG. Häftlingsnummern gab es dort nicht. Außer Häftlingen, die nach § 58 verurteilt worden waren, saßen hier auch Alltagsverbrecherinnen und Diebinnen.

Jewdokia Wasiljewna kam in eine Brigade, die Straßen zwischen den Bergwerken 3/6 und 7/9 baute. Die Brigade förderte Schotter aus dem Steinbruch (die Mädchen arbeiteten dort mit Spitzhacken) und schüttete daraus den Straßendamm auf.

1953 wurden aus dem GORLAG, von der 6. Lagerabteilung etwa 50 Frauen zum 7. Lagerpunkt verlegt. Dabei wurden ihnen auch die Häftlingsnummern abgenommen.

Ein Teil von ihnen kam in eine neue Brigade, die bei der Bedienung der Eisenbahn eingesetzt wurde, und in diese wurde auch Jewdokia Wasiljewna zu dieser Zeit versetzt. Diese „Dienstleistungsbrigade“ trieb man zu Reparaturarbeiten, zum eiligen Abladen von Waggons oder zum Schneeräumen.

Brigadeführerin war eine Rumänin (vermutlich eine Ukrainierin aus Bessarabien oder der Bukowina). Sie hieß Jelena MOTUSKO. Sie gehörte zur Zahl der Häftlinge, die vom 6. Lagerpunkt des GORLAG hierher verlegt worden waren. Sie wurde am 08.10.1954, am selben Tag wie Jewdokia Wasiljewna, ebenfalls „aufgrund von zwei Dritteln“, freigelassen (d.h. sie wurden nach dem Absitzen von zwei Dritteln der Haftstrafe vorzeitig entlassen; Anm. d. Übers.).

Alle in der Brigade hatten 10-jährige Haftstrafen nach § 58 (oder 54). Die Lagerleitung steckte „Käferchen“ (Diebinnen) mit in die Brigade, in der Hoffnung, daß sie anfangen würden zu arbeiten, aber sie hielten sich in der Brigade nicht lange auf.

In der Brigade waren die Deutschen: Katarina FEIFER (oder PFEIFER, geb. ca. 1923) und Natalia NESKE (geb. ca. 1924). Ferner Soja DUBININA (geb. etwa 1924) und die Moskauerin Soja Sergejewna UGER (geb. ca. 1915). Es gab auch noch eine weitere Moskauerin, erheblich älter als die anderen – die Ärztin Elisabeta Iwanowna MEDWEDEWA (geb. etwa 1905). Im Sommer 1954 kamen ihr Mann und ihr Sohn, um sie wiederzusehen.

Sie alle waren ebenfalls von der 6. Lagerabteilung des GORLAG verlegt worden.

In der Brigade arbeiteten die Ukrainerinnen Taisija SAKOWITSCH (geb. um 1926) aus dem Gebiet Wolhynien (sie wurde im März 1954 in die Freiheit entlassen), Wera KUTSCHERENKO (geb. 1922) aus dem BELOZERKOWSKER Kreis, Region KIEW (sie bekam im Lager eine Tochter und wurde 1953 aufgrund einer Amnestie entlassen, Nadja (Nadjeschda) STOROSCHIK (geb. 1922), ebenfalls aus der KIEWSKER Region (sie kam am 31.12.1953 frei), Ljubow Iwanowna KOCHAN (geb. 1928) aus dem Dorf SOLOTE, LJUBOTSCHIWSKER Kreis, Gebiet ROWNO. Ljuba KOCHAN wurde als Minderjährige Anfang 1954 in die Freiheit entlassen. Sie heiratete einen Begleitsoldaten, einen Ukrainer aus der Region Winniza, der sich den Häftlingen gegenüber anständig benahm und ihnen häufig half, woraufhin ihm jedoch die Lagerleitung offensichtlich häufig Tadel erteilte und ihn ermahnte.

Am 7. Lagerpunkt, direkt in der Zone, gab es einen Gesundungspunkt - eine spezielle Baracke, aus der die Menschen nicht zur Arbeit getrieben wurden; dort erhielten sie einfach nur eine gewisse Zeit zur Erholung. Einmal, im Jahre 1953, bekam Jewdokia Wasiljewna dort einen Monat Urlaub.

Am 7. Lagerpunkt fand kein Streik statt. Aber dort konnte man gut hören, wie in der Nacht zum 03.08.1954 die Straforgane die 3. Lagerabteilung stürmten.

Nach ein paar Tagen begann einer der „Schützen“ der Konvoiwache, Kowalskij aus dem Gebiet Ternopol, vor den Häftlingen damit zu prahlen, wie er (bei der Niederwerfung des Aufstandes) geschossen hatte. Daraufhin sagte Jewdokinia Wasiljewna zu ihm: „Du prahlst also damit, daß du deine Brüder erschossen hast?“

Im Oktober 1954 besuchte eine Kommission die 7. Lagerabteilung; darunter befand sich auch ein Staatsanwalt. Die Lagerinsassen wurden herausgerufen und verhört, wie bei einer Gerichtsverhandlung. Die Kommission erteilte vorzeitige Entlassungen.

Jewdokia Wasiljewna wurde am 08.10.1954 „nach zwei Dritteln“ freigelassen. Zusammen mit ihr entließ man auch die Brigadeführerin Jelena MOTUSKO, Natalia NESKE und die Ukrainerin Anna aus dem STANISLAWSKER (IWANO-FRANKOWSKER) Gebiet. Bei der Entlassung erhielten sie einen Paß. Selbstverständlich mit „Minus“ (d.h. in die Ausweisdoku-menten hatte man eine Reihe von Städten eingetragen, in denen sie sich nicht niederlassen durften; Anm. d. Übers.). Sie wurden jedoch nicht unter Meldepflicht bei einer Kommandantur gestellt.

Bald darauf, Ende 1954, wurde die 7. Lagerabteilung aufgelöst. Die Häftlinge, die zu diesem Zeitpunkt noch dort waren, wurden entweder in ein Sonderlager geschickt oder kamen zum Bauprojekt 503.

Unmittelbar nach ihrer Freilassung heiratete Jewdokia Wasiljewna und ging erst 1955 wieder arbeiten.

Jewdokinia Wasiljewnas Familie – ihre Mutter Maria Dmitrijewna DSCHUS (1891-1975) und der kleine Bruder Wasil (1941-1971) – wurden am 21.10.1947 aus dem Dorf PAZYKIW in die Kolchose „Dschambul“, KARKARALINSKER Kreis, im Osten der Region KARAGANDA, deportiert.

Zusammen mit ihnen verbannte man in dieselbe Kolchose Justina DJAKUN (geb. ca. 1938) und Olena DJAKUN (geb. um 1944) mit ihren Eltern. Sie stammten aus der Ortschaft STARYJ LYSEZ, 3 km von Pazykow entfernt. Diese Familie kehrte Ende der 1950er Jahre in die Heimat zurück.

Im Sommer 1956, als die Schiffahrt wieder aufgenommen wurde, fuhr Jewdokia Wasiljewna nach Kasachstan und versuchte die Erlaubnis zu bekommen, daß man ihre Mutter und ihren Bruder zu ihr fahren ließ. Die Kreis-Kommandantur lehnte dies ab, aber es gelang ihr, die Genehmigung in Karaganda zu bekommen.

Jewdokia Wasiljewna nahm ihre Mutter und den Bruder mit nach NORILSK, wo Maria Dmitrijewna sich noch weitere fünf Jahre regelmäßig melden und registrieren lassen mußte.

Am 10.03.1960 wurde sie aus der Verbannung entlassen. Wasil DSCHUS entging der Kommandantur: Jugendliche unterlagen in dieser Zeit schon nicht mehr der Meldepflicht. Im Sommer 1960 kehrte Maria Dmitrijewna zusammen mit ihrem Sohn in die Heimat zurück.

Jewdokia Wasiljewna selbst wurde 1957 zur Kommandantur bestellt, man nahm ihr den Paß weg und stellte sie unter Meldepflicht. Später sagte man ihr, daß dies nicht passiert wäre, wenn sie den Namen ihres Ehemannes angenommen hätte. Tatsächlich entließ man sie dann bereits am 16.07.1958 aus der Kommandantur-Meldepflicht und gab ihr den Paß zurück.

Nach der Archivbescheinigung zu urteilen, wurde ihr Urteil später (wahrscheinlich in den 1960er oder 1970er Jahren) „teilweise revidiert“: die Haftstrafe wurde von 10 auf 5 Jahre abgeändert. Ende 1993 wurde sie rehabilitiert.

Aufgezeichnet von W.S. Birger, „memorial“-Gesellschaft, Krasnojarsk

Im Archiv:

F O T O S


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