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Mitteilung von Jakob Jakowlewitsch Schnaider

Jakob Jakowlewitsch Schnaider wurde1928 in der Ortschaft Grimm (12.000 Einwohner) geboren. Sein Vater – ebenfalls Jakob Jakowlewitsch (in der Familie war es Tradition, dem jüngsten Sohn den Namen des Vaters zu geben) war mit der gleichnamigen Elisabeth Karlowna Schnaider verheiratet. Die Familie (Eltern, drei Schwestern und drei Brüder) lebte in einem großen Haus mit 4 Hektar Ackerland, einem Garten und einer relativ kleine Hofwirtschaft, die aus zwei Kühen, ein paar Schweinen und Schafen bestand. Jakob Jakowlewitsch (dem Sohn) gelang es noch die 4. Schulklasse zu beenden, als im Rundfunk die bevorstehende Deportation verkündet wurde und man ihnen für die Vorbereitungen auf die Fahrt nach Sibirien eine Woche Zeit gab.

Zu der Zeit war Jakob Jakowlewitsch 13 Jahre alt.

Zuerst fuhren sie auf Lastwagen, anschließend mit einem Lastkahn bis nach Saratow. Die Familie gab ihre gesamte Hofwirtschaft ab (dafür wurden ihnen Bescheinigungen ausgestellt) – mit Ausnahme der Schweine, die sie zuvor schlachteten und dann das Fleisch mit Fett übergossen. „Ein paar Kleidungsstücke und einige andere Sachen… dann wurden wir auf den Zug verladen – und ab ging’s nach Sibirien“.

In den Waggons schliefen sie auf ihren Kisten und Bündeln, dafür bekamen sie gut zu essen (hauptsächlich Suppe mit Fleischstücken). Zum Zug gehörte auch ein ganzer Waggon voller Wachen (Begleitsoldaten). Toiletten gab es im Zug nicht, so dass sie mit Unterbrechungen reisten, zuerst bis Krasnojarsk, wo sie eine Trockenration (Fisch und Brot) erhielten, dann zu Wasser, mit einem Dampfer nach Jenisseisk.

Bei der Ankunft in Jenisseisk (am 19. September) schickte man die Familie Schnaider zusammen mit anderen Wolgadeutschen in die Ortschaft Marilowzewo, in die Kolchose „Morgenröte des Kommunismus“. Der Vorsitzende dieser Kolchose, Kutschin, nahm die Umsiedler sehr menschlich und herzlich auf. Er überließ ihnen seine geräumige Wohnung und zog selber in eine kleinere um; er versorgte die Familie in der ersten Zeit sogar mit Kartoffeln. Für die noch in Grimm zurückgelassenen Kühe gab man ihnen zwei neue, aber Schafe wurden hier nicht gezüchtet – dafür gab man ihnen einfach Geld. So verging der dörfliche Alltag. In der Kolchose eggten sie mit Hilfe von Kühen, sie mähten, ernteten, säten – alles mit der Hand, denn es gab dort nicht genügend technische Gerätschaften. Erst 1946, nach dem Krieg, erhielt Jakob Jakowlewitsch, nachdem er eine Ausbildung zum Traktoristen absolviert hatte, einen mit Gasgenerator betriebenen Traktor, der mit Brennholz funktionierte. Ungefähr zu der Zeit stirbt seine Mutter, und eine Stiefmutter kommt ins Haus. Das hält den 17-jährigen Burschen von der Familie fern; er verliebt sich in ein russisches Mädchen.

Anna war damals schon 18 Jahre alt, sie wohnte ganz selbständig allein in einer Wohnung. Jakob Jakowlewitsch ignorierte das Missfallen der Familie, besuchte sie und blieb für immer. Sie bekamen 7 Kinder. 1950 erhielt Jakob Jakowlewitsch einen neuen Traktor – einen DT-54, und 1955 wählte man ihn zum Brigadeführer. Nach 30 Jahren gewissenhafter Arbeit, nachdem er 4 Auszeichnungen verliehen bekommen hatte, ging Jakob Jakowlewitsch in Rente, legte jedoch auch danach die Hände noch nicht in den Schoß, sondern erledigte gelegentlich Arbeiten in der Mühle. Nach und nach verfiel die Wirtschaft in Marilowzewo, und jetzt lebt er mit seiner Frau in Jenisseisk. Nach Deutschland fuhr er – im Gegensatz zu seinen Verwandten – nicht, denn seine Ehefrau ist doch Russin, und die Kinder … Jakob Jakowlewitsch meint: „Was bin ich schon für ein Deutscher? Ich habe eine russische Frau, die Kinder sind Russen, also bin auch ich ein Russe“. Sein Leben bereut er nicht, und über die Vergangenheit sagt er: „Was soll man machen, alle hatten es schwer, und auch die russischen Ortsansässigen litten Hunger… Das war damals eben so eine Zeit“. Während ich mich mit J.J. unterhielt konnte ich keine Kränkung, Kummer oder Zorn heraushören. Er ist ein äußerst positiv eingestellter Mensch.

Maria Schubina

 

(AB – Anmerkungen von Aleksej Babij, Krasnojarsker „Memorial“-Organisation)


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