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Bericht von Ewald Petrowitsch Schwabenland

Wohnhaft in der Ortschaft Sagaiskoje, Bezirk Karatus, Region Krasnojarsk.

Geboren 1937 in der Ortschaft Straub, Bezirk Kukkus, Gebiet Saratow.

Vater: Peter (Piter) Augustowitsch (geb. 1899), Mutter: Amalia (Mädchenname Metzer, geb. 1896). Bruder: Viktor (geb. 1929; Schwestern: Theresa (geb. 1926) und Maria (geb. 1928).

Die Eltern arbeiteten in der Kolchose, hatten aber auch ihren eigenen kleine Hof – eine Kuh, Schafe, einen Gemüsegarten.

An die Aussiedlung kann er sich nicht erinnern, er war damals erst vier Jahre alt. Nach dem, was die Schwester erzählte, brachte man sie mit einem Lastkahn bis nach Saratow, anschließend in Viehwaggons nach Abakan und von dort nach Sagaiskoje, aber ob sie mit Autos oder Pferden dorthin gelangten, weiß sie nicht mehr. Sie erinnert sich aber, dass man sie anfangs in einer leerstehenden Hütte unterbrachte. Sie war ungefähr 40 Quadratmeter groß, und darin wohnten vier Familien. Der Vorsitzende hatte die Anordnung erteilt, alle leerstehenden Hütten in der Region fortzuschaffen und in Sagaiskoje aufzustellen.

In der Familie wurde ausschließlich Deutsch gesprochen. Ewald Petrowitsch gelang es noch vor der Schule im Umgang mit den Kindern die russische Sprache zu erlernen, für die älteren war es schwieriger. In der fünften Klasse lernte Ewald Petrowitsch die deutsche Sprache praktisch ganz von vorn, weil sein schwäbischer Dialekt und die „offizielle“ deutsche Sprache sich sehr stark voneinander unterschieden. Obwohl es für ihn natürlich leichter war, als für die russischen Altersgenossen. Im Allgemeinen ist es auch so, dass die Deutschen in den verschiednen Ortschaften (Taskino, Karatusskoje, Motorskoje, Sagaiskoje) unterschiedlich sprechen. Nachbarin Neiman reiste nach Deutschland aus, und als sie später zu Besuch kam, hieß sie bereits Neumann.

Bereits während des Krieges schafften sie sich eine Kuh an (möglicherweise bekamen sie sie auch als Ersatz für die, die sie an der Wolga hatten zurücklassen müssen).

In der ersten Zeit war das Verhalten gegenüber den Deutschen schlecht – in jeder Familie war irgendeiner an die Front gegangen, und da sind sie nun – die „Faschisten“. Später kam alles zurecht, aber es kommt vor, dass sie auch jetzt noch beschimpft werden.

Den Vater und die Schwester holten sie 1942 in die Arbeitsarmee, w er im Gebiet Kirow ums Leben kam; er hatte dort in der Holzbeschaffung für das Wärmekraftwerk gearbeitet. Von dort kehrten zwei, drei Männer als Krüppel heim. Theresa war in der Arbeitsarmee in Ufa in einer Fabrik, Maria in einer Kolchose. Als Theresa in der Arbeitsarmee war, sah sie dort auch deutsche Kriegsgefangene, mit denen sie sich unterhielt.

Die Mutter bekam 1946 eine schwere Erkältung und starb. 1948 wurde die Schwester aus der Arbeitsarmee entlassen.

Ewald Petrowitsch und die anderen Kinder arbeiteten im Sommer immer. Anfangs transportierte er Heuhocken, später arbeitete er an einem von einem Pferd gezogenen Rechen.

Als Ewald Petrowitsch 16 Jahre alt wurde, musste er sich einmal im Monat in der Kommandantur melden. Die Kommandantur befand sich in Sagaiskoje, aber der Kommandant kam einmal im Monat zu ihnen, und da mussten sie sich zur Registrierung beim Dorfrat einfinden.

Ewald Petrowitsch unternahm 1970 eine Reise nach Straub, er konnte die Ortschaft schon nicht mehr wiedererkennen. Man sagte ihm: Faschisten, fahrt bloß gleich wieder ab…

1962 und 1966 brachte man Sondersiedler aus Mordwinien nach Sagaiskoje.

Die Vergünstigungen für Repressionsopfer sind nicht sehr hoch. Für Brennholz bekommt man pro Jahr dreitausend Rubel; sie geben einem kostenlose Arzneimittel, aber keineswegs die, die man wirklich benötigt.


E.P. Schwabenland 1965


Maria Schwabenland mit Sohn


Theresa Schwabenland mit Sohn

Das Interview wurde geführt von Aleksej Babij und Tatjana Nasarez.

Forschungsreise der Staatlichen Pädagogischen W.P. Astafjew-Universität Krasnojarsk und der Krasnojarsker „Memorial“-Organisation zum Projekt „Anthropologische Wende in den sozial-humanitären Wissenschaften: die Methodik der Feld-Forschung und Praxis der Verwirklichung narrativer Interviews“ (gefördert durch den Michail-Prochorow-Fond).

 


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