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Gottlieb Gottfriedowitsch Wagner

Gottlieb Gottfriedowitsch Wagner wurde am 12.06.1929 im Gebiet Saratow, Kanton Krasnojar, Ortschaft Alt-Urbach (heute Furmanowka), geboren.

Bis zur Kollektivierung führten sie ein gutes Leben. In der Familie gab es 7 Kinder, die Eltern und die Oma. Der Vater besaß einen Traktor der Marke „Ford“, den er während der Kollektivierung verkaufen musste. Alles nahm man ihnen fort: das Vieh, den Grund und Boden. In der Familie der Mutter starben 6 Personen (die Eltern, 2 Brüder, 2 Schwestern). Eine weitere Schwester war auf irgendwelchen Eisenbahnstrecken unterwegs, aber als der Krieg ausbrach, kehrte sie zurück und gelangte zusammen mit der Familie Wagner nach Sibirien.

Gottfried (der ältere Bruder) verdiente als Hirte ein wenig nebenbei. Gottlieb Gottfriedowitsch erinnert sich, dass es in der Umgebung viel Wald gab. Man brachte die Kinder zum Hirseaussäen, und wenn die Setzlinge zu dicht gedrängt standen, dann jäteten sie sie aus. Gottlieb war erst 8 Jahre alt, verdiente sich aber schon Tagesarbeitseinheiten. Minderjährigen rechnete man für solche Arbeiten nicht einen ganzen Tag an, sondern nur 3-4 für die ganze Woche. „Superkluge“ nannte der Vorsitzende die Kinder, wenn sie nach Tagesarbeitseinheiten fragten. Im Frühjahr setzte die Mutter Stecklinge für die Kolchose. Es gab drei Straßen und eine Kirche. Er beendete 4 Schulklassen; der Unterricht erfolgte in deutscher Sprache; ein wenig Russisch verstand er auch. Unter den Dorfbewohnern gab es auch geizige Leute. Der Nachbar wollte ihnen kein Wasser geben, dabei besaß er einen Brunnen; aber wenn er schlecht gelaunt war, verschloss er seine Gartenpforte, und dann mussten sie einen Umweg machen und das ganze Wasser für die Tabakstecklinge, die viel Wasser benötigten, heranschleppen. Es gab auch Missernten; es wuchs nicht viel Gras, das Vieh war schlecht genährt. Zu den Pflichten der Kinder gehörte auch das Sammeln von Kuhfladen . Die wurden anschließend getrocknet und ergaben „Mist“ - ein trockenes Brennmaterial. Wer zu faul war, sich dieses Brennmaterial herzustellen, der hatte auch schlechtes Brot, weil es nicht vernünftig durchgebacken war. Er kann sich noch an einen Vorfall erinnern, als der Vater sich dem Vorsitzenden widersetzte; da entfernten sie den Vater aus der Brigade und klagten den Unschuldigen an. Man schickte ihn los, um Ziesel-Mäuse zu fangen. Diese Nagetiere waren eine wahre Plage für die Leute. Es wurde sogar berechnet, wie viele Getreidekörner so eine Ziesel-Maus frisst. Gefangen wurden sie folgendermaßen: man goss Wasser in ihre Höhlen, aber die Ziesel-Mäuse hatten viele Ein- und Ausgänge. Das Wasser musste mit Ochsen herangeschafft werden, alles ging sehr langsam vor sich, so dass es nicht gelang alle Ausgänge möglichst gleichzeitig mit Wasser zu verschließen – die Ziesel-Mäuse starben nicht. Erneut gab es eine Anklage, und der Vater fürchtete sich schon davor, dass man ihn nun einsperren würde; deswegen hat sich dieses Ereignis so tief ins Gedächtnis eingeprägt. In jenen Jahren kam es auch nicht selten vor, dass man Leute ins Gefängnis steckte und anschließend erschoss.

In Sibirien kamen sie in den Pirowkser Bezirk, in die Ortschaft Belskoje. Sie verbrachten die Nacht im Klubhaus und wurden danach einem Pferdehof zugewiesen, wo sie in einem Fünfwandhaus wohnen sollten. In der einen Hälfte befand sich die Milchabgabestelle, in der anderen wurden die Kummets getrocknet. Etwas später zogen sie in ein Haus um, in dem bereits die Familie Pister und andere wohnten. Den Vater holten sie im Januar 1942 in die Arbeitsarmee. Man nahm ihn unter Konvoi-Begleitung und schickte ihn zur Bahnstation Reschoty; später kam er nach Nabereschnyje Tschelny. Dort wurden Gewehrkolben für Automatik-Gewehre und Flinten angefertigt. Aufgrund der schweren, unmenschlichen Bedingungen setzte zum Frühjahr ein unglaubliches Massensterben ein. Die Toten wurden einfach in den Sumpf geworfen und mit Sägespänen bedeckt. Der Bruder des Vaters kehrte psychisch krank nach Hause zurück.

O. Kruschinskaja. Unfreiwillige Sibirjaken


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