1939 las ich in der Kreis-Zeitung eine Mitteilung, daß die Minusinsker Versuchsstation Wildapfel-Setzlinge verschickte. Das Wetter war zu jener Zeit sehr streng, der Frost erreichte im Winter Temperaturen von minus 40 bis minus 50 Grad, und der Schnee reichte den Pferden bis zum Bauch; dafür war es im Sommer freundlich, nachts war es während des Sommers so warm, daß man draußen schlafen konnte. Und da bestellte ich mir dreizehn Wildapfel-Setzlinge, aber niemand glaubte, daß sie bei uns wachsen würden. Sie trafen im Herbst ein, ich pflanzte sie in die Erde. Im Frühjahr hatten fünf von ihnen und ein Apfelbaum der Sorte „Borowinka“ Wurzeln geschlagen. In den folgenden drei Jahren entwickelten sich die Wildäpfel zu sehr hohen Bäumen, und teilweise steckt heute noch Leben in ihnen. Als sie nach etwa drei Jahren anfingen zu blühen, kamen alle Dorfbewohner, um sie sich anzusehen, denn dies war der allererste Garten im Ort. Der Apfelbaum behielt im Winter zwei Äste, die unter dem Schnee lagen, und danach wuchs er in die Breite.
Ich hatte die verschiedenartigsten Leidenschaften. Einige der ersten Bücher waren dieverse Seegeschichten und Novellen. Ich selbst bastelte nicht weniger als zehn unterschiedliche Segelschiff-Modelle und kannte alle möglichen Seemannsausdrücke. Die Romantik des Meeres war so anziehend, daß ich nach der zehnten Klasse beinahe zur Seefahrtsschule in die Stadt Wladiwostok gefahren wäre, um dort den Beruf des Steuermanns „auf großer Fahrt“ zu erlernen. Mein Klassenkamerad Fedja, ich kann mich nicht mehr an seinen Familiennamen erinnern, fuhr aber trotzdem, machte seinen Abschluß und arbeitete danach lange Zeit als Kapitän „auf großer Fahrt“.
1940-1941, als ich in die fünfte Klasse ging, hatte ich bereits die gesamte Dorfbibliothek durchgelesen, und der Vater brachte mir jeden Monat, wenn er seinen Rechenschaftsbericht in die Kreisstadt fuhr, von dort zwei Säcke mit jeweils 20 der verschiedenartigsten Bücher mit. Ich war so ins Lesen vertieft, daß ich überhaupt nicht mehr mit meinen Kameraden spielte, sondern mich immer mehr verschloß, und diese Periode schuf offensichtlich in mir jene Introvertiertheit, die den Grundstein für meine weitere geistige Suche legte.
Mit Beginn des Krieges verschwanden viele Dinge aus den Geschäften, darunter auch Streichhölzer. Viele Menschen im Dorf verwendeten Feuer- und Flintsteine. In der Schmiede wurden Feuersteine hergestellt, die wir „tschikalo“ nannten. Nicht weit von uns befand sich der Berg Buslyschka, auf dem wir die Flintsteine sammelten. Außerdem gingen wir sehr oft an unser Flüßchen Usa und sammelten dort verschiedene Steinchen und probierten dann aus, ob man mit ihnen Funken herstellen konnte. So begann ich nach und nach, mich für Steine zu interessieren. Zu dieser Zeit wurde in den Laden eine ganze Kollektion an Mineralien gebracht, und der Vater, der sich bemühte, in mir die verschiedenartigsten Interessen zu wecken, kaufte sie mir. Na, das war vielleicht eine Freude! Ich fing an, die Steine, die ich selber gesammelt hatte,mit denen zu vergleichen, die aus der Kollektion stammten. Außerdem brachte mir der Vater einmal ein Buch mit dem Titel „Erkundung nützlicher Fossilien in der Krasnojarsker Region“ mit. Das war von der Art her schon so etwas wie eine Anleitung. Einen weiteren großen Impuls bei der Entwicklung meiner Interessen auf dem Gebiet der Geologie erhielt ich durch ein Buch mit Novellen – „Die Robinsons des Altaj“, in denen geologische Abenteuer von Jungs beschrieben waren, die im Altaj-Gebiet nützliche Fossilien gesucht und gefunden hatten. Ich entflammte dermaßen dafür, daß ich buchstäblich alle Berge in der Umgebung durchforstete und eine große Kollektion hiesiger Mineralien sammelte. Mit einer gewöhnlichen Schale wusch ich den Sand in verschiedenen Bächen aus, und besah mir anschließend alles unter dem Mikroskop. Was für eine wunderbare, vielfarbige und glänzende Welt eröffnete sich da vor meinem Blick!
Zudem sammelte ich eine ganze Kollektion von Eiern verschiedener Vögel, die in der Region vorkamen, ebenso Insekten, vor allem Schmetterlinge.
1938 beendete ich die Kortusker 7-Klassen-Schule und wechselte dann zur Krasnoturansker Mittelschule. Ich wohnte in der Wohnung des Leiters des des Büros für Zwangsarbeit, bei dem Juden Mowschowitsch. Hier prallte ich zum ersten Mal mit Ungerechtigkeiten zusammen. Die „Prinudschiki“ (Zwangsarbeiter - Anm. der Übers.), wie man sie damals nannte, wurden bei diesem Leiter wie Sklaven gehalten und erledigten alle Arbeiten in der Hauswirtschaft. Sie erlaubten mir noch nicht einmal Brennholz zu hacken. Der Leiter sagte:
„Deine Sache ist es zu lernen. Und hier sind die groben Flegel, die alle Arbeit machen. Sonst fragt dein Vater nachher noch, warum du so schlecht lernst – und was soll ich ihm dann antworten?“ Aus der Kolchose brachten sie ihm öfter „Abgaben“ in Form von Säcken mit Mehl, Eiern, Fleisch, Honig und vielen anderen Dingen. Sein Geld zählte er bündelweise
Aber all diese Ungerechtigkeiten spielten sich nur am Rande meines Bewußtseins ab, weil sie mich nicht unmittelbar berührten.
Mein Schulfreund Tima Oschtschepkow war Halbwaise, seine Mutter zog ihn zusammen mit einem Bruder und zwei Schwestern groß. Der Vater war als Kulak verschleppt worden; und sie hausten in einer kleinen Kate. Sie lebten in äußerst armseligen Verhältnissen. Tima aß sich auch nur dann satt, wenn er zu uns kam, und er freute sich riesig, wenn meine Mutter ihm meine abgetragenen Höschen schenkte. Wir waren sehr gut befreundet, gingen immer zusammen überall hin, auch zum Angeln. Das Fischefangen war in jenen Hungerjahren die Rettung. Damals gab es in unserem Flüßchen noch sehr viele Fische – Grünlinge, Aalquappen, Hechte, Elritzen und sehr kleine Fische, die bei uns „sinjuschka“ ("Bläulinge") genannt wurden. Wir fingen sie mit der Angel oder dem Netz. Ohne Fische kamen wir niemals zurück.
Wir jagten auch sehr viel, wenngleich die Resultate hier geringer ausfielen. Mein Vetter, der Sohn von Tante Marusja (mütterlicherseits), Alexander Scherdew, wurde in die Armee einberufen und hinterließ mir und seinem Bruder Schenja ein 20 Kaliber-Gewehr (ein Berdan-Gewehr mit japanischem Schloß und einem Magazin für zwei Patronen) sowie einen Haufen Bücher über die Jagd. Damals gab es sehr viel Wild. Wir fingen Hasen mit Schlingen, manchmal acht Stück an einem Tag, und erschossen sie dann. Direkt hinter dem Dorf nisteten Birkhühner, und es kam mitunter vor, daß sich auf den Heugarben Schwärme von bis zu hundert Stück versammelt hatten. Überall auf den Feldern liefen Perlhühner herum, die wir zu hunderten jagten, ganze Wagenladungen voll. Auf den Seen und Flüßchen gab es eine Unmenge Enten, in den Sümpfen – Kronschnepfen, Kraniche, Bekassinen, Brachvögel. Im Winter stießen wir nicht selten auf Füchse, Hermeline, Iltisse. Es gab auch Hamster, Maulwürfe und im Wald – Eichhörnchen. Ebenso eine Vielzahl von Ziegen, Maralen (große sibirische Hirsche – Anm. d. Übers.), Luchsen und Wölfen.
Tima Oschtschepkow zog nach Beendigung der 7-Klassen-Schule zusammen mit den Schwestern und seiner Mutter in die Ortschaft Belojarsk um und konnte nicht weiterlernen, obwohl er das sehr gern getan hätte ,und weiterhin oft versuchte, in die 8. Klasse zu kommen – aber es klappte nicht. Während des Sommers war ich oft bei ihm zum Fischefangen am Fluß Syda. Tima arbeitete in einer Kolchose und war eine Zeit lang auf einem Mähdrescher tätig, den er bei der Swininsker MTS (Maschinen-Traktoren-Station – Anm. d. Übers.) reparierte. Er wohnte bei einer alten Frau in der Wohnung, die – ich weiß nicht auf welche Weise – noch eine ganze Ausgabe des Journals „Niwa“ (Feld, Flur – Anm. d. Übers.). Was für eine ungewöhnliche und merkwürdige Welt eröffnete sich uns mit den Seiten dieser Zeitschrift. Die Alte war Lehrerin gewesen, eine sehr belesene und kulturvolle Frau. Sie lehrte uns ländlichen Dummköpfe die Regeln des Benehmens, brachte uns Manieren bei und erklärte uns, daß wir uns vor dem Essen waschen, etwas auf uns halten und darauf achten sollten, was wir sagten. Damals sprachen wir ganz einfach auf sibirische Art: „Wat machste, Junge?“ und wunderten uns sehr, daß man nicht „wat“, sondern „was“, nicht „machste“, sondern „machst du“ sagen mußte. Das waren für uns die ersten Lektionen in Kultur.
Im Jahre 1944 erreichte das Unglück des Volkes auch uns. Der Vater geriet mit dem damaligen Vorsitzenden der Dorf-Konsumgenossenschaft, Nikolajenko, in Konflikt, weigerte sich, wie er es ausdrückte, „krumme Sachen zu machen“, d.h. erlogene Rechenschaftsberichte zu erstellen und war gezwungen, seine Arbeitsstelle zu verlassen.
Zu dieser Zeit wurde in Kortus gerade ein Kinderheim eingerichtet und Vater wurde zu seinem Direktor ernannt. Das Kinderheim begann praktisch mit dem Stande null. Da war nur das Gebäude der alten Feuerwehr. Zusammen mit dem Vater schafften wir selbst mit Pferden Stroh herbei, das den abgemagerten und entkräfteten Waisen, die man von überallher weggefahren hatte, in der ersten Zeit als Bettzeug diente. Wir holten auch selber Brennholz und bereiteten ganz einfaches Frühstück oder Mittagessen zu. Nach einiger Zeit wurde der Mathematiklehrer Wladimir Danilowitsch Laschkewitz zum Direktor ernannt, und der Vater wurde Buchhalter. Irgendwann fiel Laschkewitz einmal vom Motorrad, und die Folgen waren für ihn während des Krieges ständig von Nutzen. Sobald man ihn vor die Militärkommission beorderte, nahm er seine Krücken und erzählte, daß sein Rückgrat gebrochen sei. So verbrachte er auch den gesamten Krieg hinter der Front. Er war eine ziemlich gaunerhaft veranlagte Persönlichkeit, entwendete den Kindern ständig ihr Essen und ihre Kleidung. Dem Vater gefiel das nicht; er war nicht gewillt, in seinen Rechenschaftsberichten diese Machenschaften zu verheimlichen. Dafür wurde er auf den Posten eines Arbeitsausbilders versetzt. In dieser Zeit eröffnete Vater eine Künstlerwerkstatt für das Schnitzen verschiedenartiger Kinderspielzeuge aus Birkenholz und leitete die Arbeiten.
Es herrschte schrecklicher Hunger. Uns hatte man ebenso wie denen, die nicht in die Kolchose eingetreten waren, den Gemüsegarten weggenommen und uns nur insgesamt 1 ar (100 qm) Land gelassen. Es fehlte an Kartoffeln; Getreide gab es fast überhaupt nicht. Wir verkauften alles, was wir besaßen: das Eisenbett, die Nähmaschine, Tische, Stühle, jedwede Kleidung. Wir verkauften auch sehr viele Bilder, die auf Leinwand gemalt waren. Hier kam uns des Vaters zweiter Beruf zustatten. Er machte zahlreiche Skizzen, Wandbehänge, und das half uns ganz gut aus der Not. So weiß ich zum Beispiel noch, daß der Werksmeister der Butterfabrik uns für einen Wandbehang gestattete, jeden Tag einen Eimer voll Buttermilch wegzunehmen, die wir dann voller Freude mit gekochten Kartffeln aßen. Es gelang uns Mehl aufzutreiben, das für die sogenannte „satirucha“ reichte, einem dünnflüssigen Brei aus Wasser und Mehl.
Zuhause fertigte der Vater eine Drechselbank an; mein Bruder und ich drehten immer abwechselnd das große Rad, und Vater drechselte verschiedene Kleinigkeiten, hauptsächlich Spindeln, die wir anschließend im Dorf verkauften und dafür einen Eimer Kartoffeln erhielten. Mutter häkelte am laufenden Band Tischdeckchen, Spitzenbänder, lehrte uns, wie man aus Holzspänen kunstvolle Blumen bastelte, und auch das gelangte alles zum Verkauf. Zu der Zeit waren wir bereits fünf Kinder. Wirwuchsen heran, und für unseren Vater wurde es immer schwieriger, die Familie zu ernähren.
1945 starb unsere Großmutter Anna an Krebs, und das warf unsere Familie ziemlich nieder.
Es gab die kluge, praktische Arbeitseinteilerin nicht mehr. In diesem Jahr beendete ich die zehnte Klasse und konnte danach nicht weiter zur Schule gehen. Transportmittel gab es damals nicht, es waren auch kaum Pferde vorhanden, und wir Schüler mußten Lebensmittel in einem Sack 35 km weit bis ins Kreisdorf schleppen. Und was für Getreide war das! Im Frühjahr gingen wir aufs Feld, zu jenen Stellen, wo die Garben standen und wo es Scheunen gab, sammelten die Überreste der Spreu mit dem Korn und alle möglichen anderen Abfälle von Unkrautsamen, nahmen eine Schüssel und wuschen in den Pfützen das Getreide von der Spreu heraus. Dann schütten wir alles, was noch übriggeblieben war, in einen Sack, trugen ihn nach Hause und trockneten und mahlten alles mit einer Handmühle. Von diesem Korn, das eine Zeit lang unter dem Schnee gelegen hatte, bekamen die Leute so etwas wie eine „septische Angina“; Mund und Haut bedeckten sich mit einem roten, entzündlichen Ausschlag, die Menschen wurden schwach, viele starben. Der Vater erkrankte. Lange Zeit konnte er nirgends arbeiten, und während dieser Zeit oblag die Versorgung der Familie Schenja und mir. Während des Krieges war der Wald in der nahem Umgebung des Dorfes abgeholzt, ausgerottet worden. Im Winter mußte man Brennholz entweder mit einem Schlitten oder auf dem eigenen Rücken, oft über mehrere Kilometer, heranschaffen.
Während des Krieges wuchsen die ganzen Felder mit Unkraut zu, vor allem mit Diesteln. Im Frühjahr 1945 sah ich ein schreckliches Bild. Auf dem Feld jäteten nur Frauen und Kinder Unkraut. Und so kam es, daß ich Sauerampfer pflückte und auch aß, nebenan, auf dem Nachbarfeld sammelte eine Kolchosbäuerin nach dem Jäten in der Schürze Sauerampfer. Sie trug so eine alte, zerrissene Bluse sowie einen Rock aus Sackleinen, der schon mehrmals geflickt war, und hatte schmutzige Hände und Füße; zu der Zeit lief sie, ebenso wie ich, barfuß herum. Irgendwie erinnerte sie mich an eine wilde, prähistorische Frau. Damals gaben sie in der Kolchose für die Arbeiter jeweils 200 g Hafermehl aus. Und da pflückt sie Sauerampfer, kocht ihn in heißem Wasser, schüttet das Hafermehl hinein, und diese Wasser-Mehl-Brühe ißt die Familie zum Abendessen. Viele im Dorf starben vor Hunger, besonders jene, die aus den Gebieten der Wolgadeutschen verschleppt worden waren, Kalmücken, Menschen aus der West-Ukraine, in der Hauptsache Polen. Durch das Dorf ging ein blinder, alter Pole, der Almosen sammelte; mit ihm ging irgendein Bursche, wohl sein Enkel. So gruben sie auf dem Kolchosfeld Kartoffeln aus; sie wurden auf frischer Tat vom Brigadier der Kolchose ertappt. Der Alte wurde verurteilt und erhielt, wie es scheint, fünf Jahre Lagerhaft.
Für die kleinen Holzarbeiten in der Künstlerwerkstatt wurde Birkenholz benötigt. Im Sommer 1945 begaben Schenja und ich uns zusammen mit dem Vater zufuß nach Temny Log am Bach Afonino und machten uns daran, Holz vorzubereiten. Zu jener Zeit besaß ich eine kanadische Bügelsäge; ich fällte die Bäume, Vater und Schenja hackten die Äste ab, und dann trugen sie das Birkenholz auf einem Haufen zusammen.
Daneben floß der Bach, und einmal bat der Vater, ihn Wasser zu bringen. Ich nahm eine Schüssel und begann mir durch das Gras, das höher war als ich, einen Weg zu dem Bächlein zu bahnen. Dabei übersah ich eine Grube und fiel hinein. Unten am Boden lag Sand. Nach alter Gewohnheit nahm ich diesen Sand mit und wusch ihn im Bach aus. Gewöhnlich blieb zum Schluß immer nur ein wenig Schlick übrig, aber hier waren es eine ganze Handvoll großer, metallisch glänzender Sandkörner. Vom Aussehen her erinnerte er an Wolframit, und ich wickelte ihn in ein Stückchen Zeitung ein. Ich zeigte es dem Vater, und er sagte: „Ja, das ist etwas Interessantes – irgendein Erz“.
Nach einiger Zeit begannen Gerüchte zu kursieren, daß in Salba (einer nördlich von uns gelegenen Ortschaft) eine geologische Gruppe stationiert war. Vom Salbinsker Postamt sandte ich meinen Fund an die Adresse dieser Geologen. Am nächsten Tag waren sie bei uns, erkundigten sich nach allem und schlugen mir vor, in der geologischen Such-Truppe zu arbeiten. Mich nahmen sie als jungen Sammler, und so begann ich bei ihnen zu arbeiten. Zu jener Zeit gab es von unserer Gegend keinerlei Landkarten, und wir führten Fußmessungen mithilfe eines einfachen Kompasses durch. Der Leiter der Gruppe sagte, daß ich wegen der von mir entdeckten Fundstätte eine Prämie erhalten würde. Aber dann stellte sich heraus, daß es sich nicht um Wolframit, sondern Titanit handelte, dem man damals keine besondere Bedeutung beimaß, und das Gerede über irgendwelche Prämien verstummte nach und nach. Aber mich interessierte nicht die Prämie, sondern vielmehr die Möglichkeit praktisch in der Geologie-Gruppe zu arbeiten und mich mit den Dingen zu beschäftigen, die mich wirklich interessierten.
Neben dem Sammeln von Mineralien für die Truppe, sammelte ich auch für mich eine eigene Kollektion. Sie hing unter Glas an der Wand. An einer Stelle fanden wir ein radioaktives Mineral; ich legte es auch mit dazu und schrieb nur die Bezeichnung in lateinischen Buchstaben auf.
Wir führten geologische Vermessungen am Flüßchen Salba durch, als der Hauptgeologe der Krasnojarsker Region zusammen mit dem Mitglied und Korrespondenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Professor Alexander Georgiewitsch Wologdin, zu uns ins Dorf kam. Der Professor hatte noch im Jahre 1928 die erste geologische Vermessung in unserer Gegend durchgeführt, die Proben waren jeweils im Abstand von einen Kilometer entnommen worden, und wahrscheinlich interessierte es ihn, etwas über die Ergebnisse der Erkundungen unserer Gruppe zu erfahren.
Sie zeigten ihm, wo ich wohne, und da sahen sie dann meine Sammlung und lenkten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf das radioaktive Mineral. Ich wurde nach Kortus bestellt, und wir begaben uns auf Pferden bis zum Dorf Burowka, wo sich der radioaktive Fundort befand. Ich kannte die Stelle, weil ich auf der Vermessungsstrecke mit einer Geologin zusammen gewesen war, die dieses Mineral entdeckt hatte. Sie besichtigten den Fundort, und danach wurde unsere Gruppe vom Flüßchen Solba entfernt und in das Gebiet Burowka verlegt.
Aus Tuwa wurde eine Mineralogin angefordert, mit der wir dann zusammen alle von der Gruppe zusammengetragenen Muster mit dem Elektroskop untersuchten, um deren Radio-aktivität zu bestimmen. Vor seiner Abreise äußerte Professor Wologdin den Wunsch, daß man mir behilflich sein sollte, die 10.Klasse zu beenden; über dieses Thema unterhielt er sich im Kreis-Parteikomitee, ich wurde sogar in die Kreisstadt bestellt, aber scheinbar vergaß man mich mit der Zeit wieder.
Nachdem die Geo-Gruppe ihre Arbeiten abgeschlossen hatte, nahm sie mich mit nach Krasnojarsk, und ich arbeitete dort zwei Monate als junger wissenschaftlicher Laborant bei der Geologie-Verwaltung und befaßte mich dort für das Norilsker Kombinat mit der Vorbereitung von Landkarten des nördlichen Teils der Region Krasnojarsk. Bald darauf erkrankte ich jedoch, war gezwungen zu kündigen und nach Hause zu fahren.
Der Vater arbeitete damals schon nicht mehr im Kinderheim. Laschkewitz hatte ihn vollständig verdrängt. Er wechselte zur Butterfabrik, wo eine Abteilung für die Produktion von getrockneten Kartoffeln eröffnet worden war. Ich beschäftigte mich zu jener Zeit zuhause mit der Herstellung von Spielzeug, schloß einen Vertrag mit der Dorf-Konsumgenossenschaft und lieferte ihm die Spielsachen zum Verkauf. Jedes Teil kostete 7 Rubel, und 50 Stück fertigte ich pro Woche an, so daß der Verdienst für damalige Zeiten nicht schlecht war. Pferde gab es fast gar keine; wir brachten daher unserer Kuh bei, sich vor ein Fuhrwerk spannen zu lassen, auf dem wir dann Heu und manchmal auch Brennholz transportierten. Aber was kann so eine Kuh schon für Milch geben! Schenja und ich bauten einen Schlitten und beförderten darauf Brennholz 3 km weit vom Berg Spitschka. Vater zeichnete nach wie vor Bilder und Wandbehänge, was unserem Leben in jener Zeit sehr zustatten kam. Damals waren wir schon fünf Kinder – Gutja und Boris waren noch geboren.
1946 herrschte eine große Trockenheit, und obwohl wir auf dem Feld Kartoffeln gepflanzt hatten, gediehen sie nicht. Der Vater war verzweifelt. Er schrieb ein Gesuch, damit wenigstens die beiden jüngsten Kinderchen ins Kinderheim aufgenommen wurden. Eime Kommission kam angefahren, sah sich den Keller an und sagte, daß es bei uns doch Kartoffeln gäbe und die Familie leben könnte.
Tima Oschtschepkow und ich hatten schon seit unserer Kindheit davon geträumt, in die Taiga fortzulaufen und dort zu leben. Diesen Traum nannten wir „Zedern-Datscha“. Ich kann mich sogar noch an den Anfang meines Gedichtes erinnern, daß ich ihr widmete:
„Stumm stand die Zedern-Datscha und verdeckte die kleine Kate der Freunde,
Unten schlängelte sich der Fluß durch das Tal, nahe bei der Kate – dem Bach ...“.
Fast hätten wir diesen Traum verwirklicht. In unseren Briefen erörtern wir dieses Thema ständig, bereiteten Gewehre, Schießpulver, Werkzeug und Rucksäcke vor. Zu uns gesellte sich noch ein dritter Kamerad, aber als wir einmal zu ihm gingen, da wollte er nicht mehr. Und so wurde unser Traum auch nicht realisiert.
Im Sommer 1946 arbeitete die Geogruppe süflich von unserem Dorf in der Ortschaft Moisejewka. Ich versuchte erneut, bei ihnen eine Arbeit zu finden, aber der Leiter war bereits ein anderer, und ich wurde nicht eingestellt. Im Herbst 1946 fuhr ich mit meine Freunden Viktor Schujkow und Michail Kubasow los, um in das Schuschensker Landwirtschaftstechni-kum einzutreten. Die Aufnahmeprüfungen bestanden wir zwar, aber wie zu jener Zeit üblich, begannen wir nicht mit den Unterricht, sondern arbeiteten unweit des Technikums auf den Feldern. Ich und noch ein Mädchen wurden damit beauftragt, Losungen zu schreiben. Damals war ich ein ziemlich romantisch veranlagter Bursche, erzählte ihr vieles über mich, und einmal sagte sie mir, daß mein Charakter und meine Interessen denen ihres Bekannten Iwan Krasnow sehr ähnlich wären. Sie machte mich mit ihm bekannt, und so bekam ich noch einen Freund dazu.
Verpflegung bekamen wir in der Kantine des Technikums, aber das Essen war schlecht, wir hatten furchtbaren Hunger, rannten zum Maisfeld und aßen Maiskolben. Aber wir ließen uns, wie man so sagt, nicht unterkriegen. Als ich noch zuhause war, hatte ich nicht selten zusammen mit meinen Freunden „Lachabende“ mit Clownereien, Versen, Humor, dem Lesen lustiger Erzählungen, Witzen, usw. organisiert. Im Technikum veranstalteten wir auch solche „Lachabende“. Ich las dann ein paar Erzählungen von Soschtschenko vor. Es gab sehr viel zu lachen, man spendete uns eifrig Beifall; aber nach Beendigung des Programms wurde ich zur Leitung gerufen und gefragt, ob ich da nicht die Rede Schdanows über Soschtschenko und die Achmatowa gelesen hätte. Ich antwortete, daß ich das nicht gelesen hatte. Und sie erwiderten, daß das Abendprogramm mit der Administration abgesprochen werden müßte, denn Soschtschenko wäre von der Partei verurteilt worden und es würde sich für mich nicht gehören, seine Erzählungen zu lesen.
Das Geld, das ich von Zuhause mitgenommen hatte ging zuende, eine gewisse Zeit hielt ich noch damit durch, daß ich bei einem unserer Lehrer das Heu mähte, und dafür ließ er mich bei sich zuhause essen. Vater konnte mir mit nichts helfen. In meiner Verzweiflung schrieb ich einen Brief nach Moskau, an Professor Wologdin, mit der Bitte um Hilfe, und ich selbst fuhr nach Hause, besser gesagt, ich ging, denn zu jener Zeit gab es noch ünerhaupt kein Transport-wesen. Im Technikum ließ ich meinen Paß, meine Lehrbücher und meine Bettwäsche zurück.
Als ich im Dezember kam, um sie zu holen, war davon schon nichts mehr dort; ich nahm den Paß, aber der Kommandant des Wohnheims wollte mir nicht den Abmeldeschein geben, sondern verlangte, daß ich den Besitz und die Lehrbücher zurückgeben sollte.
Zu dieser Zeit berichtete einer der Studenten, der wußte, daß mein Familienname Worobjew war, daß ich vom Kreis-Komitee des Kommunistischen Jugendverbandes gesucht wurde. Schuschensk war erst kürzlich Kreisstadt geworden, und ich fand nur mit großer Mühe das Gebäude des Kreis-Komitees. Ich begab mich zum Sekretär, nannte meinen Namen. Er sagte, daß aus dem Kreis-Komitee des Kommunistischen Jugendverbandes auf meinen Namen ein Paket und ein Brief angekommen seien. In dem Brief stand, daß Professor Wologdin darum bat, mich in die 10. Klasse aufzunehmen und mir beim Lernen zu helfen. In dem Paket befand sich Kleidung: ein Mantel, ein Anzug, Oberhemden, und noch irgendwas. Ich übernachtete direkt im Büro des Kreis-Komitees, und am Morgen wurde ich in der Schule „untergebracht“. Ich fand für mich eine Unterkunft bei den Eltern eines Mädchens, das in die gleiche Klasse ging wie ich. Ich erhielt gewöhnliche Brotkarten, und dann gaben sie mir als Zugabe noch ein paar Sondermarken des Kreis-Komitees für den Bezug von Butter, Zucker und vielen anderen Dingen, die ich dann in dem allgemein nicht zugängigen Laden des Kreis-Partei-Komitees einlöste. Außerdem bekam ich ein Stipendium des Kommunistichen Jugendverbandes zugeteilt.
In der Schule hatte ich die anderen Schüler bald mit dem Unterrichtsstoff eingeholt und wurde mit „Einsen“ und „Zweien“ benotet. Oft traf ich mit Iwan Krasnow zusammen, und nicht selten regten wir uns darüber auf, wie schlecht die sowjetischen Menschen leben. Dann mußte ich abreisen, und wir schrieben uns oft Briefe, was im weiteren Verlauf der Ereignisse eine schicksalhafte Rolle spielen sollte.
Alles war, wie es schien, in Ordnung, aber da kam von Zuhause ein Brief, daß die Mutter schwer erkrankt war, und daß auch der Vater kränkelte. Vater war damals bereits 61 Jahre alt. Er bat mich nach Hause zu kommen, sonst würden die Kinderchen vor Hunger und Kälte sterben. Es waren nur noch ein paar Monate bis zum Ende des Schuljahres, aber ich mußte alles stehen und liegen lassen und nach Hause fahren. Aus dem Technikum wurde ich daher auch nicht abgemeldet und konnte mich infolgedessen zuhause nicht anmelden. Ich war also gezwungen einen Antrag zu schreiben, daß ich meinen Paß verloren hatte und aufgrund meiner Geburtsurkunde einen neuen bekam.
Es näherte sich das Frühjahr 1947; es begann die Frühlingsaussaat. Ich arbeitete auf dem Traktorenanhänger. Die Arbeitsbedingungen waren schrecklich. Wir arbeiteten jeweils 12 Stunden in zwei Schichten, aber wenn Schichtwechsel war – dann waren es sogar 18 Stunden. Während der Nachtschicht arbeiteten wir ohne Licht, es gab keine elektrischen Lampen. Die müde gewordenen Traktoristen setzten uns hinter das Lenkrad; sie selbst legten sich schlafen. Zu unserem Glück gab es in diesem Jahr eine gute Ernte. Mein Bruder arbeitete im Sommer ebenfalls auf dem Anhänger, und wir verdienten uns zusammen mehr als 10 Zentner Weizen. Damit konnte man schon leben!
Ende Juli wurde ich in die Kemerowsker Kriegsinfanterie-Schule einberufen, aber ich kam bei der Kommission nicht durch: ich war sehr mager, kurzsichtig, hatte Plattfüße und offensichtlich stellten sie auch einen Herzfehler fest. Man sagte mir, daß man mich nicht in die Armee aufnehmen würde. Darüber freute ich mich und beschloß, im Herbst die 10-Klassenschule zu beenden.
Im Herbst nahm man mich mit Müh und Not in die 10. Klasse der Schule in Krasnoturansk auf (denn ich hatte die Schule für fast drei jahre unterbrochen). Ich kam in der Wohnung eines Klassenkameraden unter. 1947 wurde die Währung geändert. Zum Spaß zeichnete ich mit dem Bleistift einen Fünfrubelschein. Äußerlich sah er ähnlich aus. Der Wohnungswirt nahm ihn und brachte in zum Staatsanwalt. Der meinte, daß der Bursche einfach Unsinn gemacht hatte und gab das Papierchen wieder zurück. Einmal brachte der Vater mir einen Sack Getreide und 20 kg Fleisch. Mischka Kowalew, der Wohnungswirt, stahl zusammen mit seinen Freunden die ganzen Lebensmittel und inszenierten dann einen Aufbruch der Vorratskammer. Und dann mußte ich mir eine andere Bleibe suchen. Ich sagte ihm, daß ich das der Miliz melden würde, aber er antwortete, daß für die Fälschung von Geld das Gefängnis auf mich wartete. Damals wußte ich nicht, daß der Staatsanwalt dem Vorfall überhaupt keine Bedeutung beigemessen hatte; ich fürchtete mich und hörte auf ihm zu drohen. Wie sich später herausstellte, hatten ihn die Organe des MGB (Ministerium für Staatssicherheit; Anm. d. Übers.) angeworben, und er hatte aus lauter Bosheit angefangen mir nachzustellen und ihnen über den Inhalt dessen, was ich sagte, Bericht zu erstatten. Trotzdem zeigte ich ab und an offen meine Entrüstung über das Leben in jener Zeit, und wahrscheinlich wurde damals bereits damit begonnen, eine Akte über mich anzulegen., in der dann auch die Aussagen Kowalews Platz fanden. Es war seine Freundin, von der ich erfuhr, daß er mich denunzierte. Ich begriff, daß sich über mir Gefahr zusammenbraute.
Damals unternahm ich alle erdenklichen Anstrengungen mich selbst zu vervollkommnen, mich abzuhärten. In allem und überall versuchte ich mich zurückzuhalten, war bemüht, nicht meine Emotionen zum Ausdruck zu bringen, schlief auf dem Boden auf einem einfachen „potnik“ (Filzmatte; Anm. d. Übers.), deckte mich mit einer einfachen Wolldecke zu, lief im Sommer barfuß, und wie man dem Hunger standhält, das lehrte mich das Leben selbst. Mein Vater lehrte mich verschiedene Methoden der Selbsthypnose, Konzentration und Aufmerksamkeit. Ich streckte zum Beispiel einen Arm zur Seite und versuchte, ihn in dieser Position möglichst lange zu halten. Ich besaß einen Kristall, auf den ich minutenlang starrte, ohne dabei mit den Augen zu zwinkern. Ernsthaft überprüfte ich immer wieder all jene Kenntnisse, die mir die Schule aufzwang und änderte meine Weltanschauung und meinen Charakter. Das war die Periode meiner stürmischen Persönlichkeitsentwicklung. Ich beafßte mich selbständing und aktiv mit Selbstunterricht, studierte Bücher, die sonst nur im Institut durchgenommen wurden. Nach dem Abwurf der beiden Atombomben über Japan ließ mir das Geheimnis der Atomenergie keine Ruhe mehr. Als sich zufällig ein Buch über Atomphysik fand, las ich es und versuchte mich hineinzudenken, wie es möglich war, daß sich soviel Energie gewinnen ließ.
Ich war äußerst interessiert an den wechselseitigen Zusammenhängen der Begriffe. Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich ein großes Schema zeichnete, auf dessen einen Seite das Gute war, auf der anderen – das Böse. Das Leben verband ich mit dem Guten, den Tod mit dem Bösen. Und so ordnete ich diesen beiden Begriffen verschiedene Worte, und verband das eine mit dem anderen.
Noch im Jahre 1944, als ich bei einer alten Frau in deren Wohnung lebte, machte ich die Bekanntschaft mit dem Evangelium und ein wenig später – mit der Bibel. Mich erstaunte die Idee von der Unsterblichkeit des Menschen, daß dies überhaupt möglich sein sollte. Ich war im materialistischen Geiste erzogen worden und glaubte daher den Wundern des Evangeliums nicht besonders. Aber mir kam es so vor, als wenn mit der Zeit die Wissenschaft den Tod besiegt. Und ich zeichnete sogar ein Bild. Aus dem düsteren Jenseits kommt der Todesdrache geflogen, mit schwarzen Flügeln, geformt wie ein Herz, und in der Hand ein Schwert, auf dem geschrieben steht: „Wissenschaft“. Und darunter „Der Mensch besiegt mit dem Schwert der Wissenschaft das Hindernis des Lebens – den Tod“.
1948 beendete ich die 10. Klasse, damals absolvierten wir die ersten Examen fürs Reifezeugnis. Meinen Literaturaufsatz las unser Klassenlehrer, ein verdienter Lehrer der RFSFR, Nikolaj Alexejewitsch Demin, sogar der gesamten Klasse vor und meinte, daß ich meinen ureigenen Stil hätte. Meine Zensuren bestanden zur Hälfte aus Fünfen und Vieren (entsprechen den deutschen Zensuren eins und zwei; Anm. d. Übers.), es waren aber auch Dreien dabei. Jedenfalls bekam ich mein Zeugnis. Jetzt eröffnete sich vor mir, wie man so sagt, eine Vielfalt von Möglichkeiten.
Mein ganzes Leben träumte ich davon, an der Medizinischen Fakultät zu studieren. Aber es kam so, daß ein Teil meiner Klassenkameraden ins Pädagogische Institut in Krasnojarsk eintraten. Ich absolvierte die Aufnahme-Prüfungen mit der Beurteilung „hervorragend“ und begann bereits zu studieren, aber zu jener Zeit erging ein Ukas (gesetzliche Verordnung; Anm. d. Übers.), daß im ersten Semester kein Stipendium gewährt werden sollten. Ich klopfte beim Kreis-Komitee der WLKSM (All-Russischer Leninistisch-Kommunistischer Jugendverband; Anm. d. Übers.) mit der Bitte um Hilfe an, wurde jedoch abgewiesen. Auf dem Heimweg beschlossen ein Kamerad und ich, so lange es noch nicht zu spät war, ins Tschernogorsker Bergbau-Technikum einzutreten. Ich wurde sogleich in den dritten Kurs aufgenommen, denn ich besaß ja bereits eine abgeschlossene Mittelschulbildung. Das Studium am Technikum gefiel mir. Ganz besonders zog mich die Mathematik an; wir nahmen auch die Grundzüge der höheren Mathematik durch. Meine Noten bestanden ausschließlich aus Fünfen. Aber das Leben an sich gestaltete sich sehr schwierig. Ich hatte bei meinem Freund Oschtschepkow Quartier bezogen (er arbeitete damals als Wiegemeister bei der Eisenbahn) – in einer Baracke gegenüber der Bahnstation. Um irgendwie zu leben, mußte ich nachts Waggons beladen. Für einen Waggon bezahlte man uns 150-200 Rubel, soviel wie ein Eimer Kartoffeln wert war. Durch den ständigen Schlafmangel und die unzureichende Ernährung entstand Blutarmut, häufige Schwindelanfälle. Ich wandte mich ans Ambulatorium, wo sie mir rieten, besser zu essen. Was sollte ich tun? Zum, ich weiß nicht wievielten, Mal war ich gezwungen, nach Hause zu fahren. Dort päppelte mich die Mutter mit Milch wieder auf. Nach und nach kam ich wieder zu Kräften, und erneut tauchte die Frage auf: was soll nun weiter werden?
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