Anfangs kam ich aufgrund meiner zweiten Vorstrafe zum Lagerpunkt 033 in die Strafbrigade. Damals brachten sie mich von Krasnojarsk nach Tajschet; an der Station Reschoty ließen sie einen untersetzten Mann mit militärischem Auftreten zusteigen. Es stellte sich heraus, daß es sich um General Krjuko, den Ehemann von Lidia Ruslanowa, handelte. Er war in der Arbeitszone als Brigadier in der Wirtschaftsbrigade tätig. Bei uns wurde damit herumgescherzt, daß in diesem Lager diejenigen mit den höchsten Rang das niedrigste Amt innehatten. Der Lagerleiter war ein Hauptmann, sein Stellvertreter – ein Major, der Arbeitsanweiser – ein ehemaliger Oberst, und der Brigadeführer – ein General. Es gab auch noch einen General-Oberst – der leitete das Blasorchester. Zusammen mit unserer Gefangenenetappe war auch irgendein Erzbischof der rechtgläubigen Kirche direkt in seinem Priesterrock hierher gekommen, in all seinen kirchlichen Gewändern. Aber nach einer Woche zogen sie ihm Lagerkleidung an, und danach hat man von ihm nichts mehr gehört.
Brigadeführer war ein russischer Halbkrimineller. Vom Herbst an fuhren wir zu irgendeinem Speicher und verluden Getreide auf einen Lastkahn. Ich war dermaßen erschöpft und geschwächt, daß ich aufgekochtes Korn und Erbsen aß. Im Lager gaben sie uns jeden Tag zwei Eimer voll Erbsen, die wir in der Küche separat zu Brei zerkochten, und das war für uns eine große Hilfe. Von der schweren Arbeit war mein Rücken wie gelähmt, und dann stellten sie mich auf eine Waage. Zu dem Zeitpunkt trug ich die Häftlingsnummer 0880, die Baracken wurden nachts abgeschlossen, die Fenster waren vergittert, und für die Nacht stand allen nur ein einziger großer Kübel für die Notdurft zur Verfügung.
Später fuhren wir aus zum Waggonbeladen; das Verladen erfolgte per Hand, auf Rollen. Bei dieser Arbeit blieben wir bis Dezember 1952. Am Anfang fiel mir das sehr schwer, Bekannte hatte ich auch nicht. Protektion „durch die Hintertür“ erhielt ich, als von Zuhause ein Paket mit Tabak ankam. Tabak war damals eine große Mangelware. Geld bezahlten sie uns nicht, und es gab auch keinen Verkaufsstand, die Brigade erhielt äußerst wenig Machorka, und in der Hauptsache nahm der Brigadefüher ihn für sich und seine Lakaien. Durch diesen Tabak war ich der „Gevatter König“. Alle fingen an, sich bei mir einzuschmeicheln.
Bei uns in der Brigade gab es einen aus Kolyma, der sich am Rande des Verbrechertums bewegte. Er nahm den Arbeitssamen die Pakete weg und alle beneideten ihn. Offenbar waren ihm wegen Diebstahl oder durch den Frost im Norden die Finger beider Hände abgehackt oder amputiert worden. Auch ich geriet mit ihm in Konflikt; wir prügelten uns.
Damals war ich jung und duldete keine Ungerechtigkeiten. Er hegte heimlich Groll gegen mich. Damals erteilte man für Mord lediglich eine zusätzliche Haftstrafe, und das machten die Kriminellen sich zunutze. Eines Nachts machte er sich daran, einige Männer abzuschlachten, ich sollte auch unter den Opfern sein (wie sich später herausstellte, hatte er das unserem Brigadier gegenüber geäußert). Zu den geplanten Opfern gehörte auch der ehemalige sowhetische Spion. Ich weiß es nicht, aber wahrscheinlich war dieser Verbrecher auch dem Brigadeführer selbst überdrüssig geworden, jedenfalls hatte der dem Spion von dem Mordplan erzählt. Jener lauerte ihm im Trockenraum auf und erdrosselte ihn mit einem Strick.
Wir, die wir keinerlei Verdacht hegten, schliefen friedlich und erfuhren erst am Morgen, daß der Kriminelle ermordet worden war. Von wem – das wußte niemand. Aber irgendeiner hatte offenbar von meiner Schlägerei mit ihm berichtet, ich wurde aus der Zelle geholt und kam in die BUR (Baracke mit verschärftem Regime). Zusammen mit mir holten sie auch den Brigadeführer und noch einen Gefangenen ab, der ebenfalls mit dem Ermorderten Reibereien gehabt hatte. Wir traten in einen Hungerstreik, der sich über neun Tage erstreckte. Zu dieser Zeit verhafteten sie auch jenen Spion, welcher der tatsächliche Mörder war. Es stellte sich heraus, daß der Stubendienstler unserer Baracke die Mordszene beobachtet und das auch der Leitung gemeldet hatte. Allerdings hatte er das nicht sofort getan, denn er hatte Angst davor gehabt, ebenfalls in diese Sache hineinzugeraten. Der Stubendienstler wurde unverzüglich in ein anderes Lager verlegt.
Entlassen wurden auch die Mithäftlinge, die mit mir in der BUR waren, aber mich steckten sie in den Karzer, der sich in den Kellerräumen befand. Auf dem Fußboden herrschte ständig Feuchtigkeit, es tropfte von der Wand. Nur gut, daß ich keine Filzstiefel anhatte, sondern „tschuny“ (eine Art Kordsandalen mit Fußlappen; Anm. d. Übers.). Die Männer gaben, von der Leitung unbemerkt, am Fenster Pakete weiter. Einmal suchte mich der Lagerarzt auf und riet mir, mich an die Lagerleitung zu wenden, damit er mich einmal untersuchen konnte. Es war nämlich so, daß ich schon einen ganzen Monat gesessen hatte und sie mich aus irgendeinem Grund nicht entließen, obwohl der wahre Mörder die Tat gestanden hatte und auf sein Urteil wartete. Die Jungs gaben mir ein kleines Blatt Papier und einen Bleistift, ich schrieb an den Lagerleiter ein Gesuch, daß ich an Tuberkulose erkrankt sei und behandelt werden müsse. Der Aufseher fragte zuerst, woher ich das Papier und den Bleistift bekommen hätte, aber ich antwortete ihm, daß ich sie die ganze Zeit bei mir getragen hätte. Dennoch schickten sie mich zum Arzt. Der gab mir einen Einweisungsschein für das Zentral-Krankenhaus in Tschuna. Etwas später kam ich mit einer Etappe dann dorthin.
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