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Wladimir Worobjew. Späte Rehabilitation

Im Sonderlager

Damals war man gerade erst dabei, ein Lager mit besonderem Regime zu organisieren; zu der Zeit, als ich dort war, trugen nur die Gläubigen gestreifte Kleidung, und sie lebten auch in gesonderten Baracken. Hier standen einem weder Pakete noch Päckchen zu. Mir war es gelungen, eine Taschenuhr mit hineinzutragen, die ich gegen Zucker tauschte, und ich besaß auch noch 8 kg Speck. All das teilte ich in kleine Portionen ein. Man mußte ja irgendwie überleben. Es war tatsächlich so, daß selbst die Gefangenen über die Küche wachten, und die Verpflegung war erträglich. Sogar das Fleisch war in Portionen aufgeteilt.

Und hier arbeiteten wir in der Tischlerei. An den Drehbänken drechselten wir Schachfiguren. Mich hatten sie in der Werkshalle zur Herstellung von Schach-Spielkästen eingestellt. Gemeinsam mit meinem Tischler-Lehrmeister produzierte ich eine spezielle Holzverarbeitungspresse, mit der wir sechs Schachteln auf einmal anfertigen konnten. Der Prozeß lief wie am Fließband.

Bei der Ankunft im Lager traf ich auf Pjotr Wlaschtschik, den Kameraden, der mit mir unter derselben Akte zur zweiten Lagerhaft verurteilt worden war. Zum ersten Mal seit 10 Jahren, die inzwischen seit der Verurteilung vergangen waren, sahen wir uns wieder. Und obwohl wir in verschiedenen Arbeitskolonnen waren, fingen wir an, uns täglich zu treffen. Ich zeigte ihm meine Briefmarkensammlung, er besaß eine Kollektion von Waren-Etiketten: ein Album mit sowjetischen und drei oder vier weitere mit ausländischen. Einige Häftlinge im Lager bekamen Pakete aus dem Ausland, und Pjotr erbettelte von ihnen die Etiketten. Sogar an ihnen war die qualitative Überlegenheit der ausländischen Erzeugnisse zu erkennen. Außerdem bestellte Pjotr sich Langspielplatten mit klassischer Musik, für die er sich sein ganzes Leben lang begeisterte. Er besaß einen Plattenspieler, und wir hörten auft die Werke von Tschaikowsky, Wagner, Chopin, Mendelssohn, Mozart, Bach, Händel, Berlioz und vielen anderen. Die Liebhaber der Klassik kamen zu uns, und alle zusammen lauschten wir ihr. Im Grunde genommen hatte auch Pjotr mir Lust darauf gemacht; später bestellte ich mir selber ein paar Schallplatten. Wlaschtschik hatte seine Haftstrafe bereits verbüßt, bald schon wurde er freigelassen, und wir standen in ständigem Briefwechsel mit ihm. Er forderte mich auf, zu ihm in den Kaukasus zu kommen und dort zu leben, aber es ist uns nicht gelungen, uns noch einmal wiederzusehen. Nach meiner Freilassung überlegte ich zuerst, ob ich eine Weile in der Heimat bleiben und dann zu ihm fahren sollte, aber bald erhielt ich von seiner Ehefrau die Nachricht, daß er auf dem Weg zur Arbeit von einem betrunken LKW-Fahrer überrollt worden und gestorben war.

Hier traf ich Walentin Mitrejkin, den Sohn, wie er sagte, des Poeten Mitrejkin. Er besaß irgendwelche Literatur über Yoga, die seine Mutter ihm geschickt hatte. Ich gab ihm "Mahabharata" von B.L. Smirnow zum Lesen. Er verfaßte auch selber Gedichte, aber damals war sein Interesse am Yoga bereits erloschen, und er sagte: "Wenn mir diese "Mahabharta" ein Jahr frührer in die Hände gefallen wäre ...". Es schien ihm so, als hätte er schon alle Stufen des Yoga bis hin zur allerletzten praktiziert und als gäbe es dabei nichts Interessantes mehr zu erstreben. Aber das war alles nur seine Einbildung. Höchstwahrscheinlich hatte seine Mutter dieses Interesse in ihm unterstützt. Er selbst war eher ein sinnlicher Mensch, der sehr unter der Inhaftierung litt, ohne die Möglichkeit zu besitzen, seine Ängste zu lindern.

In diesem Lager blieb ich fast ein halbes Jahr. Wegen unserer guten Produktionsziffern verlegten sie uns, etwa zwanzig Mann, erneut in ein Lager mit strenger Haftordnung, und ich geriet erneut in die 7. Lagerabteilung. Zu jener Zeit kamen Leute mit unserem Paragraphen ausschließlich in Lager mit strengem oder besonders strengem Regime.

 

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