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Emilia Fjodorowna Aleksandrowa

Emilia Fjodorowna Aleksandrowa (Mädchenname Brester) wurde am 27.01.1940 in der Ortschaft Grimm, Gebiet Saratow, geboren. Ihre Mutter, Katharina Fjodorowna Hainbuch (geb. 1916), arbeitete als Köchin in der Schulkantine. In der Familie gab es noch eine weitere Tochter; sie war ein wenig älter als Emilia Fjodorowna und hieß Erna (geb. 1937).

Den 28. August 1941 sowie alle darauffolgenden Ereignisse vermochte Emilia Fjodorowna aus verständlichen Gründen nicht kommentieren, denn zu dem Zeitpunkt war sie ja erst ein Jahr alt. Aber sie konnte sich erinnern, wie ihre Mutter (sie starb im Alter von 95 Jahren) davon erzählte, dass es ein Jammer gewesen war, die Ziegen, das Haus und den ganzen sonstigen Besitz zurücklassen zu müssen. Jekaterina Fjodorowna wurde zusammen mit der Familie ihrer Schwester Jekaterina-Lisaweta (J.L., drei Kinder und Ehemann) in den Jenisejsker Bezirk, Ortschaft Malo-Beloje, deportiert.

Sie wurden in einem Kontor untergebracht, das aus 2 Zimmern bestand. Bald darauf wurde der Ehemann von Jekaterina Fjodorownas Schwester zur Trudarmee in das Gebiet Dschambul einberufen. Sie hatten ein schwieriges Leben, litten Hunger; von Zuhause hatten sie lediglich einen Sack Mehl und ein paar Sachen mitgenommen, welche sie später gegen Lebensmittel eintauschten.

Die Mutter wurde sofort bei der Ankunft (das war im Oktober) in den Wald geschickt, um Brennholz zu beschaffen, und dort arbeitete sie den ganzen Winter hindurch. Im Sommer arbeitete sie auf der Waldlichtung, etwas 10 Kilometer von der Siedlung entfernt, bei der Aussaat, Heumahd, Ernte …

Irgendwann 1947/1948 fuhr Mamas Schwester zu ihrem Ehemann ins Dschambuler Gebiet. Emilia und Erna lebten eine Zeit lang zu zweit – Mama arbeitete auf der Waldlichtung. Sie lebten nicht, sie überlebten. Emilia Fjodorowna weiß noch, wie sie einmal mit ihrer Schwester in einem Lagerraum Kartoffelschalen fand; die buken sie direkt auf dem Eisenofen. Sie aßen Kuh-Pastinaken und Sauerampfer…. Tante Marjana, die Brigadeführerin sagte zu Mama, dass sie sie auf der Waldlichtung pflücken sollte, sonst würden sie nicht überleben …

Ihre Kindheit verbindet Emilia Fjodorowna sowohl mit ihrem ersten „Arbeitslohn“; sie und Erna arbeiteten als Kindermärchen (Emilia Fjodorowna bei der ortsansässigen Verkäuferin, um deren Sohn sie sich kümmerte). Außerdem verdienten sie sich ein wenig mit gebackenen Püppchen zum neuen Jahr. Mama sagte den Mädchen, dass Snegurotschka, das Schneemädchen, sie ihnen geschickt hätte.

Als Emilia Fjodorowna 13 Jahre alt war, heiratete ihre Mutter den Witwer Philipp Abich, der vier Kinder großgezogen hatte (seine Frau war unmittelbar nach ihrer Ankunft in Sibirien gestorben). „Nachdem seine Kinder groß waren, kam er in unsere Familie. Zu der Zeit hatte man Mama gerade ein kleines Haus zugeteilt, es gab einen Gemüsegarten (etwa 10-15 Hundertstel groß); sie hatten ihre eigene Kuh (die damals ungefähr 300 Rubel kostete), und es gab auch ein paar Ferkel (die Rede ist vom Anfang bis zur Mitte der 1950er Jahre).

So ging Emilia Fjodorownas Schwester Erna auch nicht in die Schule: zuerst hatte sich nichts zum Anziehen, und später, als sie schon herangewachsen war, schämte sie sich dorthin zu gehen. Emilia Fjodorowna absolvierte 4 Klassen an der Malobjelsker Schule und besuchte anschließend noch 2 Jahre in der Ortschaft Jalan den Unterricht. Anstatt mit einem Bändchen waren ihre Zöpfe mit einem Stück Bindfaden zusammengebunden; sie trug eine Stofftasche und besaß ein Tintenfass, das nicht auslaufen konnte, sowie einen Federhalter..... So eine undenkbare Schul-Kindheit verbrachte sie. Emilia Fjodorowna erinnert sich, wie an Stalins Todestag der Dorfratsvorsitzende in die Schule kam und mit trauriger Miene von dem Ereignis Mitteilung machte. „Aber wir fanden keine besonderen Tränen, kein lautes Geheul für diesen Anlass.... Irgendwie war das halt so ...“.

Im Alter von 17 Jahren ging Emilia Fjodorowna zum Arbeiten in die Kolchose. Zusammen mit Mascha Soldatowa kochte sie auf der Waldlichtung, wobei ihnen die geleisteten Tagesarbeitseinheiten in Form von „Stöckchen“ angerechnet wurden. Im Herbst ging sie anstelle ihrer Mutter als Schweinehirtin auf die Farm (diese nahm eine Arbeit als Köchin in der Kinderkrippe auf), während die Schwester als Viehpflegerin tätig war. Für ihre gute Arbeit auf der Waldlichtung erhielt Emilia Fjodorowna eine Prämie in Höhe von 5 Rubel. Und während ihrer Arbeitszeit auf der Farm bekam sie noch eine weitere – ein kleines Ferkel. War das eine Freude – und stolz war sie darauf. In der Lokalzeitung „Jenisejsker Wahrheit“ schrieb man (1959) über Emilia Fjodorowna: „Auf der Schweinefarm der Kolchose arbeiten gegenwärtig junge Kolchosbäuerinnen. Auf dem Foto sehen wir eine von ihnen – Emilia Brester. Sie ist fleißig und erreicht eine gute Gewichtszunahme der Schweine bei der Mast.“

Emilia Fjodorowna gehörte zu denen, an denen man sich ein Beispiel nehmen konnte. Ihre Mutter wurde sogar als eine der besten Schweinepflegerinnen des Bezirks zu einem Treffen nach Moskau geschickt. Von dieser Tatsache erzählte mir Emilia Fjodorowna, eine äußerst bescheidene und anmutige Frau, rein zufällig, nachdem wir unser Interview eigentlich schon beendet hatten, aber noch ein wenig im Familienalbum blätterten. Auf einer der Fotografien, die aufgenommenen wurden, als Emilia Fjodorowna 16 Jahre alt war, bemerkte ich eine Art Abzeichen; ich wollte wissen, was es damit auf sich hatte, und bekam folgende Geschichte zu hören. Der Fotograf war gekommen, und Emilia wollte unbedingt ein wenig älter und wichtiger aussehen, als sie tatsächlich war; und da hatte sie sich Mamas Abzeichen angesteckt, mit dem die bedeutsame Schweinepflegerin in Moskau ausgezeichnet worden war.

Während ihrer Jungmädchenzeit ging sie, wie alle anderen auch, in den Klub, wo alle jungen Leute aus den Ortschaften Marilowzewo, Maslennikowo und Tscherkass zusammenkamen. Unter dem klang der Harmonika tanzten sie dort Volkstänze, Polka, Walzer, Krakowjak ... Manchmal wurden im Klubhaus auch Kinofilme gezeigt. Emilia Fjodorowna gefielen besonders die Filme mit Kurotschkin. Gelegentlich gab es auch indische Filme. Hin und wieder versammelten sich 20-25 Leute bei jemandem zuhause: heute bei dem, das nächste Mal bei einem anderen; niemals gab es bei solchen Anlässen ausschweifende Trinkereien, und niemand schlug über die Stränge ...

Im Alter von 20 Jahren bekam Emilia Fjodorowna einen Personalausweis und heiratete fast gleichzeitig einen russischen Burschen, mit dem sie bei den Tanzveranstaltungen im Klub Bekanntschaft geschlossen hatte. Nach der Hochzeit, auf der sie ein weißes Kleid mit einer Blume trug, zogen sie nach Jenisejsk, in die Kaurow-Straße, zu den Eltern ihres Mannes um. Emilia Fjodorowna arbeitete in der Holzfabrik bei diversen ungelernten Tätigkeiten, wo sie insgesamt 10 Jahre blieb. Danach wechselte sie zum Kindergarten des Truppenteils „Pol“, später kehrte sie wieder in die Holzfabrik zurück – dann jedoch bereits als Sortiererin und Kontrolleurin. Egal an welchen Arbeitsplätzen Emilia Fjodorowna auch tätig war, überall zeichnete sie sich durch ihre Gewissenhaftigkeit und ihren Fleiß aus, wovon auch die zahlreichen Ehrenurkunden, Dankesbezeugungen im Arbeitsbuch und wertvollen Geschenke zeugen (eine Kristallvase, ein Satz Bettwäsche ...).

O. Kruschinskaja. Unfreiwillige Sibirjaken


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