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Herbert Wladimirowitsch Kerner (Körner?)

Herbert Wladimirowitch Kerner wurde am 6. März 1938 in der Ortschaft Straub, Gebiet Saratow, geboren. Die Mutter hieß Anna Augustowna Derr (Mädchenname Metzler); vor der Revolution arbeitete sie als Hausangestellte, danach als Melkerin in der Kolchose. Herbert Wladimirowitsch hatte noch einen Bruder namens Wladimir (geb. 1931). Die Familie besaß ein kleines Häuschen und ein kleines Stück Land. H.W. erinnert sich, dass zu ihrem Viehbestand nur ein paar Ferkel gehörten. Im Dorf wurde Deutsch und Russisch gesprochen, der Kolchosvorsitzende war Russe.

Im August 1941 wurde H.Ws Familie deportiert. Es gelang ihnen einige kleinere Bündel mit Kleidung und ein paar Lebensmittel mitzunehmen. Herbert Wladimirowitschs Familie wurde, ebenso wie viele andere, lange in „Kälberwaggons“ transportiert und schließlich im Bezirk Karatus abgeladen – in der Kolchose „Roter Pflüger“. Anna Augustowna fand Arbeit als Melkerin. Herbert Wladimirowitsch weiß noch, dass die Leute sich ihnen gegenüber hier gut verhielten, sie waren freundlich, und als sie, nachdem sie überwintert hatten, gezwungen waren abzufahren, da wollten sie sich von den gastfreundlichen Bewohnern überhaupt nicht trennen. Im Frühjahr 1942 brachte man die Familie Kerner auf dem Jenisej noch weiter fort, bis in das Dorf Jarzewo. Die Fahrt dauerte mehrere Tage, und unterwegs aßen sie alles auf, was sie mitgenommen hatten. Die Ankömmlinge ließen sich in Erdhütten nieder. H.W. erzählt, dass sich drei Kilometer von ihren Erdhöhlen entfernt die Sowchose „Smolnij“ befunden hätte, von der Sowchose bis ins Dorf Jarzewo waren es 11 km. In den Erdhütten lebten ausschließlich deutsche Familien. H.W. erinnert sich daran, wie sie in diesen Erdhöhlen eingerichtet waren, und erzählt mir, dass der Fußboden mit Stroh ausgelegt war und entlang den Wänden Pritschen standen. In einer Ecke befand sich ein Kanonenofen, der sich nur schwer heizen ließ, weil das verfügbare Brennholz stets feucht war. Regelmäßig bekamen sie eine Brotration, aber sie war so klein, dass sie innerhalb einer Minute aufgegessen war. Mitunter war das Brot auch zu knapp abgewogen. Um nicht vor Hunger zu sterben, fing H.W. zusammen mit seinem Bruder Vögelchen, die sie dann brieten. H.W. Mutter musste Bäume fällen, zersägte sie anschließend in kleine Klötzchen von je 12 cm Länge; die wurden dann zum Heizen von Schiffen verwendet. Technische Geräte gab es nicht, sie arbeiteten ohne Unterbrechung, ohne die Hände in den Schoß zu legen und transportierten die Baumstämme mit ihrer eigenen Körperkraft, wobei sie manchmal bis zur Gürtellinie im Schnee versanken. Die schwere, alle menschlichen Kräfte übersteigende Arbeit tat ihr übriges und führte dazu, dass Anna Augustownas Beine erkrankten und anschwollen. Es musste schnellstens eine andere Arbeit für sie gefunden und um ihre Versetzung gebeten werden. Anna Augustowna konnte gut hervorragend Handarbeiten machen, und da kamen ihr nun ihre Kenntnisse im Stricken und Spinnen zu gute. Es gelang irgendwo ein Spinnrad zu beschaffen, und dann begann sie Fäden zu spinnen und Schals, Handschuhe, große Umschlag-Tücher und Socken für die Front zu stricken. Für ihre Arbeit erhielt sie sehr gute und große Essensrationen, die der Familie letztlich halfen jene schwierige Zeit zu überleben. Für gewöhnlich gehörten zu der Ration Tafelbutte, Wurst, amerikanisches, eingewecktes, geschmortes Dosenfleisch, Brot und Graupen. H.W. erinnert sich: „Mama legt mich schlafen; leg dich nur schön hin, und wenn du morgen aufstehst, dann wartet schon ein leckeres Frühstück auf dich – ein Stückchen Brot mit Butter und Wurst“. Aber bald darauf mussten sie in die Sowchose Molokowa wechseln, wo ein internationales Gemisch von Menschen vorhanden war; hier lebten ganz unterschiedliche Leute – Tataren, Deutsche, Russen, Polen … H.Ws Mutter fing an als Melkerin zu arbeiten. H.W. erinnert sich: „Wenn du essen willst, dann lauf heimlich zur Mama, sie schenkt dir einen ordentlichen Schuss Milch in den Krug ein, den kannst du dann bei einem Stückchen Brot leertrinken“.

Von klein auf arbeitete H.W. in der Kolchose, half den Erwachsenen – im Alter von 6 Jahren transportierte er bereits, hoch zu Pferde, Heugarben; als er etwas größer geworden war, fing er an auf dem Hof mit zu helfen: zusammen mit seinem Bruder häufelte er Kartoffeln, mähte. Bruder Wladimir fand zuerst eine Arbeit als Hirte, später arbeitete er ebenfalls zu Pferde und beförderte Wasser, Brennholz und alle möglichen anderen Dinge …

Der Winter des Jahres 1947 war sehr rau; es herrschte ein derart grimmiger Frost, dass die Spatzen im Flug vom Himmel fielen. In den Vorratskellern der Leute gefroren die Kartoffeln, und dabei waren sie doch zu der Zeit das Hauptnahrungsmittel, und, um zu überleben, wurden sie gegen Viehfutter eingetauscht: ein Sack gefrorener Kartoffeln im Austausch gegen einen Eimer voll normaler, nicht gefrorener. Sehr bald gingen sämtliche Vorräte zur Neige, und die Menschen fingen an ihre anderen Sachen einzutauschen, und so kamen sie dann auch durch den Winter. Er absolvierte insgesamt vier Schulklassen. W.H. erinnerte sich, dass die Kinder bereits Schulhefte benutzten und seine Schultasche aus Sackleinen genäht war.

Im Alter von 17 Jahren war H.W. bereits vollwertiger Arbeiter – er pflügte den Boden und säte aus, aber es gab im Dorf nur einen einzigen Traktor, und der war so alt, dass er ständig kaputt ging. In der Kommandantur brauchten sie sich nicht oft melden; der Kommandant war ein guter, hilfsbereiter Mann. Er hieß mit Nachnamen Molodych. Er ließ die Deportierten einfach so in die Ortschaft Jarzewo oder in andere Dörfer gehen, stellte ihnen ohne groß nachzufragen die Genehmigungen dafür aus, um sich nicht unnötig lange aufzuhalten.

1955 wurde Herbert Wladimirowitsch in die Betriebsberufsschule aufgenommen. Man wollte ihn als guten Mitarbeiter nicht in die Stadt fortgehen lassen, aber er hielt die Vorladung schon in seinen Händen, und deswegen musste er gehen; er fürchtete man würde ihn einsperren. Er ging also los, aber in der Vorladung stand, dass er dafür vorgesehen sei, an der Eisenbahn-Fachschule eine Ausbildung zu machen. Niemand war da, den er hätte fragen können, ob es in Jenisejsk Lokomotiven gäbe. Dabei wollte H.W. so gern mit eigenen Augen eine Lokomotive sehen, und er dachte – was das wohl für ein schöner Beruf wäre …. Aber, wie sich herausstellte, wurde er betrogen, denn man bot ihm eine Ausbildung zum Zimmermann für zivile Zwecke an. Da war nichts zu machen – er musste einwilligen. Nach Abschluss der Betriebsfachschule musste er in dem Unternehmen ein Jahr lang arbeiten, und damit H.W. nicht davonlief, behielten sie seinen Ausweis ein; ganze vier Jahre lebte er von da an ohne Papiere. Er fand eine Arbeit beim Flößerei-Kontor (Schiffswerft, Holzfabrik), wo er sein Leben lang blieb. Er war ein hervorragender Arbeiter, wurde mehrfach mit Prämien und Ehrenurkunden ausgezeichnet. Über die Deportation und alles, was er durchgemacht hat, sagt er, dass man diese Seite der Geschichte, die seine Familie betraf, möglichst schnell vergessen muss.

 

O. Kruschinskaja. Unfreiwillige Sibirjaken


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