Katharina Adamowna Kerner (Körner) wurde am 29. Juni 1929 in der Ortschaft Kamenka, Gebiet Saratow, geboren. Ihre Mutter, Amalie Georgiewna (geb. 1916), verwaiste früh. Als sie drei Jahre alt war, starben die Eltern aufgrund einer Krankheit. Das Kind wurde von fremden Leuten aufgenommen und passte für ein Stückchen Brot auf deren Kinder auf. Der Vater, Adam Adamowitsch Grinwald (Grünwald), geb. 1908, diente in den 1920er Jahren in der Roten Arbeiter- und Bauern-Armee als Gehilfe des Zugkommandeurs in Ussurijsk. Er begegnete sogar Woroschilow bei der Truppen-Begutachtung und sprach auch mit ihm. Der Vater hatte eine Schwester namens Jekaterina, für die Kinder Tante Katja; sie war Fahrerin, und ausgerechnet sie war es, die die ganze Familie in die Region Krasnojarsk bringen musste. Die Familie besaß ein nicht sonderlich großes Haus und ein Stück Land.
Aber eines Tages mussten sie alles zurücklassen und von allem Abschied nehmen. Sie konnten nur wenige Dinge mitnehmen – etwas Essen für die Fahrt und ein paar kleine Bündel mit Kleidung und Wäsche. Sie waren lange unterwegs und gelangten schließlich in das Dorf Malyschewo in der Region Krasnojarsk.
Es war eine kinderreiche Familie. Der älteste Bruder Adam rupfte, wenn der Hunger zu groß wurde, Gras und aß es. Einmal hatte er Bilsenkraut gegessen; das Kind konnte nicht gerettet werden und starb. Im ersten Jahr holten sie den Vater in die Arbeitsarmee (den genauen Ort weiß die von mir Befragte nicht, sie sagt lediglich, dass er in einem Schacht arbeitete, wo er sich so schwer verletzte, dass ihm ein Bein amputiert werden musste). Auf diese Weise wurde er dann auch aus der Trudarmee abgeschrieben; sie setzten ihn in einen „Güterwaggon“, der nach Krasnojarsk fuhr, und von dort aus musste er zu Fuß bis zum Dorf Wjerchnepaschino gehen, wohin man seine Familie verlegt hatte. Unterwegs sah seine Schwester Katja ihn; sie vermochte ihren Bruder zunächst nicht wieder zu erkennen, so entkräftet war er, aber als sie ihm schließlich ins Gesicht blickte, da wusste sie, wer er war, und brachte ihn bis nach Hause. J.A.s Vater begann als Schuster zu arbeiten; er nähte prächtige Leder-Hausschuhe, auch Filzstiefel und flickte Schuhwerk. Es kamen viele Leute zu ihm, so dass er genügend Arbeit hatte und seine ganze große Familie ernähren konnte. Jekaterina Adamowna erinnert sich, wie man sie einmal zum Brotholen für die ganze Familie schickte, und sie sich neben dem Kinotheater ein wenig niedersetzte und alles aufaß. Sie lebten in derart ärmlichen Verhältnissen, dass sie nicht einmal über Kleidung verfügten, in der sie hätten zur Schule gehen können. Als die Tante dieses Elend sah, nähte sie ihr aus einem Sack einen Rock und eine Jacke. Jekaterina Adamowna hatte ein langes Arbeitsleben: sie arbeitete ab ihrem 14. Lebensjahr in einer Brotfabrik, wischte Fußböden, aber eigentlich wollte sie viel lieber Piroggen- und Brötchen-Teig kneten; deswegen zog es ihre Hände immer zum Back-Teig. Und sobald der Meister fort gegangen war, fing sie an etwas zuzubereiten. Ganze zwei Jahre arbeitete sie in der Ziegelfabrik; ihre gesamtes Arbeitsleben umfasst 50 Jahre. In der Ziegelfabrik begegnete sie auch ihrem zukünftigen Ehemann Herbert Wladimirowitsch; sehr bald heirateten sie und bekamen drei Kinder.
O. Kruschinskaja. Unfreiwillige Sibirjaken