Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Valentina Georgiewna Perelomowa

In den Jahren 1950-1952 arbeitete Valentina Georgiewna als freie Angestellte in der „Scharaschka“ des OTB-1 (Sondergefängnis für Wissenschaftler und Ingenieure.; Anm. d. Übers.) in Krasnojarsk. Genauer gesagt lebte und arbeitete sie im SORSKER Molybdän-Bergwerk in CHAKASSIEN, aber im Winter führte sie unmittelbar im OTB-1 in Krasnojarsk Innenarbeiten aus (in der geologischen Laborabteilung; Anm.d.Übers.). In seiner Eigenschaft als wissenschaftlicher Berater wurde ihr ein politischer Gefangener „zugeteilt“, den sie später heiratete.

Es war Jurij Fjodorowitsch POGONJA-STEFANOWITSCH (1914-1973), aus einer russischen Adelsfamilie, wenngleich er in Tschenstochau, Polen, geboren war. Bis zu seiner Verhaftung arbeitete er am Petrographischen Institut in MOSKAU (Petrin). 1947 wurde er in IRKUTSK verhaftet; dorthin war er als Leiter einer wissenschaftlichen Expedition gekommen. Als Anlaß für die Verhaftung diente eine verlogene Denunziation, aber nicht wegen einer „politischen“ Sache, sondern wegen irgendeines ausgedachten Amtsmißbrauchs oder einer Veruntreuung. Aufgrund der Tatsache, daß die geäußerten Verleumdungen nicht bestätigt werden konnten, zimmerte man für ihn ein Verfahren nach §58 zusammen und verpaßte ihm 10 Jahre. Im OTB-1 arbeitete er in der geologischen Abteilung. Während der Sommersaison wurde er zum SORSKER Bergwerk (in CHAKASSIEN) verlegt, stand aber unter der Begleitung von Wachsoldaten. Ende 1954 wurde er freigelassen und erhielt 1957 seine Rehabilitation.

Mit ihm zusammen arbeitete in dem Zimmer der Geologe und Tektonik-Spezialist Michail Michailowitsch TETJAJEW (geb. um 1882), Doktor der geologischen Wissenschaften, vor seiner Verhaftung Professor am LGI (LENINGRADer Bergbau-Institut). Noch vor 1917 hatte er ein Studium in Liege (Lüttich, Belgien; Anm. d. Übers.) absolviert und brachte von dort seine französische Ehefrau mit. 1947 oder 1948 wurde er festgenommen und zu 25 Jahren verurteilt. Anfang 1954 wurde er in die Freiheit entlassen. Die Dritte in dem Arbeitszimmer war Valentina Georgiewna. Im Nebenraum, auch in jener geologischen Abteilung, arbeiteten fünf Geologen.

Der Akademiker Michail Petrowitsch RUSSAKOW (geb. etwa 1885) von der Kasachischen Akademie der Wissenschaften wurde in KASACHSTAN verhaftet (offenbar in ALMA-ATA). Er war ernsthaft krank und starb ungefähr 1954 - noch während seiner Inhaftierung oder kurze Zeit nach seiner Freilassung.

Alexander Jakowlewitsch BULYNNIKOW, Professor an der Universität Tomsk und Spezialist auf dem Gebiet der Petrographie, wurde 1954 freigelassen.

Früher als die anderen, Ende 1953 oder ganz zu Anfang des Jahres 1954, wurde der Doktor der Wissenschaften Wladimir Michailowitsch KREJTER freigelassen. Noch vor seiner Freilassung bemerkten die Kollegen bei ihm den Hang, sich ohne Erlaubnis fremde Untersuchungsergebnisse zunutze zu machen. im OTB-1 nannte man ihn „die Aalquappe“.

Roman WERBITSKIJ (geb. etwa 1922), Moskauer, studierte vor seiner Verhaftung am geologischen Institut in MOSKAU. Er wurde in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre wegen

§58-12 inhaftiert. Im OTB-1 arbeitete er als Ingenieur oder Laborant. Auch er wurde 1954 freigelassen und kehrte nach Moskau zurück.

Der Fünfte in ihrem Zimmer war PACHOMOW (geb. etwa 1920). Im OTB-1 arbeiteten auch die Geologen: Boris Iwanowitsch BADUNKOW (geb. ca. 1915), freigelassen 1954, und NEDLER, der 1955 in USCHUR tätig war (wahrscheinlich befand er sich dort in der Verbannung). Die gesamte geologische Abteilung bestand aus diesen beiden Räumen, einem Laboratorium und dem Kabinett des Leiters. Der Abteilungsleiter, Dmitrij Iwanowitsch MUSSATOW, war zu 12,5 Jahren verurteilt worden. Nach Verbüßung von 10 Jahren wurde er entlassen, nach einigen Monaten jedoch erneut verhaftet, und dann mußte er die gesamte Frist bis zuende absitzen. Endgültig wurde er 1954 in die Freiheit entlassen.

Alexej Sergejewitsch LEWISSON (geb. etwa 1914), ein hochgewachsener Mann, Künstler aus MOSKAU, arbeitete im OTB-1 als künstlerischer Gestalter. Er wurde 1948 eingesperrt. Er gestaltete die Titelblätter der Rechenschaftsberichte sowie Agitationsmaterial (Plakate). Er fertigte im OTB-1 nicht wenige Porträtzeichnungen an, darunter auch eines von Valentina Georgiewna, welches er aber bei sich selber stehen ließ: „Ich bin der Urheber, also bin ich auch der Besitzer“. 1954 wurde er freigelassen und kehrte nach Moskau zurück.

Der Moskauer Igor Leopoldowitsch GANZ (geb. 1910) arbeitete im OTB-1 als Ingenieur. Mit ihm arbeitete dort auch Sergej Karlowitsch ZEJTLIN (geb. etwa 1913) aus Odessa, von Beruf Kinematograph. Wenn ihn jemand fragte: „Kommen Sie tatsächlich aus Odessa?“, dann pflegte er, wie es sich für einen Odessiten gehört, mit der Frage zu antworten: „Was ist denn passiert - haben Sie (dort) irgendetwas verloren?“

Im Fotolabor arbeitete SCHIFRIN (geb. etwa 1918). Auch er saß wegen des §58. Es existieren noch Fotographien, die er von POGONJA-STEFANOWITSCH (1951 und 1952) gemacht hat.

Im OTB-1 saßen auch einige „ukasniki“ (die aufgrund irgendeines Erlasses verurteilt worden waren; Anm. d. Übers.). Einer von ihnen, der Moskauer Jewgenij Pawlowitsch Smirnjagin, arbeitete in der technischen Abteilung.

Der Leiter des OTB-1 (des Lagers) war PUTSCHKOW, der Operativbevollmächtigte KOTSCHERGS.

Das OTB-1 (die Arbeits- und Wohnzone) befand sich in der Straße der Solidarität (heute die Pruschinskaja-Straße), an der Stelle der ehemaligen Arbeitskolonie. Heute steht auf diesem Territorium das Institut „Sibirisches Buntmetall-Projekt“. Von der Straße der Solidarität aus führte eine Durchgang bis in die Arbeitszone. Am Eingang fanden äußerst sorgfältige Durchsuchungen statt, dafür gab es beim Verlassen der Zone überhaupt keine Kontrollen – man konnte alles herausschleppen, was man wollte. Nichtsdestoweniger kamen im Frühjahr unter dem Schnee zahlreiche leere Flaschen zum Vorschein. Bei der Reinigung des Geländes erteilte die Leitung den Befehl, die leeren Flaschen unter das Auto zu legen, was im Hof stand. Aber bereits nach kurzer Zeit fügten sie hinzu: es passen bereits keine Flaschen mehr unter das Auto. In eben diesen Jahren, als es für eine lange Zeit „in der Freiheit“ keine Butter und keine Wurst zu kaufen gab, bekamen die Häftlinge im OTB-1 sehr gut zu essen.

Zum Frühstück gab es immer Butter, Zucker. Manche konnten nicht einmal die zwei Koteletts schaffen, die man ihnen im zweiten Gang zum Mittagessen (mit Gemüsebeilage) ausgab, so daß sie eins übrigließen. In diesem Sinne unterschied sich das OTB-1 ganz erheblich von den anderen Lagern. Lautsprecher gab es in der Zone nicht, nur in den Arbeitszimmern der Abteilungsleiter. Aber auch denen war es nicht immer erlaubt zuzuhören.

1955 , in USCHUR, begegnete Valentina Georgiewna dem Moskauer Jewgenij Nikolajewitsch GRIGORJEW (geb. etwa 1914), von Beruf Hydrograph und Seeoffizier, der sich dort in der Verbannung befand. Er war Frontkämpfer gewesen, den man nach der Gefangenschaft zu 10 Jahren verurteilt hatte. Er verbüßte seine Strafe bis zum allerletzten Ende (allerdings nicht im OTB-1) und geriet nach USCHUR. Nach seiner Freilassung aus der Verbannung fuhr er zu seiner Ehefrau nach Moskau. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre leitete Konstantin Wladimirowitsch BOGOLEPOW (geb. ca. 1910) eine geologische Expedition in BOLSCHAJA MURTA. J.F. POGONJA-STEFANOWITSCH saß mit ihm in Moskau in einer Zelle (entweder in der LJUBLJANKA oder in einem Durchgangsgefängnis). Nach Verbüßung der Lagerhaft geriet er nach BOLSCHAJA MURTA (Kreis-Zentrum der nördlichen Region Krasnojarsk) in die Verbannung.

J. F. POGONJA-STEFANOWITSCH gelang es nicht nach Moskau zurückzukehren, teilweise deswegen, weil seine frühere Ehefrau sich während seiner Häftlingszeit in Abwesenheit von ihm scheiden ließ und die Moskauer Wohnung bei ihr verblieb.

26.03.1994, aufgezeichnet von W.S. Birger, Gesellschaft „Memorial“, Krasnojarsk

Im Fotoarchiv:

(beide Aufnahmen stammen von Schifrin)

S. auch: Valentina Georgiewna Perelomowa. Erinnerungen an jene Zeit


Zum Seitenanfang