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Wladimir Jakowlewitsch Scheffer

Wladimir Jakowlewitsch Scheffer wurde 1939 in der Ortschaft Grimm, Bezirk Kamenka, Gebi8et Saratow geboren. Die Eltern, Jakob Karlowitsch Scheffer (geb. 1909 und Charlotte Jegorowna Scheffer (geb. 1911), arbeiteten in der Kolchose.

Nach ihren Erinnerungen war Grimm ein Groß-Dorf mit weitläufigen Straßen, schönen Häusern und prächtigen Obstgärten. Die Scheffers besaßen einen großen Garten, in dem verschiedene Obstbäume gediehen, ein kleines Gemüse-Gärtchen und ein geräumiges, hübsches Haus, welches der Vater des von mir Befragten mit viel Liebe erbaut hatte. Wladimir Jakowlewitsch hatte noch ein kleines Brüderchen namens Karl (geb. 1941). Im Jahre 1937 bestellte man Jakob Karlowitschs leiblichen Großvater zum NKWD; bis heute ist über sein weiteres Schicksal nichts bekannt geworden.

Für die Fahrt mussten sie sich ganz plötzlich fertig machen. Was konnte man in so kurzer Zeit schon zusammenpacken? Es gelang ihnen, wenigstens das Allernötigste mitzunehmen – Wäsche und ein paar Lebensmittel-Vorräte. Es war eine lange, beschwerliche Reise, aber trotz aller Schwierigkeiten, überstand sogar der kleine Karl sie. Während der gesamten Fahrt bat der kleine Wladimir immer wieder darum, dass sie nach Hause führen, und er fragte ständig nach seinem Töpfchen.

Man brachte sie ins Dorf Jelan im Bezirk Jenisejsk und quartierten sie dort in einem kleinen Häuschen ein. Der Vater fing an als Pferdewärter in der Kolchose zu arbeiten, die Mutter als Bademeisterin. 1942 wurde der Vater in die Arbeitsarmee geholt, in die Stadt Solikamsk zur Holzfällerei. Wladimir Jakowlewitsch erinnerte sich, dass sein Vater nicht oft über die Trudarmee sprach, es fiel ihm sehr schwer all das in der Erinnerung wieder aufleben zu lassen, was er durchgemacht hatte – Hunger, Krankheit, unzureichende Ernährung, die Schwerstarbeit in der Holzfällerei… All das war der Anlass für zahlreiche Todesfälle, und es war ein großes Wunder, dass W.Ks Vater unter diesen unmenschlichen Bedingungen überlebte, denn viele seiner Kameraden kehrten nicht wieder nach Hause zurück, sondern blieben für alle Zeiten in der kalten Solikamsker Erde. Jakob Karlowitsch aber gelang es 1953 zur Familie zurückzukehren. Die Kinder freuten sich über jedes noch so kleine Stückchen Brot, sie baten ständig um etwas zu essen, aber alles, was sie einst mitgebracht hatten, war schon längst eingetauscht worden - gegen Kartoffeln, Steckrüben…... Als Charlotte Jegorowna nicht mehr weiter wusste, wie sie ihre Kinderchen durchfüttern sollte, begab sie sich aufs Feld und fing an mit ebensolchen Unglücksraben wie sie selber – Deutschen - Weizenähren zu sammeln, die nach der Ernte liegen geblieben waren. Wenn die Leute unmittelbar am Ort des „Verbrechens“ aufgegriffen wurden, wurden sie in einem Gemeinschaftsverfahren angeklagt, und jeder von ihnen bekam 7 Jahre aufgebrummt. Sie verbüßte ihre Strafe in Nord-Jenisejsk und zersägte Holz auf Schwimmbaggern. Als sie zurückkehrte, war sie vollkommen entkräftet und krank… Und die Kinder wurden von der Großmutter aufgezogen; deswegen arbeiteten sie auch von Kindesbeinen an und erledigten alle anfallenden Arbeiten. Aber natürlich wollten sie auch spielen und fröhlich sein. Und wenn sie sich einmal weigerten etwas zu erledigen, versprach die Großmutter ihnen einen für kleine Jungs ganz außergewöhnlichen Reichtum – ein Fahrrad. Und schon war die Arbeit im Nu getan – das Brennholz kleingesägt, di Kartoffeln ausgegraben… Sie mussten auch bei anderen Leuten arbeiten: für ein Glas Mehl sägten und hackten sie Feuerholz für die Nachbarin und stapelten es auf. Um zu überprüfen, ob sie gut oder schlecht gearbeitet hatten, stieg diese dann auf den aufgeschichteten Holzstoß hinauf und trampelte darauf herum, um alles noch einmal fest zu stampfen. W.J. erinnerte sich, dass ihre Speicher immer gefüllt waren – und trotzdem gab sie den hungrigen Kindchen nicht ein einziges Mal etwas ab. Das größte Glück war für den Erstklässlerin ein Paar viel zu großer Filzstiefel. Einmal sogar, als er nach dem Schul-Unterricht noch strafstehen musste, versuchte er fortzulaufen, aber er blieb mit den Stiefeln in der engen Türöffnung hängen.

Die Tochter der Großmutter lebte an der Kolyma, arbeitete in einer Fabrik und schickte sehr oft Pakete mit Sachgegenständen und Lebensmitteln, wodurch sie ihrer Mutter und den Neffen half zu überleben.

Das Verhältnis zu den ortsansässigen Kindern war anfangs recht angespannt – sie bezeichneten sie als „Faschisten“ und „Deutschen-Gesindel“, und häufig kam es sogar zu Prügeleien. Sie aßen alles, was ihnen unter die Finger kam, gruben sogar Kartoffeln vom Vorjahr aus, sammelten Bärlauch, Brennnesseln, Beeren, Pilze… Aber sie gingen auch gemeinsam mit dem Bruder in die Schule – erhielten insgesamt fünf Jahre Unterricht. Zu der damaligen Zeit kam es unter der Ortsbevölkerung häufig zu Pedikulose (Befall der Haut durch Kopf- oder Kleiderläuse; Anm. d. Übers.), aber W.J. und sein Brüderchen Karl erkrankten nie daran, obwohl sie in äußerst ärmlichen Verhältnissen lebten und allein von der Großmutter großgezogen wurden. Jedenfalls war ihre Kleidung stets sauber und sie selber immer gewaschen.

W.J. erlernte in Samjatino den Beruf eines „Maschinisten und Traktoristen mit breiter Spezialisierung“; lange Zeit arbeitete er in Jelani als Traktor- und Mähdrescherfahrer. Er heiratete Olga Petrowna Maier. In Jelani lebten sie 18 Jahre, anschließend zogen sie nach Ust-Kem. Dort nahm W.J. eine Tätigkeit als Kapitän auf, und im Jahre 1972 zog er mit der gesamten Familie nach Jenisejsk, wo sie auch heute noch wohnen.

O. Kruschinskaja. Unfreiwillige Sibirjaken


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