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Wladimir Worobjew. Späte Rehabilitation

Ein Klub interessanter Leute

Im Sommer wurden wir in irgendein Lager geschickt, wo wir in Zelten lebten; innerhalb der Zone errichteten wir Wohnbaracken und hinter der Zone - Häuser für die Lagerverwaltung. Ich arbeitete außerhalb der Zone mit Wassilij Kuleschow, dem Bruder des Untersuchungs-richters der "Jungen Garde" in Krasnodon. Er bestätigte, daß es eine solche Organisation tatsächlich gegeben hatte, viele ihrer Mitglieder kannte er, und er erzählte, daß noch während des Ermittlungsverfahrebs Fadejew zu ihm gekommen wäre, um ihn über Einzelheiten zu den Junggardisten auszufragen. Während der Okkupation arbeitete er als Leiter der Polizeischule, Ende des Krieges erhielt er fiktive Dokumente eines sowjetischen Offiziers und wurde dann im Rang eines Majors verhaftet, als er als Belieferer in einem der Lager arbeitete.

Einmal machte David Masur mich mit einem interessanten jungen Mann bekannt - Felix Petrowitsch Krasawin, der mütterlicherseits Jude und dessen Vater wohl Mitarbeiter des MGB war. Felix selbst hatte irgendwann einmal in der "Schule für begabte Kinder" gelernt, er war sehr stolz darauf und unterstrich dies auch häufig in den Unterhaltungen. Er hatte ein außergewöhnliches Gedächtnis, zitierte eine Vielzahl von Gedichten der Symbolisten auswendig, alles solche, die wir in der Schule nicht durchgenommen hatten..

Wir begegneten uns auf der Bühne des Sommertheaters. David hatte starken Tee gekocht (aber nicht die Sorte "Tschifir", sondern den sogenannten "Kupetscheskij"). Eine Tasse hatte ich nicht, ich war damals an die Zeremonie des Teetrinkens nicht gewöhnt, und Felix witzelte, daß ich nach dem Verständnis des russischen Adels ein unpraktischer Mensch wäre. Offensichtlich hatte man mich ihm als Weiß-Emigranten empfohlen. Mit uns war noch Mischa Filenkin, ein Original seiner Art. Als Protest gegen die Vielzahl von Informationen und klugen Menschen hatte er einmal eine "Gesellschaft der Dummköpfe, Dummlacke, Tölpel und Trottel" organisiert. Er sagte, daß im Laufe der gesamten Geschichte die klugen Menschen die Dummen ausgebeutet hätten, daß sich auch die Dummen zusammenschließen müßten. Einmal bemerkte Felix mit einem Lächeln, daß es ihm leicht fallen würde, im Lager Gleichgesinnte zu finden. Mischa entrüstete sich: "Gleichgesinnte - das ist Unsinn. Die Dummköpfe müssen gleichdumm sein". Ich gab ihm den Rat, eine Wandzeitung herauszugeben: "Lachen ohne Grund - ein Anzeichen für Dummheit", die "Dummkopf"- Medaille sowie den Orden "Idiot der ersten und letzten Entwicklungsstufe" einzuführen. Natürlich war das alles nur Spaß, aber auch der soiegelte so manche Reaktion des einfachen Menschen auf den Überfluß an Informationen wider.

Einmal wollte ich sie mit den "Kosmogonen Konzeptionen der Rosenkreuzer" bekannt- machen. Felix meinte so ganz von oben herab: "Ah, du hast da eine Übersicht von Hendel. Vor ein paar Jahren hat uns Subtschinskij schon darin eingeweiht". In der Gemeinschaft, wenn sich viele Kameraden zusammengefunden hatten, benahm er sich unerträglich hochmütig, bemühte sich, in allem äußerst beschlagen zu erscheinen und seine Überlegenheit zu zeigen. Traf man ih allein an, dann war er ein sehr netter Mensch, wie verwandelt und tiefer seelischer und geistiger Beichten fähig.

Für die Theosophie interessierte er sich offenbar, weil es für ihn eines der exotischen Themen in seiner Wissenssammlung war, mit dem man vor den Umsitzenden prahlen konnte. Er und ich verbrachten noch viele Jahre zusammen, und er hinterließ in meinem Herzen eine nicht weniger tiefe Spur als der andere Felix - Karelin, der sich für Hinduismus nie interessiert hatte. Mich zählte er zu seinem aufrichtigsten Kenner und Anhänger.

Bei uns wurde ein "Klub interessanter Menschen" gegründet, nach jeder Etappe wählten wir die intellektuellsten und geistig begabtesten Persönlichkeiten aus und luden sie zu Gesprächen ein, und wurden dabei gleichzeitig in dieser Gemeinschaft groß und erwachsen.

Zu diesem Lagerpunkt kam Irina gefahren, aber sie versetzten sie derart in Schrecken, daß sie gezwungen war, von einem Zusammentreffen mit mir Abstand zu nehmen. Dennoch schaffte sie es ein wenig später, im Winter, bereits an einem anderen Lagerpunkt, ein Wiedersehen mit mir zu erreichen. Man erlaubte es uns in Anwesenheit des operativen Bevollmächtigten. Jener bemerkte boshaft, daß wir uns gar nicht wie Verliebte benehmen würden, woraufhin sie antwortete, daß sie es in Gegenwart Fremder auch für unangebracht hielte, ihre Gefühle zu äußern. Das muß wohl irgendeine Wirkung auf ihn ausgeübt haben, denn er ging hinaus, und wir verbrachten die noch verbleibende Stunde zu zweit.

Hier war mit uns während des Besuchs auch ein gläubiger Alter mit seiner Frau. Aber vor denen genierte Irina sich nicht, sie küßte mich die ganze Zeit, versprach zu warten, bat mich, meine Kenntnisse in der französischen Sprache zu vervollständigen und versprach mir Literatur aufzutreiben. Danach trafen wir uns nicht mehr. Ein neues Gesetzbuch kam heraus, nach dem uns gegenüber keinerlei Nachsicht mehr zeigen durfte. Damals hatte ich noch mehr als acht Jahre nach, ich schrieb ihr, daß es keine Hoffnung auf eine baldige Entlassung gab. Sie sollte sich frei fühlen, einen ordentlichen Mann finden und sich nicht quälen. Sie schrieb mir noch einige umfangreiche Briefe, auf die ich nicht antwortete,und so ging meine Lagerliebe unglücklich zuende.

An einem der Lagerpunkt absolvierte ich Elektrikerkurse, noch in Omsk hatte ich Zeugnis-Bescheinigungen erhalten: die eines Zimmermannes der vierten Kategorie und eines Betonierers. Das Betonarbeiter-Zeugnis spielte eine merkwürdige Rolle, aber davon später.

 

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