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Ich bin kein Aufwiegler, aber...

(Auf den Artikel von A.W. Loginow «Das Lager ist ein Lager, aber...»)

Ich bin sehr verwundert und entrüstet, dass es sogar heute, nach all dem erdrückenden Beweismaterial über das Leid von Millionen unschuldigen Menschen, noch Autoren gibt, die mit unterschiedlichen Argumenten versuchen, die ungeheuerlichen Gräueltaten zu rechtfertigen.

Ich würde sehr gern alle Anhänger und Verteidiger Stalins (und offenbar gibt es viele von ihnen) im Gefängnis von Odessa versammeln und sie von dort aus mit einer Etappe ins Krasnopresnensker Gefängnis in Moskau bringen, und dann weiter — über den Charkower Kriminellen-Stadtteil Cholodnaja Gora (Kalter Berg; Anm. d. Übers.), das „Durchgangsgefängnis“ in Kuibyschew, die berühmten Gefängnisse in Ufa, Tscheljabinsk, Nowosibirsk, bis nach Krasnojarsk — und auch dort ins Gefängnis und in den Durchgangslagerpunkt. Zu fahren sind 7—10 Tage und Nächte von einem Gefängnis bis zum nächsten, während dieser «guten Reise» sollen sie mit salzigem Hering und nassem Brot versorgt werden, und anschließend sollen sie bei den tauben und seelenlosen Wachsoldaten um Wasser betteln...

Im Anschluss daran sollen sie in die Frachträume von Lastkähnen verladen werden, in denen man sonst «Baumaterialien» befördert, unter dem unerträglichen Gestank der dort aufgestellten Latrinenkübel, und das alles für einen Zeitraum von zwei-drei Wochen — von Krasnojarsk bis nach Dudinka, um sie dort einzeln aus dem Frachtraum hinauszuführen, die Hände hinter dem gesenkten Kopf verschränkt, durch ein «Spalier» von Maschinengewehrschützen mit Hunden; am Ufer des Jenissei sollen sie sich auf den gefrorenen Sumpfboden setzen, die Hände auf dem Rücken, und der Chef der Wachmannschaften soll sie warnen: «Kopf unten lassen, nicht umdrehen. Bei Zuwiderhandlung wird ohne Vorwarnung geschossen».

Da im Sumpf sollen sie bis zum Abend sitzen, bis alle Gefangenen – mehrere Tausend – weggebracht werden. Nachdem sie den ganzen Tag nichts gegessen und nichts getrunken haben, werden sie gegen Abend in Spielzeugwaggons der Schmalspurbahn verladen, mit Hilfe der Bajonettspitzen der Wachleute hineingestopft, wie Heringe in ein Fass — und nach Norilsk verschickt. Wenn sie am nächsten Morgen in Norilsk angekommen sind, warten sie auf «Käufer» aus dem Norillag (14—15 Stunden lang). Völlig erschöpft soll man sie dann zu Fuß zu den einzelnen Lageraußenstellen treiben, damit sie unterwegs die Stimmen der Kinder und freien Arbeiterinnen hören können, die laut ausrufen: «Da kommen sie mit den Volksfeinden, den Vaterlandsverrätern».

Nach einer solchen «Fußwanderung» muss man ihnen die Möglichkeit geben, ihre Eindrücke über die Reise in die goldene Stalin-Zeit zu beschreiben — mit Fortsetzung. Über das tägliche Hinaustreiben zur Sklavenarbeit, «zu fünft, mit zusammengebundenen Händen», zwischen den Wachtürmen mit den «Papageien», den Begleitsoldaten mit ihren Hunden, von der Lageraußenstelle bis zur «Produktionszone»; über die Arbeit in Baugruben, über den ewigen Frost, über das Verlegen bei 40 Grad Frost, über die Verpflegung mit Wasserbrühe, Perlhirse und dem ewigen Dorsch...

In den Lagern wurde versucht, Notizen über die Ereignisse zu machen, Listen bekannter und einfach guter Menschen, doch bei der Weiterleitung von einem Lager ins andere wurde einem bei der Durchsuchung alles weggenommen, indem man die doppelbödigen Sperrholz-«Koffer» öffnete, die die Häftlinge selber hergestellt hatten...

W. N. Schtscherbakow

„Sapoljarnaja Prawda“, 03.10.1989


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