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Wladimir Pomerancev . In zaristischen und stalinistischen Gefängnissen

Die Akteure der Epoche

Man muß die geschäftlichen Verdienste Lokschtanows würdigen: gesagt – getan, das war seine Devise. Drei Monate nach meiner Ankunft im OKB-1 und eine Woche nach meiner Unterredung mit Lokschtanow über „Julia“, wurde ich in die Gruppe der inhaftierten Projektierer und Geologen aufgenommen und unter einer guten Eskorte aus Gefängnisaufsehern zum Bergwerk „Julia“ geschickt. Von Krasnojarsk aus sollten wir mit dem Zug bis nach Atschinsk fahren und dort in den Zug nach Abakan umsteigen; an der Station Kijal-Usen sollten wir aussteigen und von dort die letzten 40 Kilometer bis zum Erzbergwerk „Julia“ mit Autos fahren. Diese Reise war außerordentlich farbenreich.

Vor allem verschafften sich die Häftlinge meiner Gruppe an der ersten Station nach Krasnojarsk Wodka, nahmen sich selbst davon und luden auch mich und die Begleitwache dazu ein. DenKonvoisoldaten schien das wenig zu sein, und so gaben sie auch noch von ihrem eigenen Wodka aus. Als der Zug wieder anfuhr, da „rauschte das Schilf“ in unseren beiden Abteilen. Das Besäufnis der Begleitsoldaten rief an der nächsten Station ein heftiges Wortgefecht mit den dortigen Eisenbahn-Aufsehern hervor. Beinahe hätte man uns zusammen mit den Wachsoldaten an Ort und Stelle verhaftet und aus dem Zug aussteigen lassen. All das spielte sich nachts ab. Am Morgen trafen wir wohlbehalten in Atschinsk ein.

Unser Zug nach Abakan sollte abends abfahren, und so mußten wir den ganzen Tag irgendiwe in Atschinsk verbringen. Die Begleitmannschaften brachten uns auf dem Bahnhofsvorplatz neben der kleinen Grünanlage unter. Bis zum Mittagessen verlief alles ruhig. Wir hatten eine Trockenration bei uns, und nachdem wir über die Wachsoldaten heißes Wasser erhalten hatten, setzten wir uns ins Gras und nahmen bescheiden unsere Mittagsmahlzeit ein. Aber die Wachen beschlossen auf dem Bahnhof zu essen. Man zog es vor, daß die Soldaten nacheinander essen sollten, aber schon bald fanden wir uns in der Situation, daß uns niemand mehr bewachte. Es kostete mich große Mühe, diejenigen Kollegen, die dem Wodka eifrig zugesprochen hatten, zu überreden, die Gruppe bis zur Ankunft des Konvoi-Leiters nicht zu verlassen. Und da kehrten die Wachsoldaten vom Bahnhof zurück, aber – mein Gott, in was für einem Zustand sie sich befanden! Vollkommen betrunken waren sie! Was sollten wir tun? Unsere Rollen waren vertauscht: wir mußten unsere eigenes Wachpersonal beschützen, bewachen und überreden, daß sie nicht noch mehr Wodka in sich hineinkippten. Während dieser ganzen Zurederei und dem entstandenen Durcheinander lief ein besonders draufgängerischer Häftling – ein Geologe, davon. Natürlich rannte er nur bis zum Bierstand, aber der halbbesoffene Leiter der Wachmannschaften begann zu schreien und entschied, daß wir auf dem Bahnhofsvorplatz bei der Hauptwache untergebracht werden sollten.

Wer kann sich diese malerische Prozession unserer Truppe zur Hauptwache vorstellen? Entweder stützten die Wachen den betrunkenen Geologen unter den Armen, oder die Projektierer die besoffenen Soldaten, und diese ganze Gesellschaft schrie und wankte, wobei dieses Benehmen die friedlich entgegenkommenden Atschinsker dazu zwang, zur Seite zu springen, um ihnen so aus dem Weg zu gehen. Auf der Hauptwache schlief die Begleitmannschaft ein und hätte um ein Haar den Abendzug verpaßt. Mit Hilfe der Soldaten von der Hauptwache wurden wir in einen Waggon verladen, und dann ging unsere Reise weiter. Unterwegs zählte der Leiter der Konvoi-Begleitung unaufhörlich die Arrestanten und Soldaten durch. Er irrte sich immer: mal zählte er die auf den unteren Bänken schlafenden Wachsoldaten mit, mal vergaß er sie.

An der Station Kijaly-Usen holte uns ein Kommando des MWD ab: von hier aus machten sie telefonisch in Atschinsk über unseren Schabernack Meldung. Die Autos standen schon bereit, und wir wurden ohne weitere Abenteuer zum Bergwerk „Julia“ gebracht. Unterwegs dachte ich über meine bevorstehende Tätigkeit in dem Erzbergwerk nach. Falls sich der Atschinsker Stil unseres Benehmens fortsetzen würde, dann wäre die gesamte Arbeit vereitelt und ich hätte die Verantwortung dafür zu tragen.

Meine Befürchtungen waren unbegründet. Auf der „Julia“ war alles dem MWD unterstellt: die Schürfarbeiten, der Bau einer Siedlung für die Freien sowie Lager für die Häftlinge. Hier gab es so viele offene und geheime Beobachter, daß sich weder bei den Arrestanten aus dem OTB-1, noch bei den Wachsoldaten die Atschinsker Art entrfalten konnte. Aufgrund dieser Übersättigung durch MWD-Beobachter war es möglich, daß wir, die OTBler, uns nicht mehr unter unmittelbarer Konvoi-Bewachung bewegen brauchten. ALs Wohnraum stellte man uns ein großes Zimmer in einem gerade erst fertiggebauten Haus zur Verfügung, daneben die Begleitwachen. Wir arbeiteten in den Räumlichkeiten des örtlichen geologischen Schürftrupps und aßen in der Kantine für die ingenieurtechnischen Mitarbeiter des Erzbergwerkes.

An dem Tag der Ankunft auf „Julia“ wurde ich zum Bau-Leiter des zukünftigen Bergwerkes – Sarachanow – bestellt. Man muß sagen, daß die OTB-Mitarbeiter ziemlich bescheiden gekleidet waren – in leichten, schwarzen Anzügen aus billigem Material, und daher hinterließen sie äußerlich einen miserablen Eindruck. Nach der Kleidung wirst du beurteilt ... Und so kam es auch. Sarachanow in der Uniform eines Bergbau-Oberst (solche Oberste nannte man „Pfauen“ - wegen der großen Anzahl goldener und dunkelblauer Aufnäher an den Ärmeln), sah mich mit strengem Blick von Kopf bis Fuß geringschätzig an, wartete ein paar Augenblicke und bat mich erst dann gnädig Platz zu nehmen. Er war ein mächtiger Mann, damals wahrscheinlich, ein glanzvoller, schöner Mann, brünett, jetzt mit ergrautem, lockigem, aber immer noch vollem Kopfhaar. Das makellose, dunkelhäutige Gesicht schmückten große, leicht hervorstehende Augen, die von breiten, dichten Augenbrauen umrahmt waren. Vor mir saß der legendäre Pirat Kostja, so hatte ihn Lokschtanow mir gegenüber vor der Abfahrt genannt.

Von einer derartigen Empfehlung neugierig geworden, hatte ich mich noch im OKB darum bemüht, über ihn Auskünfte zu sammeln. Sarachanow stand lange Jahre in Kolyma in dem Ruf, ein schrecklicher Halbgott in dieser Region zu sein, die von der Fläche her so groß ist , wie ein kleiner europäischer Staat. In seinem grenzenlosen und unkontrollierten Besitztum befanden sich Menschen und Natur: Zinnbergwerke, Goldminen, Kohlenschächte, Waldbearbeitung, alle Arten von Transport- und Fernmeldewesen, und Lager, Lager, Gefangenenlager. Als bei der Mine buchstäblich die vom Himmel gefallene (er hatte sein eigenes Flugzeug) Figur Sarachanows auftauchte, bekleidet mit einer kurzen Pelzjacke, zusammengebunden mit einem breiten, roten Gürtel, mit an der Seite herunterhängender Mauser, einer hohen Pelzmütze, nach allen Seiten abstehenden schwarzen Locken, als diese Gestalt, ab morgens schon halbbetrunken, mit weit ausholenden Schritten durch die Mine ging, fingen alle Arten von „Liebedienern“, die ehrerbietig hinter ihm zurückgeblieben waren, an zu trippeln und von einer Seite zur anderen hin und her zu laufen, bereit, beim ersten Zeichen des Machthabers loszustürmen, um zu prügeln, den Leuten die Hände zusammenzubinden und sie zu berauben, was auch immer es sein möge – da blieb den ortsansässigen freien, halbfreien und inhaftierten Bewohnern nur eines übrig: sich gegenseitig die Information zuzuflüstern, daß Kostja, der Pirat, eingetroffen war!

Wegen irgendeines den Rahmen überschreitenden Willküraktes wurde der Piraten-Kostja vor Gericht gestellt. Aber eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Er kam mit einem leichten Schrecken davon – seiner Einsetzung vom entlegenen Norden in ein nähergelegenes, östliches Gebiet, unter der Führung von General Panjukow. Und jetzt, so lange er für sein breitgefächertes Naturell noch keine Tätigkeit gefunden hatte, saß Sarachanow auf diesem Posten als bescheidener Leiter des Bauprojektes des „Julia“-Bergwerks, ein Erzbergwerk, welches eine große und laute Vergangenheit besaß, aber bisher – keinerlei Zukunft. Der Grund für diese Perspektivenlosigkeit war das Fehlen von vorausgehenden Berechnungen der Bodenschatz-Vorkommen, die im Erdinnern verborgen waren und wo nun schon seit drei Jahren geschürft und geforscht wurde.

- Nun, und was beabsichtigen Sie hier zu tun? – begann Sarachanow in widerwilligem Ton, wobei er die ihm von mir übertragene Aufgabenstellung durchlas, welche vom geologischen Leiter der Haupt-Verwaltung des Jenissej-Großbauprojektes unterzeichnet worden war und in der eine erschöpfende Antwort auf Sarachanows Frage gegeben wurde. Ich wiederholte kurz den Inhalt unseres Auftrages.

- Ich sehe, daß hier alles auf dem Papier steht, - unterbrach mich Sarachanow, - ich brauche keine weiteren Worte ... Lokschtanow hat mir versprochen, einen Mann zu schicken, der in drei Werst Tiefe ins Erdinnere sehen kann, und was ist das hier ... – Sarachanow enthielt sich einer weiteren, für mich wenig schmeichelhaften, Bewertung.

- Na gut ... obwohl – ich hier bisher nur wenig Gutes sehe, - offenbar hielt er es ohne spitze Bemerkungen nicht aus – gehen Sie zum Leiter der geologischen Schürftruppe und machen Sie sich an die Arbeit, und da wird man dann schon sehen ...

Ich machte mich mit den ortsansässigen Geologen bekannt und entdeckte sofort den Grund für die geringfügigen Arbeitsresultate der Gruppe – sie alle waren reine Sucher, ohne jegliche Erfahrung, wie sie echte Geologen und Schürfer besitzen. Sie gingen in der Gegend umher, suchten nach wirtschaftlichen Ertragsmöglichkeiten von Muttergesteinen, beschrieben diese, suchten Spuren von Erzvorkommen an der Erdoberfläche, erstellten eine geologische Karte, und ihre ganzen Schürfarbeiten waren von schmalen Gräben begrenzt. In diesen Gräben lag soviel Geld „verscharrt“, - die ortsansässigen Mitarbeiter machten Witze darüber - soviel kann man niemals bekommen, selbst wenn man alles dort herausholt, was es dort an Lohnenswertem gibt.

Der Leiter der Truppe erwies sich als ein sehr netter Mensch, liebenswürdig und aufmerksam, der den Ehrgeiz der inhaftierten Häftlinge taktisch schonte. Er tat alles, was in seinen Kräften stand, um unsere Lage zu erleichtern. Er war ein aufrechter Kommunist, der sich die Mißerfolge seiner geologischen Gruppe schwer zu Herzen nahm und sich sehr wohl der Tatsache bewußt war, daß die Arbeit des Trupps entschieden umorganisiert werden mußte, aber er hatte keine Ahnung, wie das bewerkstelligt werden sollte. Er war äußerst ungehalten über die verantwortungslosen Forderungen der Leiter der Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes, blitzschnell irgendwelche Schürfresultate vorzulegen, und daß diese vor allem unbedingt positiv und ganz hervorragend sein mußten. Als ich näher an ihn herantrat, vertraute er sich mir an und erzählte, daß er besonders unter den wahnwitzigen Erwartungen der Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes bezüglich der Erschließung der riesigen Reichtümer litt, die angeblich im Erdinnern der südlichen Krasnojarsker Region sowie vor allem im Erzbergwerk „Julia“ verborgen waren. Ungefähr zwei Wochen nach unserer Ankunft waren die gesamte Leitung der Erzgrube „Julia“ und vor allem die geologische Erkundungstruppe sehr beunruhigt, weil irgendeine wichtige Person erwartet wurde. Ich fragte den Leiter der Gruppe:

- Erwarten Sie die geologische Leitung von der Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes?

- Nein. Ja ... wir erwarten eben die Leitung, nur ist es eben die oberste aller Leitungen ...

So hatte ich auch nichts Vernünftiges erreicht, obwohl es allen Anzeichen nach ganz offensichtlich war, daß man ein ganz besonders hochgestellte Persönlichkeit erwartete.

Wie groß war meine Enttäuschung, als sich der Korrespondent der Zeitung „Prawda“ als diese wichtige Person entpuppte – und dann auch noch eine Frau. Der Korrespondentin Schestakowa gebührte eine angemessene Aufmerksamkeit, aber nicht soviel, um die gesamte Erzgrube und selbst Sarachanow aufzuwühlen. Ich hätte diesem Ereignis keine große Bedeutung beigemessen, wenn ich beim Besuch der Schestakowa in der geologischen Erkundungsgruppe nicht nur Elemente einer gehobenen professionellen Kenntnis bei ihr bemerkt hätte, sondern auch eine große administrative Macht. Ich nahm unfreiwillig an diesem Besuch teil, denn er fand in dem großen Raum der geologischen Gruppe statt, wo auch wir, die OKB-Mitarbeiter, saßen. Uns schenkte die Schestakowa keinerlei Beachtung und nickte noch nicht einmal, als der Leiter der Gruppe uns vorstellte. Sie setzte mit dem Leiter das angefangene Gespräch fort:

- Das erwarten wir überhaupt nicht von Ihnen. Sie lassen die Leute in den alten Schacht herunterfahren? Was? Ist er denn noch nicht ausgepumpt? Ja, das ist doch Schädlingswerk! Drei Jahre stecken sie da schon in der „Julia“, und haben sich in der Zeit noch nicht einmal die „Jenissejsker Kupfer-Gesellschaft“ angesehen? Wissen Sie irgend etwas über die Stempford-Strecke?

- Ich habe in alten Berichten gelesen, daß Stempford versucht hat, mit dieser Strecke neue, reichhaltige Kupfer-Vorkommen zu finden, anstelle der bereits abgebauten neben dem Schacht, aber auch die Strecke war überflutet ...

- Na, mein Lieber, so kann das nicht weitergehen ... Was ist? Sind Sie Ihres Parteibuches schon überdrüssig geworden? Zeigen Sie mir, welche Pläne und Schnittzeichnungen sie für den Bereich der alten Abbaustelle besitzen ...

Während der Durchsicht der geologischen Dokumentationen hob die Schestakowa mehrfach ihre Stimme und immer wieder konnte man hören:

- Das ist ja beispiellos! Wie kann man so etwas zulassen? Wo haben Sie denn eine Berührung mit metamorphosierenden (verwandelten) Gesteinsschichten gesehen? Ja, ist das etwa ein Granosyenit-Tiefengestein? Wer ist hier bei Ihnen der zuständige Grubengeologe? Wie? Es gibt gar keinen? Ja, was ist denn das für eine Gruppe, die sich nicht schon jetzt, während des Schürfprozesses, auf den Einsatz eines Grubengeologen vorbereitet ...

Schestakowa besuchte die Fundstätte. Sie wurde nicht nur von den Geologen begleitet, sondern auch von Sarachanow. Der Anblick des letzteren entsprach bei weitem nicht seiner heldenhaften Piraten-Vergangenheit. Nach der Abreise der Schestakowa saß ich abends irgendwie ziemlich lange in dem Raum der geologischen Gruppe über irgendwelchen Zeichnungen, und als ich dann hinausging, da sah ich den Leiter, der auf dem Erdaufwurf vor dem Gebäude saß. Er bat mich, mich ein wenig zu ihm zu setzen. Auf meine Frage, welche Bedeutung die Schestakowa in der Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes habe, erzählt er mir eine merkwürdige und geradezu phantastische Geschichte.

- Welche Bedeutung die Schestakowa in der Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes hat? Ich glaube, daß sogar Panjukow sich ein wenig vor ihr fürchtet. Ja,ja, Panjukow – dieser fernöstliche Willkürherrscher ist schon ein höheres Kaliber, als Sarachanow. Man munkelt, daß Panjukow der Liebling Berijas sein soll ...

Es kam mir sehr merkwürdig vor, solche Worte und Einschätzungen aus dem Munde eines Kommunisten zu hören. Aber offenbar lagen ihm all diese Methoden der Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes schon gehörig auf dem Magen ...

- So hören sie doch mal, was ich aus Bruchstücken zu verschiedenen Zeiten und von unterschiedlichen Personen nach dem Zusammentreffen mit dieser Schestakowa erfahren konnte. Ich erzähle Ihnen nichts von der Schestakowa, sondern vielmehr von der Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes, und vielleicht auch noch mehr. Sie, das habe ich in diesem einen Monat bereits gemerkt, sind ein ordentlicher Mensch, den man nicht nur für eine streng geheime Arbeit zugelassen hat, sondern der auch Zugang hat zu Dokumenten, die sich in dem sogenannten „Sonder-Ordner“ befinden. Die können alles wissen. Aufgrund ihrer jetzigen und zukünftigen Lage, so wie ich es mir vorstelle, werden auch sie sich durch diese Zukunft nicht dazu verleiten lassen, all das, was ich Ihnen erzähle, für sich zu behalten ...

Nun gut. Sofort nach der Einnahme Berlins durch unsere Truppen waren unseren Aufklärern sieben Sack ganz geheimer Dokumentationen in die Hände gefallen, die in Zusammenhang mit der Krasnojarsker Region standen. Wissen Sie, was man unter „weißer Fleck des Edelsteins“ versteht? Nein. Zu Beginn dieses Jahrhunderts gab Edelstein – der bedeutendste Geologe Sibiriens – eine düstere Prognose für die Zukunft der südlichen Krasnojarsker Region. Er sah nämlich dort keinerlei Perspektiven für die Bergbauindustrie. Dem Osten dagegen, dem Sajan-Gebirge und der Altai-Region, sagte Edelstein eine glänzende Zukunft voraus, und die Mitte zwischen diesen beiden Regionen war seiner Meinung nach hoffnungslos für eine industrielle Ausnutzung. Und so entstand unter den Geologen der beflügelte Ausdruck über den weißen Fleck Edelsteins.

Und stellen Sie sich vor, daß sich in den sieben gefundenen Berliner Säcken Informationen befanden, welche die Prognosen Edelsteins widerlegten. Eine Sensation! Aber niemandem bei der Staatssicherheit wäre es eingefallen, mit Milfe der bedeutendsten sowjetischen Geologen die Glaubwürdigkeit dieser Sensation nachzuprüfen. Im Gegenteil, eben gerade diese bedeutendsten Geologen – Krejter, Rusakow, Tjetjajew, Schamanskij, Baryschew und viele andere – wurden verdächtigt, die Prognose Edelsteins absichtlich unterstützt und vorsätzliche Hehlerei mit den Reichtümern im Erdinnern der südlichen Krasnojarsker Region begangen zu haben. Für wen? Für die Welt-Bourgeoisie natürlich, welche uns früher oder später „knechten und unterdrücken“ würde.

Aber ohne einen Geologen-Spezialisten konnte man auf keinen Fall auskommen. Und da tauchte auch die Schestakowa auf. Als ausgebildete Geologin und von Beruf Journalistin begriff sie nicht nur sofort den wissenschaftlichen und praktischen Wert der Berliner Säcke, sondern aich ihren persönlichen Vorteil. Sie machte sich, nicht ohne die Mithilfe Berijas, in der Krasnojarsker Frage unverzichtbar. Die sieben Säcke wurden nach Krasnojarsk gebracht und für sie ein speziell reservierter Raum zur Verfügung gestellt; der Schlüssel für diesen Raum befand sich ausschließlich in der Obhut der Schestakowa. Nicht einmal General Panjukow erhält Zutritt zu dieser Räumlichkeit.

Und so ist man ohne jegliche Überprüfung, sofern man nicht die Meinung der Schestakowa berücksichtigt, der Ansicht, daß sich im Süden der Krasnojarsker Region riesige Reichtümer verbergen, welche von den Schädlingen, den Geologen, vor dem sowjetischen Volk geheimgehalten werden. Das heißt, man muß diese Reichtümer so schnell wie möglich in den Dienst der Volkswirtschaft stellen. Die Fläche der südlichen Krasnojarsker Region ist riesig; so riesig muß auch die Organisation sein, die für ihre Urbarmachung eingesetzt werden soll. So entstand die Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes. Na ja, und die Schädlinge? Ihr Schicksal kennen Sie besser als ich: Barschew hat sich erschossen. Uminskij und Schemanskij sind in Gefängnissen umgekommen, Krejter, Rusakow und Tjetjajew sind bei Ihnen im OKB-1 ... So, und nun wissen Sie, wer die Schestakowa ist und was es mit der Hauptverwaltung des Jenissej-Großbauprojektes auf sich hat ...

- Und Sie? Glauben Sie all diese Phantastereien? – platzte es unfreiwillig aus mir heraus.

- Sie wissen doch selbst, daß man in unserer Zeit über solche und ähnliche Fragen nicht urteilen darf.

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