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Wladimir Worobjew. Späte Rehabilitation

Irina

Wir arbeiteten damals an der Ölfabrik, waren mit dem Verputzen des Produktionsgebäudes beschäftigt. Einmal kam einer zu mir, der in derselben Brigade wie ich war, und sagte, daß unweit unserer Zone, fast unmittelbar an der Einzäunung Mädchen arbeiteten, die einen Graben für irgendwelche Kabel aushoben und sie darum gebeten hätten, daß der "Professor" zu ihnen käme. "Welcher Professor?" fragte ich. - "Na, und da habe ich ihnen von dir erzählt und daß es bei uns nur einen einzigen Professor gibt, und deswegen bist du es, den zu zu sich rufen".

Erst am Ende der Arbeitsschicht näherte ich mich der "verbotenen Zone" und erkundigte mich, wer hier nach dem Professor gefragt hatte. Zuerst begann ein Mädchen mit blonden Haaren mit mir ein Gespräch anzuknüpfen, aber ich fand an ihr nichts besonders. Dann tauchte ein anderes Mädchen auf. Mein Gott, was hatte sie für lebhafte, klare, wundervolle Augen! Ja,und sie war überhaupt sehr schön. Wir wechselten ein paar belanglose Worte miteinander, aber dann wurden wir ins Lager gerufen. Zuhause schrieb ich ihr einen langen Brief und bat sie, mir ihre Adresse zu geben. Sie hieß Irina Rodstadt, stammte aus Lipezk und hatte am Fremdspracheninstitut Französisch studiert. Sie hatte um die Erlaubnis gebeten, im Rahmen eines Komsomolzen-Lehrgangs heir arbeiten zu dürfen. Sie gab mir, wie sie es nannte, "ausnahmsweise" ihre Adresse, und ich sagte ihr, daß sie mir ihre Botschaften mit Hilfe derer überbringen lassen sollte, die nicht unter Wachbegleitung standen. So begann unser Briefwechsel. Nachdem man unsere Verbindung spitzbekommen hatte, wurde sie ins Büro des RK des WLKSM (Kreiskomitee des All-Russischen Leninistisch-Kommunistischen Jugendverbandes - Anmerkg. d. Übers.) bestellt, wo sie verlangten, daß sie ihre Beziehnungen zu einem "Faschisten" einstellte, aber sie erwiderte, daß sie mich liebte und sich weigerte. Man erteilte ihr eine Rüge, schloß sie jedoch nicht aus dem Jugendverband aus. Sie fing an, mir Briefe in französischer Sprache zu schreiben. Anfangs übersetzte Wrangel sie mir, aber später verlangte Irina, daß ich selber Französisch lernen sollte. Sie ließ mir ein Lehrbuch, ein Wörterbuch, eine Grammatik und Literatur zukommen. In der Schule hatte ich Deutsch gelernt. Französisch war eine ganz andere Sprache, aus der romanischen Gruppe, und es fiel mir ziemlich schwer es zu erlernen, aber nach und nach, mit Hilfe des Wörterbuches, fing ich an, ihre Briefe selbst zu übersetzen.

Nachdem die Kommission des Obersten Sowjet dagewesen war, hinterließen sie ihm die vorherige Haftstrafe - 20 Jahre Straflager, wahrscheinlich aufgrund seiner sozialen Herkunft. Seine Mutter war die Fürstin Golizina gewesen, und väterlicherseits war er ein Abkömmling Hannibals, des Vorfahren von Puschkin, seine Fingernägel waren sogar dunkelblau. Als er die Perspektivlosigkeit seines Lebens wahrgenommen hatte, stürzte er sich einmal auf den elektrischen Hebelschalter, um sich das Leben zu nehmen, verbrannte sich jedoch nur ganz fürchtbar die Hand. Glücklicherweise bekam er zu dem Zeitpunkt einen Brief - von seiner Frau, Wrangel-Pawlowa, die einen Suchantrag gestellt und der man dann endlich seine Adresse gegeben hatte. Er antwortete, sie kam mit ihrer zwölfjährigen Tochter, von deren Existenz er noch nicht einmal gewußt hatte. Die Tochter ließ man in die Zone hinein, und wir gingen zusammen spazieren. Ich kaufte ihr ein par Tafeln Schokolade. Boris brachte dieser Besuch neuen Lebensmut, er wurde fröhlicher. Wie ich später erfuhr, wurde er freigelassen und lebte danach irgendwo in Tschuna, an der Tajschetsker Trasse. Anfang 1958 wurden wir erneut in Tajschetsker Lager etappiert.

 

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