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P. Sokolow. Schlaglöcher

Teil 2 . JUGEND

Kapitel 11. Der Krieg rückt näher

Nach der Niederlage Frankreichs besuchte Mussolini Paris und besuchte dort das Napoleon-Museum. Dort zeigte man ihm das rote Hemd, welches Napoleon vor der Schlacht angezogen hatte. Der Duce wunderte sich: das rote Hemd hatte den Imperator demaskiert. Man gab ihm zur Antwort, dass Napoleon im Falle seiner Verwundung nicht gewollt hätte, dass man das Blut sah, denn er hatte befürchtet, dass durch einen solchen Anblick der Truppengeist ins Wanken geraten wäre. Mussolini dachte einen Augenblick nach, und nachdem er nach Italien zurückgekehrt war, bestellte er sich ein paar braune Hosen (aus einer Anekdote der damaligen Zeit).

Ich schrieb bereits, dass nach dem Vorbild Hitlers die Tendenz zur Überprüfung der Nachkriegsrealitäten und des Verlaufs der staatlichen Grenzen immer mehr an Kraft gewann. Wie ich bereits mehrfach erwähnte, stelle dies für Bulgarien ein akutes Problem dar, und zwar nicht nur aufgrund der herrschenden ethnisch-ökonomischen Situation, sondern auch wegen der nationalistischen Ambitionen. Die Rückgabe der Drobudscha rief nicht nur Genugtuung hervor, sondern sie heizte auch Hoffnungen auf eine mögliche Angliederung anderer Territorien an, auf die Bulgarien Anspruch erhob. Das löste Spannungen in den Beziehungen mit den Nachbarn aus, die sich nicht selten bis zu gefährlichen Grenzwerten steigerten. In solchen Momenten wurde die Mobilisierung von Wehrpflichtigen in Gang gesetzt und in den entsprechenden Regionen Truppen zusammengezogen. Natürlich spiegelte sich das auch im allgemeinen psychologischen Klima und in der Wirtschaft wider. Mehrmals unterlagen auch unsere Lehrer einer solchen Mobilmachung. Ich kann mich erinnern, wie Wojnow die Klasse betrat, und über seinen Schultern hing, wie an einem Kleiderhaken, ein Uniformmantel; er trug grobe Stiefel aus ungefärbtem Leder und eine Uniform – un d diese ganze Kleidung sah aus, wie auf dem Bild mit dem kleinen Däumling. Auch außerhalb der Grenzen Bulgariens gingen Dinge von historischer Bedeutung vor sich. Nachdem Deutschland Polen erobert hatte, machte es sich ans Baltikum heran. Erstes Objekt der Druckausübung war Litauen, aus dem sie sich den Bezirk Memel – Klajpeda herausgriffen. Als Gegenmaßnahme nahm die Sowjetunion die baltischen Länder ein. Heute kann man diese Aktivitäten unterschiedlich bewerten: entweder als Erscheinung der sowjetischen Expansionspolitik, wie der Westen es tut, oder als Rückkehr zu den historischen Staatsgrenzen, wie es der Meinung der meisten Emigranten entsprach. Man kann auch die offizielle Version über deren freiwillige Angliederung, unter Androhung der deutschen Okkupation, aufnehmen, aber ich glaube, dass der Hauptgrund die Gewährleistung der Verteidigungsinteressen der Sowjetunion war – in Anbetracht des bevorstehenden Krieges mit dem faschistischen Deutschland. Ich selbst war damals weit von einem Verständnis der großen Politik und Strategie entfernt und nahm meist die offiziellen Mitteilungen für bare Münze. Zu jener Zeit begann man, neben der Literatur, die im Buchladen „Russische Bücher“ angeboten wurden, auch mit dem Verkauf der Zeitung „Iswestija“ („Mitteilungen, Nachrichten; Anm. d. Übers.), und ich wurde zu einem ihrer regelmäßigen Leser. Damals zeichnete sich bei mir ein vollständig festgelegter Plan hinsichtlich meiner Zukunft ab: ich wollte die Schule beenden und in die Sowjetunion zurückkehren – unter Ausnutzung der günstig gelagerten Beziehungen zwischen unseren Ländern. Diese Idee unterstützen auch meine Eltern, mit denen ich eine ziemlich lebhafte Korrespondenz unterhielt, in denen ich bereits ernsthafte, nicht mehr kindliche Probleme aufgriff. Aus diesen Briefen erfuhr ich vieles über die Vergangenheit meiner Familie und die Ansichten meines Vaters, und ich erhielt eine geballte Ladung von Entwürfen für die Orientierung in meinem zukünftigen Leben. In den letzten Jahren arbeitete der Vater in einer englischen Firma, die sich mit dem Verlegen von Eisenbahnschienen auf dem Territorium des damaligen Palästinas befaßte, das unter englischem Mandat stand. Schon zur damaligen Zeit ging es dort unruhig zu. Es kam sogar zu Überfällen von Arabern auf die Bahnstrecken. Mit Beginn des Krieges trafen die Briefe dann mit Stempeln der Militärzensur ein,und im folgenden, als die bulgarische Regierung, überzeugt vom Sieg Deutschlands und in der sicheren Annahme, dass es selbst ungestraft bleiben würde, England und Frankreich den Krieg erklärte, kamen überhaupt keine Briefe mehr an; ab 1940 rissen all unsere Verbindungen vollständig ab. Große Resonanz löste der Finnische Krieg aus, der unmittelbar nach der Angliederung des Baltikums folgte. Diese Seite der Geschichte ist bei uns kaim bekannt, und ich muß sie wohl mit meinem Verständnis und aus meiner Sicht ein wenig verständlicher machen. Die Grenze zwischen der UdSSR und Finnland verlief zu der Zeit ganz in der Nähe der Stadt Leningrad, irgendwo im Terioka-Bezirk, dort, wo sich früher einmal der Wald befunden hatte, der den väterlichen Verwandten gehörte und wohin wir beinahe gefahren wären, als wir aus Griechenland zurückkamen. In den 1930er Jahren festigte sich die profaschistische Regierung und Marschall Mannerheim, einem ehemaligen Offizier der Zarengrade mit grimmiger, antisowjetischer Einstellung. Während seiner Regierungszeit wurde an der Grenze zur UdSSR,im Bereich der Karelischen Landenge, ein mächtiges Festungssystem, die Mannerheim-Linie, errichtet. Ich glaube nicht, dass die finanziellen Eigenmittel Finnlands fürihren Bau ausgereicht haben. Es war wohl eher so, dass die imperialistische Großmächte ihr Teilchen beisteuerten, weil sie planten, sich die Mannerheim-Linie als Ausgangspunkt bei den Aggressionen gegen die Sowjetunion zunutze zu machen. Als das faschistische Deutschland sich den Grenzen der UdSSR bedrohlich näherte, wurde diese Bedrohung offensichtlich,und die sowjetische Regierung stellte die Frage nach der Entmilitarisierung der Karelischen Landenge und einer gewissen Korrektur der Grenzen. Mannerheim lehnte all diese Vorschläge ab, und nach dem Abbruch der Verhandlungen und sogar des gestellten Ultimatums, erklärte die Sowjetunion Finnland den Krieg. Der Krieg verlief unter winterlichen Verhältnissen, in starkem Frost, was wohl auch in diesen Gefilden mit all seinen Seen und Sümpfen am günstigsten war; aber es war auch mit ungeheuren Schwierigkeiten für Menschen und Transportmöglichkeiten verbunden. Man muß den Finnen ihre Tapferkeit lassen, aber man darf auch nicht unerwähnt lassen, dass sie in diesem Krieg wesentliche Hilfe aus England, Frankreich und eben jenem Deutschland erhielten, das heißt hier zeigte sich die Annäherung selbst der untereinander kämpfenden Imperialisten, als es um den Kampf gegen die Sowjetunion ging. Nicht ganz eindeutig verstand man den Krieg auch in Bulgarien. Viele sympathisierten mit Finnland, dem kleinen Land, das dem Überfall des mächtigen Nachbarn ausgesetzt gewesen war. Übrigens, nach dem Einbrechen der Mannerheim-Linie und dem Friedensabschluß, als man zu der Überzeugung gelangt war, daß die Sowjetunion nicht die Absicht hegte, Finnland zu erobern, sondern sich auf maßvolle Forderungen beschränkte, mit dem Ziel, ihre Sicherheit zu gewährleisten, änderte sich die Stimmung schlagartig, und der Kinofilm „Die Mannerheim-Linie“, der fast einen ganzen Monat lang in vollbesetzten Kinosälen vorgeführt wurde, brachte der Sowjetunion ihr früheres Prestige und ihre Sympathien zurück.

In dieser Zeit gab es auch auf dem paraguayer Forum stürmische Diskussionen, wo trotz allem eine prosowjetische Position dominierte. Einmal tauchten in dem Laden „Das russische Buch“ Farb-Portraits von Stalin auf, in einer Größe von etwa 13 x 18. Auch ich kaufte einige dieser Ansichtskarten, von denen eine mir in der Folgezeit eine ganze Menge Unannehmlichkeiten verschaffen sollte. Ich sage nicht, daß ich bereit gewesen wäre, für Stalin zu beten. Eine Vergötterung von Personen lag, trotz seiner relativen Demokratie, nicht in der Tradition des Landes, aber dennoch hegte ich ihm gegenüber eine gewisse Ehrfurcht; er war für mich praktisch so eine Art Symbol für mein Land und einen politischen Aufbau, der, wie ich hoffte, geeignet und in der Lage war, Gerechtigkeit und Gleichheit für alle zu garantieren. Jetzt gibt es viel Lärm um den Stalinschen Personenkult, eine Menge unkonkretes Gerede um seine Ursprünge und viele offene Spekulationen. Ich will bei diesen Meinungsverschiedenheiten nicht die Rolle eines Schiedsrichters auf mich nehmen, und noch viel weniger möchte ich die durch ihn entstandene ungeheure Willkür weißwaschen, aber ich denke, dass man die Personenkulte um Stalin, Hitler oder auch Mussolini im Volk suchen muß – oder in den Völkern, die des Verfalls, der Zerrüttung , der Enttäuschung und der Hoffnungslosigkeit überdrüssig geworden sind, in die sie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hineingerieten, die an Idee geglaubt hatten, deren Symbol eben diese Persönlichkeiten waren – in der festen Überzeugung, dass diese Ideen ihnen Aufschwung, Wohlstand, die Liquidierung der Arbeitslosigkeit und Hoffnung auf die Zukunft bringen würden; schließlich und endlich wurde dieser Glaube an den Führer, angeheizt von eigenen Ambitionen und Spekulationen der unmittelbaren Umgebung, zur Grundlage für alle möglichen Verwirrungen. Und trotzdem: es handelte sich um Personen und keine Marionetten, wie der Zauberer Goodwin. Als die Menschen mit dem Ausruf „Für die Heimat, für Stalin!“ zum Angriff übergingen, da hatten sie wohl kaum den hochbetagten Georgier mit der Pfeife im Mund vor Augen, sondern der Name Stalin war für sie das Symbol einer Idee, und er löste keinerlei Protest aus. Und wie haben sie Breschnjew beweihräuchert, den vierfachen Helden der Kleinen Erde (Bezeichnung eines Brückenkopfes südlich von Noworossijsk; Anm. d. Übers.), aber der Kampfruf „Für die Heimat, für Breschnjew!“ hätte keine andere Reaktion als blankes Gelächter hervorgerufen. Na schön, soll die Geschichte ihr Urteil fällen, aber in der damaligen Zeit haben nicht die Speichellecker und Kriecher, sondern Millionen ehrbarer Menschen an Stalin geglaubt und seinen Händen ihr Schicksal und das des ganzen Landes anvertraut. Übrigens, genau das gleiche Bild konnte man auch in Deutschland sehen, und aus irgendeinem Grund haben unsere zeitgenössischen Schmierfinken, die jetzt das sowjetische Volk als dunkle Masse mit Sklaven-Psychologie schlechtmachen, dies ganz und gar vergessen und drücken der aufgeklärten deutschen Nation keine Etiketten und Stempel auf. Die Ereignisse nahmen zu, wie ein rollender Schneeball. Italien, das danach trachtete, den ehemaligen Ruhm des Römischen Reiches zu erwerben, wollte auch nicht abseits des aufzuteilenden Kuchens stehen: es eroberte Albanien und erhob von dort aus Anspuch auf Griechenland. Deutschland, das sein Hinterland mit dem sowjetisch-deutschen Nichtangriffspakt schützte, strebte gen Westen und vernichtete in wenigen Wochen seine Gegner, eroberte die kleinen Länder, führte Frankreich aus dem Krieg und fügte dem englischen Expeditionskorps eine zerstörende Niederlage nahe Dünkirchen bei. Und obwohl es den Alliierten gelang, die wichtige Stellung in Norwegen, der Stadt Narvik, zu erobern und zu halten, blieb dieser Erfolg dennoch vor dem Hintergrund der beispiel- und ruhmlosen Schlappe in Frankreich unbemerkt. Es schien, als wären Englands Tage gezählt. Ich gewann bereits damals, zwar nicht mit meinem eigenen Verstand, aber mit Hilfe meiner alten politischen Leiter, die Erkenntnis, dass eine Koexistenz des faschistischen Deutschlands und der Sowjetunion unmöglich sei, dass der erwähnte Pakt lediglich einer Verzögerung, einem Aufschub zwecks Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl an Streitkräften für die bevorstehende Entscheidungsschlacht dienen sollte. Deswegen wünschte ich den Deutschen eine verheerende Niederlage durch die Alliierten, und deren schmachvolle Zerstörung rief in mir eine heftige Enttäuschung sowie die Besorgnis hervor, dass die Ereignisse im Osten viel eher vonstatten gehen könnten, als ich, nach Beendigung der Schule, in die Heimat meiner Väter zurückgekehrt wäre. Irgendwann in dieser Zeit geschah mit mir eine schwierige Sache, die um ein Haar all meine Pläne vernichtet hätte. Irgendwie, ich kann mich an den Grund und Anlaß nicht mehr erinnern, hängte ich zum größten Ärger meiner ideologischen Feinde und Anhänger der ehemaligen zaristischen Schwarzhunderterschaften aus dem Invalidenheim an einem Laternenpfahl ein Stalin-Porträt auf. Lustig war es, aus einiger Entfernung zu beobachten, wie sich unter dem Bild die Alten unterhielten, mit den Fäusten drohten, es jedoch nicht entfernen konnten, weil sie keine Leiter mitgebracht hatten. Aber das Ganze endete nicht mit Gelächter, sondern in Schande. Einer der kleinen Jungs verpfiff mich, und erneut wurde ich zum Mittelpunkt eines Skandals. Diesmal stand die Angelegenheit schlimmer, als seinerzeit die Aktion mit den Kirchenglocken. Hier roch es nach Politik, und trotz der offensichtlichen Annäherung an die Sowjetunion blieb die Innenpolitik Bulgariens auch weiterhin antikommunistisch und zwar noch viel strenger und härter als früher. Mir drohte nicht nur der Ausschluß aus dem Gymnasium, sondern auch ein ernsthafter Konflikt mit der Polizei, die unter den Bedingungen der „öffentlichen bulgarischen Sicherheit“ Methoden anwandte, die in nichts denen der Gestapo nachstanden und nichts Gutes verhießen. Meine Mutter ging hin, um ein gutes Wort für mich einzulegen, und die Sache wurde im Großen und Ganzen fallengelassen, aber man verbot mir, künftig das Gelände des Invalidenheims zu betreten und fügte diesem Verbot noch eine schriftliche Verwarnung bei. In Kreisen der Paraguayer, und Gott sei mit ihnen, machte dieser Ausschluß keinerlei Eindruck; im Gegenteil, er hob allenfalls noch ein wenig meine Autorität und umgab sie mit einer gewissen Aureole. Im Herbst desselben Jahres roch es an den bulgarischen Grenzen erneut nach Krieg. Die griechisch-italienischen Reibereien gingen in einen offenen Konflikt über. Italien stellte ein Ultimatum. Das griechische Volk antwortete mit einem freundlichen „Ochi!“ – Nein! und nahm Aufstellung zum Schutz seiner Grenzen. Der erwartete „Blitzkrieg“ fand nicht statt. Die Italiener eroberten nicht nur nicht das Territorium, auf das sie so erpicht waren, sondern erlittensogar Mißerfolge und wurden in die Tiefen Albaniens zurückgeworfen. Der Krieg dauerte einige Monate, der Kampf entbrannte um die Stadt Kortscha, einer Schlüsselstellung, mit deren Verlust sich der Zugang zum Meer eröffnete, das heißt zur vollständigen Besetzung Albaniens. Zum Frühjahr hatten die Griechen Kortscha erobert. In Bulgarien keimten optimistische Stimmungen auf, mit der Hoffnung, dass die Niederlage Griechenlands eine Voraussetzung für die Eroberung der Uferregionen des Ägäischen Meeres sein könnte – ein lang gehegter Traum der Verteidiger von Groß-Bulgarien, was ich bereits erwähnte. Abe der Mut der Griechen und die Kraftlosigkeit Italiens führten zu einer veränderten Laune und zu einem Anstieg der Sympathien für den Nachbarn. Nach dem Fall Kortschas, wurde sogar der „Text“ eines Telegramms verbreitet, das angeblich vom Duce an Hitler aufgegeben worden war. Darin hieß es: „Grieche Bandit, Kortscha verloren, tuto finito (alles aus). Gruß Benito“.

Es wurde nie festgestellt,ob Benita tatsächlich jemals ein Telegramm mit derartigem Wortlaut verfaßte, aber retten mußte man ihn schließlich, und so brachte Deutschland seine Forderungen und Ansprüche an Jugoslawien vor, damit es deutsche Truppen durch sein Territorium marschieren ließ, die Italien nach seiner erlittenen Niederlage zur Hilfe eilen sollten. Anfangs war die jugoslawische Regierung zu Vereinbarungen bereit, aber da trat eine Regierungsablösung ein, und die neuen Männer an der Macht lehnten die Erfüllung der Forderung der Deutschen kategorisch ab.

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