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P. Sokolow. Schlaglöcher

Teil 2 . JUGEND

Kapitel 12. Die Deutschen

 - „Ich habe nur einen Gott – und das ist Adolf Hitler“.

- „Hitler denkt für uns, Göring ißt für uns, Göbbels spricht für uns, aber sterben – das tun wir selber“.

Eine alte Frau am Kiosk: „Gott sei Dank, gibt es jetzt alles“.
SS-Mann: „Was hat hier Gott zu suchen? Alles, was wir besitzen, verdanken wir Hitler .
Es muß heißen: „Hitler sei Dank!“
Die Alte: „Das stimmt schon, aber auch der Führer ist sterblich. Was werden wir sagen, wenn er stirbt?“
SS-Mann: „Na ja – dann werden wir sagen „Gott sei Dank!“

(Aus Sprüchen verschiedenber Deutscher während der Zeit des Nazismus).

In einer hellen Nachmittagsstunde im März 1941 gingen Wanka und ich, nachdem wir uns, wie jeden Sonntag, getroffen hatten, über den kleinen Weg des Nojkowsker Anwesens zu den Chanows, die fast direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite wohnten. Unsere Aufmerksamkeit wurde auf ein Fahrzeug von ungewöhnlichem Aussehen sowie die darin sitzenden Personen gelenkt. Bei dem Auto handelte es sich um einen offenen, geländegängigen Jeep ohne Plane, von dunkelbrauer Farbe; darin saßen wackere Bürschchen in Uniformen, die beinahe genau die gleiche Farbe besaßen, mit geöffnetem Stehkragen, an den Ecken hellrote Kragenspiegel mit irgendwelchen Vögelchen daran. Um das nicht identifizierbare Objekt hatte sich schon bald ein ganzer Haufen Jungs versammelt. Die Leute im Auto lachten und sagten irgendetwas in einer fremden Sprache. Ich hatte schnell begriffen, daß es Deutsch war, aber meine Kenntnisse reichten lediglich dafür aus, zu verstehen, daß es sich bei diesen Soldaten um Angehöriger der Luftabwehr der Deutschen Wehrmacht handelte und daß sie eine geeignete Residenz für Ihre Vorgesetzten suchten. So sahen also die „Unbesiegbaren“ aus, die durch ganz Europa marschierten! Die Deutschen fuhren ab, und in unseren Kreisen wurde diese Begegnung für den ganzen Rest des Tages zum Thema N° 1. Eine offizielle Mitteilung anläßlich des Abkommens mit Deutschland über den Durchlaß seiner Truppen durch Bulgarien erschien erst einen Tag später (am Dienstag), aber die Truppen bewegten sich in einem beinahe unaufhörlichen Strom auf der Chaussee durch Knjaschewo, auf der ich einst zu meinem Arbeitsplatz am Berührungspunkt der drei Grenzen gefahren war. Die bulgarische Armee war nicht schlecht ausgestattet und bewaffnet, aber bei den Deutschen verblüffte einen auch die gute Organisation und die recht kompakte Mechanisierung. Es gab keine Fußkolonnen. Soldaten, Kanonen und sogar Pferde und Maultiere, die bei den Kampfhandlungen in den Bergen zur Verwendung kommen sollten, wurden von hunderten von Fahrzeugen unterschiedlicher Marken transportiert. Am Himmel tauchten nie zuvor gesehene Flugzeugtypen auf. Bald lernten wir die Messerschmidts 109 und 110, die Heinkels und Junkers voneinander zu unterscheiden. Auf den Straßen der Stadt und unserer Siedlung leuchteten Hinweisschilder, die aus qualitativ hochwertigem Material und mit äußerster Akuratesse angefertigt worden waren. In den Datschen (Villen) der ortsansässigen Reichen wurden Generäle und ihre Stabsangehörigen untergebracht. Ständig flogen, wie schwarze Teufel, Motorradfahrer in Gummiregenmänteln, Pellerinen und Helmen vorbei. All das erzeugte einen gewissen Eindruck und erschreckte die Menschen auch ein wenig. In den Gebäuden der Schulinternate für Kriegswaisen sowie der Feuerwehrtrupps fand nun eine noch dichtere Wohnraumbelegung statt, und in die freigewordenen Räumlichkeiten wurden verschiedene Einheiten aus dem Hinterland einquartiert. Es herrschte keine besonders große Strenge, der Zutritt war gestattet, und wir Jungchen begaben uns nicht selten zu den Deutschen. Sie beteiligten sich gern an Gesprächen, zeigten uns ihre Waffen, erlaubten uns, sie anzufassen oder zu reinigen. Schon bald kamen auch einige beständigere Bekanntschaften zustande, wenn auch nur von kurzer Dauer, denn all diese Einheiten wurden nach und nach zu den Hauptstreitkräften verlagert. Außergewöhnliche Ereignisse gab es im allgemeinen nicht, obwohl sich vereinzelt besondere Geschehnisse zutrugen. Und einmal wurde ich sogar zum unmittelbaren Zeugen. Aus irgendeinem Grunde fuhr ich zur Schule. Es muß so um ein Uhr mittags gewesen sein, als in den Straßen dichtes Gedränge herrschte. Und da stand an einer belebten Kreuzung ein deutscher Lastwagen mit brennender Plane. Zwei oder drei Soldaten, die mit dem Feuer nicht fertig wurden, versuchten erfolglos die gaffende Menge zu verscheuchen, aber die Menschen, da sie die Sprache nicht verstanden, blieben weiter stehen und schauten zu. Und es wurden ihrer immer mehr. Da ereignete sich plötzlich eine Reihe von Explosionen. Es stellte sich heraus, daß der LKW mit Geschossen beladen war. Zum Glück flogen sie nicht alle gleichzeitig in die Luft, aber nichtsdestoweniger standen die umliegenden Häuser im Nu ohne Fensterscheiben und mit Splittern übersät da. Es hieß, es habe Tote und Verwundete gegeben. Mir, der ich in einiger Entfernung stand, war es gerade noch rechtzeitig gelungen die Krallen einzuziehen.. Nachz und nach ließ der Fahrzeugstrom nach, und durch die Stadt liefen nun Fußkolonnen der Gebirgsjäger, denen noch die Hauptlast bei den Kämpfen bevorstand. Ich wunderte mich, wieso sie bei einer so guten Mechanisierung die Leute über 200 km weit zufuß vorwärtstreiben mußten, aber wahrscheinlich wurde das ganz bewußt gemacht – zu Trainingszwecken, damit sie ihre gute physische Form behielten. Eine der Kolonnen machte in der Nähe halt, und unverzüglich sonderten sich daraus Quartiersuchende ab, die damit bgegannen, die benachbarten Häuser aufzusuchen und nachzufragen, wer dort wieviele Soldaten zum Übernachten aufnehmen konnte. Ich war draußen und nannte die Zahl zwei. Sogleich malten sie mit Kreide eine „2“ an die Gartenpforte, und nach etwa einer Stunde waren alle untergebracht. Zwei kamen also zu uns – ein gewöhnlicher Soldat und ein Unteroffizier. Er erwies sich als Österreicher und sprach noch lange von seiner Mutter, und wie sich später herausstellte, war er Deutschland und Hitler nicht sonderlich wohlgesonnen. Am nächsten Morgen, nachdem sie gefrühstückt hatten, was Gott ihnen bescherte, machten sie sich auf den Weg zum Sammelpunkt. Dort fand ein namentlicher Aufruf statt. Zwei fehlten, aber sie trafen mit ein wenig Verspätung ein. Sie wurden nicht nur angebrüllt, sondern bekamen auch noch eine Strafe aufgebrummt: sie sollten mit vollem Marschgepäck marschieren, während die anderen ihre Habseligkeiten auf das Pferdefuhrwerk packten. So machte ich zum ersten Mal mit eigenen Augen mit der Zucht und Ordnung in der deutschen Armee Bekanntschaft. Ein paar Wochen später gab es auf den Straßen und Chausseen schon fast keine Deutschen mehr zu sehen; es tauchten nur gelegentlich ein paar Motorradfahrer oder Limousinen auf, in denen irgendwelche „hohen Tiere“ thronten.

Am Morgen des 6. April, die Zeitungen waren noch nicht herausgekommen, ging bereits das Gerücht, daß die Deutschen an den Grenzen zu Griechenland und Jugoslawien einfielen. Alles begann zu brodeln und zu schwirren, wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm. Etwa um drei Uhr hörte man einige Detonationen, und nach einigen Minuten sauste ein Geschwader von Messerschmidts über unsere Köpfe hinweg. Es stellte sich heraus, daß ein vereinzeltes jugoslawisches Flugzeug sich bis nach Sofia herangeschlichen und dort Bomben abgeworfen hatte. Kurz danach wurde es, ungefähr 60 km von der Stadt entfernt, abgeschossen. Aber das war die erste Nachricht vom Krieg. Gegen 7 Uhr abends stand ich auf der Straße vor einer kleinen Kneipe, als neben mir ein Motorradfahrer anhielt und um etwas zu trinken bat. Er berichtete, daß schwere Kämpfe im Gange waren, daß er an der Verstärkung der Maginot-Linie in Frankreich teilgenommen hättee, daß aber dies hier jetzt noch viel schwieriger wäre. Ich erinnerte mich an die steilen Abhänge des Belasiza-Gebirges (das sich im Dreiländereck Bulgarien, Griechenland, Mazedonien befindet; Anm. d. Übers.), mit seinen ganzen Einschußlöchern in den Felsen, und stellte mir vor, wie es sein mußte, dort unter Kanonenbeschuß und im Kugelhagel hinaufzuklettern. Tatsächlich stellte sich heraus, daß sich vor Beginn des eigentlichen Angriffs ein mächtiger Artillerie-Feuersturm sowie Sturzkampfbpmber auf die Metaxa-Linie gestürzt hatten, und den Jägern blieb nichts weiter übrig, als den Widerstand an einigen wenigen, unversehrten Punkten zu brechen. Zwei Tage später hatten die Deutschen das Gebirge und die Struma-Schlucht durchbrochen und breiteten sich auf griechischen Straßen und Wegen aus. Es gab keinen besonderen Widerstand. Die Hauptkräfte der Griechen waren in Albanien gegen die Italiener konzentriert, aber die zur rechten Zeit aus Afrika herbeigeeilten australischen und neuseeländischen Truppenteile konnten nicht standhalten und machten sich, nachdem sie ihre gesamte Technik im Stich gelassen hatten, mit Schiffen auf den Rückweg oder gingen auf der Insel Kreta an Land, wohin auch die unversehrt gebliebenen Truppen der Griechen und Jugoslawen aufgebrochen waren. Jugoslawien, in das der Feind von fast allen Seiten einfiel, leistete so gut wie keinen Widerstand. Die Truppen waren in wenigen Stunden zerstückelt und teilweise vernichtet, und diejenigen, die keinen Schaden genommen hatten, zogen sich in die Berge zurück oder schlossen sich mit den Griechen zusammen, indem sie mit ihnen gemeinsam zurückwichen und so schließlich die Insel Kreta erreichten. Auf unseren weiteren Lebensweg hatte der Krieg eigentlich keine größeren Auswirkungen, wenn man einmal davon absieht, daß sich auf unserer Chaussee in umgekehrter Richtung ganze Kolonnen und vereinzelte Fahrzeuge mit zerstörter Kriegstechnik, den Trümmerteilen von Flugzeugen und ähnlichen Beweisen dafür dahinzogen, daß es sich bei dieser Fahrt keineswegs um eine Touristen-Exkursion handelte.

Außerdem wurde die Luft in einer der ersten Nächte nach der Invasion wegen Fliegeralarm von Sirenen durchschnitten. Überall am Himmel hingen Leuchtraketen, vom Boden kamen Leuchtspurgeschosse hochgeschossen, und der Bezirk um die Eisenbahznstation war von Bombenexplosionen und Bränden erhellt. Aus unserer dritten Etage betrachteten wir dieses Panorama nicht ohne Interesse. Trotz des ungeheuren Lärms war der Schaden nicht sehr groß, und die englischen „Bristols“ flogen wohlbehalten wieder ab. Innerhalb kürzester Zeit wurden auf der Pferderennbahn, die auf halbem Weg zwischen der Stadt und unserer Siedlung lag, ein paar riesige Zelte aufgeschlagen; vor denen sich dann in großer Anzahl Menschen in hellgrauer Schutzkleidung einfanden. Es handelte sich um kriegsgefangene Griechen und Jugoslawien, letztere hauptsächlich aus Madezonien und anderen Landesteilen, an die Bulgarien irgendwelche Ansprüche geltend machte, und die, infolge der Vernichtung Jugoslawiens und mit Einverständis der Deutschen, von bulgarischen Einheiten besetzt worden waren. Das Lager war nicht bewacht, so daß man zu den Gefangenen freien Zutritt hatte. Wißbegierige kleine Jungs waren hier natürlich die allerersten. Allerdings waren die Kontakte nur wenig effektiv. Mit den Jugoslawen gab es eine Menge zur reden, aber was die griechische Sprache betraf, so konnte ich mich nur noch an die Zahlen von Eins bis Zehn, was für eine Unterhaltung ziemlich nutzlos war. Jegliche Ioperationen kommerziellen Charakters fanden ebenfalls kein Interesse. Die Kriegsgefangenen hatten keine Möglichkeit mit irgendetwas zu handeln; sie konnten höchstens gegen Tabak Fliegermützen, Feuerzeuge oder andere Kleinigkeiten eintauschen, die sich in der Jünglingswirtschaft bisweilen als wertvolle Utensilien erwiesen. Das Lager existierte etwa einen Monat, dann „löste es sich in Wohlgefallen auf“. Die Deutschen entließen die Griechen, wohl um den Italienern eins auszuwischen, in die einzelnen Häuser – als Zeichen für die Anerkennung ihrer Kühnheit. Das berührte die Jugoslawen, die in der bulgarischen Besatzungszone lebten. Das Leben lief wieder in seinen gewohnten Bahnen. Bald darauf wurde auch die Insel Kreta mit Hilfe der Luftlandetruppen erobert. Aus militärischer Sicht war das eine glänzende Operationh, besonders angesichts der Reklame, die mit viel Aufhebens in den illustrierten Zeitschriften und wöchentlichen Kinobetrachtungen gemacht wurde. Âuf diese Weise entfernte sich der Krieg, der uns um ein Haar mit seinen Flügeln gestreift hätte, wieder um einige hundert Kilometer.

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