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P. Sokolow. Schlaglöcher

Zur Kenntnisnahme für die Autoren der „Geschichte Rußlands im XX. Jahrhundert“.

Das vorliegende Buch wurde 1991 geschrieben und war in erster Linie für den häuslichen Gebrauch bestimmt. Den Anstoß für dieses Buch gab meine Überzeugung, daß jeder gegenwärtige Staatsbürger seines Landes nicht nur die Geschichte seiner Heimat , sondern auch die Geschichte seines Geschlechts, seiner Familie kennen sollte, damit er sich an politischen Ereignissen orientiert und in diesem Zusammenhang eine bewußte und aktive Position einnehmen kann. Als Stimulanz für diese Arbeit diente auch die sogenannte „Perestrojka“, die unter der Losung der Freiheit des Wortes und der Wiederherstellung der historischen Wahrheit einen solchen Haufen an Erfindungen und zielgerichteten Lügen angeschwemmt hat, wie sie ihn sich nicht einmal die berüchtigten „Geschichtsfälscher“ der Sowjet-Ära hätten träumen lassen. Das Werk besteht aus drei Büchern: das erste umfaßt die in der Emigration verbrachten Kinder- und Jugendjahre vor dem Hintergrund des Emigrantendaseins und der politischen Ereignisse in Europa vor dem Krieg. Es trägt den Titel „TSCHUSCHDENZI“ („Die Fremden“; Anm. d. Übers.), wie Ausländer in Bulgarien genannt wurden, wo sich die beschriebenen Geschehnisse auch abspielten. Das zweite Buch, „DIE SÖLDNER“, umfaßt die Kriegsjahre und steht in Zusammenhang mit den Aktivitäten verschiedener militärischer Formierungen, die von den Hitler-Leuten aus Weiß-Emigranten und Kriegsgefangenen für den Kampf gegen den „Bolschewismus“ geschaffen wurden. Diese, wenngleich äußerst unschöne, Episode stellte auch einen nicht wegzudenkenden Teil der russischen Geschichte des XX. Jahrhunderts dar und ist gleichzeitig die unabdingbare Wahrheit darüber, inwiefern Versuche unternommen werden, elementaren Verrat und Selbstsucht als bedeutsame Idee der Befreiung Rußlands vom Joch des „Imperiums des Bösen“ heranzutragen.

Das dritte Buch – „DER HIMMEL IM KÄFIG“ – beinhaltet den Zeitraum von 1944 bis 1954; darin wird das Umherirren in den Gefängnissen und Lagern des NKWD sowie Begegnungen mit verschiedenen Menschen beschrieben, das heißt ein breites Panorama jener Welt, die damals zur sowjetischen Wirklichkeit gehörte. In allen drei Büchern gibt es keine erdachten Ereignisse und Personen. Alle Namen sind authentisch. Ich denke, daß die Autoren bei dem tatsächlichen Wunsch, ein objektives und vielseitiges Bild vom Rußland des XX. Jahrhunderts zu schaffen, in meinen Aufzeichungen wertvolles Material finden werden. Ich würde meine Notizen gern durch eine kurze Darstellung der Ereignisse in meinem Leben ergänzen, die über das hinausgehen, was im Buch beschrieben ist. Im Jahre 1957 zog ich nach Krasnojarsk um. Es gelang mir, Kontakt zu einer Verwandten herzustellen, die in Sofia (das ich im ersten Teil meines Buches erwähnt habe) gelebt hatte, und mit ihrer Hilfe ein Duplikat meines Reifezeugnisses zu bekommen, das von einem bulgarischen Gymnasium ausgestellt wurde. Dadurch wurde es mir ermöglicht, meine Ausbildung fortzusetzen und schließlich meinen Abschluß am Irkutsker Institut für Fremdsprachen zu machen. Mit dem Institutsdiplom in der Tasche bekam ich Arbeit in einer Schule, an der ich mehr als 20 Jahre tätig war, zuerst als Fremdsprachen-Lehrer und später als Lehrer für militärische Grundausbildung. Auf diesem Posten hatte ich nicht nur viel Arbeit unmittelbar an der Schule, sondern auch innerhalb des Bezirks und der Stadt. Ich wurde Mitglied des Bezirks- und Stadtstabes für militärisch-sportliche Arbeit, Mitglied des Bezirkskomitees der DOSAAF
(Allrussische freiwillige Gesellschaft zur Mitwirkung in Armee, Luftfahrt und Flotte der UdSSR; Anm. d. Übers.). Ich wurde für zwei Amtsperioden zum Volksschöffen des Bezirksgerichts gewählt. Aufgrund all dieser Tätigkeiten verlieh man mit dutzende Ehrenurkunden von verschiedenen Instanzen auf Bezirks-, Regions- und Allunionsebene. Ich ging mit der Ehrenbezeichnung „Veteran der Arbeit“ und einer Ehrenmedaille in Rente. Ich erwähne dies deshalb, weil meine vergangenen „Sünden“ überhaupt keine Dekreditierung bei den Behörden hervorriefen. Mir wurde auch mehrfach der Vorschlag gemacht, der kommunistischen Partei beizutreten, aber ich wollte mein Leben nicht an irgendwelche Verpflichtungen knüpfen, das nachreden, was andere mir vorsagten, oder so handeln, wie es anderen vorschwebte. Für den Fall, daß es notwendig wird oder der Wunsch besteht, weitere Information zur erhalten, kontaktieren Sie mich bitte unter der Adresse: Krasnojarsk, Medizinskij pereulok Nr. 5, Wohnung 16. Telefon (3912) 61-31-86.

P.P. Sokolow

ANSTELLE EINES VORWORTES

Als es zum ersten Mal läutete und dein Zug zur Abfahrt nach Nirgendwo bereit war, da empörten sich die Gedanken immer öfter über die Unsinnigkeit und Ungerechtigkeit dessen, daß die ganze Erfahrung, die man im Laufe seines langen Lebens mit all seinen Krümmungen, Fehlern, Verlusten und Fundsachen gesammelt hat, nun plötzlich an irgendeiner Linie abbrechen soll, wenn du gerade an der Schwelle zur Weisheit stehst, wenn du beginnst, sowohl den Sinn deines Lebens als auch das Wesen der Menschheitsprobleme zu begreifen.

Man möchte gern, daß dies mühsam erworbene Erfahrung mit dir in eine andere, vielleicht weit entfernte, Welt hinübergeht, oder daß sie wenigstens in dieser Welt zurückbleibt, z. B. in der Gestalt eines Katers mit spärlichem Fellwuchs, wie in dem bekannten Lied von Wysozkij. Aber der gesunde Menschenverstand sagt einem, daß das alles Metaphysik ist und daß du bloß ein Stückchen eines organischen Moleküls bist, dessen Schicksal sich lediglich in einen stinkenden Haufen verfaulten Fleisches verwandelt.

Daher ist die einzig reale Möglichkeit, wenigstens einen geringen Teil seiner Gedanken und Erfahrungen zu bewahren , sie jenen zu übertragen, die sich auf dem durch die vergangenen Generationen eingefahrenen Pfad bewegen – nämlich ihren Kindern. Und wenngleich ich weiß, daß die Erfahrung der Vorgänger-Generationen die nachfolgenden Generationen nicht von der Wiederholung früher begangener Fehler abhalten und sie auch nicht verhindern kann, daß neue gemacht werden, so können diese Zeilen dich, mein Sohn, doch wenigstens zum Nachdenken zwingen, bevor du den nächsten Schritt in deinem Leben vollziehst, dich zwingen innezuhalten, so lange es nicht zu spät ist.

Nach meiner Geburt lebte ich die ersten Jahre meines Lebens in jener Zeit, in der es noch keine Fernseher gab, als Radios eine Seltenheit waren und alle übrigen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für den Geldbeutel nicht in Frage kamen. Aus diesem Grunde verlief die Freizeit der Familie hauptsächlich mit gemeinsamen Unterhaltungen, in die auch Erinnerungen über damals und heute, über Verwandte und Bekannte eingeflochten wurden, die mit diesen oder jenen Ereignissen in Zusammenhang standen. Aus diesen gemütlichen Gesprächen erfuhr ich zuerst von Peter und Napoleon, der Verteidigung Sewastopols und dem Befreiungskrieg gegen die Türken 1877-78, den Schlachten des 1. Weltkrieges, den Revolutionsereignissen und dem Leidensweg der kleinen Leute, die vom Wirbel der großen Geschehnisse erfaßt worden waren. Als ich daher später anfing, die Geschichte zu studieren, ließen ihre Seiten vor meinen Augen das Leben der mir nahestehenden Menschen wiederaufleben, Menschen, die ich teilweise nur dem Namen nach kannte, die jedoch durch unsichtbare und dauerhafte Fäden mit meinem eigenen Leben und Schicksal verflochten waren. Und diese organische Verbindung der Geschichte meiner eigenen Familie mit dem Schicksal und der Geschichte des Volkes und des Staates bestimmte in vielerlei Hinsicht die weitere Entwicklung meines gesamten Lebens voraus. Die Zukunft nährt sich von der Gegenwart, die Gegenwart ist nicht möglich ohne das Vergangene. Die Vergangenheit – das sind jene Wurzeln, die den lebenden Baum des heutigen Tages und seine Triebe von morgen ernähren. Wird der Fluß dieser Lebenssäfte unterbrochen und fliegen die verwelkten und vertrockneten Blätter vom Wind auseinander, dann jagen sie über die Erde dahin, und es gibt nichts, woran sie hängenbleiben.

Das ist die erste Wahrheit, die ich von Kindesbeinen an begriffen habe, als ich im fremden Lande lebte und weder Ziele noch Perspektiven sah. Die HEIMAT, ihr Schicksal, ihr Volk, ihre Erde – das ist es, was für mich der Ausgangspunkt und die Voraussetzung für ein ganzheitliches und pulsierendes Leben war. Ohne sie ist der Mensch – nutzlos, ohne Gattung, ohne Stamm, ohne wahres Glück. Nun, diesen Gedanken möchte ich dir, mein Sohn, gern zuallererst vermitteln, du Sohn des russischen Volkes, Sohn des großartigen Rußland.

Teil 1. Kindheit

Teil 2 . Jugend

2. Buch. „Die Söldner“

Teil 3. Die Condottieri

III. Buch. „Der Himmel hinter Gittern“. 1944 – 1954

Teil V. Inden Labyrinthendes NKWD

Teil VI. Die Republik “Wjatlag”

Teil VII. „Das Oserlag“

Teil VIII. “KamyschLag”


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