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P. Sokolow. Schlaglöcher

Teil 2 . JUGEND

Kapitel 13. Die Ruhe vor dem Sturm

 „Schorschik“ (verächtlicher Spitzname prüder Garde-Offizierchen) nimmt
am Abendmahl teil. Er hebt seine Lorgnette an die Augen und wirft
einen Blick in den Kelch. „Was? Roten?! Roten trinke ich nicht!“
(Anekdote aus den höheren Kreisen der Gesellschaft)

Von den weitreichenden Problemen kehre ich erneut zu den persönlichen zurück, die natürlich mit den allgemeinen Umständen im Lande und in der Welt untrennbar verbunden waren. Die Zuspitzung der militärischen und politischen Situation brachte mich mit Chanows Vater zusammen, denn durch meine Teilnahme an den heißen Diskussionen am Rundfunkempfänger, bei denen auch meine Freunde sowie der erwachsene Freundeskreis des Hauses Chanow anwesend waren, entdeckte ich eine ziemlich große Übereinstimmung der Ansichten und Sympathien vor allem zu Viktor Petrowitsch Chanow. Er war ein hochgewachsener, hagerer Mann von undefinierbarem Alter, Er hatte eine recht merkwürdige Gangart, krumm, mit irgendwie kraftlos herunterhängenden Armen. Sein Gesichtsausdruck war stets weich und wohlwollend. Ich habe niemals gesehen, dass er böse wurde oder anfing zu schreien. Sie lebten in ärmlichen Verhältnissen, aber ihr Haus stand nichtsdestoweniger allen offen. Es gab dort stets viele Leute, nicht nur eigene Verwandte, sondern auch Fremde. Und immer wohnte bei ihnen irgendein armer Teufel, obwohl sie selber nur so ein bescheidenes Dach über dem Kopf hatten. Mit Chanows Vater redete ich nicht nur in Gesellschaft mit anderen, sondern häufig auch unter vier Augen, um mit ihm meine Meinungen und Zweifel zu teilen. Aus seinen nicht ausgesprochenen Gedanken verstand ich, dass ihm das sowjetische Rußland nicht nur sympathisch war, sondern dass er auch in einer kommunistischen Organisation mitwirkte, bei der es sich selbstverständlich um eine konspirative Untergrundbewegung handelte. Während unserer Unterredung kamen wir auf meine Auftritte im Invaliden-Haus zu sprechen; er verurteilte sie auf das Heftigste, weil er sie für den Ausdruck einer nichtssagenden politischen Opposition hielt, die keinerlei Sinn und Nutzen versprach, und die für mich nicht nur erhebliche Unannehmlichkeiten nach sich ziehen, sondern auch die Aufmerksamkeit der Behörden auf mich lenken konnten, so dass auf diese Weise meine Teilnahme an wahrer politischer Arbeit als unerwünscht eingestuft werden würde. Übrigens hatte ich das alles auch schon selber begriffen und insgeheim beschlossen, die Spannungen in den Beziehungen mit dem Emigranten-Umfeld zu meiden. Da sich gerade die Osterzeit näherte, fing ich zunächst damit an, die Kirche zu besuchen; ich äußerte sogar den Wunsch zu beichten und das Abendmahl zu empfangen – eine weit verbreitete Sitte unter den Getauften. Im bulgarischen Gymansium erfolgte dies sogar ganz planmäßig. Allerdings lief dort die Prozedur ein wenig anders und viel eindrucksvoller ab. Nach dem Gottesdienst und nach erfolgtem Aufruf durch den Geistlichen knieten alle nieder und bereuten in Gedanken ihre Sünden. Der Pope kniete ebenfalls nieder, das Gesicht seiner Glaubensgemeinschaft zugewandt, und er sah dabei so aus, als ob auch er stillschweigend seine Sünden bereute und vor den anderen Buße tat. Nach der Beichte, im Laufe des nächsten Gottesdienstes, der im allgemeinen am folgenden Tage stattfand, wurde das Abendmahl ausgeteilt. Der Geistliche, der mit dem Kelch in den Händen vor den „Zaren-Toren“ (Altar-Türen, die das Tor zum Paradies symbolisieren; Anm. d. Übers.) stand, reichte jedem Abendmahlsempfänger auf einem kleinen, langstieligen Löffelchen ein Stück Hostie (einer speziellen Art von trockenen Brötchen), das in Wein schwamm und die Teilhabe des Gläubigen an Leib und Blut Christi symbolisieren sollte, welche dieser der Welt zum Erlaß ihrer Sünden geopfert hatte. Nach Erhalt des Abendmahls begab sich der Gläubige zu einem anderen Kirchendiener und nahm aus einem Gefäß, das einer Schöpfkelle ähnelte, einen Schluck „Herrlichkeit“ – Wein (ein spezieller „Kirchen“wein von dunkelroter Farbe, mit einem sehr charakteristischen, angenehmen Geschmack), der mit warmem Wasser versetzt war. Nach russischem Brauch war das im wesentlichen ganz genau so, nur wurde die Beichte individuell abgehalten. Der Sünder bereute vor dem Geistlichen, ging danach auf die Knie nieder, und der Geistliche erließ ihm seine Sünden, nachdem er ihn mit einem Epitrachelion (stolaartiges Band, das Priester der Ostkirche beim Gottesdienst um den Hals tragen; Anm. d. Übers.) bedeckt hatte. Das Beichtgeheimnis war sowohl in juristischer als auch in moralischer Hinsicht unverletzlich, aber trotzdem handelte es sich um eine unangenehme Prozedur, besonders wenn du mit dem Popen nicht in Eintracht lebst und keinen Groschen für seine Heiligkeit geben würdest. Nichtsdestoweniger mußte man die Bräuche einhalten. Es geschah am Kar-Samstag, dem letzten Tag vor Ostern, und das Abendmahl sollte vor dem Frühgottesdienst stattfinden, der um Mitternacht mit dem Einbruch des Sonntags abgehalten wurde. Ich mochte diesen Gottesdienst. Er begann am Abend in der halbdunklen Kirche, die überall mit schwarzen Stoffen verhängt war. Leise und voller Trauer erklangen Lieder, die im Zusammenhang mit dem Tod und dem Begräbnis Christi standen. Anschließend gehen alle Gläubigen hinter dem Geistlichen mit brennenden Kerzen aus der Kirche und umkreisen das Gebäude. Während dieser Zeit werden im Kirchen-Innenraum in aller Eile sämtliche schwarzen Tücher entfernt, und das „Interieur“ glänzt und erstrahlt wieder in seinen prächtigen Farben und Vergoldungen. Alle Gläubigen begeben sich wieder in die Kirche. Der Geistliche geht zum Altar, zieht seinen hellen Talar an und verkündet, während er die Zaren-Tore öffnet: „Christus ist auferstanden!“, und sogleich beginnt der Chor in voller Lautstärke ein fröhliches Motiv aus dem österlichen Lieder-Repertoire zu singen: „Christ ist erstanden von den Toten, der Tod hat alles wieder gut gemacht...“ und so weiter. Die Menschen küssen einander dreimal mit den Worten: „Christus ist auferstanden!“ – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Und dann gehen sie mit ihren brennenden Kerzen nach Hause und setzen sich an den festlich gedeckten Tisch. Über der Stadt erhebt sich das vielstimmige Geläut der Kirchenglocken. Ein schöner, fröhlicher Feiertag! Und am Vorabend eines solchen Tages begab auch ich mich zur Beichte zum Fürsten Uchtomskij. Er war übrigens ein Taktiker, denn er zerrte nicht mit aller Gewalt die „Sünden“ aus mir heraus, sondern hielt mir eine nicht sehr lange Moralpredigt und erinnerte mich an die evangelischen Denksprüche, dass im Himmel eine viel größere Freude über einen reuigen Sünder, als über hundert Fromme herrscht, die einer reuevollen Beichte nicht bedürfen. Ich weiß nicht, inwieweit ich mich über die Frommen im Himmel freute, denn nach der Beichte einigte ich mich zunächst mit Baruch, der als Kirchendiener in dieser Kirche tätig war, dass er dem Wein „keine Wärme verleihen“ sollte, zweitens schlich ich mich in den nahegelegenen Blumenzuchtbetrieb und pflückte einen Blumenstrauß, den ich Walja Beschlebnaja versprochen hatte, einem Mädechen, das etwas älter war als wir und ziemlich weit von unserer Siedlung entfernt wohnte; und ihre Gegenlietsung dafür sollte der dreifache Osterkuß sein. So dass ich also zwischen Reue und Buße, wo man, gereinigt von seinen Sünden, über das weitere Leben nachdenken sollte, um nicht gleich erneut sündig zu werden, unverzüglich wieder meine Alltagsbrille zur Verfügung des Satans aufsetzte. Übrigens wurden die sündhaften Pläne ausgeführt – ich „war entflammt“ und begleitete Walja, wobei ich sie einige Male mehr küßte, als die Religion es eigentlich vorsah. So oder so war ich vor dem Angesicht von Kirche und Öffentlichkeit rehabilitiert. Zu dieser Zeit hatte sich in einer der nahegelegenen Villen eine größere Gruppe deutscher Seeleute niedergelassen. Das brachte mich zum Nachdenken. Der Krieg war zuende, bis zum Meer war es weit – aber was machten die Seeleute hier? Meine Zweifel teilte ich mit Chanow. Er war ebenso besorgt wie ich und riet mir, mit den Matrosen Kontakt zu knüpfen und die Gründe für ihren hiesigen Aufenthalt herauszufinden. Damals gewann ich meine Kenntnisse der deutschen Sprache, die ich damals am Russischen Gymnasium erlernt hatte, ganz gut wieder zurück, teils durch den Umgang mit den Deutschen und teilweise deswegen, weil ich die Sprache mit meiner Mutter trainierte. Deswegen stellte diese Aufgabe der Kontaktaufnahme für mich keine große Schwierigkeit dar. Ich brachte sogar zwei meiner Bekannten mit in Chanows Haus – Günter, ein bescheidenen, jungen Studenten, sowie den gewandten Seemann Otto, der den unverständlichen Rang eines Bootsmanns und Matrosen innehatte, nicht besonders klug, dafür aber auch nicht abgeneigt war, ab und an einen Schluck zur Brust zu nehmen. Nachdem man Otto und seinen Kameraden hinreichend überzeugt hatte, dass man die beiden „respektierte“, wurden sie ein wenig entspannter, und es gelang, von ihnen zu erfahren, dass sie Nachrichtensoldaten bzw. Funker waren, die darauf warteten, nach Varna, ans Schwarze Meer, verlegt zu werden, wo ihre Basis eingerichtet werden sollte. Ich persönlich begriff nicht, worin der Wert einer solchen Auskunft lag und wieso Chanow damit so zu frieden war und blieb. Ich verstand das erst später. Aber erst einmal mußte ich die Prüfungen für das Reifezeugnis ablegen. Dies betraf nicht nur mich, sondern auch Kot und Wanka. Baruch hatte die Schule bereits ein Jahr zuvor beendet, während Kostja Chanow und Danil erst im nächsten Jahr an der Reihe waren. Um etwas weiter von den Versuchungen des weltlichen Lebens entfernt zu sein, wurde von uns dreien beschlossen, dzu mir überzusiedeln. Wir packten alles Nötige zusammen, erarbeiteten einen strengen Aufgabenplan und eine strikte Tagesordnung, in der sogar das Trinken von schwarzem Kaffee zum Erhalt der geistigen Arbeitsfähigkeit vermerkt war. Für die Vorbereitungen benötigten wir zwei Wochen. Obligatorische Konsultationen gab es nicht. Kostja und Danila hatten bereits Ferien und kamen zu uns zu Besuch. Diese Besuche entwickelten sich schnell zu Diskussionen oder Spielen, und unser Zeitplan war schnell zunichte gemacht. Dann kamen wir zu der Überzeugung, dass eine übermäßige geistige Belastung ungünstig für die Festigung von Kenntnissen war und revidierten demzufolge das Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit zugunsten der letztgenannten, wobei der Zeitplan schließlich täglich überprüft wurde, bis sich die Pflichten rasant gegen Null richteten, ähnlich jenen Differenzialen, die wir wiederholen sollten. Am Vorabend des ersten Examenstages im Russischen Gymansium, ich glaube es ging um Literatur, wurde von uns beschlossen, sich jeglicher Gedanken daran gänzlich zu entledigen, und so gingen wir am Abend zu dritt auf irgendeine Tanzfete, wo wir eine Bulgarin kennenlernten, eine ehemalige Arbeiterin in der Weberei hinter dem Fluß. Sie machte Eindruck auf uns, und schaffte es, unermüdlich die Aufmerksamkeit von uns dreien auf sich zu lenken. Als die Veranstaltung zuende war, wollten wir sie nach Hause begleiten. Ich versuchte vergeblich, meine Freunde davon zu überzeugen, dass sie sich vor den Prüfungen noch ausruhen mußten, dass sie nach Hause gehen sollten. Jeder von ihnen brachte seine Argumente vor und bemühte sich seinerseits, die anderen beiden loszuwerden. Schließlich kehrten wir alle drei um zwei Uhr nachts unverrichteter Dinge nach Hause zurück, und fast bis zum Morgengrauen vernahm man aus allen Ecken immer wieder verzweifelte Seufzer. Am Morgen gingen Kot und Wanka zur Schule, um ihre Examensarbeiten zu schreiben, während ich mich zum Gymnasium begab, um dort den Zeitplan für die Examine zu erfahren. Zu meinem Schrecken vernahm ich, dass die erste Arbeit bereits am Vortage stattgefunden hatte. Ich mußte mich ordentlich rühren, bevor ich endlich die Erlaubnis erhielt, die Arbeit zusammen mit der zweiten Gruppe zu schreiben. Ohne mich in weiteren Einzelheiten zu ergehen, sage ich, dass ich trotz meiner leichtfertigen Lebensweise alles erfolgreich absolvierte und die Bescheinigung darüber erhielt, dass ich, Pawel Pawlow Sokolow, geboren in der Stadt Ochrane, Angehöriger des orthodoxen Glaubens, das Gymansium mit der Note 4,82 (entspricht nach hiesigem System der Note 1-2; Anm. d. Übers.) und beispielhaftem Benehmen absolviert hätte. (Wenn die gewußt hätten....!). Die Examenszeit war bei uns im Juni und Anfang Juli,und am 12. Juli, an meinem Namenstag, sollte die Abschlußfeier mit Aushändigung der Zeugnisse stattfinden. Allerdings war dieser Zeitraum in jenem Jahr nicht nur vom Schulende, Prüfungsängsten und kleineren Freuden gekennzeichnet – es drangen auch, wie mit einem Bohrer, Ereignisse von globaler Bedeutung ins Leben, vor denen alle anderen Dinge in den Hintergrund gerieten. Anfangs deutete nichts auf einen heftigen Sturm hin und, wie ich bereits schrieb, bereiteten wir uns ungestört, oder besser gesagt, wir bereitetetn uns nicht auf unsere Examina vor. Das Auftauchen der Seeleute, das zunächst leichte Sorgenfalten verursacht hatte, nahm meine Gedankenwelt nicht allzu lange ein. Doch einmal erschien auf der ersten Zeitungsseite, wenn auch ohne auffällige Überschrift, eine Erklärung der russischen Regierung darüber, dass sich im Ausland übel gesinnte Gerüchte über angebliche Reibereien in den sowjetisch-deutschen Beziehungen breitmachten. Die Gerüchte wurden dementiert und stattdessen Angaben über friedliche, gute nachbarschaftliche Beziehungen angeführt. Der aufdringliche Ton verneinte das Eine und versuchte, das Andere zu beweisen, wo bei nichts wirklich überzeugend wirkte, sondern vielmehr ein gewisses Gefühl er Besorgnis zurückließ. Natürlich erregte diese öffizielle Erklärung Aufmerksamkeit und wurde vor allem im russischen Milieu erörtert und auf unterschiedliche Weise kommentiert. In jenen Tagen,und auch schon früher, hatten deutsche Truppen begonnen, sich aus Griechenland herauszubewegen – Lieder singend und mit Aufschriften auf den Fahrzeugen, wie zum Beispiel „Zu Mutti!“ Einmal jedoch, am 16. oder 17. Juni, machte eine dieser Kolonnen gegenüber dem Chanowschen Hause halt, in dem Wanka und ich uns gerade befanden. Wir gingen hinaus, um uns das genauer anzuschauen, und wurden sogleich von den Soldaten umringt,gar nicht nach Hause zurückkehren, sondern vielmehr als Gegner Rußlands nach Rumänien verlegt werden sollten. Vor lauter Aufregung konnte ich kein einziges deutsches Wort mehr herausbringen, und so versuchte ich es auf Französisch. Es fand sich auch ein Deutscher, der diese Sprache beherrschte, und mit seiner Hilfe erklärte ich ihnen, welche Information über wohlwollende Beziehungen zwischen Deutschland und der UdSSR in den Zeitungen zu lesen stand. Aber offensichtlich überzeugte dies niemanden; die besorgten Fragen und Antworten versiegten nicht, bis sich, nach einer kurzen Erholungspause, die Kolonne wieder in Marsch setzte. Der Tatbestand war viel zu wichtig und besorgniserregend, als dass man ihn hätte ignorieren können. Chanows Vater war nicht zuhause, warten konnte ich nicht, und so ging ich unverzüglich in die Stadt, in den russischen Buchladen, wo, wie ich schon berichtete, ich eine „Tschekisten“-Verkäuferin kannte. Es war gegen Abend, es gab nur wenige Kunden, und ich erzählte der Verkäuferin, was ich an diesem Tage gehört hatte. Zu meiner Verwunderung, und sogar zu meiner Verärgerung, war sie keineswegs beunruhigt, sondern hielt mir stattdessen einen Vortrag über provokatives Verhalten, indem sie auf die mir bereits bekannten Nachrichten der TASS verwies. All das ereignete sich zu Beginn der Woche. Am Sonntag schliefen wir etwas länger. Als ich aus dem Haus trat, es war ein klarer, wolkenloser Morgen, da vernahm ich plötzlich, ich weiß schon nicht mehr von wem, das glühende Wort: KRIEG!

[Nachdem dieses Buch geschrieben war, hörte ich in einer Fernsehsendung, dass die Nachrichten über eine bereits in Vorbereitung befindliche Invasion Deutschlands in die UdSSR aus Bulgarien gekommen waren. Vielleicht war in diesem Fluß der Informationen auch mein kleines Bächlein enthalten.]

Das Wort war plötzlich in aller Munde. Die Leute kauften die Zeitungen auf. Ich rannte zu den Chanows, wo sich trotz der frühen Stunde schon eine Menge Leute eingefunden hatten. Alle drängten sich um den Rundfunkempfänger. Nach dem Mittageseen gab es eine Ansprache aus Moskau. Die Mitteilungen überstürzten sich. Es war schwer zu begreifen, was eigentlich geschehen war. Man könnte ein ganzes Buch allein darüber schreiben und berichten, was sich allein an diesem einen Tag ereignete. Niemanden ließ dies gleichgültig.

Die Emigranten gerieten in Bewegung und spalteten sich sogleich in zwei Lager. Die Einen rieben sich schadenfroh die Hände und solidarisierten sich mit den Sowjets. Alles geriet durcheinander. Der ehemalige Oberkommandierende der Weißgardisten, Denikin, reif zur Vereinigung im Kampf gegen Deutschland auf, unsere Popen rief zu Gebeten und Fürbitten für den Sieg der deutschen Waffenmächte auf. Was die Paraguayer anging, so waren diese von einem patriotischen Höhenflug ergriffen. Wir grölten sowjetische Lieder, sahen mit bösen Blicken auf die vorüberfahrenden Deutschen und ähnelten wohl sehr stark drei Montenegrinern, die, als sie sich gerade im Augenblick der Kriegserklärung zwischen Serbien und der Türkei in Stambul befanden, eine telegrafische Anfrage versandten, ob sie wohl nach Serbien zurückkehren oder lieber an Ort und Stelle eine zweite Front eröffnen sollten.

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