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P. Sokolow. Schlaglöcher

2. Buch. „Die Söldner“

Teil 3. Die Condottieri

Kapitel 15

„Heute wie gestern. Ohne Ziel und Nutzen
Gehen sie in grauen Reihen fort – für immer.
Tag für Tag, Woche für Woche –
Und es sind die jungen, die besten Jahre.

Abgestumpft ist der Gedanke, alle Bemühungen sind abgestorben,
In der Hitze verschwindet alles saubere und höhere Bestreben,
Geblieben sind der Seele nur noch Bosheit und Zweifel,
Und die geffeselten Leidenschaften eines längst erloschenen Feuers.

Ein ruhmloser Condottiere, nutzlos und vergessen,
Du selbst hast mit dir Mitleid, machst dich vor allen anderen lächerlich.
Der Don Quijote unserer Tage; für den Preis eines zerstörten Lebens
Machst du deinen unsinnigen Traum wahr.

Leb’ du nur wie ein Stück Vieh. Vielleich kommt schon bald die Zeit,
Wenn sie dich hin zur Schlachtbank treiben.
Trage wie zuvor schicksalergeben deine Last,
Singe, sei fröhlich und lache ... über dich selbst!“

Deutschland 1943

Der Zug ratterte ohne Eile vorwärts; dazwischen gab es lange Aufenthalte. Zum ersten Mal überschritt ich als Erwachsener die bulgarische Grenze und betrachtete gierig die mich umgebende Welt. Übrigens war der Unterschied nicht sonderlich groß: unansehnliche Dörfer, alte, zwei- bis dreigeschossige Stadthäuser. Ab und an huschten auf einer Lichtung oder am Wegesrand vereinzelte oder dicht zusammenstehende Kreuze vorüber, auf denen Helme steckten – kurzlebige Denkmäler des Krieges. An den Bahnstationen zogen Menschen mit mir unbekannten Mützen, sogenannten „Schaikatschas“ (serbische, schirmlose Mütze; Anm. d. Übers.), meine Aufmerksamkeit auf sich, die zudem in einer mir zwar nicht bekannten, doch annähernd verständlichen Sprache redeten. Eine merkliche Lebhaftigkeit verursachte ein plötzlich auftauchender Bahnarbeiter, der über irgendjemanden lästerte, wobei er nicht nur seine Eltern, den lieben Gott und alle Heiligen erwähnte, sondern sogar „all seine Zähne mit all seinen Plomben“. In Belgrad trafen wir in der Nacht ein. Dort nahmen Leute in unbekannten Uniformen unseren Zug in Empfang, und wir machten uns sogleich zufuß auf den Weg in unsere zukünftige Unterkunft. Es herrschte Verdunklungspflicht, so dass es schwierig war, im äußerst spärlichen Lichtschein der Laternen irgendetwas zu erkennen. Eine gut asphaltierte Straße führte ganz bis auf den Berg hinauf, und schließlich befanden wir uns im Kasernenhof. Unweit des Eingangs hoben sich als dunkle Kolosse zwei Fahrzeug-Konturen ab, was ein ehrerbietiges Getuschel innerhalb der Formation auslöste. Es waren auch schon Schlafstellen in geräumigen Zimmern vorbereitet worden, so dass wir uns ziemlich schnell schlafen legen konnten. Am Morgen sahen wir uns ein wenig genauer um. Das Kasernengelände war weitläufig, umgeben von einem hohen Zaun, hinter dem ebensolche Kasernenblocks anderer Truppenteile zu sehen waren. Das Gebäude war drei Stockwerke hoch und machte einen sehr massiven und gediegenen Eindruck. Am Giebel befand sich die gewölbte stuckartige Aufschrift: „Drugi konitschki puk kralewe garde“. Ohne besondere Mühe konnte man daraus erkennen, dass hier früher einmal das Zweite Reiter-Regiment der königliche Garde einquartiert war. Die rätselhaften Fahrzeuge am Tor erwiesen sich als Traktoren aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, die sich offensichtlich seitdem in diesem leblosen Zustand hier befunden hatten. Nach den zahlreichen Pferdeäpfeln auf dem Asphalt zu urteilen, verließ man sich hier als Transportmittel offenbar am meisten auf zwei Pferdestärken, die ein alter Mann in grober Uniform, aber mit den Zickzackabzeichen eines Generals auf den Schulterstücken, regelmäßig wegfegte. Das sah aus, wie ein übler Traum. Endlich begann sich die Realität abzuzeichnen. Man gab uns die gleiche Uniform, wie sie für einen General-Hausmeister üblich ist, Wickelgamaschen, die wir der geistigen Einfachheit halber, aufwickelten, in dem wir sie auf voller Länge aufschnürten; und dann machten wir uns mit unseren Vorgesetzten bekannt. Die meisten von ihnen waren, genau so wie die gewöhnlichen Soldaten, ehemalige Weißgardisten im Alter von 40-45 Jahren. Ihren derzeitigen Rang erkannte man an den Kragenspiegeln, an den Sternchen und Streifen, während auf den Schulterstücken ihre früheren Ränge in der Weißen Armee gekennzeichnet waren. Dementsprechend wurden sie auch tituliert. Zum Beispiel: gewöhnlicher Soldat – Hauptmann Iwanow oder Leutnant – Oberst Nefedow. Auf diese Weise wurde das Alterchen mit dem Besen zum gewöhnlichen Soldaten – General NN. Wir, die jungen Leute, waren nicht gerade niedergeschlagen oder schockiert: wir waren mit dem Kopf voran in den Emigrantensumpf geraten! Von den schweren Gedanken lenkte uns die Waffenausgabe ein wenig ab – Gewehre aus jugoslawischer Produktion vom Typ Mauser, dazu Stutzsäbel in der Art, wie die Deutschen sie hatten, alelrdings waren diese hier wesentlich länger. Selbstverständlich fingen wir sofort an, sie zu reinigen und mit den Schlössern zu klicken. Nachdem wir wieder etwas zu uns gekommen waren, machten wir uns darn, die Gegend zu erforschen. In der Mitte des Hofes entdeckten wir eine turmähnliche Anlage, die vermutlich in der Vergangenheit mit der Wasserversorgung in Zusammenhang gestanden hatte. Jetzt befand sich dort so etwas wie eine Waffenwerkstatt, in der, nach den überall herumliegenden Maschinengewehrstreifen, Patronenhülsen und ganzen Patronen zu urteilen, Geschosse repariert und getestet wurden. Alle Exkursanten stopften sich in aller Eile sämtliche Taschen mit Patronen voll. Ein oder zwei Tage später hatte ich Stubendienst und war gerade dabei im Korridor den Fußboden zu scheuern. Es handelte sich um einen Marmorfußboden, und die Arbeit an sich war, wenn auch nicht eben angenehm, so doch wenigstens nicht sonderlich lästig oder beschwerlich. Zu dieser Zeit kam der Chef des Stabsregiments, ein ehemaliger Offizier der jugoslawischen Armee, einer der wenigen gescheiten und verständigen Offiziere in diesem Heiligtum. Ich kannte noch nicht alle Feinheiten der Statuten, stand aber sogleich stramm und öffnete den Mund, um darüber Bericht zu erstatten, dass keine außergewöhnlichen Ereignisse vorgefallen waren. Aber da ertönte ein ohrenbetäubender Schuß: einer der Turmbesucher, der das Laden und Entschärfen seines Gewehrs geübt hatte, hatte in die Wand geschossen. Es erhob sich ein ungeheurer Lärm, alle mußten unverzüglich Aufstellung nehmen, und dann wurden ihnen die Patronen abgenommen, Ich, als Diensthabender, bekam ebenfalls ein paar Anweisungen ab. Aber das Gemeine daran war, dass ich, als ich mich meiner Schlafstelle näherte, sie nicht nur mit lauter Stückchen von herabgefallenem Stuck übersät fand, sondern auch entdeckte, dass meine kurze Sportjacke, die ich unter dem Kopfkissen versteckt hatte. an mehreren Stellen von Querschlägern durchschossen war. Später wurden wir über die Perspektiven unserer weiteren Tätigkeit aufgeklärt. Unser Korps sollte mit kriegsgefangenen Rotarmisten und Bewohnern der von den Deutschen besetzten Territorien aufgestockt werden, die den Wunsch geäußert hatten, gegen die Bolschewiken zu kämpfen. Die Jugend vereinigte sich zu einer Kompanie von Junkern und sollte das „Stammgerüst des Offiziersstabs der zukünftigen russischen Armee werden“. Man sammelte uns tatsächlich auf einem Haufen zusammen, nähte Tressen auf unsere Schulterstücke, und dann begannen wir uns sehr intensiv mit militärischen Dingen zu befassen. Ausgebildet wurden wir hauptsächlich von zusammen mit uns eingetroffenen Instruktoren aus den schwarzhunderter „Kompanien des Generals Kutepow“, den ich bereits zuvor erwähnte, sowie auch einige andere. An einen von ihnen kann ich mich gut erinnern: es war ein gewisser Kornett (veraltet: Fähnrich bei der Reiterei; Anm. d. Übers.) Tschechowskij. Zu jener Zeit traf eine Partie aus der Gefangenschaft freigelassener polnischer Soldaten ein, die ursprünglich aus der West-Ukraine stammten. Mit ihnen kam auch dieser polnische Kornett, den der Beauftragte des Korps offenbar aus lauter Mitleid wegen seines jugendlichen Alters zu sich geholt hatte. Er war ein tadelloses, nicht sonderlich großes Bürschchen mit einer klangvollen, herausfordernden Stimme. Er befaßte sich zusammen mit uns mit Vorbereitungen für den Kampf, und seine Stimme ertönte über den ganzen Platz. „Augen auf! Eins, zwei, drei!“ Er prüfte sorgfältig die Sauberkeit der Waffen und sprach aus, wenn er irgendetwas entdeckt hatte, was seiner Meinung nach nicht in Ordnung war: „Du halten Gewehr, als wenn umarmen Mädelchen!“ Als wir irgendwann gelernt hatten, wie man im Gleichschritt marschiert und ein Gewehr richtig schultert, führten sie uns in die Stadt. Unterwegs sahen wir ein komplettes Militärstädtchen, das auf einem recht hohen Hügel, man nennt ihn Banitsa, gelegen war, in dessen grüner Umgebung sich auch die Villen reicher Bürger und sogar die Vorort-Residenz des Fürsten Pawel befanden, dem ehemaligen Regenten nach der Ermordung König Aleksanders. Anschließend gingen wir durch die Straßen und befanden uns plötzlich in einer russischen Kirche. Ich weiß nicht, weshalb sie uns dorthin brachten und uns dann Spalier stehen ließen – mit Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten. Nach meinem Dafürhalten machten die Betbrüder keinerlei Anstalten eine Demonstration zu organisieren, und sie drohten auch nicht damit, die Popen mitsamt ihren Altären wegzufegen. In der Kirche war es langweilig uns stickig. Nach dem Gottesdienst führte man uns hinaus, wir mußten Aufstellung nehmen, und man erklärte uns, dass ma uns nach unserer Rückkehr in die Klaserne entlassen würde. Danach schulterten wir, umgeben von einer Menge neugieriger Kirchgänger und kichernder Mädchen, unsere Gewehre und wandten uns auf den Befehl „Rechtsum!“ in verschiedene Richtungen um, was eine stürmische Belebung unter den umstehenden Gläubig-Ungläubigen hervorrief. Mit dem ersten Abmarsch in die Stadt begann das Abenteuer. Noch während wir uns im Kirchhof versammelten, entspann sich zwischen uns und den belgrader Landleuten eine Unterhaltung über dies und das. In unserer Gruppe war der Gesprächspartner ein erst 16-jähriges Bürschchen, das jedoch in Sachen Schnellimbisse, Restaurants und anderen Vergnügungs- etablissements sehr bewandert war. Bulgarien war ein puritanisches Land, und von allen möglichen Arten von Freudenhäusern besaßen wir nur eine undeutliche und ziemlich irrige Vorstellung. In Jugoslawien existierten derartige Etablissements, unseren Kenntnissen nach, ganz offiziell, und wir waren sehr daran interessiert zu sehen, was es damit auf sich hatte. Unser Fernreiseführer nannte uns eine entsprechende Adresse. Nachdem wir, im Besitz einer geringen Summe Geldes, zum Ausgang in die Stadt entlassen worden waren, hatten wir es mit dem Übermütigwerden nicht eilig. Zuerst unternahmen wir einfach nur eine Stadtbesichtigung. Wir, das waren vier Leute: Aljoschka Walch, ein kahlköpfiger Dickwanst von etwa 30 Jahren, Lawruchin und noch jemand. Man kann nicht gerade sagen, dass die Stadt sich im Hinblick auf ihre Architektur sehr von Sofia unterschied, aber sie war irgendwie viel malerischer gelegen – auf Hügeln, und die die Stadt durchfließende Sawa, wasserreich und breit, bevor er in die Donau mündete, verlieh Belgrad einen zusätzlichen Effekt. Nur wenige Gebäude waren zerstört. Hier und da standen ein paar beschädigte Häuser. in der Hauptsache die Sitze von Regierungs- und Militärbehörden, was von der hohen Leistungsfähigkeit der JU-87 Sturzkampfbomber, aber auch von der Schwäche der Fliegerabwehr zeugte. Wir betraten eine kleine Kneipe, von der es in Belgrad unheimlich viele gibt. Wir studierten die Speisekarte mit den darin genannten Preisen für „Pitscha i Jela“
(Essen und Getränke; Anm. d. Übers.). Das Essen war für unsere Finanzen ziemlich teuer, die Getränke dagegen billig und vielfältig, und Liebhaber solcher Dinge unternahmen eine Verkostung des gesamten Sortiments. Später fanden wir eines der Objekte, die in unserem Reiseführer erwähnt waren – das „Soldatenheim“. Das war eine Einrichtung, die es in allen Garnisonen gab. In Belgrad handelte es sich dabei um einen zweigeschossigen Saal in einer der zentral gelegenen Straßen. Im unteren standen wohl bis zu 50 Tischchen, jeder für 4 Personen gedacht. Von morgens bis abends konnte man dort essen, wobei der Speiseplan in regelmäßigen Abständen geändert wurde. Morgens gab es Kaffee und Butterbrote, zum Mittagessen warme Gerichte, ab drei Uhr Bier und Butterbrote usw. Für eine Gruppe von mehreren Tischen war jeweils eine Kellnerin zuständig, die wie eine Krankenschwester gekleidet war. Dort kostete alles nur sehr wenig, und so verschwanden einige Freßsäcke, die auf Urlaub entlassen waren, für einen ganzen Tag in diesem „Heim“, um das gesamte Sortiment an warmen Mahlzeiten zu verschlingen. Am Eingang stand jeder Ein- oder Austretende, egal, ob Soldat oder Offizier, kurz stramm und erwies den Anwesenden seinen militärischen Gruß. In der zweiten Etage gab es einen Erholungsraum, wo man sich einfach nur hinsetzen, die dort herumliegenden Zeitungen und Zeitschriften lesen oder Damen und Schach spielen konnte. Nachdem wir alle Vorzüge dieser Institution und auch unsere Finanzen erforscht hatten, beschlossen wir, auch noch der letzten Adresse einen Besuch abzustatten. Auf dem Papier stand: „Pope-Lukin-Straße, Hausnummer, 4. Stock – und ein Name, ich meine Wukosawa Krstitsch“. Ich kenne die Verdienste dieses Popen Luka nicht, aber entgegen meinen Erwartungen, befand sich die Straße nicht in einem Elendsviertel, sondern in einer ruhigen Querstraße, direkt im Stadtzentrum. Haus Nr.... erwies sich als gediegenes, mehrstöckiges Gebäude mit breiter Treppe und Treppenabsätzen aus Mosaiksteinen. Wir waren noch ganz gefangen von der Vorstellung, dass sich hinter jeder Ecke ein Nationalist und Partisan verbarg. Deswegen machten Aljoschka und ich uns erst einmal zu einer Aufklärungstour auf, während die anderen beiden Teilnehmer unserer Expedition unten blieben, um uns Deckung zu geben. Nachdem wir in den vierten Stock hinaufgestiegen waren, sahen wir 4 Türen mit massiven Kupfergriffen, eine elektrische Klingelanlage im gedrechselten Rahmen und daneben ein paar Visitenkarten. Auf einer der Kärtchen lasen wir: Wukosawa Krstitsch (wird Kristitsch ausgesprochen). Die moderne Eleganz der Einrichtung erweckte den Verdacht, dass man sich über uns lustig machen könnte. Aber den Rückzug konnten wir nun schon nicht mehr antreten. Nachdem wir eine Weile unschlüssig dagestanden hatten, klingelten wir. Die Tür wurde von einer etwa 40-jährigen Dame in seidendem Morgenmantel geöffnet, der mit silbernen und goldenen Mustern versehen war. Sie sah eigentlich mindestens wie eine Professorenfrau aus. Sie erkundigte sich, was wir wünschten. Nachdem ich mit meinen Blicken die Entfernung bis zum unteren Treppenabsatz abgeschätzt hatte, begann ich in einem Gemisch slawischer Dialekte zu erklären, dass man uns gesagt hätte, dies wäre ein Ort, wo man sich die Zeit vertreiben könnte. Die Frau bat uns einzutreten. Sogleich ertönte Gelächter, und wir wurden von einer ganzen Schar Mädchen umringt. Sie faßten uns bei den Händen, lachten, und wir standen verwirrt und mit hochroten Köpfen da. Unsere Freunde, die unten stehen geblieben waren und sich inzwischen über unser langes Fortbleiben Sorgen machten, kamen im Laufschritt nach oben gerannt, um uns zu suchen und vielleicht sogar – zu retten. Das Dröhnen der Stiefel und Auftauchen von zwei weiteren jungen Männern löste eine leichte Verlegenheit unter den Vertreterinnen des ältesten Gewerbes der Welt aus, aber dann wurden die Neuankömmlinge zum Eintreten genötigt. Es war eine große, gut eingerichtete Wohnung mit einem geräumigen Saal, von dem mehrere Türen in einzelne Zimmer führten. Nachdem wir erste Bekanntschaft geschlossen und uns ein wenig akklimatisiert hatten, machte uns die Wirtin mit den Regeln und Tarifen ihres Etablissements bekannt. Im Großen und Ganzen kehrten wir mit äußerlicher Husaren-Bravour und einem verbliebenen Gefühl des Ekels auf der Seele in unsere Kaserne zurück. Weitere Besuche zu Madame Wukosawa unternahmen wir nicht. So verstrich ein ganzer Monat, neue Leute trafen ein. Aus den Reihen der aus Bulgarien Ausgereisten, aber auch aus den polnischen Ukrainern, wurden einige Bataillone formiert, und in der Luft schwebten Gerüchte über ihre baldige Entsendung nach Rußland. In dieser Zeit machten wir uns ein wenig näher mit den Organisatoren dieser gottlosen Einrichtung bekannt. Ihnen voran stand ein gewisser General Steivon. Er hatte ein sehr nichtarisches Aussehen, und nicht umsonst hatten böse Zungen sich folgendes Rätsel ausgedacht: „Was ist beim Deutschen vorne und beim Juden hinten?“ Es stellte sich heraus, dass es der Partikel „von“ war. Der Deutsche hieß von Stei, der Jude Steivon. Im übrigen maßen die Deutschen der Position dieses Wörtchens keine Aufmerksamkeit bei, wenn es um einen eifrigen Liebediener ging. Diese ganze Organisation nannte sich „Schutzkorps“. Uns wurde erklärt, dass diese Bezeichnung von den Worten „Schütze“ und „Korps“ herrührt. Und da kam eines Tages der Befehl zum Verladen auf Waggons. Das Ganze war gekoppelt mit Hektik, nervösem Gerenne und Herzklopfen angesichts einer schnellen Erfüllung dieses Wunsches. Einmal, als wir während der Nacht gefahren waren, gelangten wir nach Skopje – eine Stadt im Süden Jugoslawiens, und da gingen unsere Zweifel erst in Besorgnis über undendeten dann beinahe in einer Rebellion. Wir verlangten eine Erklärung von unseren Vorgesetzten. Sie drehte und wendete sich, versuchte uns zu beruhigen, dass dies nur eine vorübergehende Maßnahme wäre, denn man mußte die Kasernen für neue Formierungen räumen, und wenn die Komplettierung des Korps abgeschlossen wäre, dann sollten sie alle geschlossen nach Rußland transportiert werden. Die große Unruhe legte sich, aber die Zweifel blieben. Schließlich erreichten wir unseren bestimmungsort – die Stadt Kosowska Mitrowiza an der Grenze zu Albanien, die zur Hälfte mit Albanern bevölkert war. Unsere Kasernen standen auf einem Hügel, um den herum, fast wie ein geschlossener Ring, das nicht sehr breite, aber tiefe Flüßchen Sitniza floß, das schon bald darauf in den ziemlich stürmischen Gebirgsfluß Ibar mündete, in dessen Tal, dem Kosovo-Feld, die Stadt erbaut worden war. Das Kosovo-Feld ist ein historischer Ort. Hie ereignete sich die Entscheidungsschlacht zwischen den vereinigten Truppen der Süd-Slawen und den Türken. Die vernichtende Niederlage der serbisch-bulgarischen Streitkräfte war der Beginn der jahrhundertelangen Gewaltherrschaft der Türken auf dem Balkan. Der Talkessel war von hohen Bergen umgeben. Auf einem von ihnen befand sich in riesigen Buchstaben, die von überall zu sehen waren, die Aufschrift: „Tschuwaite Jugoslawiu!“, was soviel bedeutet wie: „Verschont Jugoslawien!“ – die letzten Worte König Alexanders. Unweit der Stadt erhob sich, umspült von den Wassern des Ibar, ein Felsen mit den Überresten einer uralten Festung, und abseits davon die Schornsteine und Gebäude eines riesigen Metallhüttenwerkes. Lediglich in ihrem Zentrum erinnerte die Stadt eher an ein bulgarisches oder serbisches Dorf, aber ihre Randgebiete bestanden aus engen, krummen Gassen, die man oft nur in einer Richtung befahren konnte, und die nicht breiter als 4 oder 5 Meter waren. Entlang disen Gassen standen Umzäunungen und Hinterhauswände aus gediegenem Naturstein, ohne Fenster, nur mit niedrigen Öffnungen, die fast an Schießscharten erinnerten und gelegentlich mit kleinen Brettchen (Abdeckungen) aus „sanitären Einrichtungen“ versehen waren. Die Häuser hatten in der Regel zwei Stockwerke. Im Untergeschoß befand sich das Vieh, oben lebten die Hausherren. Fenster und Türen führten in den Hof. Es kam auch schon einmal vor, dass eines dieser „Brettchen“ einem troddeligen Fremden auf den Kopf fiel. Wenn alles gut ging, dann übernahmen die Sonne und die auf der Straße herumtrottenden Schweine die Reinigungsfunktion. Die Albaner gingen fast überall in ihrer Nationalkleidung, mit weißen Filzmützen, wie runde Käppchen. Die Frauen trugen weite, schwarze Tücher, in denen Gesicht und Kopf eingehüllt waren. Klima und Lebensweise ähnelten denen, die ich beschrieben habe, als ich von meinem letzten Arbeitsplatz vor dem Krieg in Süd-Bulgarien berichtete. Es gab weder einen Kiosk, noch ein Kino, mit Ausnahme einer Kneipe und einem kleinen „Leckereien-Laden“, in dem man ein Tässchen Sauermilch, Busa, ein Getränk aus Hirse von süßsaurem Geschmack, bis hin zu irgendwelchen östlichen Süßigkeiten erstehen konnte. Serben und Albaner konnten sich nicht leiden, wobei es die Albaner waren, welche die Serben unterdrückten, indem sie sogar ihre Kirchen schlossen, und erst mit unserer Ankunft kamen die Serben nach und nach aus ihren Ecken und Winkeln auf die Straße gekrochen, weil sie sich nun sicher fühlten. In der Stadt gab es ein paar deutsche Truppen und Dienststellen, aber sie hatten nichts mit den innerenProblemen der Stadt zu tun, in der alle Schlüsselpositionen von Albanern besetzt waren – natürlich mit Unterstützung der Besatzungsmächte. Unsere Kasernen waren während des Krieges vernachlässigt worden und befanden sich in demselben Zustand, wie sie damals von ihren Bewohnern, vielleicht aber auch von Plünderern und Räubern aus der ortsansässigen Bevölkerung hingterlassen worden waren. Alles war verwildert und verödet, und in manchen Räumen lagen Berge von Lumpen, blutdurchtränkte Binden, Helme und alle möglichen anderen Ausrüstungsgegenstände herum. Viel Zeit und Mühe mußte mn darauf verwenden, um irgendwie den Alltag zu ordnen. Schließlich hatte das Bataillon sich niedergelassen. Es bestand aus 4 Kompanien. Außer unserer, der 5. Junker-Kompanie, gab es noch eine 6., die Artillerie-Kompanie, die bereits ausschließlich aus „Alten“ bestand, aber es sah gar nicht so schlecht aus, wie sie versuchten, ihre Gewehre gerade zu halten oder sie zu schultern. Die 7. Kompanie bestand aus Kavalleristen, hauptsächlich Kosaken. Sie hatten keine Pferde und sahen als Fuß-Formation ziemlich schlecht aus, aber an den Abenden sangen sie ganz wunderbar ihre sonderbaren, aber sehr zu Herzen gehenden Lieder. Einer Karikatur am meisten glichen die Artilleristen. Ihre Kompanie (die achte) besaß vier Geschütze, die ebenso betagt waren, wie ihre ganze Soldatenabteilung. Die Geschütze wurden von buntgescheckten Pferden gezogen, die schon längst nicht mehr in der Blüte ihrer Kraft standen und deren Geschirre aus verknoteten Seilen bestanden. Die Reisenden, in Wickelgamaschen und mit Sporen, schwangen sich auf ihre kleinwüchsigen Pferde als wären sie Don Quichote, und als diese ganze Batterie dannloszog, ähnelte sie eher einer Trauerprozession, was eine Welle des Gelächters und beißende Zwischenrufe auslöste, auf di die wackeren Kanonenschützen mit stillschweigender Verachtung antworteten. Jeden Tag wurden im Feld,bei sengender Sonnenglut, Ausbildungsmaßnahmen durchgeführt. Außerdm mußte an verschiedenen Objekten Wache geschoben werden. Unserer Kompanie fiel in erster Linie die Bewachung des Kasernenkomplexes zu, und eine kleinere Gruppe wurde auch in der alten Festung, auf dem Felsen, aufgestellt, von wo aus man das gesamte Städtchen und das umliegende Gelände überblicken konnte. Angesichts des mühsamen Aufstiegs wurde dieser Wachposten nur alle drei Tage abgelöst; die Verpflegung nahm jeder selber mit. Natürlich kam miemand dorthin, um den Wachdienst zu überprüfen; deswegen zählte diese Aufgabe auch fast als eine Art Heimaturlaub. Ich war dort insgesamt nur ein einziges Mal. Nachdem dieser „Zug mit schweren Waffen“ zur Kompanie organisiert worden war, wurde auf dem Felsen ein schweres Geschütz installiert, und der Zug erhielt das Monopol auf diesen Wachposten. Andere bevorzugte Plätze waren die Pferdeställe. Am Morgen wurden alle freien Pfrde auf die Wiese getrieben, die sich an einer Flußschleife des Ibar befand, und dort weideten sie dann bis zum Abend, während das Kommando friedlich und ungestört im Gras lag oder baden ging. Um die Verpflegung stand es schlecht. Alle Lebensmittel kamen aus den Vorratslagern, in denen es keinerlei frisches Gemüse gab – außer kleine Kartoffeln aus dem Vorjahr oder Kartoffelabfälle. Als Küche diente ein Schuppen, genauer gesagt ein Unterstand, in dem sich, entsprechend der Anzahl Kompanien, vier Feldküchen befanden. Warmes Essen gab es nur mittags, und es bestand häufig aus dicker Suppe. Was den restlichen Tag betraf, so gab es etwa um 4 Uhr eine Trockenration: Brot, Margarine, Käse, Wurst oder Eier u.ä. Die Menge dieser Produkte ließ sich verständlicherweise nicht in Kilogramm berechnen. Dazu gab es morgens und abend snoch Surrogatkaffee. Aber was des Russen Gesundheit ist, das ist des Deutschen Tod – und umgekehrt. Wir hatten ständig Hunger. Mit Erhalt unserer Trockenration trat für uns die „fröhliche Minute“ ein und die meisten von uns aßen, ohne sich von den geringsten Zweifeln quälen zu lassen, die gesamte Abendration sowie die für den nächsten Morgen bestimmte auf einmal, und dann spülten sie in den dafür vorgesehenen Tagesstunden ihren Magen mit der trüben dicken Suppe. Später allerdings begannen sie nach und nach sich ab das Essen zu gewöhnen. In den heißesten Tagesstunden fand keine Ausbildung im Freien statt, und wir durften uns auf unsere Schlafkojen stürzen. Hinter den dicken Kasernenwänden war es kühl. In einem Raum waren zwei Züge untergebracht, die nur durch eine Reihe von Pfosten voneinander getrennt waren, welche gleichzeitig auch die Deckenbalken abstützten. Zu dieser „tödlichen Stunde“ entflammten üblicherweise Diskussionen und Streitgespräche, hauptsächlich über aktuelle, lebensnahe Themen, über Nachteile, die die Vorgesetzten mit sich brachten, über das Schicksal Rußlands und darüber, dass man uns hinters Licht führte. Übrigens, aus dem Schreibstuben-Milieu kamen Mitteilungen, dass die vollständige Bezeichnung unseres Heiligtums Werkschutz-Korps, was in der Übersetzung soviel wie „Truppen zum Schutz der Fabriken“ bedeutete, das heißt wir waren also überhaupt keine Retter unseres Vaterlandes, keine wichtiges „Gerüst“, sondern einfach Wachleute, und unsere Chancen auf eine Verlegung ins Land unserer Väter waren somit genau so groß, wie die Möglichkeit, irgendwann einmal eine Reise zum Amazonas zu unternehmen. Diese Diskussionen wurden im allgemeinen in wenig literarischer Form geführt, wobei es fü uns bedeutungslos war, dass unsere Kommandeure mit uns zusammen untergebracht waren. In der Regel mischten sie sich in unsere Streitgespräche nicht ein, entweder, weil sie Mitleid mit uns hatten oder, weil man die Wahrheit doch icht verheimliche konnt. Übrigens, bekam auch die „Demokratie“ Risse. Einmal wurde der Küchendienst aufgrund einer großen Menge an Kartoffeln auf 4 Mann erhöht. Darunter befanden sich auch Aljoschka und ich und ein gewissen Burljuk, ein frecher, anmaßender Bursche, der sich gern prügelt, im Großen und Ganzen ein äußerst unangenehmer Kerl, der in der Kompanie keinerlei Sympathien genoß. Während der Arbeit kam erneut unser Thema N°.1 auf. Vor allem Burljuk schwang große Reden, wobei er nicht nur über die Vorgesetzten und ihre Verwandtschaft schimpfte, sondern auch damit drohte, sie im ersten Kampf alle zu erschießen.

Verständlich, dass das nur alles dummes Geschwätz war, und bald darauf hatten wir das auch schon wieder vergessen. Und plötzlich, nach etwa einer Woche, wurde Burljuk verhaftet und wir drei übrigen zu zwei wohlgestalten Alterchen gerufen, die uns einem Verhör unterzogen. Wir, die wir noch die alte Schultradition wahrten, antworteten freundlich, dass wir nichts gesehen hätten, nichts wüßten und gar nicht verstehen würden, was auch schriftlich festgehalten und mit unseren Unterschriften besiegelt wurde. Nichtsdestoweniger wurde Buljuk in eine andere Kompanie verlegt, ohne die Chance, einmal das Rückgrat der zukünftigen russischen Armee zu werden.

Allerdings kühlte dieser Vorfall unseren Eifer an spitzfindiger Wortwohl ein wenig ab, und die Konfrontationmit der älteren Generation ging auf eine musikalische Ebene über.

Von den militärischen Übungen mußten wir immer singend in die Kaserne zurückkehren. Als unser Repertoire immer langweiliger wurde, entstand eine Eigeninitiative zum Thema „Nachrigallen“.

Dieses Lied gestattete es uns, alle brennenden Fragen widerzuspiegeln, und so manch ein Couplet entstand buchstäblich als freie Improvisation, während wir marschierten. Hier ein Beispiel:

„Wegen Käse und Wurst
Sind viele von uns zusammengekommen.
Die Familie ist versorgt, Wie sollte die „Nachtigall“ da nicht singen.

Nachtigall, Nachtigall, Vögelchen ...

Früher war ich Invalide,
Aber heute sehe ich wunderbar aus.
Allen Ärzten zum Trotz
Kam ich trotzdem zum Schutzkorps“.

usw.

Diese Lieder brachten unsere „weißen Adler“ mehr in Wut, als die abgenutzte Prosa, und sie begannen damit, uns auf Schritt und Tritt zu schikanieren, besonders wenn sie einen Schwips hatten. Da geht beispielsweise so ein angetrunkener gewöhnlicher Stabshauptmann und belästigt den Wachhabenden am Tor: „Warum, Junker, salutierst du nicht und redest den Dienstälteren nicht mit seinem Rang an?“ Die weiteren Ereignisse spielten sich in Abhängigkeit vom Charakter des Junkers und der umgebenden Atmosphäre ab. Entweder erweist er ihm schweigend diese Ehre, indem er „standhaft“ bleibt und sein Bajonett schultert, oder er brummt vor sich hin: „Schuldig, Herr Stabskapitän!“, oder er schickt letzteren auf dem Mütterchen Wolga flußabwärts – entsprechend seiner Kenntnis der russischen Folklore.

Bald war der grobe Stoff unserer Uniform von der Sonne, von Staub und Schweiß, aber auch duech das ständige Robben am Boden vollständig und unwideruflich unbrauchbar geworden, etwa so, wie der Soldatenmantel von Akakij Akakijewitsch, und der bedauernswerte Anblick unseres Soldatendaseins wurde noch jämmerlicher. Eine gewisse Abwechslung in unseren hoffnungslos düsteren, grauen Alltag brachte ein Ausmarsch in die Berge. An ihm nahmen unsere Kompanie sowie eine Aufklärungsabteilung der Deutschen mit Funkstation sowie einige Packpferde teil.

Die Aufgabe lautet wie folgt: An der Grenze zu Albanien Position beziehen, das, wie ich bereits sagte, von den Italienern besetzt war. Im allgemeinen hört die Freundschaft bei Geld auf. Es hieß, dass angeblich Schmuggler überliegen, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, was man wohl aus dem verelendeten Albanien in unsere ebenso elende Gegend hinüberschaffen konnte.

Die Reise selbst war angenehm: hohe Berge, unten - wie in einem Brunnenschacht - das Kosowo-Feld, mit dem silbrig dahinfließenden Fluß, am Horizont die verschneiten Gipfel und um uns herum die ganze Vielfalt von Gebirgskräutern und ein herrlicher Duft in der Luft.

Als wir us dem Dörfchen näherten, das zu unserem Stützpunkt werden sollte und das in einem kleinen Talkessel lag, da bemerkten wir dort menschliche Gestalten in Militäruniform. Es stellte sich heraus, dass dort die Italiener waren.

Der deutsche Offizier, der die Einheit befehligte, machte sich zu Verhandlungen auf den Weg. Offensichtlich verlief das Gespräch in gehobenem Umgangston, denn als er zurückkehrte, befahl er uns, auf den besetzten Hügeln Position zu beziehen und uns in Kampfbereitschaft zu halten. Nach einer halben Stunde rückte die Kolonne der „Alliierten“ aus dem Dorf ab. Allerdings gingen wir nicht ins Dof hinein, sondern verbrachten die erste Nacht im Freien, am Feuer, auf dem Boden der malerischen Talsenke, am Ug´fer eines ziemlich wasserreichen Bächleins. Am Morgen begaben wir uns in kleineren Gruppen zu unserem Stützpunkt, wo wir für einige Tage eingeschränkten Dienst schoben, uns Essen aus Konzentraten und Schildkröten kochten, von denen es hier eine ganze Menge gab. Verständlich, dass wir keine Schmuggler aufgriffen, und selbst wenn es welche gab, dann kamen sie nicht auf den ausgetretenen Wegen daher, sondern konnten frei, sogar mit einer ganzen Elefanten-Karawane, hundert Meter höher oder niedriger als unsere wachsamen Augen sie erfassen würden, vorbeiziehen.
Als wir, von der Sonne verbrannt und durch das Nachtlager ausgekühlt (denn alles spielte sich in einer Höhe von 3000 Metern ab), in unsere Unterkunft zurückkehrten, da hörten wir Gerüchte, nach denen in der Stadt Anwerber eingetroffenen waren, die Leute zu den SS-Truppen holen wollten, die für Rußland formiert werden sollten. In Mitrowitza gab es im allgemeinen keine SS-Truppen, aber es existierte eine kleine Villa, in der einige Akteure unterschiedlichen Aussehens und in verschiedenen Uniformen arbeiteten und wohnten. An den Türen des Häuschens wehte eine schwarze Flagge mit zwei weißen Zickzack-Linien.

Dort hatten sich auch die geheimnisvollen Unbekannten niedergelassen. Auch wir begaben uns dorthin, ein paar andere ebenfalls. In einem kleinen Zimmer saßen zwei in Uniformen von grünlich-blauer Farbe. Sie sprachen Russisch, bekräftigten, dass sie in erster Linie „Volksdeutsche“, also Männer deutscher Herkunft, registrieren würden, dass sie aber auch Iwanows und Petrows eintragen würden, sofern diese glaubhaft machen könnten, dass ihre Großmutter Deutsche gewesen war oder dass ihr Großvater unter derselben Sonne wie Goethe und Schiller Schuhzeug zusammengenäht hätte. Sprachkenntnisse waren nicht vonnöten, aber wünschenswert. In diesem Punkt gehörte ich zu den Ewrünschten, und der ausländisch klingende Name Walch überzeugte sie davon, dass sein Besitzer der arischen Rasse angehörte, obwohl der Arier außer „guten Tag“ und „Schnaps“ kein einziges deutsches Wort sprach. Die Agitatoren bestätigten ebenfalls, dass das leidgeprüfte Rußland auf uns wartete, wie der Schachtarbeiter auf einen Atemzug an frischer Luft, aber insgesamt kam ihre Ideologie erst an zweiter Stelle; viel wichtiger schien ihnen der Vergleich ihrer eleganten Uniformmäntel mit unseren Lumpen. Als unsere väterlichen Kommandeure vom Erscheinen der Konkurrenten erfuhren, erschraken sie, eilten dem Kommandanten zu Hilfe und vertrieben die Kontrahenten, aber sie schwangen auch eine ganze Reihe von Trauerreden anläßlich der Unstandhaften, die dazu fähig waren, die Rettung Rußlands wegen einer Linsensuppe zu verraten. Aber vor der Abfahrt, versprachen die Anwerber, würde man alle Registrierten sowieso einberufen, und sie befahlenihnen, mit dem Häuschen mit der schwarzen Flagge in Verbindung zu bleiben. Von den Verschwörern wurde ein gewisser Obuch zum Verbindungsmann ernannt, der die deutsche Sprache kannte und angesichts der herrschenden Rassentheorie ein stattliches Äußers besaß. Aber es vergingen noch eine ganze Reihe von Tagen, bis er uns flüsternd mitteilte, dass die Einberufung für 5 Mann eingetroffen sei. Unter diese Liste fielen: Obuch selbst, Aljoschka und ich, einer von Aljoschkas Freunden – Wolodja Eismont, und ein gewisser Schulz, ein Männlein von etwa 35 Jahren, der Kommandeur in einer unserer Kompanie-Abteilung gewesen war. Am Abend fand im Schatten der Bäume eine Zusammenkunft der großartigen Fünf statt. Es war keine Rede davon, den offiziellen Weg zu nehmen. Niemand hätte uns fortgelassen, und außer Vorwürfen und Unannehmlichkeiten hätten wir damit gar nichts erreicht. Wir beschlossen auf eigene Gefahr zu handeln. Der Versuch, einen Zug zu bekommen, der auf der gewohnten Route verkehrte, war zu riskant. Man konnte uns auf dem Bahnhof festhalten oder, aufgrund eines Telegramms unserer Kommandeure, unterwegs aufgreifen. Aber es gab einen Umweg. Wir mußten bis zu einem anderen Stützpunkt gelangen, wo während des Krieges die Eisenbahnbrücke gesprengt worden war; von dort aus gab es eine andere Bahnlinie nach Belgrad, die kürzer war, als die Route der Ringbahn, mit der wir ständig unterwegs waren. Zu diesem Stützpunkt verkehrte regelmäßig ein deutsches Fahrzeug des in Kosovo-Mitrowitza stationierten deutschen Truppenteils. Es fuhr am frühen Morgen ab, um gegen 10 Uhr an der Flußübergangsstelle einzutreffen, bis zu der man 80 km über Gebirgsstraßen fahren mußte. Habseligkeiten besaßen wir nicht, und nachdem wir die wenigen Sachen, Waffen und Patronen zusammengepackt hatten, machten wir uns als Schlußlichter auf den Weg zum Abfahrtspunkt. Es gab eine ganze Menge Reisende, und das Fahrzeug, ein als Kriegstrophäe erbeuteter Bedford, der so ähnlich wie der GAZ-66 aussah, war niedrig und hatte einen breiten Kühler. Im Wagenkasten fanden alle nur mit Mühe und Not einen Platz, und ich griff zu einer List, um mich auf einer als Sitz vorgesehenen Konstruktion niederzulassen, in einer Vertiefung zwischen Kühler und den eckigen Kotflügeln. Während des Krieges wurden besondere Formalitäten und Vorschriften bei der Beförderung nicht beachtet, und so verbrachte ich meine 80 km wie in einem Sessel sitzend und genoß die beschauliche, malerische Landschaft. Als wir ankamen brach ich in Lachen aus: all meine Gefährten, die während der Fahrt hinten egsessen hatten, ähnelten von der Staubschicht, die sie bedeckte, grauen Mumien. Besonders komisch sah der hagere, feingliedrige Wolodja Eismont aus: aus der schmutzig-grauen Gesichtsmaske blickten leidvolle Augen unter den schwarzumrandeten Augenlidern hervor. Aber so oder so – alle brchten ihr Äußeres iregdnwie wieder in Ordnung, und wir fuhren weiter. Es war ein Transitzug, niemand überprüfte unsere Papiere, was uns auch sehr gelegen kam, denn unser Einberufungsdokument hätte uns wohl kaum Rückendeckung verschafft. Unterwegs passierten wir die ziemlich große Stadt Kragujewatz, vorbei an einem Platz, auf dem wir ein Denkmal König Aleksanders mit nach unten ausgestrecktem Finger entdeckten, der auf einen gußeisernen Herd mit der uns bereits bekannten Aufschrift: „Verschont Jugoslawien!“ wies. Hinter dem Rücken des Königs sah man das Gebäude einer Rüstungsfabrik, in der unseren Gewehren das Leben eingehaucht worden war. In Belgrad kamen wir gegen Abend an, aber es war noch hell, und es stellte sich das Problem, wie wir in unseren lumpigen Uniformen durch die Straßen gehen sollten. Wir umgingen die Situation, indem wir einen dichten Ring um Obuch bildeten, dessen Hosen gänzlich zerfetzt waren, sowohl an den Knien als auch auf der Hinterseite, und auf diese Weise gelangten wir schließlich bis zu der Adresse, die uns im Einberufungsbefehl genannt worden war. Der Arbeitstag ging zuende, und dort saß so ein Beamter, der uns, nachdem er uns angehört hatte, gestattete in diesem Söldneranwerbungsbüro zu übernachten. Am nächsten Tag, nach der Erldeigung einiger unkomplizierter Formalitäten, wurden wir komplett eingekleidet, indem man an uns mehrere Garnituren Unterwäsche und Oberbekleidung sowie Stiefel ausgab, und anschließend in die Kasernen geschickt, die etwa einen Kilometer von jenen entfernt standen, wo ich einst den vorsintflutlichen Traktoren und dem langlebigen gewöhnlichen Soldaten - General mit dem Besen in der Hand begegnet war. Nun mußten wir noch unseren Dienst beim Schutzkorps quittieren; wir begaben uns dorthin und gaben unsere Waffen und Uniform-Überreste ab, in denen wir nach Albanien gekommen waren. Um nicht zum Thema Schutzkorps zurückkehren zu müssen, sage ich, dass es auch weiterhin, bis Kriegsende, in seiner Rolle als Wachtrupp blieb, um dann erneut innerhalb Europas auseinanderzugehen – auf der Suche nach Emigranten-Grüppchen.

 

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