Bis jetzt ist man in meiner Erzählung lediglich idyllischen Bildern des Kasernenalltags begegnet, und es ergibt sich natürlich die berechtigte Frage nach den Kriegsgeschehnissen, danach, wie der Widerstand wuchs und „die Erde unter den Füßen der Besatzer brannte“. Ich habe beiläufig erwähnt, dass nach Bulgarien Gerüchte über einen sich in Jugoslawien auf breiter Front entwickelnden Partisanenkrieg hineingetragen wurden. Diese Gerüchte hatten auch ihren guten Grund. 1941, nach der miitärischen Niederlage, hielten sich große Teile der jugoslawischen Streitkräfte in den Bergen verborgen und entfachten mit Unterstützung der Bevölkerung einen Partisanenkrieg. Ganze Gegenden waren von Partisanen kontrolliert. In der Stadt Uschize, unweit unseres Walewo, wurde eine komplette Partisanenrepublik organisiert, und sogar eine Waffen- und Munitionsfabrik geschaffen. Die Deutschen schlugen diese Widerstandsnester mit aller Unbarmherzigkeit nieder, und zum Winter 1941-1942 säuberten sie die für das Leben wichtigsten Zentren, indem sie die Partisanen in die Berge zurückdrängten. Der harte Winter vollendete ihre Niederlage und auch die verkündete Amnestie brachte den Geist des Widerstandes ins Wanken. Zum Frühjahr 1942, das heißt zu der Zeit, als ich nach Jugoslawien geriet, sah man folgendes Bild: der Partisanenkrieg war praktisch zum Stillstand gekommen und alle Widerstandsbewegungen zerschlagen. Auf serbischem Territorium, wo die von mir beschriebenen Ereignisse auch ihren Ursprung hatten, stand der Widerstandbewegung ein gewisser General Drasche Michailowitsch voran. Er vertrat die bürgerlich-gemäßigte Linie, stützte sich auf die Hilfe Englands und behielt die Taktik des Abwartens bei, in der Hoffnung, dass die Deutschen bald immer schwächer würden, um dann im günstigsten Moment einen allgemeinen Aufstand zu inszenieren. Die Anhänger dieses Generals waren mit Organisationsarbeiten beschäftigt; sie häuftenWaffen an, die die Engländer immer wieder aus ihren Flugzeugen warfen, und vermieden im übrigen alle öffentlichen Aktionen, vor allem wegen der Androhung von Massenrepressalien gegen die friedfertige Bevölkerung. Auf dem Gebiet Kroatiens, das zu einem unabhängigen Staat ausgerufen worden war, in dem die Ustascha, eine faschistische Organisation von allerniedrigstem Niveau, regierte, an deren Spitze der authentische Henker des jugoslawischen Volkes Ante Pawelitsch stand, leitete Josif Bros (Tito) den Widerstand, ein Kommunist, der von der Sowjetunion volle Unterstützung erhielt. Hier wurden auch kriegerische Auseinandersetzungen geführt und Sabotagearbeit geleistet, und ganze Bergregionen waren von Partisanen kontrolliert. Die Deutschen, die der Ustscha jegliche militärische und politische Hilfe gewährten, kümmerten sich besonders um die Sicherheit bei der Kommunikation mit Deutschalnd; sie führten selber keine groß angelegten kriegerischen Operationen durch. Zwischen den beiden Partisanen-Gruppierungen gab es keine Gemeinsamkeiten; es herrschte eher Feindschaft zwischen ihnen, die nicht selten in bestimmten Berührungspunkten zu Blutvergießen ausartete. Indem ich schon wieder ein wenig vorweggreife, sage ich, dass gegen Ende des Krieges, als ich mich schon nicht mehr in Jugoslawien aufhielt, Tito einen wahren Krieg gegen die Besatzer vom Zaum brach, wobei er selbst alle aktiven Kräfte des Widerstandes in seine Hände nahm. Drasche Michailowitsch dagegen nahm Kontakt mit den Deutschen auf, wobei er den Weg des Volksverrats wählte und seine Tätigkeit in entsprechender Art und Weise auch vollendete. Desewegen herrschte zu der Zeit, als ich mich in Jugoslawien, genauer gesagt Serbien, aufhielt, eine äußerlich ruhige Atmosphäre. In den Bergen lief ein ganz normales Leben ab; es gab Restaurants, Musik und Kinoveranstaltungen. Das Leben war äußerst bescheiden, aber es brauchte auch niemand besonders hungern; es gab keine Ausgangsperre, keine besonderen Einschränkungen. Die Verwaltungsbehörden realisierten die prodeutsche Regierung Nedics, der Gendarmerietruppen und irreguläre Einheiten von Verteidigern des Hinterlandes aus der Zivilbevölkerung zu seiner Verfügung hatte – die sogenannten Tschetniks. Gendarmerie und Tschetniks waren bewaffnet, aber der Übergang zwischen ihnen als Regierungstruppen und den Partisanen war ziemlich verschwommen, so wie es derzeit in Afganistan stattfindet. Jedenfalls brauchten wir während unseres gesamten Jugoslawien-Aufenthalts nicht an irgendwelchen mehroder weniger planmäßigen Kriegshandlungen teilnehmen, die Erde unter unseren Füßen brannte nicht, und so mögen auch die Legenden darüber auf dem Gewissen der Historiker und Journalisten hängenbleiben. Tiefgreifende Prozesse, die von den Einheimischen nicht bemerkt wurden, nahmen wohl ihren Verlauf, zumindest zeugten davon die Ankündigungen über Auszeichnungen für die Auslieferung („tot oder lebendig“) der Banditenführer Michailowitsch und Tito, sowie die Listen der erschossenen Geiseln, die allerdings aus dem vergangenen Jahr datieren. Aber jetzt fuhr ich erstmal nach Hause, nach Bulgarien, und dieses ganze komplizierte System der Wechselbeziehungen zwischen Okkupanten und den jugoslawischen Völkerschaften, ebenso wie zwischen uns selbst, blieben weiter und weiter hinter mir zurück.
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