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P. Sokolow. Schlaglöcher

2. Buch. „Die Söldner“

Teil 3. Die Condottieri

Kapitel 19. Wieder zuhause. Liebe mit Hindernissen.

„Mascha ist gut, aber sie gehört nicht zu uns.“
(Russisches Sprichwort)

Ich kam zuhause mit einem Ranzen voller Geschenke an, angefangen von meinen textilen Errungenschaften für die Mutter bis hin zu allen möglichen „Trophäen“ für meine Freunde – in Gestalt albanischer Fez-Hüte, Helme und Geschoßhülsen. Ich brachte auch Waffen und alle Kampfutensilien mit, von denen wir uns nie trennen durften, nicht einmal dann, wenn wir auf Urlaub fuhren. Die Operation mit den Puder und den Textilien brachte gewisse Profite, die es mir, zusammen mit eigen Ersparnissen der Mutter aus der erhaltenen Unterstützung, erlaubten, mir einen kleinen, aber leistungsstarken Rundfunkempfänger zu erwerben, was uns die Möglichkeit verschaffte, ganz Europa zu hören und, in puncto Informationen, nicht ausschließlich von der Gnade der Nojkows oder anderer Bekannter abhängig zu sein, um so mehr, als das Abhören feindlicher Quellen verboten war und streng verfolgt wurde. Und die Ereignisse in der Welt hatten eine dramatische Entwicklung angenommen und zu jener Zeit ihren Höhepunkt erreicht. Man ging gerade der Schlacht um Stalingrad entgegen. Das Ausmaß und die Wucht der deutschen Invasion im Jahre 1942 hatte ihre Grenzen erreicht, hinter denen bereits die Katastrophe lauerte:von der Wolga, den Erdöllagern des Kaukasus trennten sie nur noch wenige Kilometer, die Ukraine und der Donbas waren bereits vollständig besetzt. Womit würde all das enden? Würde es ein zweites Moskau geben? Das waren Fragen, mit denen wir leben mußten; und so hockten wir in schmerzlicher Hoffnung vor dem gedämpft tönenden Radiogerät beisammen. In den ersten Tagen begegnete ich Chanows Vater und erzählte ihm in allen Einzelheiten alles, was ich gesehen und in Jugoslawien erfahren hatte; ich berichtete von der Struktur der Organisation der Besatzungstruppen, von allem, was in jenen Kreisen von Interesse sein konnte, mit denen mein geheimer politischer Führer Verbindungen besaß. In Sachen Zeitvertreib stand nur wenig auf dem Plan. Alle meine Freunde waren irgendwohin auseinander gegangen. Der eine war in der Armee, andere arbeiteten oder machten eine Ausbildung, Wanka Tinin besuchte ebenfalls irgendwelche Lehrgänge, aber abends trafen wir uns fast täglich und verbrachten häufig die Zeit miteinander, indem wir ruhige Spaziergänge unternahmen und philosophische Unterhaltungen führten. Einmal, als wir so spazierengingen. kamen wir bis nach „Krasnoje Selo“ („Rotes Dorf“; Anm. d. Übers.) – einer Siedlung, oder besser gesagt einem Mikrobezirk, der sich auf halbem Wege zwischen Knjaschewo und der genau abgesteckten Stadtgrenze befand, wo sich das sogenannte „Russische Denkmal“ erhob, das nach dem Befreiungskrieg errichtet worden war, und zwar an der Stelle, an der die russichen Truppen einmarschiert waren. In Krasnoje Selo gab es ein miserables Kino, wo zu jener Zeit ein mittelmäßiger Film lief. Vor lauter Langeweile gingen wir hinein. Es waren kaum Leute da. Wanka, der an der Tür stand, um abzuwarten, wann der Einlaß begann, bemerkte aufgrund seiner Größe ein paar Mädchen, die sich zulächelten und in unsere Richtung blickten, und er schlug vor, mit ihnen Bekanntschaft zu schließen. Ich mochte derartige Abenteuer nicht besonders und lehnte erstmal ab. Wir betraten den Kinosaal und nahmen irgendwo in einer der letzen Reihen Platz. Die Mädchen ließen sich etwa 5-6 Reihen vor uns nieder; sie drehten sich zu uns um und flüsterten miteinander. Das war eine eindeutige Aufforderung zum Bekanntschaftschließen. Hinter ihnen waren noch freie Plätze, und so setzen Wanka und ich uns hinter die Mädchen und brachte allmählich das für solche Fälle übliche Geschwätz in Gang. Natürlich geriet der Kinofilm nun ganz in den Hintergrund, und nachdem er zuende war, hieß es Abschiednehmen. Eine von ihnen wohnte gleich in der Nachbarschaft; deshalb trennte sie sich als erste von uns, und wir machten uns daran, die übrigen beiden, die zwei Haltestellen näher zur Stadt hin wohnten, zu begleiten. Der Weg führte über eine große unbebaute Fläche, die von einer Chaussee und der parallel zu ihr verlaufenden Straßenbahnlinie in zwei Hälften geteilt wurde. Auf der einen Seite dieser „Wasserscheide“ befand sich eine Pferderennbahn, wo einst kriegsgefangene Griechen untergebracht gewesen waren, auf der anderen lagen die Kasernen der „Arbeitstrupps“, d.h. der kriegsgefangenen Arbeitseinheiten – ähnlich unseren Bau-Bataillonen. Die Arbeitssoldaten trugen eine Militär-Uniform, die jedoch eine andere Farbe als die Soldatenuniformen hatte, und sie besaßen keine Waffen. Neben der Chaussee, auf ihrer anderen Seite, verlief eine Alle für Fußgänger; sie erstreckte sich über die gesamten 7 Kilometer, die Sofia von Knjaschewo trennten. Die Allee war von großen, weißen Akazien umsäumt, welche im Frühjahr einen betörenden Duft ausströmten. Jetzt, in der ersten Novemberhälfte, gab es natürlich keinen Duft, aber während wir gemütlich an die 1,5 oder 2 Kilometer auf dieser Allee entlangschlenderten, gelang es uns, die Situation näher zu bestimmen. Eines der Mädel hieß Anja, die andere erwies sich als ihre Tante. Die Tante war 25 Jahre alt, verheiratet und wurde deshalb sofort von uns abgeschrieben. Anja war 18 Jahre alt, arbeitete irgendwo und war ein intelligentes, hübsches Mädchen. Im übrigen sah ich keinerlei Perspektiven für diese Bekanntschaft voraus; ich nannte einen fremden Namen (Walch) und insgesamt gesehen logen wir ihnen allerhand Zeug vor. Nichtsdestoweniger verabredeten wir uns beim Abschied zu einem neuen Rendevous. Das ganze fand am nächsten Abend statt, den wir erneut zusammen verbrachten. Und auch, als wir uns diesmal verabschiedeten, vereinbarten wir ein neues Treffen. Anja ging nach Hause, und Wanka und ich setzten unseren Spaziergang fort. Wanka war, ganz entgegen seiner Gewohnheit, in einer düsteren Stimmung. Er hatte jene besondere Aufmerksamkeit bemerkt, die Anja mir eintgegen gebracht hatte, und äußerte sich nun mißbilligend über die Frauen, die immer gleich „nach einem blinkenden Knopf picken“, ohne offenbar den viel glänzenderen Verstand und die geistigen-moralischen Qualitäten des unglücklichen Wanka zu beachten. Als wir uns am nächsten Abend erneut trafen, gab ich Anja zu verstehen, dass es, wegen des besseren Gleichgewichts, nicht schlecht wäre, wenn sie vielleicht noch eine Freundin mitbringen würde. Sie antwortete, dass das kein Problem sei; sie habe eine Schwester, die sich zuhause doch nur langweile. Etwa 5-10 Minuten später kelrte sie mit ihrer Schwester zurück. Sie war Anja ähnlich. Beide waren nicht sehr groß, hatten einen zarten, fast zerbrechlichen, Körperbau, schwarze Haare und schwarze Augen, aber Nina, so hieß die Schwester, war eine wahre Schönheit, als wenn sie dem Werbeprospekt eines Modehauses entstiegen wäre. Aufgrund der enttstandenen Situation war Nina für Wanka bestimmt. Wir trafen uns täglich, gingen spazieren, besuchten die Grünanlage und ließen uns dort paarweise auf Bänken nieder. Aber der Wurm des Neides nagte an meinem Herzen und ich fing an, Wanka in seinen lyrischen Unterhaltungen mit Nina zu stören. Übrigens setzte sich auch Wanka viel zu oft neben uns. Im gegenseitigen Bemühen, uns in unseren amourösen Vergnügungen zu stören, verbrachten wir auch den Rest meines Urlaubs. Wanka und Anja kamen mit zum Zug, um mich zu verabschieden. Sie fing sogar an zu weinen, was offenbar für Frauen leichter ist, als sich zu schneuzen. Nachdem ich meine Gedanken noch einmal zu all den Abenteuern der vergangenen Tage hatte wandern lassen, die für mich eigentlich auch nichts weiter, als ein paar kleine Abenteuer ohne verletzte Seele gewesen waren, entschiede ich mich für die Fortsetzung des Abenteuers, in der Meinung, dass ich dadurch nichts verlieren würde. Nachdem ich „nach Hause“, in meine Kompanie,zurückgekehrt war, schrieb ich an die mir genannte Anschrift einen Brief, aber ich adressierte ihn nicht an Anja, sondern an Nina. In ihm brachte ich meinen Kummer über meinen verhängnisvollen und folgenschweren Fehler zum Ausdruck, der einerseits zwischen Nina und mich, und andererseits zwischen mich und Wanka, einen Keil getrieben hatte, usw., usw. Ich wagte nicht auf einen Erfolg zu hoffen, beschloß jedoch, dass „der Teufel keine Scherze macht“. Bald darauf erhielt ich zwei Briefe: einen von Wanka und einen von Nina. Welchen der beiden ich als ersten öffnete kann man sich ja wohl denken. Aus ihm fiel eine Fotografie inder Größe einer Postkarte, ähnlich denen, auf denen Filmschauspieler abgebildet sind und die, mit entsprechendem Autogramm versehen, an Kiosken verkauft werden. In dem zweiten Brief schlug Wanka sich an die Brust und bereute kläglich den Verrat, den er mir genenüber begangen hatte. Es stellte sich heraus, dass, nachdem er mich fortgebracht hatte, Anja wieder nach Hause begleitet und sich erneut mit ihr verabredet hatte. Seitdem sahen sie sich regelmäßig, obwohl ihre Gedanken an mich zwischen ihnen standen, ähnlich dem Schatten von Hamlets Vater. Ich lachte mich halb tot und schrieb natürlich schnellstens als Antwort: „Weiter so!“ Nina schriebüber den siebten Himmel und all das andere, was man in einem solchen Fall so schreibt. Die gute Laune wurde nicht nur durch die Erfolge an der Liebesfront begünstigt, sondern auch durch die Nachrichten, die von der fernen Wolga eintrafen. Der deutsche Vormarsch bei Stalingrad war abgeschwächt worden, und nachdem die sowjetische Armee in die Offensive gegangen war, hatte sie die 6. Armee der Wehrmacht samt ihren italienischen und rumänischen Verbündeten eingekesselt. Es gab wieder eine reale Hoffnung darauf, dass es auch 1942 wieder eine nächste Niederlage der Deutschen geben würde, und das wiederum flößte einem Zuversicht ein, dass, nachdem die nötigen Reserven zusammengetrommelt worden waren, die Deutschen auch uns an die Ostfront schicken würden, was auch Aljoschas und meiner Zielvorstellung N° 1 entsprach – mit der ersten Etappe in die Heimat zurückkehren, zu den Unseren.

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