„Papa Tschapa ist ein Spezialist in Sachen Speck,
Er hat alles mögliche getrunken.
Reihenweise verschiedene Häuser besucht,
Nur das Wassertrinken hat er tunlichst vermieden.“
(Bedeutung s. im Text).
Während meines Urlaubs hatten sich in der Kompanie weitreichende
Veränderungen vollzogen. Erstens waren die Uniformen ausgetauscht worden. Unsere
Polizeiuniform, wenngleich sie die Aufschrift „Wehrmacht“ trug und von guter
Qualität war, hatte uns irgendwie unangenehm berührt, so dass wir uns mit einem
Gefühl der Genugtuung in die neue Bekleidung hüllten. Es war eine Uniform, wie
die Gebirgsschützen (Jäger) sie trugen. Sie bestand aus Skihosen,
Bergsteigerstiefeln und Spikes, einer standardmäßigen Soldatenjacke mit vier
aufgesetzten Jackentaschen sowie einer Schirmmütze, die aus demselben Material
genäht war. Der Militärmantel entsprach ebenfalls dem Standard, aber man trug
ihn ausschließlich bei den Wachgängen, während sie in der Regel beim Ausgang in
die Stadt nicht angezogen worden – teils aus Tradition, teils aus Angeberei. Die
zweite Neuerung war der gemeinsame Einsatz von Chodolejs und Walch in der Küche.
In der Armee braucht es dafür keine besonderen Qualifikationen: da zeigen sie
einfach mit dem Finger auf dich – du und du! Na los, dann kocht mal schön! Boris
war der Chef, Aljoschka der Koch. Außer ihnen arbeitete dort noch als
allegmeiner Leiter der Lebensmittelabteilung ein Deutscher namens Zink, ein
hünenhafter, baumstarker, weißblonder jinger Mann, der ebenfalls von seinem
Posten als Zug-Kommandeur versetzt worden war. Diese Umgruppierung brachte
unsere Gesellschaft ein wenig auseinander, verhieß andererseits jedoch gewisse
Dividenden im Sinne von zusätzlichen Essensrationen. Schließlich hatte sich auch
der Charakter bei den militärischen Vorbereitungen geändert. Anstatt der einem
bereits zum Halse heraushängenden „Exerzitien“ verwandte man nun eine Menge Zeit
für taktische Aufgaben und ganz besonders für Fußmärsche. Der erste fand schon
bald nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub und dem Erhalt der neuen Uniform statt.
Es war Abend, und ich befand mich in der Stadt. Plötzlich kam ein Eilbote und
rief alle zusammen. Um 10 Uhr abends war die Kompanie in Formation und, wie ich
bereits sagte, setzten sich alle, nur mit leichten Jacken bekleidet, in Marsch.
Wir gingen, mit kurzen Unterbrechungen, die ganze Nacht hindurch. Auf der
Chaussee liefen wir insgesamt 36 km. Anschließend mußten wir noch weit in die
Berge vordringen. Es war noch dunkel, und wir wollten erst die Morgendämmerung
abwarten. Erhitzt durch die lange Wanderung begannen wir nun zu frieren
(schließlich hatten wir Ende November!) und wärmten uns wie eine Herde Schafe,
indem wir uns zu einem dichten Haufen zusammendrängten. (Das wäre eine
Zielscheibe!). Nach einer Stunde wurde es langsam hell, und wir kletterten im
Gänsemarsch noch ganze vier Stunden über Steilhänge in die Berge hinauf, bis wir
schließlich in irgendeinem Dorf ankamen. Dort ruhten wir uns etwa zwei Stunden
aus. Einigen gelang es, in der Dorfschenke eine Bohnesuppe zuessen, andere
dösten auf den Bänken oder in der Herbszsonne nur ein wenig vor sich hin, um
dann auf einem anderen Weg zurückzugehen. Mangelnde Gewohnheit und Übung sowie
das noch nicht weichgetretende Schuhwerk bewirkten das Ihrige: viele hinkten und
waren lahm. Als es bis in die Stadt nur noch zehn Kilometer zu laufen waren, kam
uns unser Fahrzeug entgegen und nahm die erste Partie Invaliden auf; danach
kehrte es wieder zurück, um die weniger Leidenden und die Simulanten, die sich
ihnen angeschlossen hatten, aufzuladen. Wir, als standhafte Soldaten, angeführt
von unserem Kompanie-Kommandeur, stapften zufuß in die Kasernen zurück. Dieser
erste Marsch hatte sich über mehr als 75 Kilometer erstreckt, und das innerhalb
von 18-20 Stunden (später gab es noch längere Ausmärsche). Gegen Abend mußten
alle Aufstellung nehmen. Der Kompanie-Kommandeurbefahl all jenen vorzutreten,
die den gesamten Rückweg bis zu den Kasernen gesund und munter zufuß
zurückgelegt hatten. Dies fand eine gewisse Aufmerksamkeit. Die „Gesunden und
Munteren“ fühlten, dass es hier nach Arbeit roch, während die „Kranken“ und die
Schwindler hier eine Möglichkeit witterten, um sich zu drücken. Aber, wie sich
herausstellte, verhielt es sich genau umgekehrt. Alle die zufuß zurückgekehrt
waren, durften wegtreten, um sich zu erholen; alle anderen wurden zu
irgendwelchen Tätigkeiten und zum Wachdienst eingeteilt. Bald darauf trat noch
ein Ereignis ein, an das ich mich für den Rest meines Lebens erinnern sollte.
Das Jahr neigte sich dem Ende zu, und offensichtlich war der Getreideabgabeplan
nicht erfüllt worden oder man hatte noch zusätzliche Abgaben gefordert;
jedenfalls sendete man uns, einen Teil der Kompanie, ebenso wie die
Unterabteilungen anderer Truppenteile, in die Dörfer aus, um dort beim
Einsammeln der Rückstände behilflich zu sein. Wir, insgesamt 15 Mann, kamen in
ein großes Dorf, das etwa 15-20 Kilometer von der Stadt entfernt lag. In
Jugoslawien gibt es nur wenige dicht beinander liegende Dörfer; im allgemeinen
handelt es sich um einzelne Höfe oder Vorwerke, die 200, 300 oder 500 m
voneinadner entfernt liegen. Gewöhnlich teilte man uns in 2-3 Mann starke
Gruppen ein. Jeder dieser Gruppen stand ein Dorfratsvorsitzender zur Verfügung,
und dann liefen sie gemeinsam die ganzen Gehöfte ab. Der Dorfratsvorsitzende
führte die „erläternde Arbeit“, in dem er dazu aufrief, die Stadt doch zu
unterstützen, die dringend auf Getreide angewiesen war (im wesentlichen handelte
es sich dabei um Mais, einst ein wichtiges Mittel zum Brotbacken in
Jugoslawien). Dann begann das Feilschen: wieviel Getreide kann der Hausherr
zusätzlich abgeben? Oft ging er mit ihnen zusammen zum Speicher, und dann wurde
an Ort und Stelle über die Abgabemenge verhandelt. Sie gaben ungern,
widerwillig. Wir gingen weiter, und der Bauer brachte dann sein Getreide zur
Abgabestelle (oder er tat es nicht). Das war uns nicht bekannt. Kontrolliert
wurde die Angelegenheit vom Dorfsowjet, wir waren nur zusätzlich bei dieser
Operation eingesetzt – wegen der größeren Autorität. Es waren nur wenige
Vertreter der Administration da, aber es gab viele Häuser, und die waren auch
noch weit über das gesamte Territorium verstreut. Deswegen gingen einige
Gruppen, nachdem sie sich die erpresserischen Methoden angeeignet hatten,
selbständig los, vor allem die Schönredner und Phrasendrescher aus den Reihen
der ortsansässigen Russen. Wir wohnten in geräumigen Unterkünften; mal war es
eine Schule, mal ein Verwaltungsgebäude. Wir ernährten uns, wie auch zuvor, zu
Lasten der Besteuerung der Bauern. Dies betraf das Abendessen, wärend wir die
Mittagsmahlzeit bei irgendeinem Hausherrn einnahmen. Unserer Gruppe stand der
von mir bereits erwähnte Maljuta voran. Außer mir gehörte dazu auch ein gewisser
Kopyltschenko, ein jubger Bursche von etwa 22 Jahren, Absolvent des
Kadettenkorps, durchschlagskräftig, aber von uns nicht sehr geschätzt.
In der Vorfreude auf das bevorstehende Weihnachtsfest und das neue Jahr hatten
die unternehmungslustigen Familienväter sich „umfangreiche Vorräte“ zugelegt.
Obendrein, indem sie sich an der jeweiligen Situation orientierten, entdeckten
sie noch einen anderen Weg, um an Sachen heranzukommen, das heißt sie schlossen
mit den Bauern Geschäfte ab, indem sie ihnen im Gegenzug für eine Speckseite
oder ein Bündel Räucherwaren einen Teil der fälligen Steuern erließen. Ich
machte übrigens bei derartigen geschäften nicht mit, aber ich weiß, dass solche
Operationen getätigt wurden. Unsere Einheit besaß keine „Silberlinge“.
Kopyltschenko und ich waren Junggsellen, während Maljuta lediglich eine
erwachsene Tochter besaß, die einen gesicherten Lebensunterhalt hatte und in
Kroatien lebte. Dafür zierten wir uns nicht, wenn man uns zu Tisch bate, und
erwiderten die Gastfreundschaft des Gastgebers, indem wir den aufgetischten
Dingen reichlich zusprachen – ich besonders beim Essen, meine Kollegen beim
Trinken. Wie dem auch sei, jedenfalls wuchs in der Vorratskammer unserer
vorübergehenden Unterkunft die Zahl der Bündel, Beutel und Säcke von Tag zu Tag
an. In Jugaslawien gibt es einen Feiertag, der „Slava“ heißt. Das ist so eine
Art Namenstag für das gesamte Familiengeschlecht, und da im Dorf alle so gut wie
miteinander verwandt sind, verwandelte er sich jedesmal in einen Festtag für das
gesamte Dorf. Der besondere Clou dieser Festlichkeit ist das Braten eines ganzen
Schweins, dessen Abmessungen vom Wohlstand und der Personenzahl in der Familie
abhängen. Ein solcher „Slava“-Tag stand auch in unserem Dorf an. Es kam der
Befehl, sich für den Abmarsch nach Hause zu rüsten, wohl deshalb, um nicht
ständig die Dorfbewohner mit ihren Festtagsvorbereitungen vor Augen zu haben und
mögliche Vorfälle zu vermeiden. Wie dem auch sei, unsere Abfahrt war für den
morgigen Tag festgelegt. Schon in der Nacht hörte man von allen Enden des Dorfes
das Gequieke der Schweine, und überall auf den Hügeln und Hängen loderten Feuer.
Am Morgen, als wir vom örtlichen Vertreter den Abmarschbefehl erhielten, wollte
Maljuta wissen, wer von unseren Hausherren, bei denen wir derzeit untergebracht
waren, zu den etwas reicheren gehörte; dann schickte er unseren Begleiter
dorthin, damit dieser den Wirt im voraus über unser baldiges Eintreffen in
Kenntnis setzte – mit einer entsprchenden Anspielung auf die Mittagsmahlzeit.
Nach einigen energielosen Besuchen in verschiedenen Hütten erreichten wir gegen
zwei Uhr das am Morgen vorherbestimmte Ziel; der Hausherr hatte bereits alles
Mögliche zum Essen vorbereitet. Französische Bouillon gab es dort natürlich
nicht, dafür wurden Fleisch, Milch- und Mehlspeisen im Überfluß gereicht. Es gab
auch ein riesiges Blech mit „gibaniza“ (Käsekuchen; Anm. d. Übers.) – meiner
Lieblingsspeise. Das war ein Kuchen aus mehreren Schichten Blätterteig - sehr
dünne, ungsalzene Teigblättchen mit Zwischenschichten aus „Kajmak“, so etwas in
der Art wie der Rahm von Schafskäse. All das wird im Ofen gebacken. Der Kajmak
durchtränkt, nachdem er geschmolzen ist, den ganzen Kuchen – du leckst dir alle
zehn Finger danach! Auch der Hausherr rüstete sich für den Slava-Tag des
Petrowitsch-Geschlechts. Hinter dem Haus, auf der Wiese, drehten seine beiden
erwachsenen Söhne einen langen Spieß mit einem ausgeweideten , wohl 100
Kilogramm schweren Schwein, der in den Gabelungen zweier in den Boden
eingeschlagener Stangen ruhte. Die ganze Operation zog sich über mehrere Stunden
hin. Außer uns saßen der alte Hausherr mit seiner Frau und den jüngeren
Sprößlingen mit am Tisch. Auch die älteren Söhne gesellten sich kurz zu uns,
aber nachdem sie einige Minuten gesessen hatten, kehrten sie wieder zu ihrem
Grunzschweinchen zurück. Das Mittagessen verlief un „ungezwungener Atmosphäre“.
Außer Essen im Überfluß gab es auch reichlich zu trinken, angefangen von
hausgemachtem Wein, trübe, aber sehr angenehm im Geschmack, bis hin zu allen
möglichen Fruchtwässerchen, die in Serbien so populär sind, und unter denen der
„Sliwowitza“ (Pflaumenschnaps) den ersten Rang einnimmt, der einen Alkoholgehalt
von 35% erreicht – „mjoka“, d.h. weich, bis 70% - „ljuta“ (selbstverständlich
ohne Übersetzung). Meine Kameraden verkosteten das gesamte Assortiment. Wie ich
bereits erwähnte, war Maljuta ein Kaffeehaus-Sänger, und hier demonstrierte er
nun sein ganzes Repertoire russischer und serbischer Lieder. Im Großen und
Ganzen ging es auf dem Gehöft der Petrowitschs recht laut zu. Als der Zeitpunkt
des Abschieds gekommen war, wurde klar, dass die Selle der Gesellschaft,
Maljuta, pracktisch jedgliche Selbststeuerung verloren hatte. Kopyltschenk stand
auf festen Beinen, verlor jedoch andauernd den Gesprächsfaden und war die ganze
Zeit nur dabei dumm zu lächeln. Ich war noch in Form, aber richtig gerade gehen
konnte ich auch nicht mehr. In aller Eile wurde beratschlagt, und dann wurde
einer der Söhne von seiner heiligen Handlung mit dem Schwein abberufen. Er
spannte ein paar Pferde an, und wir kletterten auf das Fuhrwerk. Beim Abschied
ließ Maljuta noch einmal eine Ansprache vom Stapel, und verschoß den gesamten
Inhalt seines Patronenstreifens in der Luft, zum größten Vergnügen des
Gastgebers und vor allem der jungen Leute. Auch nach diesem Tatendrang
erschöpften sich Maljutas Aktivitäten nicht. Er begann pazifistische Reden zu
halten und rief dazu auf, die Waffen abzulegen. Dabei ging er selbst mit gutem
Beispiel voran und warf sein Gewehr in die Gosse. Das Gefährt setzte seinen Weg
in wackerem Trab fort. Dann schlug Maljuta Kopyltschenko vor, sich dieser Aktion
anzuschließen. Der, nicht ganz ohne Widerspruch und immer nochmit demselben
dümmlichen Grinsen im Gesicht, gab Maljuta sein Gewehr – es flog ebenfalls vom
Wagen. Trotz der angenehmen Stimmung begriff ich, dass die Sache zum Himmel
stank; ich sprang vom Fuhrwerk, das, desen ungeachtet, weiterrollte. Nachdem ich
zurückgegangen war, hob ich die Gwehre auf und schritt zum Haus. Als ich mich
unserem Quartier näherte, sah ich unseren „Opel Blitz“ danebenstehen, und als
ich in den Hof trat, stieß ich auf Feldwebel Zink, der eingetroffen war, um uns
abzuholen. Mit drei Gewehren auf zwei Schultern berichtete ich mutig, dass sich
während des Rundgangs keinerlei Zwischenfälle ereignet hätten. Ich dachte, dass
Zink explodieren würde – so sehr hatte sich sein Gesicht vor Wut rot verfärbt;
und schon fing er auch an zu schreien. Im übrigen erreichten seine Worte mich
nur ganz schlecht. Ich stand da und blickte melancholisch auf das in der Ecke
des Hofes stehende Häuschen, während mir ein Kloß im Halse aufstieg. Schließlich
ließ man mich gehen; mit einem entschlossenen Ruck verließ ich den Hof und nahm
von den gastfreunlichen Petrowitschs ein letztes Mal Abschied. Erleichtert, aber
dennoch in düsterer Seelenverfassung, ging ich meine Siebensachen packen. In
regelmäßigen Abständen drangen Zinks Wutausbrüche an mein Ohr, während in der
Unterkunft immer neue Gesichter auftauchten - mit glanzlosen Blicken, nachdem
auch sie „Slava“ feiernde Familien besucht hatten. Nachdem ich alles
fertiggepackt hatte, trat ich ins Freie. Zink stand mit gespreizten Beinen in
der Mitte des Hofes, wie das Monument eines Gladiators, und bereitete sich auf
die Begegnung mit unserem wichtigen, nicht sehr großen Deutschen vor, dem
Kommandeur einer der Einheiten. Die Begegnung begann mit einer lauten Salve,
aber unser Vorgesetzter wies Zinks Charakter soweit in seine Schranken. Er ging
auf ihn zu, umarmte ihn und flüsterte ihm irgendetwas zu. Danach gingen beide
von dannen; sie nahmen auch den deutschen Chauffeur mit, der an jenem Tag
Wasjuta ersetzte. Als alle zurückgekehrt waren, begann man die Trophäen zu
verladen und sich selbst einen Platz zu suchen. Der Wagenkasten war bis obenhin
voll, überall ragten Säcke und Gewehre heraus, und sogar ein Gänsekopf. Die
Sitzenden nickten ein, ihre Köpfe fielen vornüber. Daneben drängten sich die
Dorfbewohner. Es fehlten nur noch der Chauffeur und die Vorgesetzten. Endlich
tauchten auch sie auf, aber in welchem Zustand ...! Die Drei stiegen in die
Fahrerkabine, der Motor fing an zu schnurren und setzte wieder aus. Niemand
machte Anstalten die Motorhaube zu öffnen. Alle saßen schweigend da. Es
vergingen etwa 15 Minuten. Die Dorfbewohner beratschlagten lebhaft; und bald
darauf trieben sie ein paar Ochsen heran, spannten sie mit Ketten an den Wagen,
und im Triumph verließen wir das gastfreundliche Dorf. Die Ochsen zogen uns über
die Ebene. Als wir den Abhang erreichtn, wurden sie losgespannt, und das
Fahrzeug rollte aus eigener Kraft, während die Ochsen hinterherliefen. Es
herrschte unangenehmer Schneefall, und es ging bereits auf Mitternacht zu. Als
es bis zur Stadt nur noch zwei Kilometer waren, zeichnete sich aus der
Schneedecke eine Gruppe von etwa 15-20 Personen ab. Es stellte sich heraus, dass
es der Kompanie-Kommandeur, der Haupfeldwebel und eine Gruppe Soldaten war, die
sich, beunruhigt durch unsere lange Abwesenheit, zufuß auf die Suche nach uns
gemacht hatten. Was dann kam, ist schwer zu beschreiben. Als der Kommandeur vom
Schreien schon ganz heiser geworden war, begann das Gericht, rasch und gerecht.
Die Vorgesetzten wurden unverzüglich zur Hauptwache geschickt, alle Trophäen
wurden in der Küche beschlagnahmt, aber mit den gewöhnlichen Soldaten ging man
gnädig um; man entließ sie, damit sie sich schlafen legen konnten, nachdem sie
sämtliche Taschen, Ranzen und ähnliche Behältnisse geleert hatten. Ich sah
ziemlich wacker aus. Mein Ranzen mit der festgebundenen Wolldecke und dem
Regenzelt entsprach genau dem, was die Militärordnung vorschrieb, und zwar
sowohl in puncto Ausstattung, als auch im Hinblick auf die Abmessungen; so
ließen sich mich also in Frieden gehen. In dem vorschriftsmäßig gepackten Ranzen
hatte ich übrigens ein paar Kilo Räucherfleisch und eine Feldflasche voll
Sliwowitza fürmeine Freunde mitgechleppt. Es kam Weihnachten.Viele aus den
nahegelegenen Städten erhielten einen Urlaubsschein, nachdem sie zuvor um die
Herausgabe eines Teils ihrer Beute gefleht hatten, die übrigen bereiteten sich
auf den Festtag vor. „Würstchen“ und ich begaben uns hinter die Stadt und
beschafften eine Tanne. Wir schmückten sie mit allem, was Gott uns beschert
hatte, angefangen mit gereinigten Patronenhülsen, bis hin zu in der Kantine
aufbewahrten „Hygieneartikeln“, die zuvor aufgeblasen und dann bemalt wurden.
Des weiteren wurde der künstlöerische Teil des Abends vorbereitet und für ein
gutes Abendessen gesorgt, für das auch aufgehobene Lebensmittel aus dem Urlaub
und die zuvor konfiszierten Trophäenunserer „beschaffer“ verwendet wurden. Unter
den Couplets fanden sich Verse über die Unteroffiziere und über Papa Tschapa
(Tschaplinskij, einen der Aktiven, die den Zusammenhalt im Dorf bewirkt hatten)
und andere. Einer dieser Verse betraf auch uns:
„Walch hat mit den Resten des zwieten Gangs
Einfach den Sokolow „vollgestopft“.
Als ob er ihn für den Feiertag
Am Spieß braten wollte.“
„Sein Gesicht tropfte vor Fett –
In ein-zwei Tagen wird seine Haut platzen.
Er war immer bereit, alles zu essen –
Unser Würstchen Schechowzow.“
Würstchen und ich traten mit einer Demonstration dessen auf, wie wir mit dem Gewehr umgehen konnten. Im Großen und Ganzen wurde der Festtag in familiärem Rahmen begangen, fröhlich und ohne Trunkenheit. Dann kam wieder der Alltag mit seinen ganzen Exerzitien, dem Wacheschieben und anderen Erschwernissen und Freuden des Soldatenalltags. An einem Sonntag saß ich an einem Brief, als der Kompaniekommandeur den Raum betrat. Er trug einen staatlichen Pullunder, eine Reithose und leichte Sportschuhe, und war in einer Stimmun, wie man sie üblicherweise an Sonntagen zu haben pflegt. Es waren ziemlich viele Leute da. Sie umringten den Kommandeur, sagten irgendetwas und kicherten dienstbeflissen als Antwort auf seine Scherze. Ich mag kein liebedienrisches Getue, und blieb deswegen weiter an meinem Tisch sitzen. „Und du, Sokolow, was sitzt du da so trostlos herum?“- meinte Papa Otto. Ich geriet in Verwirrung. „Na ja, ich habe einen Brief von meiner Mutter bekommen. Sie hat finanzielle Schwierigkeiten und so“ – log ich, damit sie mich bloß in Ruhe ließen. „Na schön,“ meinte der Kommandeur. Ich werde dir Urlaub erteilen. Fahr hin in bring die häuslichen Angelegenheiten in Ordnung“. Ich dankte ihm, maß jedoch diesem, wie ich meinte, betrunkenen Geschwätz, keinerlei Bedeutung bei. Aber es waren noch nicht einmal drei Tage vergangen, als Unteroffizier Reinhardt aus der Kanzlei bei mir ankam und mir einen Urlaubschein für drei Wochen aushändigte. Danke, Herr Oberleutnant! Nicht mal bei einer Lotterie kann man sowas gewinnen! Am nächsten Tag reiste ich bereits nach Belgrad ab.
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