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P. Sokolow. Schlaglöcher

2. Buch. „Die Söldner“

Kapitel 23. Menschen in weißen Kitteln (oder ohne)

Einige Zeit verging, es wurde warm, und eines Tages schickte man uns erneut in ein Dorf. Es war eine große, kompakt bevölkerte Ortschaft. Darin hielt sich sogar eine Garnison der serbischen Gendarmerie auf. Wir (6-7 Mann) waren in einem Häuschen neben der Kirche untergebracht, aber einige von uns, darunter auch ich, hatten in einem Zelt im Hof Quartier bezogen. Jeder besaß einen Regenumhang in der Art einer dreieckigen Zeltplane in Tarnfarben. Darauf waren Knöpfe angebracht. Wenn man den Kopf durch die vorhandene Öffnungsklappe steckte und die Ecken zusammenknöpfte, dann erhielt man einen recht zuverlässigen Regenmantel, der den gesamten Körper bis zu den Knien bedeckte. In diesem Aufzug bezogen wir für gewöhnlich unsere Wachposten, wenn es regnete. Wenn man vier Zeltplanen miteinander verband, erhielt man ein hervorragendes 4-Mann-Zelt, das die Form einer Pyramide hatte. Dieses Mal ging unsere Aufgabe dahin, daß wir die von der Bevölkerung abzugebende Menge an Schafwolle beaufsichtigen sollten. Wahrscheinlich war sie für Deutschland bestimmt, und wohl deswegen hatte man in die Angelegenheit auch Soldaten mit einbezogen - zum größten Mißfallen von Papa Otto, welcher der Meinung war, daß ein derartiges Unterfangen höchstens die ihnen hartnäckig eingeprägte und ihm liebgewordene Disziplin zum Einsturz bringen könnte. (Wir hatten diesbezüglih unsere eigene Auffassung). Diese Wolle nun also brachten die Männer und Frauen zum Dorfrat; dort standen Waagen, und nach der Überprüfung des Gewichts, wurde, unter Vergabe eines Zuteilungsschlüssels, ein entsprechender Vermerk in eine Liste gemacht und die Wolle in eine Ecke geworfen. Der örtliche „Gemeinde“-Schreiber (Dorfrat) hatte eine Liste mit diesen Zuteilungsschlüsseln vorliegen; er trug die Namen der abgebenden Besitzer ein, während wir die Wolle entgegennahmen und das Abwiegen erledigten. Normalerweise drängten wir uns, zusammen mit dem Schreiber, einem hochgewachsenen Serben von etwa dreißig Jahren, mit 3-4 Mann in dem Raum. Die ganze Prozedur war von Schnapstrinken begleitet, Schnaps, den der Schreiber selbst oder möglicherweise auch einer der Wollablieferer beschafft hatten. Daher war es angeraten, daß ich an der Waage saß, denn die anderen verloren schon sehr bald die Orientierung an den Gewichten. Im übrigen kamen jedoch keine konfliktgeladenen Situationen auf. Die jeweiligen Verteilungsschlüssel ergaben sich aus der Anzahl der im Besitz des jeweiligen Bauern befindlichen Schafe, und man brauchte auch nicht großartig streiten, es sei denn irgendein Schlaukopf, in der Regel aus den Reihen derer, die etwas reicher waren, hatte heimlich ein Stückchen Eisen in seine Wolle geschoben oder diese mit Wasser befeuchtet. Einmal, als sich ausgerechnet auch noch unser Oberfeldwebel, ein gewisser Keller, der größte Schreihals unter den Unteroffizieren, mit in dem Raum befand, kam eine steinalte Frau angekrochen, um einen kleinen, in ein Tuch eingewickelten Klumpen Wolle abzuliefern. „Was ist das denn?“ – wunderte ich mich. „Was soll ich machen“, - erwiderte die Alte. „Ich habe doch nur ein Schaf“. Ich machte meiner Empörung Luft: war sie etwa auch von diesem Abgabezwang betroffen? Der Schreiber zuckte mit den Achseln: Nichts zu machen! Alle sind dazu verpflichtet! Voller Zorn ergriff ich eine ganze Handvoll Wolle aus dem großen Haufen, stopfte es der alten Frau ins Bündel und ließ sie damit in Frieden von dannen ziehen. Ich fürchtete, daß Keller nun überall herumerzählen würde, daß ich damit angefangen hätte, das Eigentum des Reichs zu verhökern, aber es kam kein einziges Wort über seine Lippen. Danach bemerkte ich mehrmals, daß gerechtes und entschlossenes Handeln wie die Entwaffnung potentieller Gegner wirkt, die, sobald sie nicht mehr handeln, sondern zu einer Diskussion darüber gezwungen werden, sich sehr schnell in Widersprüche verwickeln. Ich sah auch keine andere Möglichkeit, als dem Schreiberling den Dienst zu verweigern. Einmal kam zu jenem Dorfrat, es war bereits gegen Ende des Arbeitstages, ein Unbekannter und begann ein Gespräch mit dem Schreiber. Er war, nach seinen Worten, irgendein ihm Nahestehender. Einem der Unseren, einem gewissen Zokun, einem widerwärtigen Kerl und Liebhaber von Trinkgelagen, gefiel der Mann nicht. Jedenfalls trat er auf ihn zu und fragte ihn nach seinen Papieren. Der Angekommene versuchte auch noch, einen Gegenstand hinter seinem Rücken zu verbergen, der sich als Klappmesser von stattlicher Größe erwies. Sogleich beschuldigte Zokun den Mann der Zugehörigkeit zu den Partisanen und erklärte ihn für verhaftet. Ich beschloß mich einzumischen und bot mich an, den soeben Festgenommenen beim Vorgesetzten abzuliefern. Mit uns ging auch der Schreiber. Man hätte den Schuldigen auch einfach einem Skandal aussetzen können, aber wer weiß schon, inwieweit Zokun mir dann in die Karre gefahren wäre. Aus diesem Grunde brachte ich den „Kriegsgefangenen“ mit gutem Gewissen zu Keller und teilte ihm mit, daß der betrunkene Zokun einen Verwandten des Schreibers schikaniert und verhaftet hätte. Keller wußte sehr gut, was Zokun für ein Früchtchen war, er winkte nur mit der Hand, und der ganze Zwischenfall war erledigt; und später, als Zokun tatsächlich sturzbetrunken war, wurde ihm deswegen ganz gehörig der Kopf gewaschen. Am nächsten Morgen, um 9 Uhr, kam unsere Kompanie anmarschiert. Auch uns wurde befohlen den Anker zu lichten und uns der Kompanie anzuschließen. Wir hatten nicht viel zu packen, und schon standen wir wieder in Reih und Glied in unserer Abteilung. Ich war MG-Schütze und Walch meine rechte Hand (damals wurden an den Maschinengewehren noch zwei Mann benötigt).

Bald bogen wir von der Hauptstraße ab und gingen durch die Siedlung, die zum Berggipfel hinaufführte. Zur Linken befand sich eine tiefe, schmale Talsenke und jenseits davon der steile Abhang eines anderen Berges. Die Kompanie formierte sich zu einer Ein-Mann-Kolonne um und bewegte sich nun in einer langen Reihe den abschüssigen Pfad hinauf. Als ich von links laute Schläge vernahm, begriff ich nicht gleich, was los war; erst als plötzlich Kugeln durch die Luft summten, wurde klar, daß wir unter Beschuß geraten waren. Aber ganz offensichtlich waren die Schützen unerfahren und hatten zudem nicht das Relief der Felsen mit einkalkuliert; deswegen flogen die Geschosse über uns hinweg. Jedenfalls gingen wir erst einmal weiter. Unsere Abteilung bewegte sich an der linken Flanke; die Kugeln pfiffen ganz in der Nähe an uns vorbei, ab und an auch unmittelbar neben uns. Als die Schützen sich schließlich eingeschossen hatten, ihre Geschosse den Hügel regelrecht zu durchpflügen begannen und Querschläger mit lautem Gewinsel vom Boden zurückprallten, kam das Kommando „Hinlegen!“ – Wir drückten uns flach auf die Erde und beobachteten aufmerksam die Gegend, aber durch das ganze grüne Gestrüpp, die Büsche und Hecken konnte man nicht sehen, woher die Schüsse kamen. Es vergingen etwa zwei Minuten, bis jemand den Verdacht äußerte, daß das Feuer aus dem gegenüberliegenden Überrest eines Felsens kam. Ich schaute hinüber, konnte jedoch nichts erkennen. Nichtsdestoweniger gab der Kommandeur die Anordnung, das verdächtige Gelände mit Kanonenfeuer unter Beschuß zu nehmen. Ich versuchte zu zielen, aber das Ziel war einfach zu hoch gelegen, und im Liegen war es unmöglich, die gewünschte Stelle ins Visier zu bekommen. Deswegen standen Aljoschka und ich auf, wie es in derartigen Fällen üblich war. Ich legte ihm den Geschoßlauf auf die Schulter und gab eine kurze Salve ab. Es war mir noch nicht einmal gelungen, den Einschlag der Kugel festzustellen, als ich einen heftigen Stoß am Bein verspürte, der mich zu Fall brachte und ich mich vor Schmerzen krümmte. Aljoschka und ein paar andere zogen mich mich rasch zum gegenüberliegenden Hang und nahmen das Bein in Augenschein. Dort klaffte eine stark blutende, bis auf den Knochen reichende Wunde, deren Umgebung schnell zu einer schnell sich violett verfärbenden Beule anwuchs. Ich weiß nicht, ob ich von einem Querschläger oder einem von einer Kugel fortgeschschleuderten Stein getroffen worden war. Sie schossen, was das Zeug hielt, aber offenbar blindlings drauflos. Kurz darauf legte sich die wilde Schießerei, und die Kompanie setzte ihren Weg fort. Meine Schmerzen beruhigten sich ein wenig, so daß ich, lediglich ein wenig hinkend, mit den anderen mithalten konnte; das Gewehr allerdings händigte ich Walch aus. Als wir den Bergpaß hinaufstiegen, entdeckten wir neben uns einen geräumigen Schafstall oder eine Herberge. Dort beschlossen wir uns auszuruhen, nachdem wir zuvor das Gebäude und die unmittelbare Gegend vorsorglich einer genauen Untersuchung unterzogen und Posten zur Bewachung aufgestellt hatten. Eine halbe Stunde später gingen wir wieder zurück. Als wir uns bereits wieder zum Abmarsch formiert hatten, kam der Wirt angelaufen und fing laut an zu klagen, daß jemand seinen auf dem Dachboden zum Trocknen gelagerten Tabak gestohlen hätte. Der Kompanie-Kommandeur tobte, und befahl den Abteilungskommandeuren sofort eine Durchsuchung einzuleiten. Jene lösten sich unwillig aus der Formation, klopften träge auf die Jackentaschen und entdeckten nichts. Nach der Erholungspause war das Gehen viel beschwerlicher, aller hatten geschwollene Beine. Ich gelangte hinkend und mit gekrümmtem Rücken bis in das Dorf, in dem wir vor unserem Abmarsch gelebt hatten. Die Nachricht über das Feuergefecht in den Bergen war bereits bis dorthin vorgedrungen, vermutlich durch die Bergleute, die ihre Waren auf Lastpferden transportierten und an denen wir unterwegs vorbeigekommen waren. Eine Menge Leute kamnen aus den Häusern heraus, darunter auch der mir bekannte Schreiber. Nachdem er erfahren hatte, was geschehen war, organisierter er in aller Eile einen Leiterwagen, gab mir noch eine ganze Tasche voll Dörrpflaumen mit, und ich konnte auf komfortable Weise zu meiner Unterkunft fahren. Am nächsten Morgen war das Bein wie ein nasser Holzklotz aufgequollen, ich hatte Fieber bekommen, und man brachte mich schnell ins Hospital, genauer gesagt, zur örtlichen Sanitätsstelle. Sie befand sich im Anbau einer der Baracken, die auf dem Territorium der Proviantbasis standen und die war auch schon mehrfach bewacht hatten. In der Krankenabteilung standen etwa 12 Bettstellen, in der Mitte ein Tisch und an einer der Stirnseiten ein paar Schränke. In der Vorstellung der meisten hätte ein Krankenhaus, zudem noch ein deutsches, Sauberkeit und Sterilität verkörpern müssen. Aber hier fand man nichts dergleichen vor. Das Krankenzimmer unterschied sich in nichts dem Schlafraum in unserer alten Kaserne. Die Kranken lagen in ihrer Unterwäsche da oder liefen in ihrer Uniform herum, die in den Schränken verwahrt wurde; und sie aßen aus Kochgeschirren, das der einzige vorhandene Sanitäter und Feldscher Willi, der ebenfalls ohne Kittel herumlief, ihnen brachte. Im Krankenzimmer wurde auch geraucht. Zum ersten Mal befand ich mich in der Umgebung von Deutschen und fühlte mich dabei äußerst unwohl. Schon wenig später ging die Geschwulst zurück, aber die Wunde wollte und wollte nicht heilen; es war ein ziemlich großes Loch entstanden, aus dem eine rötliche Flüssigkeit sickerte. Wahrscheinlich hing das mit der Verletzung des Knochens zusammen. Insgesamt verbrachte ich 47 Tage im Lazarett. In diesem Zeitraum gingen an mir an die 50 Vertreter der deutschen Rasse vorüber, so daß ich mir von ihnen bereits eine gewisse Vorstellung machen konnte. Im allgemeinen waren das ganz gewöhnliche Menschen mit all den ihnen eigentümlichen Unzulänglichkeiten, aber auch mit einer gewissen Würde, die ich in erster Linie auf die Fähigkeit des menschlichen Zusammenlebens zurückführe, bei dem man Recht und Ruhe der anderen respektiert, eine Eigenschaft, die uns Russen nicht gerade sonderlich zueigen ist, aber auf der anderen Seite konnte ich nie diese uneigennützige Hilfsbereitschaft anderen gegenüber beobachten, über die jeder einfache russische Mensch verfügt. Der Deutsche ähnelt eher einer Katze, die ganz für sich allein einen Spaziergang unternimmt. Eine positive Eigenschaft ist die Achtung gegenüber seiner Nation, die allerdings, als Vertreter seines Volkes, mitunter in Angeberei und die Sorge um sein „Image“ausartet. Bei uns fehlt diese Eigenschaft dagegen fast vollständig. (Auf Die Bourgoisie blicken wir von oben herab, streben jedoch nicht unsere Vormachtstellung an, weder die scheinbare, noch die reale, um dies mit unserem Verhalten und unserem Tun zu bestätigen). Von den Ideen der Rassenüberlegenheit war der statistische Durchschnittsdeutsche meiner Meinung nicht nicht befallen, genauso wenig, wie er von Natur aus blutrünstig war; eigentlich hatte er eher gutmütige Züge. Aber die Geißel der deutschen Nation jener Zeit war in puncto Eigenschaften besser – die zuverlässige, bereits in den Genen verankerte, Disziplin, die durch den Dienst in der Armee noch weiter kultiviert wurde. Der „BEFEHL“ ersetzte ihm auch den lieben Gott, das Gewissen und die Verantwortung für seine Verbrechen. Aber kehren wir zum Thema und zu konkreten Leuten zurück, mit denen mich das Krankenlager zusammenführte. Mein erster Bettnachbar war ein aufgeschossener, schweigsamer Artillerist mit Furunkulose. Er sprach nur wenig, antwortete jedoch stets höflich, und war auch sonst sehr zuvorkommend. Er blieb 3-4 Tage dort, verabschiedete sich dann von allen per Handschlag und ging schweigend von dannen. Ganz sein Gegenteil war ein zweiter Willi, ein kleiner, hagerer, Verkaufsstandinhaber. Das war ein echter Faschist. Er schwatzte eine Menge dummes Zeug, wobei er stets auf die Vorteile des National-Sozialismus verwies und sogar eifrig versuchte mich zu reizen: man sagt, wir seien human: wir behandeln einen Russen genauso wie einen Deutschen. Allerdings hatte das keine Wirkung. Jemand brüllte: „Halt’s Maul!“ – und danach kam er auf dieses Thema auch nicht mehr zurück. Zu der Zeit trafen Truppenteile einer anderen Division, die man von der Front abgezogen hatte, ein, um unsere Garnison abzulösen. Sogleich kam ein Infanterist zu uns, ein hagerer Mann mit der ungesundenen Gersichtsröte eines Schwindsüchtigen. Er wurde sofort zum Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit. Für mich selbst nannte ich ihn den „boshaften Infanteristen“. Er hatte den dumpfen Geruch aus den Schützengräben mitgebracht, der den aufrichtig unterwürfigen Gefühlsausbrüchen Willis zuwider lief. Er bewies, daß es für die Deutschen in Rußland nichts zu tun gab, daß das russische Volk nach seinen Gesetzen und Bräuchen lebte und daß das Glück nicht auf einem warmen Lokus zu finden wäre; daß man ein Volk, welches sich um seiner Freiheit willen erhoben hat, niemals besiegen kann. Zwischen ihm und Willi entbrannten wahre Wortgefechte. Die anderen nahmen nicht aktiv an diesen Diskussionen teil, aber insgesamt gesehen bekam Willi auch keinerlei Unterstützung. Wenn die ganze Sache eine gefährliche Grenze ereichte, mischte sich jedesmal der mir gegenüber liegende Peter ein, ein fröhlicher Mechaniker aus Frankfurt am Main, knapp 40 Jahre alt, stämmig, mit einer Glatze und frech glänzenden Augen. „Schluß jetzt!“ – rief Peter, „reden wir lieber über ...“.

Seinem Repertoire lauschten alle gern, und die politischen Leidenschaften beruhigten sich. Dieser Peter war ein großer Spaßvogel und wohl auch ein ebenso großer Simulant. Jedenfalls verbrachte er hier eine ziemlich lange Zeit, und die Ärzte schafften es nicht herauszufinden, an welcher Krankheit er eigentlich litt.Das Reinigen der Räumlichkeiten erledigte eine im freien Angestelltenverhältnis stehende Serbin, ein forsches und gewandtes Frauchen von vielleicht 25 Jahren. Schürzenjägern zeigte sie die Zähne und schlug mit dem Lappen nach Peter, der seine Hände nicht unter Kontrolle halten konnte; dafür nahm sie mich unter ihre Obhut: sie setzte sich, Peter und anderen Hofmachern zum Trotz, zu mir aufs Bett und begann mich zu küssen. Ich wurde rot, und das gab neuerlichen Anlaß für Gelächter und Spötteleien. Peters Krankenhauskarriere endete völlig unerwartet. Am Morgen wurden Thermometer und Kaffee ausgeteilt. Peter hatte zu dem Zeitpunkt das Zimmer verlassen, um sich zu waschen, und der Witzbold im Nachbarbett hielt sein Thermometer in den Kaffee. Peter kehrte zurück, legte sich aufs Bett und schickte sich an, seine Temperatur zu messen. Als der Sanitäter Willi das Ergebnis überprüfte, stellte sich heraus, daß Peter 40 Grad Fieber hatte. Der Sanitäter rannte zum Arzt. Der kam angelaufen und tastete als erstes nach Peters Puls. Peter begriff nicht, was los war, und strahlte fröhlich aus seinen glänzenden Augen. Die Temperatur wurde nachgemessen und Peter danach unverzüglich aus dem Hospital gejagt. Übrigens war er deswegen nicht beleidigt, sondern verabschiedete sich von uns mit einem ebenso fröhlichen Gesicht. Und es gab noch ein Phänomen. Einen Gebirgsjäger, der aus Tirol kam. Er dachte sich Verse in seinem tiroler Dialekt aus, den kein Mensch verstand. Er versuchte seine Werke zu deklamieren, aber die anderen wehrten ab und unterbrachen ihn häufig in ziemlich grober Weise. Ich war davon unangenehm berührt, und der arme Poet, der meine mißbilligenden Blicke wohl bemerkt haben mußte, fast Vertrauen zu mir. Nachts schlief ich schlecht, weil ich in dem einen Monat meines Aufenthalts im Hospital schon für ein ganzes Jahr im voraus geschlafen hatte. In solchen Minuten hörte ich häufig ein Flüstern: „Oberjäger, schlafen Sie?“

Der Tiroler setzte sich zu mir und fing an, mir etwas zu erzählen und mit seine Verse vorzulesen. Ich verstand überhaupt nichts, klopfte ihm jedoch auf die Schulter und meinte: „Gut!“ – Danach legte er sich beruhigt schlafen. Meine Kameraden besuchten mich jeden Tag und brachten jedesmal irgendwelche Leckereien, Zeitschriften oder sogar Bücher in russischer Sprache mit. So las ich das gesamte fantastische Werk von H.G. Wells. Manchmal kletterte ich sogar durchs Fenster zu ihnenh hinaus, und dann gingen wir im Garten spazieren. Nach Hause schrieb ich, daß ich leicht erkrankt sei und im Krankenhaus läge, und daß die Mutter sich nicht beunruhigen sollte. Es war bereits Sommer. Ich hatte keine Meinung mehr noch länger im Krankenhaus zu bleiben. Da ereignete sich ein weiteres ungewöhnliches Ereignis. Gegen Abend ertönten von der Straße her Schüsse, und einige Minuten später brachten sie zwei Männer ins Krankenzimmer. Es stellte sich heraus, daß die Wachen (zu dieser Zeit waren es keine von uns, die dort Dienst schoben) zu tief ins Glas geschaut hatten und der Wachleiter, ein Unteroffizier, mit seinen Zechkumpanen auf die Idee gekommen war, ein wenig Krieg zu spielen; sie waren also in den Hof hinaus gegangen, hatten sich in Deckung gelegt und dann aufeinander geschossen. Infolgedessen waren sie nun alle beide ins Hospital geraten. Der Wachleiter hatte eine Kugel im Bauch, sein Freund – einen Beindurchschuß. Dieser schrie ganz furchtbar, während der „Bauchgetroffene“ ihn zu beruhigen versuchte, indem er ihm zubrüllte, daß alles gut sei und „wir später noch weiterschießen“ werden. Gegen Morgen starb der Mutmacher; der andere wurde ins Krankenhaus nach Belgrad gebracht. Im Laufe der Verlegung fand ein Wechsel statt und sowohl wir als auch die die im Hinterland ihren Dienst Leistenden blieben ohne Arzt und Sanitäter zurück. An ihrer Steele kam zur Patientenvisite ein hagerer junger Mann mit goldgefaßter Brille. In seiner Hand hielt er ein Fläschchen mit einem weißen Pulver. Allen verabreichte er, unabhängig davon, was ihnen fehlte, eine kleine Dosis davon. Als er an mein Bett herantrat, nahm ich meinen Verband ab und zeigte ihm die Wunde. Der Äskulap überlegte einen Augenblick; dann streute er das Pulver auf die Wunde. Kurze Zeit später kam ein neuer Arzt, ein kräftiger junger Mann mit klar ausgeprägtem, deutschem Äußeren, aber mit dem italienischen Nachnamen Castadello. Zu dieser Zeit war ein neues Unglück über mich hereingebrochen. Die Wunde begann ein wenig zu vernarben, der Verband wurde seltener gewechselt – einmal in drei Tagen. Aber die Wunde juckte ganz unerträglich. Diejenigen, die sich damit auskennen mußten, versicherten mir, daß das seine Richtigkeit hätte. Aber einmal, als ich es nicht mehr aushalten konnte, wickelte ich den Verband ab und entdeckte darunter eine ganze Horde beleibter Läuse. Ich war in seelischer Hinsicht schwer erschüttert. Nun begann ich mich auch unter dem Hemd zu kratzen. Ich war verzweifelt. Meine Freunde brachten mir neue Wäsche, und meine Schutzpatronin, die serbische Reinmachefrau wusch die getragene Wäsche jeden Tag. Auf diese Weise wurden die Läuse für dieses Mal besiegt. Aber irgendetwas mußte ich mitr überlegenj, und so schlug ich Doktor Castadello vor, daß er mich entlassen sollte. Daß ich nach Hause fahren wollte; meine Mutter sei Ärztin und könnte mich dort gesundpflegen. Außerdem würde sonst mein ganzer Urlaub verstreichen. Eines Tages, nach dem Mittagessen, wurde ich zum Arzt bestellt. Erlegte einen mit Salbe durchträngten Tampon in die Wunde, löste irgendein Pulver übder der Flamme eines Spirituskochers, was schließlich eine teigähnliche Masse ergab. Mit diesem Zeug rieb er mir das Bein ein, umwickelte es mit einer leichten Binde, die elastisch wie Gummi war. Dann gab er mir die Anweisung, diese nach 4 Tagen zu entfernen. Und damit war mein Aufenthalt im Lazarett beendet. Das Bein schmerzte nicht, aber in der Kompanie kam ich immer noch stark hinkend an; nachdem ich vor dem Spieß angetreten war und ihm Meldung über meine Rückkehr gemacht hatte, sagte ich, daß der Arzt mich zur weiteren Behandlung nach Hause entlassen hätte, wobei ich ihm das mir ausgehändigte Papier zeigte, das in der typischen „Doktoren“-Schrift ausgestellt worden war und fast ausschließlich Lateinisch. Vor der Wissenschaft kapitulierte unser „Zigeunervater“, aber es gelang mir nicht, den Urlaub sofort anzutreten. Die Kompanie war zu einer mehrtägigen Exkursion ausmarschiert, und ich mußte auf ihre Rückkehr warten. Zu jener Zeit waren bei uns aus verschiedenen Gründen eine Menge Leute ausgeschieden, und es trafen Neuankömmlinge ein, um sie zu ersetzen. Es waren hauptsächlich Burschen vom Lande aus dem jugoslawischen Banat-Gebiet, in dem eine vorwiegend deutsche und ungarische Bevölkerung lebte. Eine russische Seele besaßen diese Neuen jedenfalls nicht. Viele konnten auch kein Deutsch, und einige sprachen ausschließlich Ungarisch. Bekleidet waren sie mit Uniformen aus der Zeit des „in Frieden ruhenden Kaisers Franz Josef“, wie unser Bekannter Wyschiwanjuk aus dem Invalidenheim immer zu sagen pflegte.

Während der Abwesenheit der Kompanie verpflichtete man mich zum Diensthabenden, der, gemeinsam mit einem der nicht ins Kampfgeschehen eingebundenen Unteroffiziere, mit der Ausbildung der Neuankömmlinge beginnen sollte. Das war eine äußerst umfangreiche Aufgabe, aber schließlich ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Die jungen Burschen betrachteten ehrfürchtig mein lahmes Bein und beugten sich ohne Murren nach links und rechts. Als nach drei Tagen die Kompanie zurückkehrte, konnten meine Kursteilnehmer sich bereits ausrichten, Aufstellung nehmen und einstimmig „Heil!“ ausrufen. Übrigens war die Kompanie während meiner Abwesenheit in ein anderes Quartier verlegt worden, das man zuvor renoviert hatte; dort waren wir in kleinen Zimmern zu jeweils 6-8 Mann untergebracht. Im Augenblick wohnte ich dort noch ganz allein. Die Korridore und Zimmer der Kommandeure wurden von einem jungen serbischen Mädchen in Ordnung gehalten. Wenn sie mit den Reinigungsarbeiten fertig war, arbeitete sie in der Küche weiter. Ich pflegte einen freundschaftlichen Umgang mit ihr, und zwar schon seit der Zeit, als Aljoschka Walch noch in der Küche tätig gewesen war. Als dieses Mädel mich mit Eimer und Feudel sah, nahm sie mir beides aus der Hand und putzte das Zimmer während der gesamten Zeit, als niemand außer mir, darin hauste. Ich lebte also in diesen 3-4 Tagen wie ein türkischer Pascha, der von seinen Haremsdamen und Sklaven umgeben ist. Aber da kam die Kompanie zurück. Der Kommandeur begrüßte mich erfreut und unterschrieb wortlos meinen Urlaubsschein über zwei Wochen.

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