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P. Sokolow. Schlaglöcher

2. Buch. „Die Söldner“

Kapitel 25. Wieder aufkeimende Hoffnung.

Dum spiro – spero.
(Solange ich atme – hoffe ich)
[Lateinischer Spruch]

Nach etwa einer Woche erfuhren wir, dass unser Kommandeur nach Holland versetzt werden sollte. Eines Tages lud er uns in die Kantine ein. „Wir“ – das waren 10-15 Mann, alles langjährige Soldaten, die gemeinsam mit Otto nicht bloß hundert Kilometer marschiert waren. Der Kommandeur schenkte Wein aus und hielt eine Abschiedsrede. „Ich weiß nicht, was uns erwartet. Es ist die Zeit gekommen, wo es heißt „Im Laufschritt zurück, Marsch-Marsch!“ (er sagte das auf Russisch). „Deswegen wünsche ich euch, dass ihr am Leben bleibt und alles wohlbehalten durchsteht!“ Dann entfernte er seine Rangabzeichen und verwandelte sich in einen schon etwas betagten, guten und klugen Kameraden. Am nächsten Tag reiste er ab. Für seinen Ersatz schickten sie aus dem Bataillonsstab Leutnant Osterman(n); er stammte aus den Reihen der Rußland-Deutschen, ein stattlicher Mann, intelligent und überhaupt nicht streng. Die Dinge liefen alle schief und krumm. etwas chaotisch. Zugegeben, ich persönlich lebte nicht schlecht. Osterman(n) mochte gern Preference spielen, und so versammelte sich um ihn eine kleine Gesellschaft Gleichgesinnter, unter ihnen auch Aljoschka und ich. Aljoschka spielte schlecht, aber er lernte vieles hinzu. Unter den Stammgästen waren auch Orlow und Ingenieur Tarasow, Schlange N°. 2. Wir wohnten, wie ich bereits sagte, in einem neuen Block in kleinen Zimmern. Der Älteste in unserem Zimmer war ein gewisser Schilenok, ein noch junger, aber gebildeter und schrecklicher ernster Bursche. Das erste, was er bei uns einführte war eine Steuer für Flüche. Dem Schuldigen drohte bei Verwendung eines unliterarischen Begriffs eine Strafe. So wurde ein „Kultur-Fond“ geschaffen, von dem Zeitungen und Zeitschriften gekauft wurden. Anfangs wuchs dieser Fond rasant an, aber Schilenok war unerbittlich, so dass unser Rednertalent in puncto Schimpfwörter bald auf einen Tiefpunkt sank. Unser Kulturkloster wurde von Chartschenko aufgesucht. Als Gast war er von der Strafe ausgenommen, und deswegen verspottete er uns wie er lustig war. Eines Tages schlich er sich nach dem Appell zur Nachtruhe bei uns ein, bekleidet nur mit einer langen Unterhose; er durchwühlte die Nachttische und aß alles auf, was ihm schmackhaft erschien; anschließend setzte er sich gemütlich hin und fing an uns zu beschimpfen. Eine derartige Unverschämtheit konnte nicht einmal der unerschütterliche Schilenok ertragen. Wir ergriffen Chartschenko, zogen ihm die Unterhose aus, zierten ihn mit einem Röschen, das als Teil unseres kulturellen Interieurs in einer kleinen Vase stand, und warfen den Aggressor in den Korridor hinaus. Chartschenko wollte schon vor uns das Weite suchen – da stieß er auf den Hauptfeldwebel, der gerade seinen Streifengang absolvierte. Der erstarrte vor diesem Anblick dermaßen, dass ihm die Worte fehlten, und erst, als Chartschenko in seinem Zimmer untergetaucht war, fand der Spieß aus seiner Erstarrung wieder heraus, schimpfte uns halbwohlwollend aus, nannte uns Zigeuner und verschwand. Zehn Minuten später wurde die Tür unseres Zimmers leise ein Stück weit geöffnet, und in der Türspalte erschien ein kleiner Kopf auf einem langen Hals. „Ihr B....!“ – stieß Chartschenkosbekannte Stimme hervor, und dann hörte man nur noch das schnelle Getrippel nackter Füße.

So wie ich bisher die unterschiedlichen Kleinigkeiten, die unseren Alltag ausmachten, geschildert habe, will ich nun auch versuchen eine Beschreibung der großen Ereignisse abzugeben, vor deren Hintergrund sich Tatsachen meines persönlichen Lebens abspielten. Wir schreiben also das Jahr 1943. Nach der Niederlage bei Stalingrad zogen die Deutschen in aller Eile ihre Truppen aus dem Kaukasus zurück, wobei sie praktisch sämtliche Territorien verloren, die sie beim Frühjahrsfeldzug im Jahre 1942 eingenommen hatten. Nachdem sie auf diese Weise ihre Streitkräfte konzentriert hatten, verübten sie bei Charkow einen empfindlichen Gegenschlag gegen die Sowjetarmee und stabilisierten die Front auf etwa einer Linie Orel – Kursk – Charkow.Der Nord-Kaukasus und das Kuban-Gebiet wurden vollständig von den Faschisten befreit. In ihren Händen blieb lediglich ein Küstenstreifen im Bezirk Noworossisk, wo in dem vonmir beschriebenen Zeitraum, auch mehr oder weniger intensive Kampfhandlungen stattfanden. Ihr Sinn lag für die Deutschen darin, dass sie offenbar im Sommerfeldzug 1943 noch nicht die Hoffnung verloren hatten, einen neuerlichen Angriff auf den Kaukasus zu unternehmen, wobei sie die Taman-Halbinsel als Brückenkopf und Aufmarschraum nutzen wollten.

Aus jenen Beweggründen strebte die Rote Armee danach, diesen gefährlichen Kriegsherd in ihrem Hinterland zu vernichten und für sich einen Ausgangspunkt für die Landung auf der Krim zu schaffen. Diese Kämpfe sind sehr detailliert in Breschnjews „Kleine Erde“ beschrieben. Nachdem die Deutschen erhebliche Verluste erlitten hatten, begannen sie ihre Aufmerksamkeit mehr auf nationalen Formierungen zu richten, die sich aus den Völkerschaften der UdSSR zusammensetzen sollten – auf Kosten der Bevölkerung in den besetzten Bezirken sowie der Kriegsgefangenen. Auf diese Weise entstanden die ukrainischen Divisionen „Wilna Ukraina“ und „Galitschina“, sowie lettische, türkische und andere Truppen. Auch die ROA, die Russische Befreiungsarmee, trat in Erscheinung. Sie stand unter dem Kommando des Generals Wlassow, der einst den 2. Armee-Stroßtrupp befehligt hatte. Nach seiner Zerschlagung an der Wolchow-Front kapitulierte Wlassow und ließ sich gefangennehmen; danach stand er an der Spitze der sich aus Kriegsgefangenen zusammensetzenden Truppenteile, die zunächst zur Bewachung von Objekten im Hinterland und anschließend auch bei Operationen gegen Partisanen, und sogar an der Front, Verwendung fanden. Hier in Jugoslawien hatten wir nur ganz am Rande von Wlassow gehört, aber diese Gerüchte ließen wieder Hoffnung aufkeimen, dass unsere Emigrantentruppen ebenfalls mit der ROA vereint werden und endlich wieder auf russischen Boden gelangen könnten. Aber, wenn dies für den gewöhnlichen Soldaten auch nur ein wenig Hoffnung bedeutete, so saßen unsere leitenden Akteure nicht untätig herum, sondern setzten alles daran, eine günstige Gelegenheit zu nutzen, um zum eigenen, größtmöglichen Vorteil die herumliegende menschliche Ware loszuwerden. Mit dieser Art von Aktivitäten beschäftigte sich auch der von mir bereits erwähnte Hauptmann Semjonow – unser geheimer und inoffizieller geistiger Führer - so einer, wie etwa Ayatollah Komeini im Iran. Semjonow richtete die Angelegenheit so aus, dass unsere Truppen als Kern für die Schaffung einer größeren Formierung, entweder aus unseren Reihen oder aus dem Bestand der ROA, genutzt werden sollte. Ein ähnliches Spektakel unternahmen auch die Väter des Schutzkorps. Natürlich gelang es mir nicht, auch nur einen flüchtigen Blick hinter die Deckmäntel dieser schmutzigen Machenschaften zu werfen, aber die Deutschen reagierten unwillig auf diesen Streich, entweder, weil unsere Rolle auf dem Balkan ihnen sehr gelegen kam, oder weil sie ihnen, in dem Wissen um die nationalistische und insgesamt antideutsche Haltung ihrer russischen Condottiere, kein Fünkchen Vertrauen schenkten, und im Großen und Ganzen machten sie es, vom objektiven Standpunkt aus gesehen, ganz richtig so. Wie dem auch sei, man gestattete Semjonow, für dieses Experiment etwa hundert Mann auszuwählen, die als Kommandostab für das neu zu bildende ROA-Bataillon fungieren sollten. Der neuerliche Vernichtungsschlag bei Kursk beschleunigte die Entwicklung der Ereignisse, und die erste Partie der zukünftigen „Befreier“ begab sich aus den unterschiedlichsten Unterabteilungen unseres Regiments zum Sammelpunkt nach Belgrad. Auch aus unserer Kompanie fuhren acht Mann mit, darunter auch einige der hier bereits erwähnten. Am bedeutendesten war, dass Chodolej und Walch auch dorthin kamen, während Sosiska und ich „außerhalb des Bootes“ blieben. Meine Verzweiflung war grenzenlos, und einziger Trost war die schwache Hoffnung, dass Chodolej und Walch uns nach ihrer Ankunft in Belgrad protegierten und bei Semjonow ein gutes Wort für uns einlegten. Anstelle der Ausgeschiedenen kamen neue Kader von Volksdeutschen. Die Stimmung in der Kompanie verschlechterte sich. Es gab Fälle von Diebstahl. Allerdings wurde der Täter überführt, und nachdem man ihm vor versammelter Mannschaft die Fresse poliert hatte, wurde er dem Gericht übergeben, und ich sah ihn nach einiger Zeit unter anderen Verhafteten, die am Soldatenheim in Belgrad Bierfässer abluden. Ein weiterer Akteur, schwarzhaarig, der eigentlich wie ein Mexikaner ausah und nicht wie ein Deutscher, stammte aus dem Banat; er trug wie zum Hohn den Nachnamen Weiß und war einer derer, die auf- und davonliefen. Er tauchte irgendwann in einem Dorf auf, forderte für sich ein luxuriöses Abendessen, legte sich dann schlafen, nachdem er dem Hausherrn sein Gewehr überlassen und ihm befohlen hatte, ihn zu bewachen; dabei drohte er ihm damit, das Haus und die Familie des Bauern dem Verderb auszuliefern, falls ihm, Weiß, irgendein Unheil zustieße. Der arme Mann patrouillietre die ganze Nacht um Weiß herum, machte aber am Morgen trotzdem Mitteilung von dieser Sache, und der vom Mißerfolg verfolgte Schmarotzer wurde verhaftet und eingesperrt. Auch in der Stadt gab es ein außergewöhnliches Vorkommnis. Ungefär 50-60 Kilometer von Walewo entfernt, gibt es auch so ein nicht zur Kommune gehörendes Städtchen namens Losnitza. Zwischen diesen Städten verkehrte ein Autobus, eine alte Schrottkiste, die die Passagiere von Losnitza zum Bahnhof nach Belgrad brachte. Losnitza liegt an der Drina, die zu der Zeit die Grenze zwischen dem okkupierten Serbien und dem „Unabhängigen Staat Kroatien“. In Losnitza war ein Schutzkorps-Regiment zur Bewachung der Grenze stationiert. Auf dem Dach des Autobusses war eine Plattform eingerichtet, wo die Wachen untergebracht waren; dort standen ein paar Schutzkorps-Angehörige mit leichten Maschinengewehren. Eines schönen Tages, ungefähr 6 Kilometer von Walewo entfernt, wo die Straße in einem engen Korridor über einen Abhang verlief, wurde der Bus plötzlich beschossen, die Wachen kampfunfähig gemacht und die Passagiere ausgeraubt. Ob dies eine Aktion der Partisanen war oder es sich einfach nur um Banditen handelte, vermag ich nicht zu beurteilen. Von den Wachen kam nur ein Russe lebend davon, dem es gelungen war in die Büsche zu kriechen und sich dort verborgen zu halten. Er war schwer verwundet, hatte einen Bauchschuß davongetragen; trotzdem hatte er den Mut und die Kraft gefunden, seine hervorquellenden Gedärme in seiner Soldatenmütze aufzufangen und damit noch bis an den Stadtrand zu kriechen, wo er von einem diensthabenden Wachmann bemerkt und sofort ins Belgrader Krankenhaus gebracht wurde. Diese wenig bedeutsame Episode führe ich an, um diese merkwürdigen Strudel der Ereignisse in den menschlichen Schicksalen aufzuzeigen, die mich im Laufe mehrerer Monate mit diesen Menschen zusammenführten. Der Tatbestand des Überfalls selbst blieb damals so gut wie unbemerkt, und niemand wurde deswegen wachsamer. Mitte August wurde ein Teil des Regiments, wie im Vorjahr, wegen der anstehenden Erntezeit in die Dörfer entsendet. Sosiska Schechowzow und ich kamen ziemlich weit weg. In der „Zone unserer Aufmerksamkeit“ floß ein Flüßchen. Darauf satnden, alle 600-800 Meter kleine Wassermühlen, welche die umliegende Bevölkerung mit Mehl versorgten. Das durch ein Wehr gestaute Wasser war still und warm. Weil das Flüsschen so warm war und es darin soviel zu fressen gab, schwammen dort große Fische, was eigentlich für einen Fluß dieser Größe ganz ungewöhnlich war. Wir versuchten die Fische zu fangen, aber, so satt und wohlgenährt wie sie waren, reagierten sie nicht auf unserer Würmer und Heuschrecken. Aber wir bekamen den Dreh heraus. Wenn man sich so bewegte, dass die Sonne von der Seite oder von hinten schien, dann konnte man im seichten Wasser den vorüberschwimmenden Schwarm, aber auch einzelne Fische, gut sehen. Ein Schuß ins Wasser, und der Fisch, oder auch 2-3 Fische, kam mit dem Bauch nach oben an die Wasseroberfläche. Hier mußte man allerdings schnell reagieren, denn bald darauf mieden die Fische die Stelle und schwammen davon, aber in der Regel gelang es uns, unsere Beute zu fangen, und frischer Fisch wurde zum ständigen Bestandteil unserer Mahlzeiten. Aber in dem Maße, wie wir der Begeisterung für den Fischfang frönten, verringerte sich auch die Zahl unserer Patronen, und es dauerte gar nicht lange, da konnten unsere Wachen ihre Gewehre nur noch als Knüppel verwenden. Unser Oberfeldwebel war Schilenok, der Vater des Burschen, der sich über unser kulturelles Gerede so ereifert hatte, der sich zu jener Zeit unter den neuen Zöglingen von Hauptmann Semjonow befand. die Tage, an denen wir das Gefühl hatten, uns in einem Kurort aufzuhalten, verstrichen, und wir kehrten wieder in unsere heimatlichen Gefilde zurück, die für uns jegliche Anziehungskraft verloren hatten. Wir hatten uns noch nicht einmal ausgezogen, da erschien auch schon Gardt (Hardt) aus der Kanzelei und bestellte mich, Schechowzow und den friedliebenden Maljuta, der sich ebenfalls in unserer Gruppe befand und gerade die Fische mit verschiedenen Konzentrationen leichten und starken Wodkas abgewaschen hatte, zu Semjonow.

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